24. KAPITEL

Reyes hatte sich von dem Dämonen-Rausch erholt und die Kreatur wieder eingesperrt, die sich immer noch zufrieden schnurrend an den qualvollen Schmerzen und dem enormen Blutverlust ergötzte. Jetzt fürchtete er nur eines: die Gedanken, die Danika durch den Kopf gehen mochten. Er zitterte, weil ihn seine Verletzungen so schwächten und weil er wusste, dass er sie in diesem Zustand nicht würde beruhigen können.

Momentan befand sie sich in der liebevollen Umarmung ihrer Familie. Götter im Himmel, wie ihre Augen leuchteten. Falls sie bemerkt hatte, dass er sich im selben Zimmer befand, so ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Leise ging er in den Flur hinaus und zog sein Handy aus der Tasche.

Er hatte schon letzte Nacht und den ganzen Tag über telefonieren wollen, wollte aber nicht, dass Danika mithörte, und während der kurzen Zeit, in der er das Frühstück besorgt hatte, hatte er Lucien nicht erreichen können. Eine bessere Gelegenheit als jetzt, wo Danika mit ihrer Familie beschäftigt war, würde er wohl nicht bekommen.

Noch während er Luciens Handynummer wählte, gaben seine Knie nach, und er sank erschöpft zu Boden. Wieder nahm sein Freund nicht ab. Stattdessen stand der Hüter des Todes auf einmal direkt vor ihm, das Gesicht angespannt vor Müdigkeit, die verschiedenfarbigen Augen funkelnd. Der Rosenduft, den er verströmte, war intensiver denn je.

Reyes wischte sich mit der einen Hand übers Gesicht und steckte mit der anderen das Handy in die Hosentasche zurück. Er versuchte erst gar nicht aufzustehen. „Bist du hier, um Seelen einzusammeln?“

„Noch nicht, aber ich spüre, dass es auf mich zukommt.“ Luciens Blick wanderte an ihm vorbei durch die aufgebrochene Tür. „Was ist mit dir passiert, mein Freund? Du hast mehr Löcher in deiner Haut als ein Schweizer Käse.“

„Jäger – das ist passiert. Sie haben uns hier aufgelauert. Und Danikas Familie hielten sie als Geiseln gefangen, um sie später gegen uns zu benutzen.“

Luciens außergewöhnliche, unergründliche Augen sprangen entsetzt zu Reyes zurück, bevor sie abermals in den Flur hinausspähten. „Diese Bastarde, die sich als Gutmenschen aufspielen.“

Das Gelächter von Frauen drang zu ihnen herüber, dann hörten sie eine Weile nichts und dann einen eindringlichen Appell: „Du musst ihn umbringen, Dani.“

„Nein, nein. Ihr versteht das nicht.“

„Da gibt’s nichts zu verstehen.“

Reyes konnte Danikas Antwort nicht hören, denn sie flüsterten jetzt. Ging es um ihn? Wahrscheinlich. Bei der Figur, die er in der Schlacht abgegeben hatte, war er überrascht, dass Danika nicht sofort zustimmte.

Lucien hob eine Augenbraue. „Familienzusammenführung, nehme ich an?“

Reyes nickte und richtete sich schwerfällig auf, wobei sich seine Hand automatisch zu seiner Schläfe bewegte und diese massierte, als könne er so seine Benommenheit vertreiben.

„Das Gebäude ist wahrscheinlich verkabelt und videoüberwacht“, murmelte Lucien. „Wir müssen die Frauen so schnell wie möglich hier rausbringen.“

„Lass uns erst sehen, womit wir es hier zu tun haben.“

„Na gut.“

Sie durchsuchten das gesamte Gebäude und stießen tatsächlich auf einen Raum, der dem von Torin in Budapest ziemlich ähnlich war. Es gab jede Menge Computer und Bildschirme, die die Umgebung zeigten, sowie einen Monitor, auf dem offenbar ein anderes Gelände zu sehen war. Dort sammelte und sortierte eine große Gruppe von Jägern gerade Waffen.

