25

 

Mon­dar hat­te sich auf un­be­stimm­te Wei­se ver­än­dert, seit ihn Cle­tus zu­letzt ge­se­hen hat­te, als sie sich in Mon­dars gar­ten­um­schlos­se­ner Re­si­denz in Bak­hal­la ge­trof­fen hat­ten. Sein Ge­sicht wies zwar kei­ne neu­en Zü­ge auf, auch im Haar des Exo­ten war kei­ne graue Sträh­ne zu ent­de­cken, doch das Blau sei­ner Au­gen war tiefer ge­wor­den, wie die Au­gen Me­lis­sas, als ob die Zeit tiefe­re Er­kennt­nis­se in sein Ge­hirn, das hin­ter die­sen Au­gen lag, ge­gra­ben hät­te.

„Al­so kön­nen Sie uns auf Ma­ra nicht hel­fen, Cle­tus?“ frag­te er zur Be­grü­ßung.

„Ich kann kei­ne Trup­pen mehr ent­sen­den“, mein­te Cle­tus. „Und selbst dann wür­de ich vor­schla­gen, sie nicht ein­zu­set­zen.“

Sie gin­gen Sei­te an Sei­te durch die Hal­len von Mon­dars Haus und ka­men in einen halb­of­fe­nen Raum, wo Mon­dar auf einen Korb­ses­sel zeig­te und selbst in ei­nem sol­chen Platz nahm. Die gan­ze Zeit hat­te Mon­dar ge­schwie­gen, doch jetzt setz­te er zum Spre­chen an.

„Wir ha­ben mehr zu ver­lie­ren als wir ver­kraf­ten kön­nen, wenn wir un­se­re In­ves­ti­tio­nen beim Kraft­werk­bau ver­lie­ren“, sag­te Mon­dar. „Wir ha­ben im­mer noch ein Kon­tin­gent Ih­rer Dor­sai hier in Bak­hal­la. Könn­ten wir nicht zu­min­dest einen Teil die­ser Leu­te ver­wen­den, um das Kraft­werk zu­rück­zu­er­obern?“

„Nein – es sei denn, Sie wol­len, daß die zu­sätz­li­chen Al­li­anz-Ko­ali­ti­ons-Trup­pen, die in Neu­land sta­tio­niert sind, die Gren­ze über­schrei­ten und Ih­re Ko­lo­nie über­schwem­men“, ver­setz­te Cle­tus. „Und das wol­len Sie doch si­cher nicht.“

„Nein“, mein­te Mon­dar, „das wol­len wir si­cher nicht. Aber was sol­len wir mit den Söld­nern von den Freund­li­chen an­fan­gen, die das Kraft­werk be­setzt hal­ten?“

„Las­sen Sie sie dort, wo sie sind“, er­wi­der­te Cle­tus.

Mon­dar schau­te ihn an. „Cle­tus“, sag­te er dann sanft, „Sie wol­len doch nicht et­wa ver­su­chen, die­se Si­tua­ti­on, die Ihr Werk ist, zu recht­fer­ti­gen?“

„Trau­en Sie mei­nem Ur­teil?“ kon­ter­te Cle­tus.

„Was mich be­trifft“, er­wi­der­te Mon­dar lang­sam, „so hal­te ich sehr viel da­von. Ich fürch­te aber, daß die an­de­ren Ver­bin­dungs­män­ner un­se­res Vol­kes hier­zu­lan­de und auf den Ko­lo­ni­en in Ma­ra au­gen­blick­lich die­se An­sicht nicht tei­len.“

„Im­mer­hin ver­trau­en sie Ih­nen noch ge­nug, um Ih­nen die Ent­schei­dung über mich zu über­las­sen?“ frag­te Cle­tus.

Mon­dar blick­te ihn fra­gend an. „Was macht Sie des­sen so si­cher?“ frag­te er zu­rück.

„Die Tat­sa­che, daß ich bis­her durch Sie al­les be­kom­men ha­be, worum ich die Exo­ten bat – zu­min­dest bis jetzt“, ver­setz­te Cle­tus. „Sie sind im­mer noch der Mann, der mich als schlecht oder gut ver­kau­fen kann, nicht wahr?“

„Ja“, mein­te Mon­dar mit ei­nem klei­nen Seuf­zer. „Und dar­um be­fürch­te ich, daß ich Ih­nen dies­mal auch per­sön­lich nicht in je­nem Maß zu­stim­men kann, wie Sie es von mir er­war­ten. Ich ha­be mei­nem exo­ti­schen Volk ge­gen­über ei­ne ge­wis­se Ver­ant­wor­tung über­nom­men, und das ist der Grund, warum ich die Si­tua­ti­on von mir aus et­was stren­ger be­ur­tei­len muß. Au­ßer­dem muß ich end­lich zu ei­ner Ent­schei­dung kom­men, was Sie und das Bünd­nis Al­li­anz-Ko­ali­ti­on be­trifft.“

„Wie wür­de es aus­se­hen, wenn Sie sich für sie und ge­gen mich ent­schei­den?“ frag­te Cle­tus.

