22. KAPITEL
Drei Tage. Drei verdammte Tage war es her, seit Danika und Reyes die Festung verlassen hatten. Sie waren in Etappen gereist, mal mit dem Flugzeug, dann wieder mit einem gestohlenen Auto, waren aber sicherheitshalber nie lange an einem Ort geblieben. Sie wollten auf jeden Fall vermeiden, die Jäger zu Danikas Familie zu führen. Und auch wenn es Danika extrem auf die Nerven ging, wieder auf der Flucht zu sein, so fand sie es mit Reyes an ihrer Seite doch tausendmal angenehmer, auch wenn dieser chronisch mürrisch war.
Entsprechend kümmerlich war ihr Austausch. Im Grunde beschränkten sich ihre Gespräche auf sporadische Anweisungen, die Reyes bellte – duck dich, lauf, sei still. Bislang hatten sie noch keine Jäger gesehen, aber Danika wusste, dass das nichts zu bedeuten hatte, und lebte in ständiger Angst. Wie sie es gewohnt war.
Sie schliefen in billigen Motels, teilten stets das Zimmer, aber nie das Bett. Manchmal, nachdem Reyes jeden Ausgang und jedes Fenster ihres Zimmers mit Spezialschlössern zugesperrt hatte, schloss er sich im Badezimmer ein. So auch jetzt gerade.
Von ihrem Bett aus starrte Danika mit zusammengekniffenen Augen auf die geschlossene Tür. Das kleine, schäbige Zimmer lag im Dunkeln, nur hin und wieder fielen die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos durch die roten Gardinen. Sie strampelte die gestärkte, steife Daunendecke beiseite, lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes und wartete. Reyes war schon seit einer halben Stunde im Bad.
Oh, sie wusste genau, womit er beschäftigt war. Aber dieses Wissen ekelte sie nicht an, sondern machte sie vielmehr traurig. Warum begehrte er sie nicht mehr? Warum kam er nicht zu ihr, damitsie ihn von seinem Dämon erlöste?
Weil er in ihr nur noch ein dämliches Artefakt sah?
„Idiot“, murmelte sie.
Reyes stand in engem Kontakt mit seinen Freunden. Aus dem, was er in sein Handy flüsterte und was sie „zufällig“ mitbekam – wie gern hätte sie Ashlyns Fähigkeit besessen, Gespräche aufzufangen –, wusste sie, dass die Jäger die Burg tatsächlich angegriffen hatten und dass Stefano unversehrt entkommen war. Ein paar Krieger waren ernsthaft verletzt worden, aber inzwischen wieder auf dem Weg der Besserung, zum Glück. Oh, yeah. Und sie alle wollten, dass sie malte. Atmen, essen und malen. Das war alles, was sie von ihr wollten.
Ein paar Monate zuvor hätte sie das vielleicht glücklich gemacht.
Reyes hatte ihr einen Skizzenblock gegeben, und sie hatte ihn jeden Morgen benutzt, um sich von den tumultartigen Szenen ihrer nächtlichen Träume zu befreien – Träume, die gewalttätiger waren als je zuvor und in denen Dämonen an die zerklüfteten, lichterloh brennenden Wände der Hölle kratzten.
Wenn ihre Bilder fertig waren, riss Reyes die Seiten aus dem Block und faxte sie an Lucien. Sie wusste nicht, ob ihre Bilder ihnen weiterhalfen, denn mit ihr redete ja niemand.
„Ich bin nur das kleine blöde Mädchen, das malen kann“, maulte sie.
Die Badezimmertür öffnete sich, und der Duft von Sandelholz, vermischt mit dem metallischen Geruch nach Blut, wehte zu ihr herüber. Da Reyes das Licht ausgeschaltet hatte, sah sie nur einen Schatten aus dem Bad kommen, während sie selbst, in Mondlicht getaucht, wie auf dem Präsentierteller dasaß. Sie spürte, wie sein intensiver Blick sie von oben bis unten musterte.
Diese Wärme! Oh, wie sie seine Wärme vermisste! Seit sie mit ihm geschlafen hatte, hatte diese geisttötende Kälte sie nicht mehr gequält. Bis jetzt. War es deshalb zu viel verlangt, dass sie mehr von seiner schützenden Wärme wollte? Offensichtlich.
„Machst du dir Sorgen um deine Familie?“, fragte er und ließ sich auf dem Lager nieder, das er sich auf dem Boden eingerichtet hatte.
Sie hatte die Freunde ihrer Großmutter angerufen. Die behaupteten nach wie vor, ihre Großmutter nicht gesehen zu haben, und Danika glaubte ihnen. „Nein. Ihnen geht es gut. Zumindest rede ich mir das ein – aber vielleicht bin ich ja auch verrückt. Natürlich bin ich aufgeregt, sie morgen zu sehen. Übrigens, vielen Dank, dass du endlich wieder ein bisschen zugänglicher bist.“
„Ich bin nicht zugänglich, ich bin einfach nur beruhigt, weil ich hier keine Spur von Jägern sehe.“
„Wie auch immer. Ich finde es trotzdem wohltuend.“
Die Minuten verstrichen, ohne dass Reyes sich bewegte. Nicht ein Laut, nicht einmal ein Atemgeräusch war von seiner Schlafstatt auf dem Fußboden zu vernehmen. Sie hasste dieses Schweigen. Es ließ ihr zu viel Raum zum Grübeln – darüber, was Reyes wohl dachte, was in den kommenden Tagen passieren würde und warum sie sich nach gemeinsamen Nächten mit ihm sehnte, obwohl sie sich doch geschworen hatte, es bei einer zu belassen.
