17. KAPITEL

Dein Bericht, Stefano?“

„Gern. Also: Ich habe mit dem Mädchen gesprochen. Sie hat einen weiteren Dämon erwähnt: Hoffnung. Sie sagte, die Herren der Unterwelt wären mit ihm verfeindet. Ganz offensichtlich haben sie sie belogen. Außerdem haben wir noch nie etwas von ihm gesehen oder gehört. Und was die Bewegungen der Gruppe anbelangt: Vor fünfzehnhundert Stunden hat der, der sich Reyes nennt, die Burg mit einem Krieger verlassen, den wir noch nicht identifizieren konnten. Und soeben hat auch das Mädchen den Ort verlassen.“

„War sie gefesselt?“

Dean Stefano saß an seinem Schreibtisch, den Telefonhörer am Ohr, und schwitzte. Nach dem Gespräch mit Danika hatte er sich kurz an seinem Punchingball ausgetobt. Dann war ein Anruf aus vertrauenswürdiger Quelle eingegangen und hatte unerwartete Neuigkeiten übermittelt. Neuigkeiten, die das Potenzial hatten, alles zu zerstören, wofür er in den vergangenen zehn Jahren gearbeitet hatte.

Daraufhin hatte er selbst einen Anruf tätigen müssen. Diesen Anruf. Sein Puls würde sich so schnell nicht beruhigen.

„Nein“, antwortete er. „Sie machte überhaupt nicht den Eindruck, als würde sie gewaltsam festgehalten. Sie war mit dem weiblichen Dämon Cameo unterwegs und schien ihr bereitwillig zu folgen. Sie machte einen selbstbestimmten Eindruck. Vielleicht arbeitet sie jetzt sogar mit denen zusammen.“ Es wäre eine Schande, wenn das zuträfe. Er hatte so viel Hoffnung in die junge Danika gesetzt.

Sein Boss schwieg eine Weile. Sie waren nun schon seit zehn Jahren ein Team, und Stefano wusste, wie unbeirrbar Galen sein Ziel, die Ausrottung der Herren der Unterwelt, verfolgte. Galen war absolut unerbittlich und rücksichtslos in seinem Kampf. Ein durch und durch aufrechter Typ.

So sollte es auch sein. Galen war ein Engel, vom Himmel gesandt. Ein lebender Engel aus Fleisch und Blut, der auf den Schwingen des Ruhms durch den Himmel segelte. Stefano hatte ihm anfangs nicht geglaubt. Dann hatte er die Flügel gesehen. Danach hatte er dem Mann tief in die Augen geschaut – Augen, die ebenso unergründlich waren wie der Himmel; Augen, die einer verzweifelten, gequälten Welt Hoffnung versprachen. Stefano hatte sich mit jeder Faser seines Seins an diese Hoffnung geklammert.

Galen hatte Stefano prophezeit, dass die Welt ein friedvoller Ort sein würde, wenn sie erst einmal von den Dämonen befreit wäre. Schmerz und Elend, Seuchen und Krankheiten würden der Vergangenheit angehören und bald schon in Vergessenheit geraten. Zehn Jahre hatte er sich in diesem Kampf engagiert und es nicht einen Moment bereut. Der Tod seiner Frau würde gerächt werden, und nie wieder müsste ein glückliches Paar Angst haben, entzweit zu werden, so wie es ihnen passiert war.

„Behalte sie im Auge. Vertraue dem Mädchen nicht und lass nicht zu, dass sie sie irgendwo anders hinbringen. Wenn sie das versuchen, dann töte das Mädchen.“

„Du kannst dich auf mich verlassen.“ Kein Krieg ohne Opfer. „Da ist noch etwas anderes.“ Stefano schluckte. „Das Mädchen … sie ist kein reiner Mensch. Meine Quelle behauptet, dass sie eine Art lebende Waffe ist. Übernatürlich, wie die Dämonen. Was sie genau ist, wusste meine Quelle nicht. Aber wenn sie tatsächlich gemeinsame Sache mit den Herren macht und tatsächlich außergewöhnliche Kräfte hat …“