„Ich fürch­te, daß wir die best­mög­li­chen Be­din­gun­gen ak­zep­tie­ren müß­ten“, er­wi­der­te Mon­dar. „Das min­des­te dürf­te sein, daß wir Ih­re Trup­pen ent­las­sen und dar­auf be­ste­hen müs­sen, daß Sie Ihr Dar­le­hen zu­rück­zah­len. Wahr­schein­lich wird man dar­auf be­ste­hen, daß wir Ih­nen un­se­re Un­ter­stüt­zung ent­zie­hen und die­se in Zu­kunft der Al­li­anz und Ko­ali­ti­on ge­wäh­ren, de­ren Trup­pen ver­pflich­ten und die­se ge­gen Sie und die Dor­sai ein­set­zen.“

Cle­tus nick­te. „Ja, das wer­den sie ver­lan­gen“, mein­te er. „Na schön. Was wür­den Sie be­nö­ti­gen, um sich für die Dor­sai zu ent­schei­den?“

„Ir­gend­ei­nen Nach­weis, daß die Dor­sai ei­ne Chan­ce ha­ben, die ge­gen­wär­ti­ge Si­tua­ti­on durch­zu­ste­hen“, sag­te Mon­dar. „Wie ich Ih­nen be­reits sag­te, müß­ten wir im Fall des Kraft­werks auf Mo­ra emp­find­li­che Ver­lus­te ver­zeich­nen, Sie aber ha­ben so­eben ge­sagt, daß Sie nichts un­ter­neh­men wür­den, selbst wenn Sie die not­wen­di­gen Trup­pen zur Ver­fü­gung hät­ten. Was ha­ben Sie für Grün­de?“

„Na­tür­lich ha­be ich Ih­nen et­was an­zu­bie­ten“, sag­te Cle­tus. „Wenn Sie einen Au­gen­blick nach­den­ken wol­len, wer­den Sie er­ken­nen, daß das Kraft­werk­pro­jekt an sich ab­so­lut ge­si­chert ist. Es han­delt sich um einen po­ten­ti­el­len und ech­ten Wert – so­wohl für die Al­li­anz und Ko­ali­ti­on wie auch für je­der­mann. Sie mö­gen jetzt das Kraft­werk be­setzt ha­ben, doch sie wer­den nicht im Traum dar­an den­ken, al­les zu ver­nich­ten, was bis­her auf­ge­baut wur­de – ein­schließ­lich des Per­so­nals und der Aus­rüs­tung, mit de­ren Hil­fe das Werk vollen­det wer­den kann.“

„Aber was nützt uns das, wenn das Werk in ih­rer Ge­walt bleibt?“

„Es wird nicht mehr lan­ge dau­ern“, sag­te Cle­tus. „Die Be­sat­zungs­trup­pen sind Freund­li­che, und ih­re re­li­gi­öse und kul­tu­rel­le Dis­zi­plin macht sie zu aus­ge­zeich­ne­ten Be­sat­zern – das ist aber auch al­les. Sie kön­nen nicht wei­ter se­hen als ih­re Na­se reicht, al­so be­hal­ten sie ih­ren wah­ren Herrn stets im Au­ge. In dem Au­gen­blick, wo die Be­zah­lung aus­bleibt, pa­cken sie ih­re Sie­ben­sa­chen und ge­hen nach Hau­se. Al­so war­ten Sie noch ei­ne Wo­che. Bis da­hin wird ei­ner von uns bei­den ge­won­nen ha­ben, Dow oder ich. Ist er der Sie­ger, kön­nen Sie mit ihm im­mer noch ir­gend­wel­che Be­din­gun­gen aus­han­deln. Bin ich der Ge­win­ner, so brau­che ich nur ein Wort zu sa­gen, und die Freund­li­chen wer­den ein­pa­cken und ab­zie­hen.“

Mon­dar schau­te ihn aus schma­len Schlitzau­gen an. „Warum sa­gen Sie ‚ei­ne Wo­che’?“ frag­te er.

„Weil es nicht län­ger dau­ern wird“, er­wi­der­te Cle­tus. „Die Tat­sa­che, daß Dow Trup­pen der Freund­li­chen ein­ge­setzt hat, ist ein Zei­chen da­für, daß er zum Ent­schei­dungs­kampf be­reit ist.“

„Tat­säch­lich?“ Mon­dar be­ob­ach­te­te ihn im­mer noch scharf, aber Cle­tus hielt sei­nem Blick stand.