Je intensiver sie Reyes’ Duft wahrnahm, desto mehr begehrte sie ihn, desto stärker pochte ihr Herz, desto schneller pulsierte ihr das Blut durch die Adern. Als sie das Laken nach oben zog, streifte es ihre harten Brustwarzen. Sie stöhnte kaum hörbar. „Bitte.“
„Was?“
„Ich weiß nicht. Erzähl mir etwas über dich, irgendwas.“ Hatte sie ihn je zuvor darum gebeten? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
„Ich dachte, du wärst nicht an weiteren Informationen über mich interessiert.“
Oh, yeah. „Ich hab meine Meinung geändert. Ich bin ein Mädchen, und Mädchen dürfen das.“
Nach einer weiteren Schweigeminute sagte er schließlich: „Ich mag dieses Spielchen nicht spielen, Danika.“
Das war etwas, was ihr schon früher an ihm aufgefallen war: Er nannte sie immer nur dann bei ihrem Namen, wenn er Distanz zwischen ihnen herstellen wollte. Und er nannte sie „mein Engel“, wenn er ihr nahe sein wollte. Sie vermisste es, Engel genannt zu werden.
Es war schon so lange her, dass sie miteinander geschlafen hatten. Aber es war so wundervoll gewesen, dass sie mehr wollte und brauchte. Mehr von ihm. Nur von ihm. Sie war süchtig danach, mit ihm zu schlafen. Reyes hatte ihr vertraut, als sie behauptet hatte, nicht mit den Jägern zusammenzuarbeiten, während manch anderer Krieger skeptisch gewesen war. Er hatte sie in Sicherheit gebracht und ihren Körper mit seinem eigenen vor Schüssen geschützt. Und: Er hatte ihr, als er sie ganz langsam und zärtlich zum Orgasmus gebracht hatte, eine Kostprobe des Paradieses gegeben, das sie manchmal malte.
Sie wollte ihn – und diesmal auf die wilde, harte, ungestüme Art. Auch wenn sie vor nicht allzu langer Zeit noch gedacht hatte, dass es sie anwidern würde, jemand anderem Schmerz zuzufügen. Dass sie es gar nicht könnte. Aber jetzt und hier sah das anders aus. Jetzt konnte sie sich nichts Befriedigenderes vorstellen, als die Wünsche eines Mannes, ihres Mannes, zu erfüllen. Diejenige zu sein, die ihn voll und ganz erfüllte, die ihm Lust machte und Erleichterung verschaffte.
Ein paarmal während ihrer Reise hatte sie versucht, das Thema Sex anzusprechen. Sie hatte sogar ihre Hand ausgestreckt und ihm mit den Fingern durchs Haar, über die Wange und schließlich über die Brust gestreichelt. Das erste Mal hatte er sie einfach stehen lassen, das zweite Mal hatte er sie kurz angebunden in die Schranken verwiesen.
„Ich kann nicht schlafen“, sagte sie. „Erzähl mir irgendetwas. Du bist über lange, lange Zeit offenbar viel herumgekommen.“ Okay. Jetzt entlud sich ihr Frust schon darin, dass sie ihn quasi als alten Mann bezeichnete. „Sicher kannst du mir die Zeit mit einer Art Geschichtsstunde vertreiben.“
Sie meinte ihn schnauben zu hören.
Ihre Lippen zuckten. „Magst du die Herausforderung nicht annehmen?“
„Erzähl du mir erst mal etwas von dir. Wovon hast du in deinem alten Leben gelebt?“
In ihrem alten Leben. Das schien eine Ewigkeit her zu sein. „Ich hab Porträts und Wandbilder gemalt. Das hat mich nicht reich gemacht, aber zumindest ernährt. Meine Mutter war anfangs enttäuscht. Denn schon meine Großmutter hat lange Zeit vom Malen gelebt, und meine Mutter hat sich für mich einen anderen Beruf gewünscht. Ärztin, Juristin. Etwas … Angeseheneres, Nützlicheres, denke ich.“
„Malerei ist nützlich. Sie bringt Schönheit in die Welt.“
„Danke.“ Nach diesen Worten fühlte sie sich nur noch mehr zu ihm hingezogen. „Dann hat meine Großmutter versucht, sich umzubringen. Sie sagte, ihre Bilder würden sie verrückt machen. Nach dem missglückten Selbstmordversuch versiegte ihre Kreativität, und sie hat nie wieder einen Pinsel angerührt. Aber irgendwie muss sie mir ihre kreative Ader vererbt haben, denn ein paar Wochen später fing ich an, diese Träume zu bekommen. Ihr Leben wurde auf einmal friedlich, und meines wurde, obwohl ich noch ein Kind war, vollkommen chaotisch. Wahrscheinlich konnte ich es daher immer nachvollziehen, dass meiner Mutter meine künstlerischen Ambitionen widerstrebten.“
„Was ist mit deinem Vater? Ist er während eurer Reise nach Budapest zu Hause geblieben, oder ist er …“
„Tot? Nein. Er hat uns schon vor einiger Zeit verlassen. Hat eine neue Familie gegründet.“ Der Verlust ihres Vaters hatte ihr den Boden unter den Füßen weggerissen. Er war für sie immer eine Art Gott gewesen. Zumindest ein guter Mensch mit einem großen Herzen. Aber dieser Mensch hatte sie alleingelassen, als hätte sie ihm nichts, nicht das Geringste bedeutet. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass die Midlife-Crisis bei ihm voll zugeschlagen hat.“
„Das tut mir leid.“
„Danach sind meine Großeltern – die Eltern meiner Mom – eingesprungen und haben meiner Mutter geholfen, uns großzuziehen. Mein Großvater ist mir eine Art zweiter Vater geworden, weshalb sein Tod ein so harter Schlag für mich war.“
„Du hast in deinem kurzen Leben eine Menge Verluste erfahren.“
„Ja.“ Und Reyes wollte sie nicht auch noch verlieren. Denn er bedeutete inzwischen die Welt für sie – obwohl sie versucht hatte, es nicht so weit kommen zu lassen, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte. „Jetzt bist du dran mit Erzählen.“
Nach einer Weile sagte er: „Lass mich einen Moment nachdenken.“
Sie drehte sich auf die Seite. Wieder rieb das Laken über ihre Haut und erinnerte sie daran, dass ein äußerst attraktiver, sinnlicher Mann nur wenige Zentimeter von ihr entfernt lag. Trotzdem sollte sich mein Körper nicht so verhalten, als würde ich nackt in einem Seiden-Negligé stecken: Ich trage ein simples T-Shirt und bin von jeder Menge Baumwolle umgeben. Aber seine Hitze verteilte sich im ganzen Raum und drang bis in die letzte Ecke ihres Körpers vor.