„Wahrscheinlich sind sie alarmiert worden, vielleicht haben sie den Kampf sogar beobachtet“, vermutete Lucien. „Ich nehme an, dass sie herkommen werden.“

Reyes krümmte sich und versuchte wieder zu Atem zu kommen. „Ist die Burg sicher?“

„Ja.“

„Dann bring uns dorthin zurück“, sagte Reyes. „Uns alle. Mich zuletzt.“

Lucien nickte und war schon dabei, seine Konturen zu verlieren und sich in Nebel aufzulösen, als Reyes ihn am Arm fasste und zurückhielt. „Wie geht’s Sabin?“

„Besser. Er wird wieder gesund.“

Gut. Jetzt verschwand Lucien endgültig. Und da Reyes sich nicht länger von den Jägern beobachten lassen wollte, mobilisierte er seine letzten Kräfte, um die Computerkabel zu durchtrennen. Während er sich daran zu schaffen machte, hörte er die Frauen kreischen und wusste, dass Lucien direkt vor ihnen Gestalt angenommen hatte. Er wollte nicht, dass Danika sich fürchtete, aber noch weniger wollte er, dass sie hier in diesem Haus noch einmal in Gefahr geriet.

Einige Minuten später tauchte Lucien wieder auf. „Du bist der Letzte. Fertig?“

Mehr als die Andeutung eines Nickens brachte Reyes nicht mehr zustande.

Lucien berührte seinen Arm. Als Reyes wieder zu sich kam, stand er in seinem Schlafzimmer in der Burg. Mit weichen Knien taumelte er zu seinem Bett und klammerte sich an den Bettpfosten. „Wo sind die Frauen?“

„Nebenan. Ich helfe dir gleich, mit ihnen fertig zu werden, ich muss vorher nur kurz … die Seelen rufen mich.“ Lucien verschwand. Als er nach einer Weile zurückkam, stank er nach Schwefel. Reyes, der sich keinen Millimeter vom Fleck gerührt hatte, war nicht im Mindesten erstaunt darüber, dass die letzte Ruhestätte der Jäger die Hölle war.

Reyes’ Kopf kippte vornüber, sein Kinn schlug hart gegen die Brust. „Hör zu, du musst für mich in Aerons Verlies gehen.“

„Warum?“

„Bitte. Nimm dein Handy und ruf mich an, wenn du unten bei ihm bist. Wenn ich die Kraft dazu hätte, würde ich selber gehen.“

Mit verwirrter Miene verschwand Lucien abermals. Schon nach weniger als einer Sekunde klingelte Reyes’ Handy. Mit fahrigen Fingern nahm dieser ab und bellte ein kurzes „Bist du da?“ in den Hörer.

„Ja“, antwortete Lucien.

Hinter seiner Zimmertür hörte Reyes Stimmengemurmel. Er hätte seinen linken Arm dafür gegeben – und zwar im wörtlichen Sinne –, wenn er zur Tür hätte gehen und lauschen können. Aber letztlich brauchte er das gar nicht, denn jetzt konnte er deutlich hören, wie Danika mit ebenso sanfter wie resoluter Stimme ihre Familie beschwichtigte. Seine Mundwinkel schoben sich leicht nach oben. Meine kleine Soldatin.

Er musste sie sehen.

Seine überwältigende Sehnsucht nach ihr gab ihm neue Kraft, wie eine anbrandende Welle, die seinen Körper durchströmte, und brachte ihn tatsächlich wieder auf die Beine. Er setzte einen wackeligen Fuß vor den anderen, schob den Türriegel beiseite und legte seine Finger um den Türknauf.

„Reyes, bist du da?“

Lucien.

„Ja, bin ich. Hör zu, letzte Nacht hat mir Danika von einem Traum erzählt, den sie hatte“, flüsterte er, damit ihn die Frauen nicht hörten. „In diesem Traum war sie in der Hölle. Sie hat die Dämonen dort gesehen und gehört – und auch deren Opfer. Das Problem ist, Lucien: Ich glaube nicht, dass es ein Traum war.“

Aus dem Telefon klang statisches Rauschen. Der Empfang im Kerker war miserabel. „Ich verstehe dich nicht.“

„Wenn ich … mit ihr schlafe, dann werde ich irgendwie aus meinem Körper herausgeschleudert und finde mich im Himmel wieder. Ich glaube, dass Danika ein Tor ins Jenseits ist.“

„Bist du sicher? Vielleicht bist du …“

„Ich bin mir sicher. Das letzte Mal hat mich sogar ein Engel angesprochen.“

„Götter im Himmel!“

„Das kannst du laut sagen!“

„Aber was hat das alles mit Aeron zu tun?“

„Nicht mit Aeron. Mit seinem Freund.“

„Dem kleinen Dämon?“ Entsetzen lag in Luciens Stimme. „Reyes, erklär mir das alles von Anfang an und so, als wäre ich ein kleines Kind. Warum der kleine Dämon?“

