6. KAPITEL

Aeron kauerte in seinem unterirdischen Gefängnis, rasend vor Wut. Wut auf sich selbst, auf die Götter, auf seinen Dämon. Auf Reyes. Er hätte mich umbringen sollen. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt will ich leben. Jetzt will ich das Blut dieser Frauen schmecken.

Die Dunkelheit hätte ihn komplett eingehüllt, hätte er das Zepter nicht schon längst seinem Dämon übergeben. Seine Augen glühten hellrot und sandten leuchtende Strahlen aus, wohin er auch blickte. Schlamm und Felsen umgaben ihn. Er war so tief unter der Erde eingekerkert, dass er die Schreie der Verdammten hören und den Geruch nach Schwefel und verfaulendem Fleisch riechen konnte, der vom Hölleneingang herüberwehte. Er hatte gedacht, Lucien wäre der einzige Krieger, der Zugang zum Jenseits hätte, aber auf Reyes traf das offensichtlich auch zu.

Zorn, Aerons dämonischer Begleiter, schäumte in seinem Mund und nagte an den Rändern seines Geistes, ganz wild darauf, diesen hoffnungslosen Ort zu verlassen und endlich zuzuschlagen.

Ist mir zu dicht dran an zu Hause, rief sein Dämon. Ich will nicht mehr zurück.

„Nein, du gehst nicht mehr zurück.“

Aeron und sein Dämon waren zu einem einzigen Wesen verschmolzen, waren zwei Hälften eines Ganzen, eine unvollständig ohne die andere, nicht überlebensfähig. Und Aeron war nicht länger bereit zu sterben. Dass er sich den Tod gewünscht hatte, war nichts als ein vorübergehender Anfall von Verrücktheit gewesen. Das wusste er jetzt, und er akzeptierte es. Er durfte an den eigenen Tod nicht eher denken, als bis das Blut dieser vier Frauen an seinen Händen klebte und seinen Mund füllte.

Mallory, Tinka, Ginger und Danika.

Er lächelte, während er ihren Tod quasi schon auf der Zunge spürte. „Schneide ihnen die Kehle durch“, hatte Kronos, der König der Götter, befohlen. „Weiche ihnen nicht von der Seite, bis ihre Herzen aufhören zu schlagen und ihre Lungen erschlaffen.“ Am Anfang hatte Aeron noch überlegt, ob er sich diesem Befehl widersetzen sollte, weil er die Frauen für unschuldig hielt. Aber dann kamen ihm immer mehr Zweifel daran, und irgendwann fand er den Gedanken, den Frauen das Leben zu schenken, ganz und gar abwegig, ja geradezu empörend.

„Bald“, gelobte er sich selbst, zitternd vor Vorfreude.

Dabei hatte er erst kürzlich getötet. Ganz tief in seinem Innern wusste er das, aber seine Erinnerungen waren verschwommen. Alles, woran er sich entsinnen konnte, war das Bild einer alten Frau, die mit blutverschmierten Schläfen auf dem kalten Boden lag. Sie hatte Tränen in den Augen und Schnittwunden im rechten Arm.

„Tu mir nicht weh“, bettelte sie, „bitte, tu mir nicht weh.“

Mit der einen Hand hielt Aeron einen Dolch umklammert, seine andere Hand hatte sich in eine Klaue mit spitzen, tödlichen Krallen verwandelt. Er holte aus …

Und dann verschwamm die Erinnerung vollends, wie jedes Mal. Was war danach passiert? Was hatte er getan? Er war sich nicht sicher. Seine einzige Gewissheit war, dass er ganz bestimmt nicht vor dem Töten zurückgeschreckt wäre. Er hätte sie nicht verschont. Niemals.

Ich will raus. Ich will nach oben. Ich will meine Flügel ausbreiten und fliegen.

„Ich weiß.“ Aeron zerrte an den Ketten. Sie rasselten und schnitten noch tiefer in seine ohnehin schon blutigen Handgelenke, aber sie lockerten sich nicht. Wütend bleckte er die Zähne. Dieses Arschloch von Reyes!

Verdammter Schmerz.