„Erzähl mir von deinen anderen Freundinnen.“ Vielleicht würde das ihrer Erregung einen Dämpfer versetzen. Doch plötzlich wurde ihr klar, was sie da gesagt hatte. „Mit anderen Freundinnen meine ich natürlich nicht“, beeilte sie sich präzisieren, „dass ich deine aktuelle Freundin bin oder je deine Freundin war.“ Herrje, konnte man ein Gespräch noch peinlicher beginnen?
Er stieß einen Seufzer aus, und Danika spürte seinen minzigen Atemhauch überall auf ihrem erregten Körper.
„Zwei Frauen habe ich versucht zu halten.“
Zwei? Diese verdammten Schlampen! So, Mädchen, jetzt schalt mal einen Gang runter und entspann dich! „Sie zu halten? Was meinst du damit?“
„Eine Beziehung haben“, erklärte er.
„Und was ist passiert?“ Sind sie die Treppe runtergefallen und haben sich ihre miesen Visagen zerschmettert? Als eifersüchtiges Weib gab sie nicht die beste Figur ab, das stand fest.
„Nach ein paar Wochen in meinem Bett fingen sie an, jeden zu verprügeln, der ihnen über den Weg lief. Ich hab dir schon davon erzählt, aber habe ich auch erwähnt, dass sie dabei gelacht haben? Während sie Leute zu Fall gebracht haben, unschuldige Leute, sie geschubst, gekratzt, geschlagen, ja, sogar geritzt haben?“
Danika vernahm das Schuldbewusstsein in seiner Stimme. „Und du glaubst immer noch, dass sie sich wegen dir so verändert haben?“
„Das glaube ich nicht nur, das weiß ich.“
„Vielleicht lag es in ihrer Natur. Vielleicht hast du ihnen nur geholfen, ihr wahres Selbst zu entdecken. Vielleicht hast du dich unterbewusst zu diesem Typ Frau hingezogen gefühlt, ahnend, dass sie deine … Vorlieben nicht abstoßend finden würden.“
Wieder schwieg er. „Vielleicht“, räumte er schließlich ein, und es lag ein Fünkchen Hoffnung in seiner Stimme.
Hoffnung. Sie würde jetzt nicht über den Wert von Hoffnung nachgrübeln. Nicht heute Abend.
„Du bist von Natur aus sanftmütig“, knüpfte er an seinen Gedanken an. „Und doch hast du mich an dem Tag, an dem wir uns nach monatelanger Trennung wiedergesehen haben, gebissen.“
„Ich war wütend auf dich und besorgt um meine Familie.“
„Oder Schmerz hat dich manipuliert, hat dich dazu gebracht, mir wehzutun.“
„Oder ich war wütend und besorgt“, beharrte sie.
„Aber wie schon gesagt: Von Natur aus bist du sanftmütig.“
„Nein, tut mir leid, ich enttäusche dich nur ungern, aber ich war immer schon extrem sprunghaft.“
„Das glaube ich dir nicht.“
„Doch, eigentlich glaubst du mir schon, aber du willst mir nicht glauben. Warum nicht? Willst du dir nicht eingestehen, dass wir uns vielleicht ähnlicher sind, als dir lieb ist? Meinst du nicht, du könntest mich auch so, wie ich wirklich bin, mögen?“ Autsch, schon der bloße Gedanke verursachte ein Ziehen in ihrer Brust.
„Ich mag dich so, wie du bist, habe aber Angst vor dir. Du bist so süß, so leidenschaftlich, freigiebig und fürsorglich. Und, ja, auch ein bisschen wild. Ich begehre dich mehr, als ich je eine Frau begehrt habe.“
Großer Gott! Da musste ja das kälteste Herz schmelzen.
„Erzähl du mir von deinen Liebhabern“, befahl er, und seine Worte klangen fast wie Peitschenhiebe.