„Erinnerst du dich an den Jäger, den Danika getötet hat? Nun, den hat sie in der Hölle gesehen, wie er gerade von einem Dämon über das Allsehende Auge ausgefragt wurde.“

Das Rauschen des Telefons wurde lauter. „Die Auswirkungen des Ganzen könnten verheerend sein.“

Das war Reyes klar. „Frag den Dämon, warum seine Freunde Informationen über Danika haben wollen.“

Trotz des schwachen Empfangs hörte man deutlich, wie an Gitterstäben gerüttelt wurde. Dann drangen, nicht weniger laut, finstere Flüche aus dem Hörer. Lucien seufzte. „Ich sehe hier nur Aeron.“

„Verdammt! Versuche ihn zum Reden zu bringen. Ich stelle mich nur schnell wieder her und bin gleich unten bei dir.“ Er legte auf und wollte das Handy zurück in seine Tasche stecken, doch er verfehlte sie, und es fiel auf den Boden. Fluchend bückte er sich und hob es auf. Als er sich wieder aufrichtete, taumelte er, aber schließlich gelang es ihm, das Handy zu verstauen und das Schlafzimmer der Frauen zu erreichen, ohne zu fallen.

Alle vier lagen auf ihren Betten und pressten sofort die Lippen aufeinander, als er hereinkam. Drei von ihnen wurden leichenblass. Er war immer noch blutbespritzt, wie er jetzt bemerkte, und sah wahrscheinlich exakt so aus wie das Monster, das er ihrer Meinung nach war. Er hatte unzählige Schüsse abbekommen. Und Messerstiche. Seine Kleidung war zerrissen, und aus seinen Wunden sickerte immer noch Blut. Und dennoch suchte sein hungriger Blick Danika.

„Reyes!“ Sie lächelte, als sich ihre Blicke trafen, aber das Lächeln erlosch schnell. „Du bist verletzt!“ Sie löste sich aus dem Kreis ihrer Familie und stürzte auf ihn zu. Sie kam so nahe, dass er ihren Gewitterduft riechen konnte.

Mit wild pochendem Herzen machte er die Tür vor ihrer Nase zu.

Er hörte, wie sie nach Luft schnappte. Dann trommelten ihre Fäuste gegen das Holz. „Reyes!“, knurrte sie.

Er hatte sie gesehen und sich davon überzeugt, dass sie unverletzt war. Jetzt war es an der Zeit, sich von ihr zu trennen. Für immer. Letzte Nacht wollte sie ihn verletzen, während sie miteinander schliefen. War ganz begierig darauf gewesen. Seine Zärtlichkeit ihr gegenüber hatte die dunklen Gelüste offenbar nicht wie gehofft aufhalten können. Und auch wenn er ihr nicht erlaubt hatte, ihm wehzutun, musste sein Dämon sie trotzdem bereits infiziert und in Richtung eines Lebens voller Schmerzen gezogen haben – eines Lebens, das Reyes selbst nun schon seit so langer Zeit ertragen musste. Schmerzen, nichts als Schmerzen.

Was, wenn sie demnächst Lust verspürte, ihrer Mutter, Schwester oder Großmutter wehzutun? Wo sie sich doch so unermüdlich für ihre Rettung eingesetzt hatte. Das konnte er nicht riskieren.

„Reyes! Lass mich raus!“

„Dani“, ging die Großmutter unerwartet dazwischen. „Lass ihn.“

Doch das Trommeln gegen die Tür hörte nicht auf.

Reyes fuhr mit einer Fingerspitze über das Holz. Dann trat er langsam von der Tür zurück. Erst als er das Ende des Flures erreicht hatte, drehte er sich um. Ein paar Möbelstücke fehlten, stellte er beim Vorbeihumpeln fest. Ein paar Tische und sämtliche Dekorationsgegenstände, die Ashlyn besorgt hatte. Da an den Wänden nicht mehr der kleinste Blutspritzer zu sehen war, mussten die Krieger gründlich geschrubbt haben. Zum Glück traf er keinen seiner Freunde, denn er wusste nicht, wie er reagiert hätte, wenn sie ihn nach Danika gefragt hätten.

Danika, brüllte Schmerz plötzlich.

„Psst!“, zischte Reyes.

Doch je mehr räumliche Distanz er zwischen sich und Danika brachte, desto heftiger tobte der Dämon in seinem Innern.

„Ich bin durchsiebt von Kugeln. Was willst du mehr?“, knurrte Reyes zurück.

Sie.

„Warum?“ Sie war der Inbegriff von Freude und Lust. „Sie ist nichts für uns.“

Meins.