Wieder entstand eine Pause. „Warum hast du sie dann überhaupt gehen lassen? Nicht nur gehen lassen, sondern sie auch noch in Geschenkpapier eingewickelt dem Feind überlassen?“

Weil du es mir befohlen hast, dachte er, sagte es aber nicht. Sie verfolgten dasselbe Ziel, und Meinungsverschiedenheiten würden nur unnötige Energie kosten. „Es tut mir leid. Wie soll ich weiter vorgehen?“

„Hol sie zurück. Und wenn das nicht geht, dann töte sie. Besser sie stirbt, als dass sie denen hilft.“

Danika ließ ihren Blick staunend durch den Nachtclub schweifen. Eine silberne Kugel, die Stroboskopblitze in alle Richtungen schoss, hing von der Decke. Sie durchzuckten wie Sternschnuppen den mit schwarzem Samt ausgekleideten Raum und luden zum Träumen und Hoffen ein.

Aus den Lautsprechern hämmerte ungarische Rockmusik. In einer riesigen Wellenbewegung schwappten die Körper der Tanzenden zu den hypnotisierenden Rhythmen auf und ab. Hände strichen umher, streichelten, massierten … suchten sich. Der Geruch nach Sex lag in der Luft. Kellnerinnen schleppten Getränke von der Bar zu den Tischen und hetzten zurück, um Nachschub zu holen.

Wo war Reyes?

Auf der Tanzfläche? Rieb er seinen erregten Unterleib gerade an dem einer anderen Frau? Fragte er diese andere Frau, ob sie ihn kratzen, beißen, verletzen würde?

Danika ballte die Fäuste. Sie hatte die Skizzen für zwei Bilder fertiggestellt und sogar schon etwas Farbe aufgetragen. Eine der beiden Skizzen hatte sie versteckt, die war nur für ihre eigenen Augen bestimmt. Die andere hatte sie im Atelier aufgestellt, bevor sie sich auf die Suche nach Reyes begab, weil sie wusste, dass er das Bild würde sehen wollen. Aber sie hatte ihn nicht gefunden. Stattdessen war sie Cameo begegnet, der wunderhübschen Frau, bei deren Anblick sie sich am liebsten sofort die Augen und Ohren zugehalten hätte.

Cameo hatte sie hierher geführt und stand jetzt neben ihr. „Hör mal, ich hätte dich wahrscheinlich gar nicht herbringen sollen. Vermutlich hätte ich überhaupt nicht zulassen sollen, dass du die Burg verlässt. Wenn du versuchst zu fliehen, wirst du es spätestens dann sehr bereuen, wenn ich dich wieder einfange. Aber ich habe eine Schwäche für Romanzen, deshalb sind wir hier. Also: Siehst du ihn?“

„Ich werde nicht abhauen.“ Die emotionalen Qualen, die Cameos Stimme erzeugte, waren kaum auszuhalten, und sie hätte sich tatsächlich am liebsten die Ohren zugehalten. „Und, nein, ich sehe ihn nicht.“

„Wenn du ihn entdeckst, dann erinnere dich einfach daran, dass er ein Krieger mit einer grausamen Vergangenheit ist, deren Abgründe du dir nicht annähernd ausmalen kannst. Wenn du ihn wirklich willst, musst du ihn bekämpfen.“

Vielleicht lag es an ihrem Gesprächsthema, aber je länger Cameo redete, desto mehr verflüchtigte sich ihre Aura des Elends. „Meinst du um ihn kämpfen?“

„Oh nein, ganz und gar nicht. Du musst ihn bekämpfen, denn er wird sich seinen Gefühlen nicht so einfach hingeben. Viel Glück. Und denk dran: Wenn du abhaust, wirst du es bitter bereuen!“ Mit diesen Worten verschwand die weibliche Kriegerin in einer der dunklen Ecken und ließ Danika allein im Foyer stehen.

Nun ja, so allein, wie man sein konnte, wenn man von haufenweise Leuten umgeben war. Waren auch Jäger unter ihnen? Ihr wurde kalt bei dem Gedanken. Was, wenn ja? Stefano hatte ihr erzählt, dass sich einige seiner Leute in der Gegend aufhielten. Was, wenn die sie hier sahen? Und versuchten, mit ihr zu sprechen?