„Du hast gesagt, dass du nicht über sie sprechen willst.“
„Ich hab meine Meinung geändert. Ich bin ein Mann, ich darf das.“
Sie lachte. Eins zu null für Reyes und seine Schlagfertigkeit.
„Hast du jemals einen Mann … geliebt?“
„Nein.“ Liebte sie Reyes? Was sie für ihn empfand, war so viel intensiver als alles, was sie je für einen Mann gefühlt hatte. Dieses glühende Begehren, diese Sehnsucht und die Zärtlichkeit in ihrem Innern … Shit, shit, shit. „Aber ich war trotzdem mit Männern zusammen, hatte Beziehungen“, presste sie hervor. „Etliche.“
„Was meinst du mit etliche?“ Er klang jetzt nicht mehr ganz so harsch. Zumindest sah er nicht mehr so aus, als würde er jeden, der nur in seine Richtung blickte, gleich umbringen.
„Ein Mädchen muss tausend Frösche küssen, bevor sie ihren Prinzen findet. Das hat meine Schwester mir immer gepredigt. Ich habe mir das zu Herzen genommen und bin mit jedem ausgegangen, der mich gefragt hat. Aber nur, damit du’s weißt: Ich war kein leichtes Mädchen.“
„Leicht?“
„Du weißt schon. Ich hab mich nicht für jeden Interessenten gleich ausgezogen.“
Reyes musste fast losprusten. „Keine Sorge, ich weiß nur zu gut, dass du alles andere als ein leichtes Mädchen bist. Aber: Hat dich denn jemals einer als solches bezeichnet? Wenn ja, dann werde ich …“
„Reyes, hör auf“, sagte sie und konnte ihr Lachen nicht mehr zurückhalten. Er hingegen war wieder so barsch wie zu Anfang. „Niemand hat mich als leichtes Mädchen bezeichnet.“ Trotzdem: Der Gedanke, dass er mit jedem, der es womöglich getan hätte, kurzen Prozess machen wollte, gefiel ihr. „Ich hab das nur gesagt, damit du es weißt. Wirklich ernsthafte Beziehungen hatte ich nur ein paar.“
„Soll ich die Männer umbringen?“
„Warum nur finde ich, dass das das Netteste ist, was du mir jemals gesagt hast?“
Danika meinte, ihn wieder ganz leise kichern zu hören.
„Ich habe niemals geliebt“, sagte er zu ihrer Überraschung.
Ihr war auf einmal nach Tanzen und Singen zumute. Er gehörte ihr, war für sie bestimmt – und zwar von jeher. „Nicht einmal bevor der Dämon dich heimgesucht hat?“
„Nein, auch damals nicht.“
Sie versuchte sich vorzustellen, wie er wohl vor Hunderten und Tausenden von Jahren gewesen war, aber es gelang ihr nicht. „Wie warst du damals?“
„Wie jetzt. Nur etwas … entspannter, nehme ich an.“ Jetzt kicherte er richtig, wahrscheinlich, weil eine Erinnerung in ihm hochkam. Und dieses Kichern empfand sie fast wie ein Streicheln auf der Haut. „Ich hab damals gerne herumgeblödelt und gefoppt und Aeron regelmäßig auf die Palme gebracht, indem ich zum Beispiel seine Waffen versteckt oder ihm, während er schlief, die Haare geschnitten habe. Am Ende hat er sich seinen Kopf sogar freiwillig kahl rasiert.“
„Wie gerne hätte ich dich damals schon gekannt.“
„Vielleicht ist es besser, dass du mich nicht kanntest. Wir waren damals wie kleine Kinder. Wir sind mit voll ausgebildeten, reifen Körpern geboren worden, aber unser Verstand und unsere Psyche waren jung, und die Welt um uns herum hat uns permanent in Staunen versetzt. Wir wurden zu Kriegern ausgebildet, hatten aber nur die Götter und deren Zerstreuungen und Vergnügungen zur Anschauung und als Vorbilder.“
Selbst nach seiner plastischen Beschreibung konnte sie ihn sich nicht als Kind vorstellen, das herumtollte, lachte und scherzte. „Wie ist es möglich, dass du mit dem Körper eines erwachsenen Mannes geboren wurdest?“
„Man mixe das Blut eines Gottes mit Erde, Feuer, Wasser …“ Er verstummte. „Zumindest hat man uns das so erzählt. Und du? Wie warst du so als Kind?“
„Typisch, glaube ich. Mit vielen Wutanfällen und Heulerei, wenn ich nicht das kriegte, was ich wollte. Meine Mutter hat mich immer ihren kleinen Tasmanischen Teufel genannt.“
„Obwohl du wahrscheinlich damals schon wie ein Engel aussahst.“
Engel. Ihr Herz schlug einen Takt schneller. „Reyes“, sagte sie atemlos.
„Ja“, antwortete er resigniert.
„Ich möchte mit dir schlafen.“
Wieder schwieg er, und dieses Schweigen schnürte ihr die Kehle zu, wie dem Beutetier, das von einer Schlange gewürgt wird. Hatte sich sein Begehren tatsächlich verflüchtigt? Trotz allem, was er ihr gerade gesagt hatte? Er hatte von ihr gekostet – und das reichte ihm? Weil ihm das, was er gekostet hatte, vielleicht nicht gefallen hatte?