Ebenso wenig wie an das, was mit der alten Frau passiert war, konnte sich Aeron daran erinnern, wie Reyes ihn überwältigt und hierher geschafft hatte. Er wusste nur, dass es ihm irgendwie gelungen sein musste. Lediglich Reyes’ gequältes „Verzeih mir“ klang ihm noch sehr präzise in den Ohren.

Es waren dieselben Worte, die Aeron immer murmelte, wenn er am Stadtrand von Budapest stand und die Menschen beobachtete, erstaunt, wie unbekümmert und sorglos sie durch den Tag spazierten, obwohl sie sich ihrer natürlichen Schwäche und Sterblichkeit doch eigentlich bewusst sein müssten. Denjenigen, die durch seine Hand starben, schickte er diese Worte hinterher.

Hin und wieder, wenn Zorn sich Menschen herausgepickt hatte, die eine besondere Bestrafung verdienten, war Aeron in einen regelrechten Blutrausch verfallen. Bei Vergewaltigern und Kinderschändern, zum Beispiel. Oder bei Mördern. Solchen wie mir. Doch es gab auch Opfer, die nicht verdienten, was er ihnen antat. Wie die vier Frauen, zum Beispiel.

Er schaute finster drein. Emotionen wie Reue und Mitleid waren ihm jetzt, in seinem wirren Gefühlszustand, völlig fremd. Vorher hingegen, bevor die Götter ihn mit der Ermordung der Frauen beauftragt hatten, hätten sie ihm schwer zu schaffen gemacht.

Plötzlich bröckelten Felsbrocken aus der gegenüberliegenden Höhlenwand und rissen ihn aus seinen Grübeleien. Er ging in Habtachtstellung und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. In der Mitte der Wand sah er ein schmales Loch, in dem zwei rote Glühpunkte pulsierten – Augen eines Dämons. Augen wie die von Zorn.

Aeron gab einen warnenden Knurrlaut von sich. Er war zwar angekettet und unbewaffnet, aber nicht hilflos. Er hatte Zähne. Er würde seinen Feind zur Not bei lebendigem Leib auffressen.

Noch mehr Steine polterten herunter, und das Loch wurde größer. Dann schob sich ein kahler, geschuppter Kopf durch die Öffnung. Die hellroten Augen blickten nach rechts und nach links, bevor sie Aeron fokussierten. Scharfe, blitzende Eckzähne kamen zum Vorschein, als sich der Mund zu einem urtümlichen, wilden Lächeln verzog.

„Ich dich gerochen, Bruder.“ Die Kreatur klang eher fröhlich als bedrohlich.

„Ich bin nicht dein Bruder.“

Die dünnen Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund.

„Aber du bissst Zzzorn.“ Die umherflatternde, gespaltene Zunge lispelte ganz außerordentlich.

Aerons Klauen waren inzwischen zu Klingen geworden. „Ja, das bin ich.“ Kennst du ihn?, fragte er seinen Dämon.

Nein.

Die nackten Schultern und der kleine nackte Körper der Kreatur lösten einen dritten Steinschlag aus, als sie sich durch die Öffnung zwängten.

„Wenn du noch einen Schritt näher kommst, bist du tot.“

„Garantiert nicht tot. Ich nie sssterben.“ Die Kreatur setzte ihre behuften Füßchen auf den Boden und richtete sich auf. Sie war so klein, dass sie Aeron allenfalls bis zum Nabel reichte. Ein Zittern durchlief den kleinen Körper und wirbelte Staub von den mattgrünen Schuppen auf.

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Wir Freunde.“

„Ich hab keine Freunde. Wer bist du? Was machst du hier?“

„Meissster nannte mich erssst Legion, ssspäter Idiot.“ Unbekümmert vor sich hin summend näherte sich das Wesen noch einen Schritt. Es grinste wieder, und erneut kamen seine Eckzähne zum Vorschein. „Willssst du ssspielen?“

Legion. Interessant. „Einer von wie viel Tausend … was … wovon?“

„Lakaien.“ Das Wesen kam noch einen Schritt näher.

Die Diener der Hölle, raunte ihm Zorn angeekelt zu. Nutzlos, wertlos, Müll. Friss ihn.

Aeron zog seine Knie an die Brust und machte sich bereit zum Angriff. „Stopp.“ Warum hatte er denn das jetzt gesagt? Er wollte doch, dass sich die Kreatur näherte. Er wollte sie doch verschmausen.

