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Mondar hatte sich auf unbestimmte Weise verändert, seit ihn Cletus zuletzt gesehen hatte, als sie sich in Mondars gartenumschlossener Residenz in Bakhalla getroffen hatten. Sein Gesicht wies zwar keine neuen Züge auf, auch im Haar des Exoten war keine graue Strähne zu entdecken, doch das Blau seiner Augen war tiefer geworden, wie die Augen Melissas, als ob die Zeit tiefere Erkenntnisse in sein Gehirn, das hinter diesen Augen lag, gegraben hätte.
„Also können Sie uns auf Mara nicht helfen, Cletus?“ fragte er zur Begrüßung.
„Ich kann keine Truppen mehr entsenden“, meinte Cletus. „Und selbst dann würde ich vorschlagen, sie nicht einzusetzen.“
Sie gingen Seite an Seite durch die Hallen von Mondars Haus und kamen in einen halboffenen Raum, wo Mondar auf einen Korbsessel zeigte und selbst in einem solchen Platz nahm. Die ganze Zeit hatte Mondar geschwiegen, doch jetzt setzte er zum Sprechen an.
„Wir haben mehr zu verlieren als wir verkraften können, wenn wir unsere Investitionen beim Kraftwerkbau verlieren“, sagte Mondar. „Wir haben immer noch ein Kontingent Ihrer Dorsai hier in Bakhalla. Könnten wir nicht zumindest einen Teil dieser Leute verwenden, um das Kraftwerk zurückzuerobern?“
„Nein – es sei denn, Sie wollen, daß die zusätzlichen Allianz-Koalitions-Truppen, die in Neuland stationiert sind, die Grenze überschreiten und Ihre Kolonie überschwemmen“, versetzte Cletus. „Und das wollen Sie doch sicher nicht.“
„Nein“, meinte Mondar, „das wollen wir sicher nicht. Aber was sollen wir mit den Söldnern von den Freundlichen anfangen, die das Kraftwerk besetzt halten?“
„Lassen Sie sie dort, wo sie sind“, erwiderte Cletus.
Mondar schaute ihn an. „Cletus“, sagte er dann sanft, „Sie wollen doch nicht etwa versuchen, diese Situation, die Ihr Werk ist, zu rechtfertigen?“
„Trauen Sie meinem Urteil?“ konterte Cletus.
„Was mich betrifft“, erwiderte Mondar langsam, „so halte ich sehr viel davon. Ich fürchte aber, daß die anderen Verbindungsmänner unseres Volkes hierzulande und auf den Kolonien in Mara augenblicklich diese Ansicht nicht teilen.“
„Immerhin vertrauen sie Ihnen noch genug, um Ihnen die Entscheidung über mich zu überlassen?“ fragte Cletus.
Mondar blickte ihn fragend an. „Was macht Sie dessen so sicher?“ fragte er zurück.
„Die Tatsache, daß ich bisher durch Sie alles bekommen habe, worum ich die Exoten bat – zumindest bis jetzt“, versetzte Cletus. „Sie sind immer noch der Mann, der mich als schlecht oder gut verkaufen kann, nicht wahr?“
„Ja“, meinte Mondar mit einem kleinen Seufzer. „Und darum befürchte ich, daß ich Ihnen diesmal auch persönlich nicht in jenem Maß zustimmen kann, wie Sie es von mir erwarten. Ich habe meinem exotischen Volk gegenüber eine gewisse Verantwortung übernommen, und das ist der Grund, warum ich die Situation von mir aus etwas strenger beurteilen muß. Außerdem muß ich endlich zu einer Entscheidung kommen, was Sie und das Bündnis Allianz-Koalition betrifft.“
„Wie würde es aussehen, wenn Sie sich für sie und gegen mich entscheiden?“ fragte Cletus.