„In der Tat“, sag­te er. „Wir ken­nen die An­zahl der ver­füg­ba­ren Kampf­trup­pen des Bünd­nis­ses Al­li­anz-Ko­ali­ti­on, die Dow zu­sam­men­ge­trom­melt hat. Die Zahl läßt sich nach den Trup­pen­kon­tin­gen­ten schät­zen, die die Al­li­anz und die Ko­ali­ti­on auf den neu­en Wel­ten ge­trennt sta­tio­niert ha­ben, und de­ren Kampf­stär­ke uns be­kannt ist. Dow müß­te al­le sei­ne Re­ser­ven ein­set­zen, um ge­nug lo­ka­le Schar­müt­zel an­zu­zet­teln und da­durch al­le mei­ne Dor­sai zu bin­den. Wei­te­re Re­ser­ven be­saß er nicht. Doch da­durch, daß er sei­ne Kampf­trup­pen durch Freund­li­che er­setzt, kann er vor­über­ge­hend ei­ne Ar­mee ab­zie­hen, die groß ge­nug ist, um mich theo­re­tisch zu ver­nich­ten. Das Auf­tau­chen von Trup­pen der Freund­li­chen un­ter Dows Kom­man­do kann al­so nur be­deu­ten, daß er ei­ne Streit­kraft für den Ent­schei­dungs­kampf zu­sam­men­stellt.“

„Sie kön­nen aber nicht wis­sen, ob der Um­stand, daß er Freund­li­che als Söld­ner ein­setzt, nur die­sem und kei­nem an­de­ren Zweck die­nen soll.“

„Aber si­cher kann ich das“, mein­te Cle­tus. „Schließ­lich bin ich es ge­we­sen, der den Ein­satz von Trup­pen der Freund­li­chen für die­sen Zweck na­he­ge­legt hat.“

„Sie sol­len ihm dies na­he­ge­legt ha­ben?“ staun­te Mon­dar.

„In der Tat“, er­wi­der­te Cle­tus. „Ich ha­be vor ei­ni­ger Zeit auf Har­mo­nie einen Zwi­schen­auf­ent­halt ein­ge­legt, um mit Ja­mes Arm-des-Herrn zu spre­chen und ihm vor­zu­schla­gen, Mit­glie­der sei­ner Mi­li­tan­ten Kir­che als Roh­ma­te­ri­al an­zu­heu­ern, sie in Uni­form zu ste­cken und auf die­se Wei­se die of­fi­zi­el­le An­zahl mei­ner Dor­sai zu er­hö­hen. Ich ha­be ihm für die Leu­te einen nied­ri­gen Preis an­ge­bo­ten. Es be­durf­te kei­ner all­zu großen Phan­ta­sie, um vor­aus­zu­se­hen, daß er, ein­mal auf ei­ne sol­che Idee ge­bracht, das Män­tel­chen nach dem Wind hän­gen und ver­su­chen wür­de, bei Dow für die glei­chen Leu­te und für den glei­chen Zweck einen hö­he­ren Preis zu er­gat­tern, so­bald ich ihm den Rücken ge­kehrt hat­te.“

„Und Dow, dem die Mit­tel der Al­li­anz und der Ko­ali­ti­on zur Ver­fü­gung stan­den, konn­te na­tür­lich einen hö­he­ren Preis be­zah­len“, mein­te Mon­dar nach­denk­lich. „Aber wenn das stimmt, warum hat Dow dann die Leu­te nicht frü­her an­ge­heu­ert?“

„Hät­te er die­se Trup­pen ir­gend­wel­chen Kon­flik­ten mit mei­nen Dor­sai aus­ge­setzt, so wä­re recht bald of­fen­bar ge­wor­den, daß den Freund­li­chen ech­te mi­li­tä­ri­sche Fä­hig­kei­ten ab­ge­hen“, ver­setz­te Cle­tus. „Dow konn­te sie am bes­ten nüt­zen, in­dem er die Leu­te kur­zer­hand in ei­ne Uni­form steck­te, um die Eli­te­trup­pen des Bünd­nis­ses zu er­set­zen, die er heim­lich ab­zu­zie­hen be­ab­sich­tig­te, um sich für den ent­schei­den­den End­kampf zu rüs­ten.“

„Sie schei­nen sich Ih­rer Sa­che sehr si­cher zu sein“, mein­te Mon­dar lang­sam.