„Danika …“
Sie knurrte enttäuscht. Schon wieder Danika. „Schon gut. Halt … halt jetzt einfach den Mund und schlaf.“ Sie drehte sich verärgert auf den Bauch und hämmerte mit ihren Fäusten das Kopfkissen flach.
Sie hörte ihn nicht kommen, aber plötzlich war er da, plötzlich lag sein schwerer Körper auf ihrem, drückte ihren Körper und ihr Gesicht in die Matratze. Sie schnappte nach Luft.
Seine Finger packten ihren Hals und drehten ihr Gesicht herum, sodass sie wieder atmen konnte. Doch weiter bewegte er sich nicht, er rollte nicht von ihr herunter, ließ sie nicht frei, sondern hielt sie unter seinem Gewicht gefangen. Trotzdem hatte sie den Eindruck, als würde er über ihr schweben. Sein warmer Atem peitschte ihr über den Körper. Aus dem Augenwinkel sah sie sein Gesicht im Profil. Seine Augen glühten, und seine Lippen gaben seine Zähne frei.
Jetzt traf das Mondlicht auch ihn, fiel wie ein goldener Lichtkegel über seine dunkle honigfarbene Haut. Er keuchte und war schweißbedeckt. Seine prächtige Erektion drückte gegen ihren Rücken. Sie bebte am ganzen Körper.
„Ich werde dich nicht besudeln und verderben“, stieß er hervor. „Verstehst du? Und wenn das bedeutet, dass ich nicht mehr mit dir schlafen kann, dann werde ich das nie mehr tun.“
„Dann bist du dumm! Du hast das schon so oft gesagt. Ich kann’s einfach nicht mehr hören.“
„Du hast ja keine Ahnung, was mit dir passieren kann. Nicht die leiseste Ahnung …“
„Hast du Angst, dass ich genauso verrückt nach Schmerzen werde wie deine früheren Frauen? Aber weißt du was? Das liegt nicht in meiner Natur. So bin ich nicht. Ich hab einen Mann getötet, Reyes. Einen Menschen. Einen Jäger. Ich hab ihn erst verletzt und dann getötet. Und habe ich seitdem vielleicht irgendjemanden sonst, der mir über den Weg gelaufen ist, angefallen? Habe ich etwa dir oder deinen Freunden etwas angetan – obwohl ich allen Grund dazu gehabt hätte?“
„Nein.“ Reyes bog sich ihr entgegen. „Nein.“
Sie stöhnte, konnte gar nicht aufhören zu stöhnen. „Ich hab mit dir geschlafen, und trotzdem hatte ich danach nicht das Verlangen, deinen Freunden wehzutun oder sie umzubringen. Im Gegenteil: Sofort nach unserem Sex habe ich versucht, euch alle zu beschützen.“
„Ja, weil ich zärtlich und sanft mit dir war. Weil ich meinen Dämon kontrolliert und von dir ferngehalten habe.“
Er wollte, dass sie ihn erneut bat, zärtlich und sanft zu sein. Er wollte, dass sie ihn bat, seinen Dämon von ihr fernzuhalten. Das spürte sie, aber sie wollte ihm den Gefallen nicht tun. „Gib dich mir diesmal ganz hin, so wie du bist. Lass mich dir beweisen, dass ich mich nicht verändern werde.“
„Nein, das riskiere ich nicht.“ Aber er hörte nicht auf, seine Erektion an ihren Pobacken zu reiben. Seine Hände glitten an ihren Armen hinunter und griffen nach ihren Handgelenken. Er legte sie über ihren Kopf und hielt sie mit einer Hand dort fest, während er die andere Hand an ihrer Seite hinuntergleiten ließ, bis er bei ihren Brüsten ankam.
Sie biss sich mit den Zähnen auf die Unterlippe und kaute darauf herum, bis sie blutete. „Ja“, seufzte sie. „Mach weiter, berühre mich.“
Seine Finger fuhren um sie herum, in den Zwischenraum zwischen ihrem Körper und der Matratze, bis er ihre eine Brust in seiner Handfläche und die Brustwarze zwischen zwei Fingern eingeklemmt hatte.
Eine Welle der Lust überrollte sie. Sie hob ihre Hüfte an, bis sie an seinen steifen Penis stieß, und bettelte wortlos nach intensiverer Berührung.
„Zieh mein Hemd aus, fass meine Haut an.“
„Zu gefährlich.“
„Wir machen das jetzt.“
„Du willst mich also zwingen?“, fragte er amüsiert.
„Wenn ich muss. Also los: Zieh mein Hemd aus.“
Stöhnend vor Schmerz – süßem Schmerz – ließ er sie gerade so lange los, wie er brauchte, um ihr das Hemd über den Kopf zu ziehen und es beiseitezuwerfen. „Götter im Himmel“, schnaufte er, „du hast ja gar kein Höschen an.“
„Ich war guter Hoffnung.“ Sie spürte seine Jeans an ihrem Unterleib wie eine raue, besonders dicke Haut. „Und: Willst du noch weiter Widerstand leisten?“
Sie hatte keine Ahnung, wie viele Minuten sein erneutes Schweigen andauerte. Endlich sagte er: „Wir werden behutsam sein.“ Seine Stimme war so rau und leise, dass sie ihn kaum verstand. „Wir werden uns Zeit nehmen. So wie letztes Mal.“
Danika schüttelte den Kopf, dass ihre Haare flogen. „Nein, heftig und schnell.“
„Nein. Ich habe mich bereits geritzt und brauche keinen weiteren Schmerz.“
Er hatte sich bereits geritzt? Seitdem er das Badezimmer verlassen hatte? Wieder wusste sie, dass er log. Er klang zu widerstrebend. Er würde mehr wollen. „Aber …“
Seine Hand fing wieder an, ihre Brust zu massieren, und sie vergaß allen Widerspruch.