„Nein!“ Mit langen Schritten polterte er wütend die Treppen zum Verlies hinunter. Vor Aerons Zelle traf er auf Lucien, der sich schweigend an den Gitterstäben festhielt.

Reyes stellte sich neben ihn und schaute ins Verlies. Aeron war immer noch an die Wand gekettet, seine Augen leuchteten hellrot, seine Reißzähne waren lang und spitz, und seine Fingernägel hatten sich zu Klauen ausgewachsen. Legion, der Dämon, glitt ihm um den Hals und dann die Arme hinab zu den Fußgelenken.

„Der Dämon ist in der Lage, sich zu beamen. Er ist plötzlich in der Mitte der Zelle aufgetaucht, weigert sich aber, mit mir zu sprechen.“

„Ich rede“, sagte der Dämon.

„Dann sag mir, wo du warst.“

„In Hölle.“

„Warum?“

„Ich sssage, warum, wenn du Freund freilässst“, zischelte Legion, und seine gespaltene Zunge blitzte hervor. „Er traurig. Ich mag nicht traurig. Alssso wir handeln.“

Eigentlich sah Aeron eher wütend als traurig aus. Er verfolgte jede noch so kleine Bewegung von Reyes, aber Reyes wollte über den Punkt gar nicht diskutieren. „Tut mir leid, aber ich kann nicht mit dir handeln. Wenn Aeron freikommt, wird er versuchen, meine Frau umzubringen. Und Aeron“, sagte er an den Krieger gewandt, „ich dachte, du wüsstest gerne, dass du Danikas Großmutter nicht umgebracht hast. Vor dem Todesstoß bist du weggegangen.“

Für einen kurzen Moment schien dem Krieger der Atem zu stocken und seine Körperspannung zuzunehmen. „Ich hab versagt.“

„Ein Grund zur Freude.“

„Ich hab versagt“, wiederholte Aeron stur.

Reyes seufzte.

„Oh, oh. Du ihn machen ganzzz verrückt.“ Legion duckte sich und begab sich in Angriffshaltung.

Würde denn niemand hier ihm weiterhelfen?

„Setzt dich hin, Junge“, sagte Lucien zu dem kleinen Dämon. „Wir wollen nur Aerons Bestes.“

Legion fauchte wie eine erschreckte Katze. Das Geräusch tat Reyes auf der Haut weh. „Ich nicht Junge. Du glauben, ich Junge?“

Alle hielten inne und starrten ihn an. Auch Aeron.

Reyes fand als Erster seine Sprache wieder. „Bist du ein … Mädchen?“

Legion nickte. „Und hübsch.“

„Ja, das bist du.“ Reyes tauschte einen Blick mit Lucien. „Wunderhübsch.“

Aeron musste sich erst noch von dem Schock erholen.

„Ich brauche deine Hilfe … meine Süße. In der Hölle befindet sich ein Dämon, der eine verdammte Seele nach einer Frau ausgefragt hat“, erklärte Reyes der Dämonin und kam damit auf sein Anliegen zurück. „Nach meiner Frau. Ich vermute, dass er ihr etwas antun will. Kannst du mir irgendetwas darüber sagen?“

„Oh, oh. Großßße Neuigkeiten in Hölle“, sagte Legion, und seine Lippen verzogen sich zu einem stolzen, glücklichen Lächeln. Er – sie – wandte sich an Aeron. „Alle reden darüber. Gassstdämon hat ihnen erzählt. Darf ich sssagen, darf ich, darf ich?“

Nach kurzem Schweigen nickte Aeron.

„Sssie Ticket zzzum Himmel. Alle Dämonen, die sssie finden, können sssie benutzzzen, um zzzu fliehen.“

Sabin humpelte in die Mitte des Freizeitsalons, um alle Krieger, die verstreut herumsaßen, im Blick zu haben. Einige spielten Poolbillard, andere schauten fern. Manche tranken einfach nur etwas. Ashlyn saß auf Maddox’ Schoß.

„Was sollen wir mit dem Mädchen machen?“, fragte er mit kratziger Stimme. Sein Hals war immer noch rau vom Rauch der Handgranate, den er eingeatmet hatte.

Alle Augen richteten sich auf ihn.

„Wir analysieren ihre Bilder“, schlug Lucien vor, den Billardstock noch in der Hand. „Viel mehr können wir momentan nicht tun.“

„Wir analysieren ihre Bilder – und behandeln Danika gut“, warf Ashlyn dazwischen.