„Ich fürchte, daß wir die bestmöglichen Bedingungen akzeptieren müßten“, erwiderte Mondar. „Das mindeste dürfte sein, daß wir Ihre Truppen entlassen und darauf bestehen müssen, daß Sie Ihr Darlehen zurückzahlen. Wahrscheinlich wird man darauf bestehen, daß wir Ihnen unsere Unterstützung entziehen und diese in Zukunft der Allianz und Koalition gewähren, deren Truppen verpflichten und diese gegen Sie und die Dorsai einsetzen.“
Cletus nickte. „Ja, das werden sie verlangen“, meinte er. „Na schön. Was würden Sie benötigen, um sich für die Dorsai zu entscheiden?“
„Irgendeinen Nachweis, daß die Dorsai eine Chance haben, die gegenwärtige Situation durchzustehen“, sagte Mondar. „Wie ich Ihnen bereits sagte, müßten wir im Fall des Kraftwerks auf Mora empfindliche Verluste verzeichnen, Sie aber haben soeben gesagt, daß Sie nichts unternehmen würden, selbst wenn Sie die notwendigen Truppen zur Verfügung hätten. Was haben Sie für Gründe?“
„Natürlich habe ich Ihnen etwas anzubieten“, sagte Cletus. „Wenn Sie einen Augenblick nachdenken wollen, werden Sie erkennen, daß das Kraftwerkprojekt an sich absolut gesichert ist. Es handelt sich um einen potentiellen und echten Wert – sowohl für die Allianz und Koalition wie auch für jedermann. Sie mögen jetzt das Kraftwerk besetzt haben, doch sie werden nicht im Traum daran denken, alles zu vernichten, was bisher aufgebaut wurde – einschließlich des Personals und der Ausrüstung, mit deren Hilfe das Werk vollendet werden kann.“
„Aber was nützt uns das, wenn das Werk in ihrer Gewalt bleibt?“
„Es wird nicht mehr lange dauern“, sagte Cletus. „Die Besatzungstruppen sind Freundliche, und ihre religiöse und kulturelle Disziplin macht sie zu ausgezeichneten Besatzern – das ist aber auch alles. Sie können nicht weiter sehen als ihre Nase reicht, also behalten sie ihren wahren Herrn stets im Auge. In dem Augenblick, wo die Bezahlung ausbleibt, packen sie ihre Siebensachen und gehen nach Hause. Also warten Sie noch eine Woche. Bis dahin wird einer von uns beiden gewonnen haben, Dow oder ich. Ist er der Sieger, können Sie mit ihm immer noch irgendwelche Bedingungen aushandeln. Bin ich der Gewinner, so brauche ich nur ein Wort zu sagen, und die Freundlichen werden einpacken und abziehen.“
Mondar schaute ihn aus schmalen Schlitzaugen an. „Warum sagen Sie ‚eine Woche’?“ fragte er.
„Weil es nicht länger dauern wird“, erwiderte Cletus. „Die Tatsache, daß Dow Truppen der Freundlichen eingesetzt hat, ist ein Zeichen dafür, daß er zum Entscheidungskampf bereit ist.“
„Tatsächlich?“ Mondar beobachtete ihn immer noch scharf, aber Cletus hielt seinem Blick stand.
„In der Tat“, sagte er. „Wir kennen die Anzahl der verfügbaren Kampftruppen des Bündnisses Allianz-Koalition, die Dow zusammengetrommelt hat. Die Zahl läßt sich nach den Truppenkontingenten schätzen, die die Allianz und die Koalition auf den neuen Welten getrennt stationiert haben, und deren Kampfstärke uns bekannt ist. Dow müßte alle seine Reserven einsetzen, um genug lokale Scharmützel anzuzetteln und dadurch alle meine Dorsai zu binden. Weitere Reserven besaß er nicht. Doch dadurch, daß er seine Kampftruppen durch Freundliche ersetzt, kann er vorübergehend eine Armee abziehen, die groß genug ist, um mich theoretisch zu vernichten. Das Auftauchen von Truppen der Freundlichen unter Dows Kommando kann also nur bedeuten, daß er eine Streitkraft für den Entscheidungskampf zusammenstellt.“
„Sie können aber nicht wissen, ob der Umstand, daß er Freundliche als Söldner einsetzt, nur diesem und keinem anderen Zweck dienen soll.“
„Aber sicher kann ich das“, meinte Cletus. „Schließlich bin ich es gewesen, der den Einsatz von Truppen der Freundlichen für diesen Zweck nahegelegt hat.“
„Sie sollen ihm dies nahegelegt haben?“ staunte Mondar.