Herr im Himmel. Stefano und sie hatten nicht besprochen, wie sie sich in einer solchen Situation verhalten sollte, denn sie hatten beide nicht an die Möglichkeit gedacht, dass sie die Burg verlassen würde. Trotz des Gefühls innerer Kälte war sie schweißbedeckt.

Wo zum Teufel war Reyes?

Während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte, musterte sie jedes Gesicht. Nicht eines kam ihr bekannt vor. Als sie schließlich die Bar erreichte, wusste sie nicht, ob sie erleichtert oder erschrocken war.

„Was darf’s denn sein?“, fragte der Barkeeper auf Ungarisch.

Sie hatte einen Monat Sprachunterricht genommen, bevor sie mit ihrer Familie hierher geflogen war, sie konnte sich also verständlich machen. „Eine Cola“, bestellte sie, weil sie lieber keinen Alkohol riskieren wollte. Zwar sehnte sie sich nach ein bisschen Betäubung, doch sie musste bei klarem Verstand bleiben.

Ein paar Sekunden später wurde das Getränk zu ihr hingeschoben. Sie reichte dem Barkeeper einen der bunten Scheine, die Cameo ihr widerstrebend überlassen hatte, und blickte wieder auf die Tanzfläche. Noch immer keine Spur von Reyes. Fröstelnd schob sie sich vorwärts, bemüht, ihr Getränk nicht zu verschütten.

Ein Mann hängte sich an ihren freien Arm, grinste und zog sie näher zu sich heran. Doch sie entwand sich seinem Griff und blitzte ihn so bitterböse an, dass der Typ erblasste und sich eilig mit hoch erhobenen Händen zurückzog.

Danika nippte an ihrer Cola und ging mit suchendem Blick und hämmerndem Puls weiter. Am anderen Ende des Clubs gab es eine verglaste Wand, die etwas erhöht war. Ein weiterer Raum? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich eine Art VIP-Lounge, mit einem Bodyguard vor der Tür. Ja, tatsächlich, kurz darauf entdeckte sie den Türsteher.

Du wirst doch wohl einen Weg finden, da reinzukommen. Du bist doch clever. Manchmal jedenfalls.

Entschlossen reckte sie ihr Kinn vor und stolzierte auf die Glasfront zu. Der große, muskulöse Kerl, der vor der Treppe nach oben stand, sah sie stirnrunzelnd an. Sein Blick wurde umso abweisender, je näher sie kam. Schließlich verschränkte er seine Arme vor der Brust.

„Ich bin auf der Suche nach Reyes“, sagte sie, zunächst auf Englisch, dann in gebrochenem Ungarisch.

Seine braunen Augen ließen nicht eine Sekunde erkennen, ob ihm der Name etwas sagte. „Verschwinden Sie, Lady, das hier ist ein privater Bereich.“ Auf Englisch. Zumindest war er höflich genug, in ihrer Muttersprache unhöflich zu ihr zu sein.

Doch sie ließ sich nicht beirren. „Wenn Sie ihm vielleicht kurz sagen könnten …“

„Verschwinden Sie, oder ich lasse Sie rauswerfen.“

„Ich habe eine Nachricht für ihn, auf die er wartet, und er …“

Der Türsteher streckte seinen Arm aus, um sie zurückzuschubsen. Aber eine starke Hand umfasste sein Handgelenk und drückte so fest zu, dass er aufheulte.

„Rühr das Mädchen nicht an.“ Eine große Gestalt war aus dem Dunkel getreten. „Was machst du hier?“, knurrte die Gestalt und ließ den Türsteher los.

Danika riss die Augen auf, ihr Kiefer klappte herunter. Ihr Herz tanzte mindestens ebenso wild wie die Besucher hinter ihr auf der Tanzfläche. Reyes stand vor ihr, übersät von Schnittwunden. Die Blutspritzer an seinem Hals waren bereits getrocknet. Sein schwarzes Hemd war zerrissen, durch ein großes Loch in Höhe des Bauchnabels konnte man ein Stück gebräunte Haut sehen.