Weichherzige Frauen waren der Untergang des Universums. „Jetzt, wo sie wissen, was sie ist, werden die Jäger uns noch unbarmherziger verfolgen“, gab Sabin zu bedenken.

„Ich dachte, das würde dir gefallen“, sagte Paris, der kurz von seinem fleischlastigen Video aufschaute.

Würde es, sobald er erst richtig genesen war. In diesem Moment jedoch hätte er sich am liebsten an der Wand abgestützt. „Wir müssen sie irgendwohin bringen und wegsperren, wo die Jäger sie nicht vermuten.“

Ashlyn schüttelte entschieden den Kopf: „Auf keinen Fall.“

„Yeah, viel Glück dabei, Reyes von dem Vorschlag zu überzeugen.“ William klopfte Lucien auf die Schulter, ohne dass sein amüsierter Blick von Sabin abschweifte. „Der Mann kann verdammt gut mit Messern umgehen.“

„Wer hat dich eigentlich um deine Meinung gefragt?“, knurrte Sabin.

„Anya“, sagte der Unsterbliche grinsend. „Sie hat mir erlaubt, so lange zu bleiben, wie ich will. Können wir jetzt endlich weiterspielen oder was?“

Gegen seinen Willen fand Sabin den respektlosen Dreckskerl immer sympathischer. „Anya, nimm deinen Freund an die Leine.“

„Warum? Ich gewinne gerade.“

Die beiden kehrten zu ihrer Billardpartie zurück, und Lucien beobachtete, wie sich Anya vorbeugte, um einen Stoß auszuführen. „Mir wäre es lieber, wir töten das Mädchen, als sie unseren Feinden in die Hände fallen zu lassen. Sie ist zu mächtig, sie könnte unserer Sache zu großen Schaden zufügen“, machte Sabin einen neuen Vorstoß.

Doch er bekam keine Antwort, denn es hörte ihm schon längst niemand mehr zu.

Als sich Kane eine Flasche Weißwein nahm, zerbrach sie. „Verdammt!“

Augenrollend ging Sabin zu ihm, griff nach einer neuen Flasche und schenkte ein Glas ein. „Hier, bitte. Und?“, fragte er die anderen.

Torin, der allein abseits in der Ecke stand, schenkte ihm endlich seine Aufmerksamkeit. „Wenn du sie anrührst, werden wir wieder in zwei Lager auseinanderfallen. Reyes würde eher sterben, als sie zu verlieren, und ich würde eher dich verlieren, als ihm wehzutun.“

Sabin seufzte und rieb sich mit seiner müden Hand über das geschwollene Gesicht. Er schätzte diese Männer hier und wollte sie nicht wieder verlieren. Und vielleicht würden ja auch sie ihn eines Tages wieder genauso achten wie früher.

Vielleicht aber auch nicht.

Zweifel, du Scheißkerl. Ich hasse dich!

„Dann müssen wir sie eben antreiben, damit sie das dritte und vierte Artefakt für uns findet“, sagte er. „Damit wir den Jägern gegenüber im Vorteil bleiben. Wenn nämlich die Jäger die beiden Artefakte finden, hört der Krieg vielleicht nie auf.“

Wie soll ich sie beschützen, wenn der König der Götter, die Jäger und jetzt auch noch sämtliche Dämonen in der Hölle ein Stück von ihr wollen?

In dieser Nacht hatte Reyes Probleme einzuschlafen. Nicht nur weil Legions Worte ihm im Kopf herumspukten, sondern auch weil Danika nur wenige Meter von ihm entfernt schlief. Er bräuchte nur aus dem Bett zu steigen und die Tür zu öffnen, die sie voneinander trennte, um sie in die Arme zu schließen.

Er versuchte Legions Worte zu verdrängen, konnte aber nicht anders, als immerfort an Danika zu denken. Seine Wunden waren fast verheilt, er hätte also genügend Kraft, um mit ihr zu schlafen.

Nur ein Mal noch.

Zu gefährlich, das hatte er doch bereits entschieden.

Wenn du zärtlich zu ihr bist, dann verringerst du das Risiko für sie.

Götter im Himmel, er wusste nicht, wo diese Gedanken herkamen. Von ihm oder von seinem Dämon. Aber spielte das eine Rolle? Wie gerne würde er Danika ein letztes Mal besitzen, sie halten, ihren warmen Atem spüren, in ihrem prachtvollen Körper schwelgen, sich an ihrem süßen Geschmack ergötzen …

Er knüllte und knetete sein Laken mit den Händen und biss die Zähne zusammen. Das waren gefährliche Gedanken, verhasste Gedanken.