Das Wesen gehorchte, allerdings wieder mit Schmollmund. „Aber wir doch jetzzzt Freunde. Freunde ssstehen ganzzz dicht beieinander. Ich dasss schon gesssehen.“

Er hörte nicht auf zu betonen, dass sie Freunde wären. „Warum bist du hier, Legion?“ Erst wurden hier die Fragen beantwortet, dann konnte man weitersehen.

Die glühenden Augen leuchteten vor Vorfreude noch heller. „Ich will ssspielen. Ssspielssst du mit mir? Bitte, bitte, bitte.“

„Was willst du spielen?“ Aeron leckte den Speichel weg, der ihm aus dem Mundwinkel tropfte. Je länger er darüber nachdachte, seinen Feind zu essen, desto mehr freute er sich auf diesen kleinen unverhofften Snack. Seine Ketten waren extra so lang, dass er sich seine Mahlzeiten, hauptsächlich Ratten, selbst fangen konnte. Dieser kleine Dämon hier würde etwas Abwechslung in den Einheitsfraß bringen. Etwas Senf dazu wäre allerdings nicht schlecht. Reyes, dieser Mistkerl! „Was für ein Spiel?“

„Fang den Dämon! Mein Meissster nicht mehr mit mir ssspielen. Er mich zu Haussse rausssgeschmisssen.“ Die Kreatur blickte auf ihren Huf, mit dem sie einen kleinen Kieselstein umherkickte. „Ich wasss ganzzz, ganzzz Schlimmesss gemacht. Darf jetzzzt nie mehr mit ihm ssspielen.“

„Was denn Schlimmes?“, fragte Aeron, gegen seinen Willen neugierig geworden.

Wieder erschienen die Hauer des Kleinen und kauten auf der schmalen Unterlippe herum. „Hab Hand von Meissster gegesssen. Willssst du jetzt ssspielen?“

Und dabei vielleicht auch eine Hand verlieren?, dachte Aeron. Doch dann zuckte er die Achseln. „Okay.“ Ein bisschen Bewegung konnte sicherlich nicht schaden.

„Sssuper!“ Das Wesen klatschte aufgeregt in seine Klauen, obwohl der Feind noch ein gutes Stück entfernt war. „Können wir Regeln ändern?“

Es gab Regeln? „Wie sind die Regeln?“

„Du mich nicht mit Sssteinen bewerfen.“

„Abgemacht.“ Dann würde sich Aeron also nur seiner Zähne bedienen.

Mit einem gespenstischen Lachen sprang Legion in die Luft. Er hüpfte vom einen Ende der Höhle zum anderen und war für Aeron bald nur noch eine leuchtende Schliere. Zweimal flitzte Legion fröhlich gackernd hinter ihm entlang, und immer schnitten Aeron die Ketten noch tiefer in die Handgelenke, wenn er nach ihm langte. Doch Legion sprang jedes Mal rechtzeitig außer Reichweite.

Aeron hielt inne und überdachte seine Möglichkeiten. Er hatte einen beschränkten Bewegungsradius, und Legion bewegte sich so schnell, dass er ihm nicht mal mit den Augen folgen konnte. Er musste abwarten, wie eine Spinne im Netz, und seine anderen Sinne einsetzen.

Also schloss er die Augen und genoss die vollkommene Dunkelheit. Er legte die Hände auf seine angezogenen Knie und hoffte, die Ruhe selbst zu sein.

Legions fröhliches Gelächter hallte in seinen Ohren, kam näher … und näher … Fingerspitzen kratzten über seine Stirn, aber Aeron zuckte mit keiner Faser.

„Fang mich doch, fang mich doch, wenn du kannssst.“

Steine polterten von der gegenüberliegenden Wand, dann wurde das Gelächter noch lauter, und ein Windstoß wirbelte durch die feuchte, rußige Luft. Jeden Augenblick konnte … warte … warte es ab … Irgendetwas Heißes streifte seinen Arm, und Aerons Finger schnappten zu.

Ein Keuchen, ein Quietschen, und Legion wand sich in Aerons Griff, das Lachen war ihm vergangen.