„Ich hab dich etwas gefragt, Danika.“

Er war mit einer Frau zusammen gewesen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Dutzend Giftpfeile mitten in die Brust. Sie dachte an das letzte Mal, als sie mit einem Mann geschlafen hatte. Leider war das schon einige Jahre her. Und noch trauriger war, dass sie es nicht einmal in guter Erinnerung hatte. Irgendetwas hatte gefehlt. Und Reyes’ Kuss hatte dieses bestimmte „Irgendetwas“ verheißen. Zumindest hatte sie das geglaubt. Sie verspürte große Lust, ihm mit einem Handkantenschlag das Nasenbein direkt ins Gehirn zu schieben, unterdrückte den Impuls jedoch, weil er sich über den Schmerz nur freuen würde.

Und Freude würde sie Reyes keine mehr bereiten.

„Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass dein Feind hier sein und dich beobachten könnte. Ich hatte keine Ahnung, dass du selbst ein bisschen auf der Jagd bist.“ Sie stellte ihr Glas auf den nächsten Tisch, drehte sich auf dem Absatz um und ging. Wohin, das wusste sie nicht. Nein, ich werde nicht heulen.

Dieselbe starke Hand legte sich abermals um ihre Schulter und hielt sie zurück.

Und jetzt konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie wirbelte herum und hieb ihm mit der Faust direkt ins Auge. Sein Kopf schleuderte zur Seite.

Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte sie, dass seine Nasenflügel bebten … vor Lust? Oh ja. Auch in seinen Augen sah sie Begierde, seine Pupillen waren so erweitert, dass man die Iris kaum noch sah. Er streckte seinen Arm nach ihr aus.

„Rühr mich nicht an“, schrie sie über die Musik hinweg und wich zurück.

Er ließ seinen Arm sinken. „Wenn du mich noch einmal schlägst, wirst du es bitter bereuen.“

„Schlägst du mich dann zurück?“

„Nein, aber ich werde dich so belagern und bedrängen, dass dir Hören und Sehen vergeht. Meine Lippen werden überall gleichzeitig sein.“

„Oh, yeah“, ließ sich eine männliche Stimme von etwas oberhalb vernehmen. „Lass es drauf ankommen, Baby!“

Sie blickte nach oben. Ein atemberaubend schöner Mann hatte ein Fenster des VIP-Raumes geöffnet und beugte sich heraus. Er hatte zwei Frauen an seiner Seite, die seine nackten Schultern und seinen Rücken ableckten und ihn kniffen und zwickten.

Hatten sie das vorher mit Reyes auch gemacht? Danika sah rot. Na, immerhin hatte Reyes sein Hemd noch an.

„Bring sie hoch zu mir, Mann“, befahl der Fremde grinsend. „Sie soll mitmachen bei der Party.“

„Halt die Klappe, William“, knurrte Reyes. „Du bist nicht gerade hilfreich.“

Wie reizend: Während sie für ihn und seine Sache an der Staffelei gestanden und gemalt hatte, hatte sich Reyes ein paar Frauen einverleibt und neue Freunde gemacht.

„Na los, komm schon. Bring das Blondchen her. Hier ist viel Platz, und ich langweile mich ohne dich.“

„Ich will sie nicht da oben haben.“

Weil sie ihm seine gute Zeit dort vermiesen würde. Er brauchte es gar nicht erst auszusprechen, sie hatte es auch so kapiert und bereits einen Meter Abstand zwischen sich und ihn gebracht. Wenn sie doch bloß endlich aufhören würde zu zittern. Warum kümmert es mich, mit wem er zusammen ist? Er ist ein Dämon. Und Dämonen sind böse. Manchmal. Und ich arbeite für ihre Todfeinde. In gewisser Weise.

Jemand trat ihr in den Weg und lachte über irgendetwas, das ein anderer gesagt hatte. Sie drängte sich hinter ihm durch und murmelte ein kurzes „t’schuldigung“.