Willkommene Gedanken.

Danika war so sehr Teil von ihm, dass er einfach nicht ohne sie sein konnte. Er brauchte sie, fühlte sich unvollständig ohne sie. Es ist zu ihrem Besten. Sei endlich mal selbstlos in deinem Leben. Wie oft würde er sich das noch sagen müssen? Ihre Familie hasste ihn, aus gutem Grund. Sie würden sich mit Danika überwerfen, wenn sie sich mit ihm zusammentat. Entsprechend würde Danika Schuldgefühle bekommen, und der Hass auf ihn würde nicht lange auf sich warten lassen.

Abgelenkt, wie er war, bemerkte er den Eindringling erst, als es zu spät war – als er die kalte Klinge bereits an seinem Hals spürte.

Er erstarrte, öffnete die Augen – und sah Danika vor sich. Wäre sie ein Feind gewesen, hätte er weniger heftig reagiert. So aber bebte und zuckte sein ganzer Körper. Das Mondlicht bildete eine Art Lichtglocke um ihr blasses Gesicht. Ihr Haar war offen und fiel ihr auf die Schultern. Sie trug ein übergroßes weißes T-Shirt. Seines. Ein übermächtiger Besitzanspruch flammte in ihm auf.

Sein Penis war im Nu hart.

Reiß dich zusammen, beherrsche dich.

„Wie bist du aus dem Zimmer gekommen?“

„Das letzte Mal, als ich hier war, hab ich gelernt, Schlösser zu knacken.“

Ihr Gewitterduft wehte zu ihm herüber, und er inhalierte ihn in tiefen Zügen – er konnte einfach nicht anders. „Geh zurück zu deiner Familie.“

„Nein, tut mir leid. Ich werde dir beweisen, dass ich dir wehtun kann, ohne selbst Schaden zu nehmen.“

Er ließ ihr keine Zeit, ihn zu ritzen. Blitzschnell umfasste er ihr Handgelenk und hielt es so fest, dass sie es nicht mehr bewegen konnte. Mit der anderen Hand schnappte er sich das Messer, warf es zu Boden und zog Danika mit einer schwungvollen Bewegung auf sich, was sie verblüfft mit sich geschehen ließ.

Dann rollte er sie beide herum, sodass sie unten lag, von seinem Gewicht auf die Matratze gedrückt. Beherrsch dich, tu etwas gegen diese Situation, beherrsch … Ihr Atem strich über seine Wange. Ihr Busen drückte gegen seine Brust. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte, ihre nackte, feuchte Scham rieb sich an seiner Erektion. Sie war wie flüssiges Feuer.

Jeder Gedanke an Widerstand und Beherrschung war verflogen. Ein letztes Mal, schärfte er sich erneut ein, bevor ihn sein Verlangen besiegte. „Du solltest eigentlich brav bei deiner Familie im Bett liegen.“

Störrisch reckte sie das Kinn vor. „Ich hab dich vermisst“, gab sie widerwillig zu.

Er rieb seine Erektion an ihrer süßen Perle, sein Penis bewegte sich wie von allein, war einfach nicht zu stoppen. Sie schnappte nach Luft, er stöhnte. So gut. Jedes Mal wieder so unglaublich gut.

„Du bist nackt“, sagte sie mit rauer Stimme, atemlos. „Hmm, das freut mich.“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, zog ihn für einen glühenden Kuss zu sich herunter.

Ihre Zungen wanden sich umeinander. Er setzte sich nur solange auf, wie er brauchte, um ihr das T-Shirt über den Kopf zu zerren und auf den Boden zu schleudern. Dann tauchte er augenblicklich wieder zu ihr hinab. Ihre harten Knospen drückten gegen seine Brust, ihre Hände umklammerten seinen Rücken. Sie spreizte die Beine und presste ihre feuchte Spalte gegen seinen pochenden, zuckenden Schwanz, der ganz wild darauf war, in sie einzudringen. „Du trägst schon wieder kein Höschen“, brachte er krächzend hervor, während er ihre Brüste knetete.

Sie biss ihm in die Unterlippe. „Freut dich das?“

„Ich sterbe vor Lust.“

Lächelnd schob sie ihn beiseite, drehte ihn um und setzte sich rittlings auf ihn. „Dring noch nicht ein, noch nicht.“

„Okay, ich … warte.“

Sie richtete sich über ihm auf, wie eine Sirene, für deren Besitz er sein Leben gegeben hätte. „Ich möchte dich lecken.“

„Du bist überall in mir und um mich herum.“

„Ich weiß.“ Langsam beugte sie sich zu ihm hinunter, bis ihr Mund ganz dicht vor seinem geschwollenen Glied war. Ihre Zähne blitzten kurz im Mondlicht auf, dann nahm sie ihn in den Mund.