„Oh Gott“, rief sie. „Ja, weiter, mehr.“
„Bist du schon feucht, kleiner Engel?“
Sie fühlte sich an, als wartete sie schon seit Beginn aller Zeiten auf ihn und seine Berührung. Erregt und begierig. „Überzeug dich selbst.“
Einen Moment später hatte sie sich umgedreht und blinzelte ihn an. Er war ein Gott, stark und stürmisch, und seine ganze intensive Wollust war einzig und allein auf sie gerichtet. Er ließ seinen Blick über ihre Brüste gleiten und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie bebte jetzt von Kopf bis Fuß.
Reyes’ Blick wanderte weiter, bis er schließlich bei dem sanft gekräuselten Haar zwischen ihren Beinen ankam. Die feinen Fältchen um seine Augen spannten sich an, als er ihre Knie griff und sie weit auseinanderzog. Sein Blick fing an zu glühen, Flammen schienen in der nachtschwarzen, sternenlosen Tiefe seiner Augen zu flackern.
„Halt dich am Kopfende fest“, befahl er ihr.
Sie wollte gerade ihre Hand nach ihm ausstrecken, um ihre Fingernägel in seiner Brust zu vergraben und sie vielleicht blutig zu kratzen. „Aber …“
Wieder schnitt er ihr das Wort ab. „Halt dich am Kopfende fest. Sofort. Oder ich kehre auf mein Lager zurück.“
War er kurz davor, die Kontrolle über sich zu verlieren? Wenn dem so war, dann musste sie ihn schnellstens verletzten, oder? Dann könnte sie ihm – und sich selbst – endlich beweisen, dass sie dazu in der Lage war. „Lass mich, Reyes, bitte!“
„Nein, und ich sag es dir nicht noch mal. Halt dich am Kopfende fest, oder die Sache ist hiermit beendet.“
„Okay. Aber ich werde nicht immer so entgegenkommend sein, verstanden?“ Mit zusammengekniffenen Augen streckte sie ihre Arme langsam hinter sich aus und umklammerte die eisernen Stäbe des Bettgestells. Sie waren so kalt, dass sie augenblicklich eine Gänsehaut bekam. „Zufrieden?“
„Noch nicht. Nicht bis ich dich nicht geschmeckt habe.“
Gott, ja. „Aber ich möchte dich diesmal auch schmecken.“
Er stöhnte. Offensichtlich fand er die Idee verlockend, aber sie vermutete, dass er der Versuchung nicht nachgeben würde. Wahrscheinlich dachte er, dass sie versuchen würde, ihm wehzutun, während sie seinen Körper erforschte. Und er dachte richtig.
Aber wie sonst könnte sie ihm beweisen, dass sie sich von der Gewalt, die er brauchte und begehrte, nicht anstecken und verderben ließe?
„Du bist so wunderschön“, schnurrte er, und alle Härte war aus seiner Stimme verschwunden. Zwei seiner Finger spielten in ihrer feuchten Spalte, umkreisten langsam ihre Klitoris.
Ihre Hüfte bewegte sich in einem ganz eigenen Rhythmus, streckte sich ihm sehnsüchtig entgegen. „Reyes“, keuchte sie.
„Mehr?“
„Bitte.“
Die zwei Finger verschwanden in ihr, kamen wieder heraus, glitten wieder hinein – rein, raus, rein, raus – und steigerten ihre Lust ins Unermessliche.
„Du ertränkst meine Hand“, sagte er, nicht ohne Stolz.
„Leck mich, bitte.“ Sie brauchte seine Finger, seine Zunge, alles von ihm, was sie kriegen konnte. Sie lechzte nach ihm, konnte nicht mehr. Und hatte die leise Vorahnung, dass sie, egal was er ihr gab, nie genug kriegen könnte.
Doch anstatt ihrer Bitte nachzukommen, löste er sich von ihr.
„Nein!“, rief sie. „Was machst du?“
„Ich ziehe mich aus.“ Er entledigte sich seiner Jeans und warf sie beiseite.
Oh. „Beeil dich!“
Aber er kam nicht sofort zu ihr zurück. Während er sich zum Boden hinunterbeugte, wand und krümmte sie sich vor Lust.
„Reyes?“
„Kondom.“ Er richtete sich wieder auf. Ein silbernes Päckchen glänzte im Mondlicht.
„Na, so teilnahmslos, wie ich dachte, warst du also doch nicht, hm?“
„Hab ich heute Morgen gekauft. Hab schon gemerkt, dass meine Entschlossenheit nachlässt.“ Das Päckchen verschwand aus ihrem Blickfeld, stattdessen hörte sie die Laken rascheln.
Dann waren seine Finger wieder in ihr. Diesmal waren es drei. „Gott, ja. Ja.“
Er presste seinen Mund auf ihren und erkundete sie mit seiner heißen Zunge.