„Das ist nur na­tür­lich“, er­wi­der­te Cle­tus. „Das war mein Ziel vom ers­ten Au­gen­blick an, als ich mich sei­ner­zeit an Bord des Raum­schif­fes nach Kul­tis zu Dow und sei­ner Ge­sell­schaft an den Tisch setz­te.“

Mon­dar hob die Au­gen­brau­en. „Ha­ben Sie wirk­lich al­les so weit vor­aus­ge­plant?“ frag­te er. „Trotz­dem – glau­ben Sie wirk­lich, daß Dow ge­nau das tun wird, was Sie von ihm er­war­ten?“

„Na­tür­lich bin ich mir nicht hun­dert­pro­zen­tig si­cher“, mein­te Cle­tus, „aber doch ei­ni­ger­ma­ßen si­cher, was die Pra­xis be­trifft. Kön­nen Sie Ih­re Exo­ten da­zu brin­gen, daß sie mit der Be­set­zung des Kraft­werks auf Ma­ra noch et­wa sie­ben Ta­ge war­ten?“

Mon­dar zö­ger­te. „Ich glau­be schon“, sag­te er dann. „Für sie­ben Ta­ge kann ich auf al­le Fäl­le ga­ran­tie­ren. Was ha­ben Sie in der Zwi­schen­zeit vor?“

„Ab­war­ten“, sag­te Cle­tus.

„Hier?“ frag­te Mon­dar. „Wäh­rend, wie sie sa­gen, Dow sei­ne Streit­kräf­te zu­sam­men­zieht, um zum letz­ten Schlag aus­zu­ho­len? Ich bin ei­ni­ger­ma­ßen über­rascht, daß Sie Dor­sai ver­las­sen ha­ben und zu­erst hier­her ge­kom­men sind.“

„Es gibt kei­nen Grund, über­rascht zu sein“, mein­te Cle­tus. „Sie wis­sen so gut wie ich, daß die Exo­ten auf ge­heim­nis­vol­le Wei­se Nach­rich­ten über­mit­teln und emp­fan­gen kön­nen, selbst aus fer­nen Wel­ten, viel schnel­ler, als es die schnells­ten Raum­schif­fe be­werk­stel­li­gen könn­ten. Ich darf al­so an­neh­men, daß mich hier ir­gend­wel­che In­for­ma­tio­nen schnel­ler er­rei­chen wür­den als sonst­wo. Oder soll­te ich mich ge­irrt ha­ben?“

Mon­dar schenk­te ihm ein klei­nes Lä­cheln. „Kei­nes­wegs“, gab er zu­rück. „Sie ha­ben sich nicht ge­irrt. Sei­en Sie al­so in der Zwi­schen­zeit mein Gast.“

„Vie­len Dank“, er­wi­der­te Cle­tus.

Al­so blieb er für die nächs­ten drei Ta­ge Mon­dars Gast. In die­ser Zeit in­spi­zier­te er die Dor­sai-Trup­pen in Bak­hal­la, stö­ber­te in der Bi­blio­thek her­um, wo Athyer sei­ner­zeit ei­ne neue Be­schäf­ti­gung und ei­ne an­de­re Le­bens­ein­stel­lung ge­fun­den hat­te, und er­neu­er­te sei­ne al­te Freund­schaft mit We­fer Li­net.

Am Mor­gen des vier­ten Ta­ges, als er und Mon­dar beim Früh­stück sa­ßen, brach­te ein jun­ger Exot in grü­ner Ro­be ein Schrei­ben, das er wort­los Mon­dar übergab. Mon­dar warf einen Blick dar­auf und reich­te das Schrei­ben an Cle­tus wei­ter.

„Dow und fünf­zehn Schiffs­la­dun­gen Eli­te­trup­pen der Ko­ali­ti­on“, sag­te Mon­dar, „sind vor zwei Ta­gen auf Dor­sai ge­lan­det und ha­ben den Pla­ne­ten be­setzt.“

Cle­tus er­hob sich.

„Was nun?“ Mon­dar blick­te vom Tisch zu ihm auf. „Sie kön­nen im Au­gen­blick nichts tun. Was kön­nen Sie oh­ne die Dor­sai an­fan­gen?“

„Das, was ich ge­tan ha­be, be­vor ich die Dor­sai hat­te!“ gab Cle­tus zu­rück. „Dow will nicht die Dor­sai, auch nicht ih­ren Pla­ne­ten, son­dern mich, Mon­dar. Und so­lan­ge ich mich frei be­we­gen und frei han­deln kann, hat er das Spiel noch nicht ge­won­nen. Ich wer­de so­fort nach Dor­sai auf­bre­chen.“

Mon­dar er­hob sich. „Ich wer­de Sie be­glei­ten“, sag­te er.