„Ich hab gewonnen.“ Aerons Zähne spitzten sich zu, und er warf den Kopf nach vorn. Berührung. Saures Blut füllte seinen Mund, der augenblicklich brannte und Blasen warf.

„Au!“

Hustend und spuckend ließ Aeron den Dämon los. Er riss die Augen auf, kniff sie aber sofort wieder zusammen. Warum hast du mir nicht gesagt, dass er giftig ist?, blaffte er Zorn an.

Wusste ich nicht, schmollte dieser.

„Du mich gebisssen.“ Die Stimme der Kreatur klang anklagend. Anklagend und verletzt. In den roten Augen standen Tränen.

„Du schmeckst wie Galle, du eklige Made.“

„Aber … aber … du mich blutig gebisssen.“ Legion rieb sich den Hals. Zwischen seinen nackten Fingern sickerte schwarzes Blut hervor. „Du versprochen, nicht beisssen.“

„Ich hab versprochen, dich nicht mit Steinen zu bewerfen.“ Irgendetwas rührte sich in seinem Innern … Gewissensbisse? Ja, es waren tatsächlich Gewissensbisse, die seinen ewigen Zorn und seine überwältigende Mordlust überlagerten. „Ich …“ Was? Ich habe dich fast zu Tode gebissen und jetzt tut es mir leid? „Ich dachte, so würde man das Spiel spielen.“

„Du falsch gedacht.“ Legion schniefte und wandte sich ab. Er marschierte zur Höhlenwand und vergrub schmollend seinen Kopf zwischen den Felsen, während Aeron verblüfft feststellte, dass er Legion nicht mehr als ein unpersönliches Es, sondern als einen Er betrachtete.

Götter im Himmel! Wie bin ich in diesen Schlamassel hineingestolpert?

Die Lakaien sind so kindisch, knurrte Zorn, als wäre er selbst reifer und erwachsener.

„Ich kannte die Regeln nicht“, sagte Aeron, verstört darüber, dass er sich in diesem Moment mehr mit sich selbst im Einklang fühlte als in den ganzen letzten Monaten – ohne zu wissen, warum.

Legion linste über seine Schulter. Seine Schuppen funkelten wie Rubine im roten Glühen von Aerons Dämonenaugen. Vorher waren die Schuppen doch grün gewesen, oder nicht? „Wenn wir Freunde sssein wollen, du versprechen, nicht zzzu beisssen. Du hassst verletzzzt meine Gefühle.“

Freunde? „Legion, ich will deine Gefühle nicht verletzen, aber …“

„Okay!“ Der kleine Dämon grinste wieder, hüpfte herum und klatschte in seine Klauen. „Du mich nie mehr verletzzzen. Wir wieder Freunde. Wasss wir machen? Wir noch ein Ssspiel ssspielen?“

Aeron neigte den Kopf und beäugte seinen … neuen Freund nachdenklich. „Ich wüsste noch ein Spiel, das wir spielen können.“

„Oh ja, wasss für einsss? Wie heissst Ssspiel? Diesssmal ich gewinne, ich weisss genau!“

„Es heißt Kettenaufbrechen.“

Paris lag neben der Menschenfrau auf dem Bett. Es war ein gemietetes Bett, und er kannte das Zimmer in-und auswendig. Eine Kingsize-Matratze und weiße Wände mit klassischen Gemälden, die nach strategischen Überlegungen aufgehängt waren. Ein schwarzer Schreibtisch mit goldglänzender Lampe. Zimmer Nummer vierzehn im kleinen, feinen Hotel Zara. Er war schon unzählige Male in diesem Zimmer gewesen – jedes Mal mit einer anderen Frau.

Er sinnierte gerade darüber nach, dass er den Namen der Frau nicht wusste und dass es ihm auch völlig egal war, wie sie hieß. Sie war Touristin, und er würde ihr nie wieder über den Weg laufen.

Keiner seiner Gespielinnen begegnete er ein zweites Mal.

Normalerweise verschwand er direkt nach dem Sex. Länger zu bleiben hieß, Gefühle zu riskieren, und da er keine Frau zweimal nehmen konnte, waren Gefühle nur lästig.