„Hey“, rief der Typ, aber was auch immer er noch sagen wollte, ging unter, denn Reyes hatte Danika eingeholt und stieß ihn aus dem Weg.

Der Arm des Kriegers legte sich um ihre Taille wie eine Eisenkette. Sie blitzte ihn wütend an, setzte sich aber nicht zur Wehr, denn körperlich hätte sie eh nichts gegen ihn ausrichten können. Was ist mit deinem Training? Er führte sie durch die Menschenmenge. Die Leute rissen den Mund auf, als er vorbeiging, und sprangen aus dem Weg. Wenn sie nicht schnell genug waren, schleuderte Reyes sie einfach zu Boden. Keiner von ihnen schien sich darüber aufzuregen oder gar eine Entschuldigung zu erwarten, stellte Danika fest. Manche lächelten sogar, während sie ihn kurz berührten, so als wäre er ein Gott oder ihr Retter.

„Ich weiß, dass die Jäger uns beobachtet haben“, sagte er. „Denn Torin seinerseits hat sie beobachtet und mich angerufen, als es ein Problem gab. Und wenn es weitere Probleme gibt, wird er sich wieder melden. Woher weißt du, dass sie hier waren? Hast du deinen Entführer wiedererkannt?“

„Dass sie hier waren“, hatte er gesagt. Und: „weitere Probleme“. „Was ist passiert?“

„Das besprechen wir später.“

„Ich kehre nicht mit dir zur Burg zurück“, sagte sie und überging damit seine Frage.

„Das tun wir auch gar nicht.“

Was also dann? Wo brachte er sie hin? Wollte er sie loswerden? „Du bist ein Bastard, weißt du das? Aber egal! Wirf mich raus, es ist mir egal. Ich verschwinde morgen ohnehin, und die Reise wird ohne dich um einiges leichter.“

Sie erreichten die Seite des Raumes, von der drei Türen abgingen. Hinter der einen verbarg sich das Damen-WC, hinter der zweiten das für Herren, und auf der dritten Tür stand in großen roten Buchstaben „Zutritt verboten“. Reyes verlangsamte seinen Schritt nicht, sondern warf sich mit der Schulter gegen die dritte Tür. Das Schloss brach auf, und er drängte Danika in den Raum, in dem sich ein Schreibtisch, mehrere Stühle, Aktenschränke und ein Computer befanden. Und vier Männer. Alle vier waren mit einem Satz auf den Beinen und gafften Reyes an.

„Raus hier“, bellte er.

Sie zögerten kurz, protestierten aber nicht. Als sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, nickten sie und verließen fluchtartig das Büro.

Danika ging zu dem Schreibtisch herüber und wirbelte dann herum. „Wie kannst du es wagen …“

Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen: „Wie kann ich was wagen? Dieses Büro beanspruchen? Der Club hier wurde vor knapp zwei Monaten von Jägern zerstört, und ich habe ihn innerhalb von drei Tagen wieder aufgebaut. Glaub mir, die Leute hier sind froh, mir alles zu überlassen, was ich brauche.“

Auch die weiblichen Führungskräfte?, hätte sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. „Nein, wie kannst du es wagen, mich hier hineinzubugsieren? Ich bin fertig mit dir!“ Und überhaupt: Was meinte er damit, dass Jäger den Club zerstört hatten? Hatte das etwas mit der Explosion zu tun, an deren Nachwirkungen sie sich noch erinnerte? Damals hatte sie nicht gewusst, dass Jäger dahintersteckten.

Reyes verringerte den ohnehin geringen Abstand zwischen ihnen, bis sein warmer Atem über ihr Gesicht strich. Sie versuchte die Luft anzuhalten, versuchte es wirklich. Aber sie hielt es nicht einmal eine Minute durch, dann sogen ihre Lungen seinen Duft umso gieriger ein.

„Nein, das bist du nicht“, sagte er leise und drohend.

Sie versuchte ihren Blick von seinem harten und wunderbar zornigen Gesicht abzuwenden, aber es gelang ihr nicht. Ich bin jetzt stark. Ich weiche nicht mehr zurück. Nie wieder.