Wie wunderbar! Wie gut sich das anfühlte! Sein Schwanz, glatt und warm, rieb auf ihrem Unterleib hin und her. Wieder sah sie etwas Silbernes im Mondlicht glänzen, dann stöhnte er lustvoll auf, während sie dachte: Noch ein Kondom? Sicher nicht. Wozu brauchte er zwei? Was … warum … Oh Gott. Er küsste sich an ihrem Körper hinunter, wusste genau, an welchen Stellen er lecken, saugen und seine Zunge kreisen lassen musste.
„Halt mal kurz an“, keuchte sie. Sie musste nachdenken, und das konnte sie nicht, wenn seine Zunge über ihren Körper flatterte.
„Warum?“, fragte er und lutschte kurz an ihrer Lustperle, bevor er sich aufrichtete. Sie stand kurz vor dem Orgasmus, konnte die Erregung kaum noch ertragen.
Silber. Was war das für ein Silberglanz gewesen? Warum hatte er eben so gestöhnt?
„Danika?“
Ein Messer, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Er war dabei, sich zu ritzen. Sie wusste es, und es gefiel ihr nicht. Sie schloss kurz die Augen, um ihn nicht mehr vor sich zu sehen. Ihre feuchte Erregung glänzte auf seinen Lippen, und er war gerade dabei, sie abzulecken.
„Gib mir das Messer“, befahl sie. „Auf der Stelle.“
Danikas Befehl schockierte und erregte ihn gleichzeitig. Er staunte, dass er bislang nicht das geringste Bedürfnis verspürt hatte, sich zu ritzen, um erregt zu bleiben. Dennoch hatte er es getan, zur Sicherheit, damit Schmerz nicht zwischendurch sein hässliches Haupt erhob. Eigentlich hatte er ja stark bleiben wollen, hatte ihr keine Gelegenheit geben wollen, ihn zu überrumpeln.
So wie sie es gerade tat.
Und doch wurde sein Drang, ihr Einhalt zu gebieten, immer schwächer, verspürte er immer mehr Lust, sich von ihr wehtun zu lassen.
Das wird ihr nicht schaden, kann sie gar nicht verderben. Sie ist zu wertvoll, sie gehört zu sehr mir.
Zu lange ohne sie.
Er schleuderte das Messer so energisch von sich, dass es sich mit der Spitze in die gegenüberliegende Wand bohrte. Wie, um sie zu verspotten, vibrierte der Griff noch eine Weile.
„Nein“, sagte er und musterte die Frau, die seine Gedanken und Träume so intensiv beschäftigte.
Er hatte sie einmal besessen und hätte sie eigentlich kein zweites Mal so heftig begehren dürfen. Doch er brauchte sie. Wie die Luft zum Atmen. Aber er konnte sie nur haben, wenn er zärtlich blieb.
„Das Messer“, erinnerte sie ihn. „Hol es mir.“
Mit finsterem Blick beugte er sich zu ihr hinunter, bis sich ihre Nasen berührten. Sie hatte die Gitterstäbe nicht losgelassen, bog sich ihm immer noch entgegen. Ihre harten Brustwarzen bohrten sich so verführerisch in seine Brust, dass er sie in den Mund nehmen wollte.
Sofort.
Er griff seinen harten Schwanz mit der einen Hand und ihr Kinn mit der anderen. „Willst du mich?“
Ihre ohnehin schon geweiteten Pupillen verdrängten das Jadegrün ihrer Iris fast vollends. „Ja, das weißt du.“
„Dann wirst du mich nehmen, ohne mir wehzutun. Und ich gebe dir alles von mir, ohne dir wehzutun. Nur so kann es funktionieren.“
Während er auf ihre Antwort wartete, stieß die Spitze seines erigierten Penis bereits in sie hinein. Als er nach einer Minute immer noch nichts von ihr hörte, beugte er sich hinunter und saugte an ihrer Brustwarze.
Wieder stöhnte sie, noch drängender diesmal.
„Sag mir, dass ich recht habe“, beharrte er. Er nahm sich die andere Brustwarze vor, knabberte diesmal etwas härter und biss sogar hinein, um danach zärtlich darüberzulecken.
„Ja. Ja.“
Das war alles, was er hören wollte.
Er stieß seinen Penis bis zum Schaft in sie hinein, und sie schrien gleichzeitig auf. Ihre inneren Wände waren heiß und feucht, eine Mischung aus Seide und flüssigem Feuer. Alle seine Muskeln spannten sich an für die ultimative Entspannung und Erleichterung, für diese ungeheure Lust, die er noch nie in dieser Form erlebt hatte.
Von Anfang an hatte sein Herz erkannt, dass diese Frau zu ihm gehörte. Sie war ein Teil von ihm, wie sein Dämon, ein Teil, mit dem zusammen er ein Ganzes bildete. Ihr Mut beeindruckte ihn. Ihr Schalk und Humor reizten ihn, jetzt, wo er beides kennengelernt hatte. Und ihre Entschlossenheit, zu ihm zu stehen, trotz allem, was passiert war, rührte ihn.
Hier, in diesem Moment, war sie sein. Ein Ticket, das ihn aus der Hölle direkt in den Himmel brachte.
Er wusste nicht, ob er es jemals schaffen würde, sie ziehen zu lassen, aber er wusste, dass er es versuchen musste. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Denn wie sie einst richtig gesagt hatte: Er führte das chaotische Leben eines Kriegers, und das würde sich auch niemals ändern. Sie verdiente etwas Besseres.
Er hatte versucht sich von ihr zu distanzieren, es aber nicht geschafft. Morgen, dachte er, während er sie vögelte.