Heute Abend jedoch war er geblieben. Und jetzt schnarchte die Frau leise an seiner Seite. Sein Geist war ruhelos und sein Körper angespannt, und trotzdem zog es ihn nicht nach Hause. Maddox hatte Ashlyn, Lucien hatte Anya, und jetzt hatte Reyes auch noch Danika. Und jedes Mal, wenn er die Paare zusammen sah, musste er an die Frau denken, nach der er sich sehnte. Die Frau, die er umgebracht hatte.

Sienna.

Die herrlich unscheinbare Sienna mit ihren Sommersprossen, den dicken Brillengläsern und dunklen Locken. Sie war dünn, viel zu dünn, und hatte kaum Busen und Hintern. Und dennoch hatte sie ihn von Anfang an gereizt. Er hatte sie begehrt, hatte ihr – so gut er konnte – den Hof gemacht und sie schließlich verführt. Woraufhin sie ihn umgehend verraten hatte, wie es von Anfang an ihr Plan gewesen war.

Sie war eine Jägerin, seine schlimmste Feindin, und hatte seinen permanenten Erregungszustand genutzt, um ihn abzulenken, mit Drogen vollzupumpen und schließlich ihren Kollegen vorzuwerfen. Diese hatten ihn in Ketten gelegt und eingesperrt – um ihn aus der Nähe zu beobachten, ja, regelrecht zu erforschen. Da Promiskuität jedoch ohne Sex nicht leben konnte, war Paris mit der Zeit so schwach geworden, dass er fast gestorben wäre. Die Jäger mussten Sienna in die Löwengrube schicken, um ihn zu retten, denn sie hatten natürlich kein Interesse an seinem Tod. Wie hätten sie sonst seine Fähigkeiten und Qualitäten studieren können? Wie hätten sie ihn sonst benutzen können, um seine Freunde auf ihr Territorium zu locken? Außerdem hätten sie mit Paris’ Tod riskiert, dass sein Dämon, der ohne seinen Wirt besonders pervers und blutrünstig war, auf die Welt losgegangen wäre.

Und das wollten die Jäger um jeden Preis vermeiden. Oh, natürlich wollten sie die Dämonen aus ihren Wirten herausholen, aber nicht, bevor sie nicht Pandoras Büchse gefunden hatten. Doch bis jetzt sah es nicht so aus, als wäre irgendjemand kurz davor, sie zu finden – weder sie noch die Herren der Unterwelt.

Also hatten sie ihm Sienna in den Kerker geschickt, und die hatte ihn hart geritten, genau richtig, genau so wie er es mochte. Auf diese Weise war er wieder zu Kräften gekommen – und mehr als das: Zum ersten Mal seit seiner Verbandelung mit Promiskuität hatte sich sein Schwanz zweimal nach derselben Frau gesehnt.

Also hatte Paris beschlossen, sie zu behalten. Natürlich hätte er sie auch nicht anders behandelt als all seine bisherigen Frauen, natürlich hätte er sie strapaziert und hart rangenommen, klar, aber trotzdem hätte er sie gern für den Rest seines Lebens behalten. Denn für einen kurzen Moment hatte er geglaubt, in ihr eine Frau gefunden zu haben, die ihn von seinem Fluch befreien könnte. Es hatte ihn nicht länger gekümmert, dass sie als Jägerin für eine dämonenfreie Welt kämpfte, für eine Welt, in der er und seine Freunde nicht existierten. Er hatte nur daran gedacht, endlich, endlich, den Göttern sei Dank, mit ein und derselben Frau zusammenbleiben zu können. Mit ihr Spaß zu haben, sie täglich besser kennenzulernen, sie vielleicht sogar irgendwann zu lieben.

Idiotischerweise hatte er angenommen, dass sie füreinander geschaffen waren und dass die Götter endlich beschlossen hätten, ihn von seinen inneren Qualen zu erlösen. Er hatte es einfach satt, jeden Tag eine neue Frau suchen zu müssen; er war diesen Nonstop-Sex ohne Gefühle und Liebe leid; er war es leid, sich nicht erinnern zu können, wen er geküsst und berührt hatte, er war es leid, nicht wirklich zu wissen, was die Frauen mochten oder nicht mochten. Es wirbelten einfach zu viele Gesichter, Körper, Vorlieben und Wünsche in seiner Erinnerung durcheinander.