„Bist du wütend, weil ich ohne dich losgezogen bin?“

„Aber ich bitte dich.“ Sie reckte ihr Kinn vor und straffte die Schultern, genau so wie sie es in ihren Kursen gelernt hatte. Manchmal reichte es schon, selbstbewusst auszusehen, um den Gegner in die Flucht zu schlagen. „Außerdem bin ich überhaupt nicht wütend.“

„Lügnerin“, schnappte er zurück. Er senkte die Augenlider, sodass seine dichten Wimpern die Pupillen verbargen. „Warum dann? Sag’s mir.“

„Fahr zur Hölle.“

„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich da längst bin?“ Er beugte sich zu ihr hinunter, kam näher und näher.

Wieder lief ihr ein Schauer über den Rücken. „Wir haben nichts zu bereden. Ich bin gekommen, um dich vor den Jägern zu warnen, und das hab ich hiermit getan. Punkt.“

„Du hast mir noch nicht gesagt, woher du das weißt.“

„Und du hast offenbar nicht mitgekriegt, dass ich dir das nicht sagen will.“

Er legte seinen Kopf schief und musterte sie von oben bis unten, wobei sein Blick an den einschlägigen Körperteilen verweilte. „Hast du etwa vor, mich zu verraten, Danika?“

„Eigentlich sollte ich das.“ Sie spuckte ihm die Worte fast vor die Füße.

„Aber du hast es noch nicht.“ Er wollte die Wahrheit wissen.

Doch sie kniff störrisch die Lippen zusammen.

Er massierte sich den Nacken und sah plötzlich müde aus. „Was soll ich nur mit dir machen?“ Ganz offensichtlich richtete er die Frage eher an sich selbst als an sie.

„Nichts. Ich verschwinde von hier, und du gehst wieder zu deiner Freundin. Und keine Bange. Ich werde nicht zur Burg zurückkehren.“ In diesem Moment schossen ihr Cameos Worte durch den Kopf. Wenn du ihn willst, musst du ihn bekämpfen.

Ich hab eh schon verloren, dachte sie. Mit hoch erhobenem Kopf drängte sie sich hinter ihm vorbei. Oder besser, sie versuchte es.

Aber sein Arm schoss vor und versperrte ihr den Weg.

Reflexartig schnappte sie sich diesen Arm und vergrub zur Warnung ihre Fingernägel tief in seiner Haut, woraufhin Reyes die Augen schloss und ekstatisch stöhnte. Auch sie schloss jetzt die Augen, auch sie begann jetzt zu stöhnen, nicht minder erregt. Ihn zu berühren wärmte sie jedes Mal auf, so auch jetzt. Die Kälte wich aus ihren Adern, ihre Brustwarzen wurden hart, und ihr ganzer Unterleib bebte. Wie ist es möglich, dass ich ihn immer noch begehre?

Danika zwang sich, ihre Arme sinken zu lassen. Aber das wilde Trommeln ihres Herzens konnte sie nicht abstellen. Und ebenso wenig konnte sie das Bedauern unterdrücken, das wie eine dunkle Welle über sie hereinbrach. Ihn bekämpfen … „Mit wem warst du hier? Du bist zum Vögeln hergekommen, stimmt’s? Versuch bloß nicht, dich rauszureden. Ich hab durchaus ein paar Männer gehabt, ich weiß, wie ihr tickt. Und: Welche hast du dir ausgesucht?“

Mit entblößten Zähnen wie ein wildes Tier beugte sich Reyes noch weiter zu ihr hinunter. Als sich ihre Nasen berührten, knurrte er: „Ich will nichts, aber auch gar nichts von den Lovern hören, die du früher gehabt hast, ist das klar?“

„J…ja.“ Mein Gott, was für eine Wut … doch seltsamerweise reagierte Danika nicht eingeschüchtert, sondern erregt.

„Und was die Frau anbelangt, die ich ausgewählt habe – bist du sicher, dass du das wissen willst?“

„Ja.“ Jetzt klang sie schon etwas selbstbewusster.