Seine Hüften fanden augenblicklich ihren eigenen Rhythmus, in dem einzigen Wunsch, seinen langen Schaft immer weiter in ihren Mund zu schieben. Er wollte es nicht, wollte ihr nicht wehtun, konnte aber nicht aufhören, musste immer weitermachen. Mehr. Ich brauche mehr. Er und sein Dämon skandierten die Worte gleichzeitig, und in einer hinteren Ecke seines Unterbewusstsein realisierte Reyes auch tatsächlich, dass der Dämon immer noch da war, dass er nirgendwohin geschickt worden war. Mehr, mehr, mehr.

Seine Finger wühlten in ihren Haaren, während ihr Mund an seinem Schwanz auf-und abglitt, ihre Zunge mit der Spitze spielte, daran saugte und dann um den Schaft herumflatterte. Er biss sich in die Innenseite seiner Wange, bis er Blut schmeckte.

„Danika“, keuchte er.

Sie schlug ihn hart und griff gleichzeitig hinter sich, wühlte zwischen den Laken, hielt inne … er stöhnte … sie hob den Arm, war mit dem Mund wieder zwischen seinen Beinen … er wand sich … und dann stach der Dolch in seine Schulter.

Explosionsartig und mit einem lauten Schrei kam er, spritzte direkt in ihren Mund, mehr und immer mehr. Sein ganzer Körper zuckte. Noch einmal brüllte er, Lust und Schmerz trafen sich in einem Rausch, der ihn mitriss und dem er nichts mehr entgegensetzen konnte – und wollte.

Sie schluckte jeden Tropfen seines heißen Samens, und als der Strom schließlich verebbte, richtete sie sich auf, leckte sich über die Lippen und grinste wie eine zufriedene, satte, träge Katze. Seine Schulter blutete und schmerzte köstlich.

„Du hast mich geritzt“, brachte er schließlich hervor und musterte sie eingehend, unsicher, was er in ihrem Gesicht lesen würde. Aber sie sah keineswegs so aus, als wäre sie im Blutrausch oder hätte Lust, ihm gleich noch einmal wehzutun.

Vielmehr schien sie mit sich selbst zufrieden zu sein.

„Ich hatte mir schon gedacht, dass du mir das Messer wegnehmen würdest, deshalb hab ich mir gleich noch ein zweites um den Knöchel geschnallt, in der Hoffnung, du würdest zu sehr mit den oberen Partien meines Körpers beschäftigt sein, um es zu bemerken.

Seine Lippen zuckten: „Ausgebufft.“

„Notwendig.“ Sie war immer noch auf Händen und Knien über ihm, ihr Kinn auf Höhe seines Nabels, und betrachtete ihn.

Götter im Himmel, wie er diese Frau liebte. Er sah Begierde in den Tiefen ihrer smaragdgrünen Augen lodern, und sofort entflammte auch seine eigene Lust wieder. Sein Stab schwoll an … schwoll und schwoll … begierig darauf, sich erneut in sie zu versenken.

„Ab jetzt kannst du mir mein Recht nicht mehr absprechen“, sagte sie. „Dir Schmerzen zuzufügen schadet mir nicht, verändert mich nicht. Ich schwör’s dir. Es macht mich glücklich zu wissen, dass ich dir etwas Gutes tun kann. Ich weiß, dass du zärtlich mit mir sein wolltest, wahrscheinlich sehnst du dich danach, seit du den Dämon in dir trägst. Aber du solltest einfach wissen – und ich ebenso –, dass ich es dir auch hart und schmerzvoll besorgen kann, wenn dir danach ist.“

„Welches Recht kann ich dir nicht absprechen?“, fragte er, weil er über das Wort stolperte.

„Ich gehöre dir, und du gehörst mir. Ich werde alle deine Bedürfnisse erfüllen. Du wirst nie wieder zu einer anderen Frau gehen. Nie mehr.“

Ihre Worte hallten in ihm wider, sie waren die Antwort auf Tausende von Gebeten. „Danika – mein Engel.“ Er griff ihre Unterarme und zog sie auf sich. Seine Hände lagen auf ihrer Hüfte und dirigierten sie so, dass er in sie eindringen konnte. Sie war so heiß, so feucht. „Warte. Ich brauche ein Kondom.“

„Ich möchte dich diesmal direkt in mir spüren. Nur dich, ganz und gar.“

Er brachte keinen Ton hervor, sein Herz raste. „Und was … wenn ich dir ein Baby mache?“

„Fändest du das schlimm?“, fragte sie zärtlich.