Also war er mit Sienna im Arm aus dem Gefängnis der Jäger ausgebrochen. Und wie der allerschlechteste, ungeübteste Soldat hatte er tatenlos mit angesehen, wie auf Sienna geschossen wurde. Nicht einmal, nicht zweimal, nein, dreimal.

Und daraufhin war sie in seinen Armen gestorben.

Du hättest sie beschützen müssen. Seitdem waren etliche Wochen vergangen, doch Paris konnte ihr Gesicht einfach nicht vergessen und bekam nur noch eine Erektion, wenn er an sie dachte.

Sie wollte mich. Sie wollte ihn zwar gegen ihren eigenen Willen, aber das war ja egal. Sie war jedes Mal ganz feucht gewesen, wenn sie sich auf seinen steifen Schwanz gesetzt hatte. Und wider Willen hatte sie vor Extase gestrahlt, hatte ununterbrochen seinen Namen gestöhnt. Seinen Namen. Nicht den eines anderen Mannes.

Trotz ihrer Verschiedenheit hätten sie miteinander glücklich werden können.

„Aber nein. Ich hab ihren eigenen Leuten erlaubt, sie umzulegen.“ Er lachte bitter. „Ein toller Krieger bin ich. Meine Schuld, alles meine Schuld.“

„Was ist los?“, fragte die Frau in seinem Bett schlaftrunken. Sie drehte sich zu ihm um und legte ihm ihre Hand flach auf die Brust.

Shit. Er hatte sie nicht aufwecken wollen, denn er hatte absolut keine Lust, sich mit ihr zu unterhalten.

Paris schüttelte ihre Hand ab, schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf.

„Hmm“, sagte sie. „Dieser Anblick gefällt mir.“

In Windeseile hatte er seine Klamotten vom Boden zusammengesammelt und die Messer an Armen und Beinen befestigt, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu verbergen. Immerhin hatten sie die Frau ja angetörnt.

Sie schnurrte seinen Namen, aber er zog sich unbeirrt weiter an.

„Komm zurück ins Bett“, bettelte sie. „Ich will dich noch einmal spüren. Ich brauche dich.“

Diesen Spruch hatte er schon zigtausendmal gehört und würde ihn wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit hören – von zigtausend anderen Frauen. Der Gedanke ließ ihn erschauern. „Ich muss los.“

Sie schnaufte enttäuscht. „Bitte bleib noch. Ich möchte den Tag richtig gut beginnen, und dich in mir zu spüren ist … oh … ist so richtig gut.“

Er wusste, dass er sich in ein paar Sekunden nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern würde. Sie war nicht Sienna, so viel stand fest. Sein Schwanz war so schlapp wie eine welke Blume, und das würde sich so schnell auch nicht ändern.

„Vielleicht ein anderes Mal.“ Diese Lüge war das Freundlichste, was ihm einfiel.

Die Bettdecke raschelte. Ein kleines Stöhnen entfuhr ihr. Wahrscheinlich streichelte sie sich gerade, entweder um ihn zu erregen, oder um sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Aber egal, es kümmerte ihn nicht. Sein Körper zeigte nicht die kleinste Reaktion. Darauf wird mein Leben immer reduziert sein: ficken und verschwinden. Wie erbärmlich.

Dabei liebte er Frauen über alles. Sie waren sein Lebenselixier. Er hatte sich zeitlebens bemüht, ihnen Entspannung und Erleichterung zu verschaffen und ihre Selbstachtung zu stärken. Aber ihm fehlte immer mehr die Energie dazu.

„Paris“, flüsterte sie atemlos. „Nimm deine Finger und hilf mir. Bitte!“

„Wieso? Hört sich doch an, als würden deine Finger ihren Job ganz gut machen. Das Zimmer ist übrigens für den Rest der Nacht bezahlt. Ich überlasse es dir.“

„Du gehst?“ Mit einem Ruck saß sie aufrecht, streckte ihre Hand nach ihm aus und fuhr mit einer Fingerkuppe an seiner Taille herab. „Bleib bitte, ich flehe dich an.“

„Vergiss mich einfach. So wie ich dich bereits vergessen habe.“ Ohne sich umzublicken, verließ er das Zimmer und das Hotel.