„Warum?“

Weil ich sie umbringen will, denn sie hat es gewagt, dich anzufassen, obwohl du mir gehörst. Und ich werde dich mit niemandem teilen.„Weil …“, war alles, was sie mit bebendem Kinn herausbrachte. Verdammt. Jetzt wein hier bloß nicht auch noch.

„Ich bin hergekommen, um mir eine Frau zu suchen“, sagte er.

Danika biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, bis sie Blut schmeckte.

„Und ich hab eine gefunden“, setzte er hinzu.

Motherfucker! Der Fluch hallte in ihrem Kopf wider, glühend heiß und ätzend. „Freut mich“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich hoffe, ihr beide hattet viel Spaß miteinander.“ Ich hoffe, sie hat dir irgendeine Geschlechtskrankheit angehängt, an der ihr beide krepiert!

Oh Gott, seit wann war sie so verbittert, so rachsüchtig?

„Spaß?“ Er lachte, aber es klang hässlich. „Wie denn, wenn ich mich nicht getraut habe, sie anzufassen?“

„Wenn du … was?“ Ihre Wut loderte noch einmal hell auf, bevor sie verrauchte. „Du hast sie nicht angerührt?“

„Nein.“

„Oh.“ Danika sackte zusammen und schloss die Augen. Erleichterung durchströmte sie wie …

„Also hab ich mir eine andere genommen.“

Ihr Blick schoss wieder hoch zu ihm und nagelte ihn fest. Ihre Erleichterung und ihre Hoffnung – verhasste, trügerische Hoffnung – hatten sich bereits wieder in Wut verwandelt. „Und?“

„Ich hab es auch in diesem Fall nicht geschafft, sie anzurühren. Beide hätten mich mit Freuden geschlagen und verletzt, so wie ich es mir verzweifelt wünschte, als ich die Burg verließ. Sie waren ganz scharf darauf, mich zu fesseln und auszupeitschen – wir alle drei hätten unseren Spaß haben können.“

„Ihr hättet haben können?“ Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie seinen immer noch blutigen Hals. „Seltsam, es sieht aus, als hättet ihr euren Spaß tatsächlich gehabt.“

Er griff nach ihrem Arm und schüttelte sie so heftig hin und her, dass sie fürchtete, ein Schleudertrauma zu bekommen. „Wir hätten haben können, hatten aber nicht. Denn ich konnte nur an dich denken. Ich wollte nur dich. Und da sie beide nun mal nicht du waren, hab ich’s einfach nicht geschafft, sie anzufassen.“

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Also hast du dir … das hier … selbst zugefügt?“ Bitte, bitte, bitte, bitte.

„Nein. Als ich kam, waren Jäger im Club.“

Jetzt musste sie schlucken. Ihre Wut war verraucht. Ihre Hoffnung erneut aufgekeimt. Aber Erleichterung verspürte sie trotzdem nicht. Jetzt nicht mehr. Er war nicht mit einer anderen Frau zusammen gewesen, das freute sie. Aber er hatte getötet. Er hatte genau die Männer getötet, die sie eigentlich unterstützen sollte. „Sie waren hier? Das hast du vorhin schon gesagt.“

Er nickte mit grimmiger Miene.

„Hast du mit ihnen gekämpft?“ Die Frage war eigentlich überflüssig, sie wusste die Antwort auch so. Aber vielleicht wollte sie Gewissheit haben. Vielleicht brauchte sie auch einfach Zeit, um aus ihrem erregten Zustand herauszukommen. Dieser Mann hier gehörte immer noch ihr. Und er begehrte sie offenbar genauso heftig wie sie ihn. „Wer waren diese Jäger?“ Sie hatte die Frage eigentlich gar nicht laut stellen wollen und schluckte, als sie feststellte, dass sie es doch getan hatte. War Stefano dabei gewesen?

Mit düsterer Miene griff Reyes in seine Tasche und zog einen Stapel Ausweise heraus, die er Danika reichte. Mit zitternden Händen blätterte sie sie durch. Nein, Stefano war offenbar nicht dabei gewesen. Aber der Gedanke, dass all diese Männer mit ihren absolut harmlosen Durchschnittsgesichtern verletzt worden waren, setzte ihr zu.