„Früher fand ich die Vorstellung schlimm. Aber jetzt, mit dir …“ Ihm gefiel der Gedanke. Er sehnte sich sogar danach. Wie schön wäre es zuzuschauen, wie Danikas Bauch immer dicker wurde, wie ihr gemeinsames Kind darin heranwuchs. „Fändest du es schlimm?“

„Ich glaube … ich glaube, ich würde mich freuen.“

„Glaubst du nicht, dass ich ein schrecklicher Vater würde?“

„Machst du Witze? Ich kann mir keinen liebevolleren und fürsorglicheren Vater vorstellen als dich.“

Er stöhnte vor Wonne. Vor wahrer, tiefer, unerschütterlicher Freude.

„Und du wirst mich nie mehr von dir stoßen, hörst du? Nie wieder.“ Sie schloss die Augen und gab jetzt auch einen seligen Seufzer von sich.

Er konnte ihr einfach keinen Wunsch abschlagen. Er würde sie beobachten, würde sichergehen, dass sie nicht blutrünstig würde, und wenn doch, dann würde er dafür sorgen, dass sie sich ausschließlich an ihm austobte. Er würde alles Erdenkliche tun, um ihre Familie für sich zu gewinnen. Er würde dafür sorgen, dass Aeron ihr fernblieb, und er würde sie vor den Jägern, den Dämonen und selbst den Göttern beschützen. Irgendwie würde er das schaffen.

„Bist du sicher, dass du mich willst? Du musst dir ganz sicher sein. Denn danach werde ich dich nicht mehr gehen lassen.“

Ihr Gesicht wurde weich. „So ungewiss die Zukunft ist – bei dir, bei uns bin ich mir absolut sicher.“

Nie hatte er schönere Worte gehört. „Ich werde dich nie mehr von mir stoßen“, schwor er. „Du gehörst zu mir.“

„Ich gehöre dir.“

Mit einer einzigen kleinen Bewegung war er auf einmal tief in ihr. Sein Geist war augenblicklich ruhig und entspannt, sein Dämon verhielt sich ganz still. Ist er verschwunden?, fragte er sich. Musste er etwa tief in ihr stecken, um den Dämon fortzuschicken? Bedurfte es tatsächlich ihrer physischen Vereinigung?

Doch als Danika ihre Hand auf seine Brust legte, ihre Fingernägel in seine Haut grub und ihn kratzte, hörte Reyes auf zu grübeln. In seinem ganzen Leben hatte er noch keinen so rundum perfekten Moment erlebt. Einen Moment, in dem sein Herz vor Liebe und nicht vor Schmerz raste und hüpfte. Sie gehörte ihm. Er gehörte ihr.

Er konnte sie nicht aufgeben, es ging einfach nicht. Sie war ihm wichtiger als seine eigene Lunge, als jede einzelne seiner Gliedmaßen. Ohne sie könnte er nicht existieren. Er würde sie immer bei sich behalten. Und obwohl sie ihm Schmerzen zugefügt hatte, war sie immer noch seine Danika, sein Engel. Unverfälscht und durch und durch gut. Oh ja, er würde sie behalten.

Diese Entscheidung löste einen Freudensturm in ihm aus, sein Schwanz bewegte sich mit prickelnden Stößen in ihr, sein Daumen suchte ihre Klitoris und rieb sie zärtlich. Mehr brauchte sie nicht, um zu kommen.

„Reyes!“

„Engel, mein Engel!“ Sein Orgasmus war genauso gewaltig wie zuvor, dann rollte er sie auf die Seite und presste seinen Mund auf ihren, stieß mit seiner Zunge tief in sie hinein. Diesmal blieb er bei ihr, er vermutete, dass das Band zwischen ihnen zu stark war, als dass er durch irgendein Tor hätte verschwinden können.

Doch plötzlich bohrte sich eine Klinge in seinen Rücken. Aber nicht Danika hatte sie dort hineingestochen, denn deren Hände zausten liebevoll sein Haar. Reyes schrie entsetzt auf, fuhr hoch und riss seinen Kopf herum.

Mit ausgebreiteten Flügeln und glutroten Augen stand Aeron neben dem Bett. Der Hieb mit dem Messer hatte eigentlich Danika gegolten.