„In der Tat“, erwiderte Cletus. „Ich habe vor einiger Zeit auf Harmonie einen Zwischenaufenthalt eingelegt, um mit James Arm-des-Herrn zu sprechen und ihm vorzuschlagen, Mitglieder seiner Militanten Kirche als Rohmaterial anzuheuern, sie in Uniform zu stecken und auf diese Weise die offizielle Anzahl meiner Dorsai zu erhöhen. Ich habe ihm für die Leute einen niedrigen Preis angeboten. Es bedurfte keiner allzu großen Phantasie, um vorauszusehen, daß er, einmal auf eine solche Idee gebracht, das Mäntelchen nach dem Wind hängen und versuchen würde, bei Dow für die gleichen Leute und für den gleichen Zweck einen höheren Preis zu ergattern, sobald ich ihm den Rücken gekehrt hatte.“
„Und Dow, dem die Mittel der Allianz und der Koalition zur Verfügung standen, konnte natürlich einen höheren Preis bezahlen“, meinte Mondar nachdenklich. „Aber wenn das stimmt, warum hat Dow dann die Leute nicht früher angeheuert?“
„Hätte er diese Truppen irgendwelchen Konflikten mit meinen Dorsai ausgesetzt, so wäre recht bald offenbar geworden, daß den Freundlichen echte militärische Fähigkeiten abgehen“, versetzte Cletus. „Dow konnte sie am besten nützen, indem er die Leute kurzerhand in eine Uniform steckte, um die Elitetruppen des Bündnisses zu ersetzen, die er heimlich abzuziehen beabsichtigte, um sich für den entscheidenden Endkampf zu rüsten.“
„Sie scheinen sich Ihrer Sache sehr sicher zu sein“, meinte Mondar langsam.
„Das ist nur natürlich“, erwiderte Cletus. „Das war mein Ziel vom ersten Augenblick an, als ich mich seinerzeit an Bord des Raumschiffes nach Kultis zu Dow und seiner Gesellschaft an den Tisch setzte.“
Mondar hob die Augenbrauen. „Haben Sie wirklich alles so weit vorausgeplant?“ fragte er. „Trotzdem – glauben Sie wirklich, daß Dow genau das tun wird, was Sie von ihm erwarten?“
„Natürlich bin ich mir nicht hundertprozentig sicher“, meinte Cletus, „aber doch einigermaßen sicher, was die Praxis betrifft. Können Sie Ihre Exoten dazu bringen, daß sie mit der Besetzung des Kraftwerks auf Mara noch etwa sieben Tage warten?“
Mondar zögerte. „Ich glaube schon“, sagte er dann. „Für sieben Tage kann ich auf alle Fälle garantieren. Was haben Sie in der Zwischenzeit vor?“
„Abwarten“, sagte Cletus.
„Hier?“ fragte Mondar. „Während, wie sie sagen, Dow seine Streitkräfte zusammenzieht, um zum letzten Schlag auszuholen? Ich bin einigermaßen überrascht, daß Sie Dorsai verlassen haben und zuerst hierher gekommen sind.“
„Es gibt keinen Grund, überrascht zu sein“, meinte Cletus. „Sie wissen so gut wie ich, daß die Exoten auf geheimnisvolle Weise Nachrichten übermitteln und empfangen können, selbst aus fernen Welten, viel schneller, als es die schnellsten Raumschiffe bewerkstelligen könnten. Ich darf also annehmen, daß mich hier irgendwelche Informationen schneller erreichen würden als sonstwo. Oder sollte ich mich geirrt haben?“
Mondar schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Keineswegs“, gab er zurück. „Sie haben sich nicht geirrt. Seien Sie also in der Zwischenzeit mein Gast.“
„Vielen Dank“, erwiderte Cletus.
Also blieb er für die nächsten drei Tage Mondars Gast. In dieser Zeit inspizierte er die Dorsai-Truppen in Bakhalla, stöberte in der Bibliothek herum, wo Athyer seinerzeit eine neue Beschäftigung und eine andere Lebenseinstellung gefunden hatte, und erneuerte seine alte Freundschaft mit Wefer Linet.
Am Morgen des vierten Tages, als er und Mondar beim Frühstück saßen, brachte ein junger Exot in grüner Robe ein Schreiben, das er wortlos Mondar übergab. Mondar warf einen Blick darauf und reichte das Schreiben an Cletus weiter.
„Dow und fünfzehn Schiffsladungen Elitetruppen der Koalition“, sagte Mondar, „sind vor zwei Tagen auf Dorsai gelandet und haben den Planeten besetzt.“
Cletus erhob sich.
„Was nun?“ Mondar blickte vom Tisch zu ihm auf. „Sie können im Augenblick nichts tun. Was können Sie ohne die Dorsai anfangen?“
„Das, was ich getan habe, bevor ich die Dorsai hatte!“ gab Cletus zurück. „Dow will nicht die Dorsai, auch nicht ihren Planeten, sondern mich, Mondar. Und solange ich mich frei bewegen und frei handeln kann, hat er das Spiel noch nicht gewonnen. Ich werde sofort nach Dorsai aufbrechen.“
Mondar erhob sich. „Ich werde Sie begleiten“, sagte er.