„Sie haben uns erst entdeckt, als es bereits zu spät war. Da hatten William und ich sie bereits nach draußen geschleppt. Aber wir … haben sie geschont.“ Sein Zorn schien sich verflüchtigt zu haben. „Ich habe gekämpft, mein Engel, und bin verletzt worden. Ich habe meine Schmerzdosis also bereits gehabt. Ich brauche dich, und diesmal werde ich mich trauen, dich zu nehmen. Erlaubst du es mir?“

Sie hatte sich längst dafür entschieden. Und wenn es nur war, um ihn sich ein für alle Mal aus dem Kopf zu schlagen, ihn aus ihrem Herzen zu verbannen und ihre Sehnsüchte zu vertreiben. Oder um sich zu beweisen, dass Sex mit ihm keinen Spaß machte.

„Möchtest du? Ich bin am Verglühen. Und ich werde zärtlich sein. Ich werde auf dich achtgeben. Ich werde meinen Dämon nicht herauslassen. Und du brauchst mir auch nicht wehzutun.“

Er hatte in einem Atemzug alle Gründe benannt, die sie gegen ihn ins Feld führen könnte. „Ich … ich …“

Sie hatte damit gerechnet, ihn ritzen zu müssen, und das hätte sie angewidert. Oder nicht? Und jetzt wollte er es langsam und zärtlich? Ohne Schmerz? „Und was erwartest du von mir? Was soll ich mit dir tun?“ Würde sie es über sich bringen, ihm das zu geben, was er brauchte? Und würde er es schaffen, sie danach zu vergessen?

„Liebe mich, nur für einen kurzen Moment.“

Sie stöhnte leise. Was, wenn sie nach ihrem Liebesspiel mehr von ihm wollte? Sich noch mehr nach ihm verzehrte? Sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte? Langsam und zärtlich war schlecht für sie – denn es bedeutete, dass sie ihn danach nur umso mehr begehren würde.

„Warum langsam? Warum zärtlich?“, platzte es aus ihr heraus.

„In der Vergangenheit haben sich die Frauen … in das verwandelt, was sie mit mir gemacht haben“, erklärte er. „Sie haben angefangen, Menschen in ihrem Umfeld wehzutun. Und ich will nicht, dass es bei dir genauso wird. Ich hatte vorgehabt, mir heute eine Frau zu nehmen und dabei sicherzustellen, dass ich ihr keinen Schaden zufüge. Wenn sie sich nicht verändert hätte, hätte ich gewusst, dass ich ohne Bedenken mit dir zusammen sein kann. Wenn sie sich aber verändert hätte, hätte ich gewusst, dass ich mich von dir fernhalten muss. Das Problem ist, dass ich das einfach nicht kann.“

Verängstigt wich sie zurück. Er ließ seine Arme sinken, sein Gesichtsausdruck war gequält. Sie blieb stehen und öffnete den Mund, um … Was wollte sie sagen? Sie wusste es. Nein. Sie sollten warten, bis er erneut Schmerzen bräuchte, denn das wäre die beste Gelegenheit für sie, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen. Und sicherzustellen, dass sie sich niemals danach sehnen würde, jemandem wehzutun. Aber sie erinnerte sich daran, wie sie ihn gebissen hatte – war das wirklich erst einen Tag her? Und an ihre Gefühle dabei erinnerte sie sich auch. Es hatte sie erregt.

Du weißt jetzt, womit du es zu tun hast. Du bist gewappnet.

Ihre Brustwarzen waren bereits wieder hart, sie zitterte am ganzen Körper und war feucht zwischen den Beinen. In ihrem Unterleib kribbelte es warm – so sehr, dass es sich auf jede Zelle ihres Körpers, auf jedes Organ übertrug.

„Heute Abend“, sagte sie. „Nur heute Abend. Und morgen …“

Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte, aber jetzt atmete er mit einem Mal tief aus. „Morgen kannst du mich wieder hassen.“