Sie wand sich unter ihm, warf den Kopf hin und her, stöhnte und flüsterte immer wieder seinen Namen. „Wie kann das nur so schön sein?“
„Ich weiß nicht, mein Engel“, keuchte er.
Eine Sekunde später kam sie und quetschte ihn dabei zwischen ihren Beinen ein. Sie ließ die Gitterstäbe los und zog seinen Kopf zu sich heran, um ihn wild und stürmisch zu küssen.
Ihre Zungen umschlangen und umkreisten sich, als würden sie ihre Kräfte messen. Sie krallte ihre Fingernägel in seine Haut, und er kam fast im selben Moment, brüllte ihren Namen und spritzte seinen heißen Samen im hohen Bogen heraus. Er wusste nicht, wie es möglich war, dass er ohne intensiven Schmerz eine solche Lust empfinden konnte. Er verstand nicht, warum sich sein Dämon in Danikas Gegenwart so ruhig verhielt, fast so als würde er Reyes diese Momente des Glücks gönnen. Er verstand nicht, wieso er sich in Danikas Gegenwart fast … normal fühlte.
Aber er hatte nicht groß Zeit, weiter darüber nachzugrübeln. Wie beim letzten Mal schien sein Geist seinen Körper zu verlassen, schien zu schweben und hochzufliegen, um erst vor der goldenen Himmelspforte anzuhalten. Er hatte dem zuvor noch keine Bedeutung beigemessen, hatte sich einfach für liebestrunken gehalten. Jetzt jedoch betrachtete er mit großen Augen, wie Engel neben ihm herflogen und mit ihren gefiederten Flügeln sanft seine Haut streiften. Wolken segelten um ihn herum, und die Sonne schien hell am azurblauen Himmel.
Einer der Engel schaute ihn an und lächelte bedächtig: „Licht und Dunkelheit“, sagte das Himmelsgeschöpf mit einer Stimme, die fast ein Gesang war. „Hübsch.“
In dem Moment wurde Reyes etwas Beängstigendes klar: Danika war tatsächlich das Allsehende Auge, und dieses Auge war komplexer, als sie alle gedacht hätten. Denn irgendwie konnte sie offenbar ein Tor zwischen der Erde und dem Jenseits öffnen. Ein Tor, für dessen Kontrolle viele Kreaturen vermutlich töten würden.
Nacht für Nacht wurde Danika jetzt von Träumen heimgesucht. Es waren dunkle, unruhige, blutige Träume, in denen die Feuer der Hölle an ihr leckten und sich fauliger, übel riechender Qualm um sie herum bauschte, der sie fast zum Würgen brachte. Sie hatte sich schon zigmal in diesem Szenario befunden, doch das Böse flößte ihr jedes Mal von Neuem blankes Entsetzen ein.
Schuppige Dämonen in allen Farben krochen in der felsigen Höhle herum. Schreie, schreckliche Schreie, hallten von den blutgetränkten Wänden wider. Niemand schien sie wahrzunehmen, denn alle waren sie viel zu sehr damit beschäftigt, zwischen den überall angeketteten Seelen hin und her zu flitzen.
Ihr Blick landete auf einer dieser menschlichen Seelen, deren Antlitz sie plötzlich deutlich vor sich sah. Ihre Kinnlade klappte herunter. Wie auch immer es möglich war – sie starrte auf den von ihr getöteten Jäger. Wie war das … wie konnte … nein, nicht möglich. Nur ein Traum, rief sie sich in Erinnerung.
„Sag mir, was du über das Auge weißt“, säuselte ein Dämon, der an seiner Seite hockte.
Der Jäger zitterte, blieb aber stumm.
Lachend begann der Dämon seine Klauen in die Haut des Jägers zu hauen und sie ihm streifenweise abzuziehen. Der Jäger schrie und schrie, aber der Dämon lachte nur noch lauter, bis ihre, Danikas Schreie, sich in die des Jägers mischten.
„Ich bin hier, mein Engel, ich bin hier.“
Reyes’ Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr und riss sie schließlich aus ihrem Traum. Sie war schweißgebadet und bekam kaum Luft. Reyes hielt sie fest, und sie presste sich an ihn, bis sie langsam, ganz langsam merkte, wie sich ein Teil seiner Kraft auf sie übertrug.
„Was ist passiert?“, fragte er und streichelte ihr über den Rücken.
„Ich hab einen Dämon gesehen, der den Mann, den ich getötet habe, gefoltert und nach mir ausgefragt hat. Halt mich einfach fest“, flehte sie. Am Morgen würde sie zeichnen, was sie gesehen hatte. Aber jetzt brauchte sie einfach nur ihren Mann. Vielleicht bin ich tatsächlich das Auge. Vielleicht kann ich direkt ins Jenseits sehen. Ihre Albträume hatten sich schon immer real angefühlt. Durchaus möglich, dachte sie, dass sie tatsächlich echt waren.
Gott, allein der Gedanke machte sie krank.
Reyes’ Arme legten sich noch fester um sie. Seine Finger zeichneten Muster entlang ihrer Wirbelsäule. Nach einigen Minuten begann sie sich etwas zu entspannen. Ihr Sinn für die Richtigkeit der Dinge kehrte zurück, das Schlechte wich dem Guten.
Komisch, dachte sie, bevor sie in einen friedlichen Schlaf fiel, dass ausgerechnet ein Dämon ihre Albträume verscheuchte.