19
Die Hochzeit sollte in zwei Wochen stattfinden, der Termin war entsprechend festgesetzt. Nachdem Cletus festgestellt hatte, daß seine Bemühungen Früchte trugen und die Dorsai selbständig zu werden begannen, nahm er sich die Zeit, nach Kultis und Bakhalla zu reisen, um sich mit Mondar zu besprechen. Hinzu kam ein Abstecher nach Newton, um weitere Verträge für seine Dorsai abzuschließen.
Auf Bakhalla nahm er mit Mondar an einem exquisiten Essen teil. Beim Essen berichtete Cletus dem Exoten über den neuesten Stand der Ereignisse. Mondar hörte interessiert zu, und sein Interesse nahm merklich zu, als Cletus auf das Spezialtraining zu sprechen kam, das er für seine Offiziere und deren Mannschaften unter ihrem Kommando eingeleitet hatte. Nach dem Essen schlenderten sie auf eine der zahlreichen Terrassen von Mondars Haus hinaus, um ihr Gespräch unter dem Nachthimmel fortzusetzen.
„Dort“, sagte Cletus, als sie in der warmen Nachtbrise standen und zum Himmel blickten. Er zeigte auf einen gelblichen Stern knapp über dem Horizont. „Das dort wird Ihre Schwesterwelt Mara sein. Wenn ich richtig informiert bin, habt ihr Exoten auch dort eine Kolonie.“
„Oh ja“, erwiderte Mondar nachdenklich, indem er den Stern anschaute.
„Schade“, meinte Cletus und wandte sich an Mondar, „daß man dort nicht so frei vom Einschluß der Allianz und der Koalition ist wie Sie hier auf Kultis, seitdem der Konflikt mit den Neuländern beigelegt ist.“
Mondar wandte den Blick von dem Stern, wandte sich Cletus zu und lächelte. „Sie wollen uns Exoten suggerieren, Ihre neuen Kampfeinheiten anzuheuern, um die Allianz und die Koalition zu vertreiben?“ sagte er mit einem Anflug von Humor. „Cletus, wir haben unsere finanziellen Rücklagen Ihretwegen nahezu ausgeschöpft. Außerdem ist es gegen unsere Einstellung, die Unterwerfung und Eroberung anderer Völker und Gebiete ins Auge zu fassen. So was darf man uns wirklich nicht unterstellen.“
„Das liegt mir fern“, sagte Cletus. „Ich möchte Ihnen lediglich vorschlagen, den Bau eines Kraftwerks am Nordpol von Mara zu erwägen.“
Mondar schaute Cletus durch die Dunkelheit forschend an, und einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden. „Ein Kraftwerk?“ wiederholte er schließlich gedehnt. „Cletus, welche neue Teufelei haben Sie schon wieder ausgeheckt?“
„Das ist keine Teufelei“, erwiderte Cletus. „Es geht eher darum, die wirtschaftlichen und sonstigen Tatsachen auf Mara einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Sowohl die Allianz als auch die Koalition haben sich ziemlich verausgabt, um ihren Einfluß in den verschiedenen Kolonien auf all den neuen Welten aufrechtzuerhalten. Sie mögen hier an Boden verloren haben, aber sie wissen sich auf Mara, auf Freiland und der Neuen Erde unter dem Sirius, auf Newton und Cassida und bis zu einem gewissen Grad auch auf den älteren Welten des Sonnensystems – auf Mars und Venus – zu behaupten. Man könnte aber auch sagen, daß sie sich übernommen haben. Früher oder später wird ihre Position ins Wanken geraten, und wahrscheinlich ist da die Allianz etwas anfälliger, weil sie mehr in die Kolonien hineingesteckt hat als die Koalition. Sollte nun eine von den beiden Großmächten untergehen, dann wird jene Macht, die übrigbleibt, den Einfluß der anderen an sich reißen. Anstelle von zwei gewaltigen Kraken, die in den neuen Welten ihre Tentakel überall haben, wird dann nur ein einziger gewaltiger Krake übrigbleiben. Ich glaube nicht, daß Sie das wollen.“
„Ganz bestimmt nicht“, murmelte Mondar.
„Dann dürfte es in Ihrem Interesse liegen, dafür zu sorgen, daß etwa auf Mara weder die Allianz noch die Koalition die Oberhand gewinnt“, sagte Cletus. „Nachdem wir die Neuländer in ihre Schranken verwiesen und Sie die Allianz hinauskomplimentiert haben, wurde das Personal der Allianz in alle Winde zerstreut, um jene Löcher zu stopfen, wo die Allianz einen Durchbruch der Koalition befürchtete. Die Koalition ihrerseits hat ihre Leute aus Neuland abgezogen – zahlreich genug, wenn auch nicht so zahlreich wie die der Allianz – und sie einfach nach Mara verlegt. Das heißt, daß die Koalition drauf und dran ist, auf Mara die Oberhand über die Allianz zu gewinnen.“
„Soll das heißen, daß wir einige dieser frisch ausgebildeten Dorsais anheuern sollen, damit auf Mara das gleiche Spiel beginnen kann wie hier?“ Mondar schenkte ihm ein zweifelndes Lächeln. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es uns Exoten widerstrebt, unsere Position durch Eroberung und Unterwerfung zu verbessern, und daß wir jede Art von Gewalt ablehnen. Ein Reich, das durch Gewalt errichtet wird, ist auf Sand gebaut, Cletus.“
„Wenn das so ist“, versetzte Cletus, „muß der Sand, auf dem das Römische Reich gebaut war, ziemlich fest gewesen sein. Wie dem auch sei, mein Vorschlag geht nicht in diese Richtung. Ich habe Ihnen lediglich vorgeschlagen, dieses Kraftwerk zu bauen. Ihre exotische Kolonie bedeckt auf Mara den subtropischen Gürtel eines weiten Kontinents. Mit einem Kraftwerk am Nordpol könnten Sie Ihren Einfluß nicht nur auf die subarktischen Regionen ausdehnen, wo bisher kaum jemand irgendwelche Ansprüche angemeldet hat, sondern Sie könnten auch Energie an die kleinen, unabhängigen Kolonien in den temperierten Zonen zwischen Mara und der Station verkaufen. Sie könnten also den Planeten ohne jede Gewalt auf friedlichem und wirtschaftlichem Weg erobern.“
„Diese kleinen Kolonien“, sagte Mondar, indem er den Kopf etwas zur Seite legte und Cletus aus den Winkeln seiner blauen Augen betrachtete, „stehen alle unter dem Einfluß der Koalition.“
„Um so besser“, meinte Cletus. „Die Koalition kann ihre Verbündeten nicht dazu zwingen, ein Konkurrenzkraftwerk zu bauen.“
„Und wie sollen wir das fertigbringen?“ fragte Mondar und schüttelte den Kopf. „Cletus, Cletus, ich habe den Eindruck, daß Sie annehmen, wir Exoten würden über unerschöpfliche Mittel verfügen.“
„Aber nein“, meinte Cletus. „Es würden Ihnen im Moment nur Planungskosten entstehen. Es müßte für Sie möglich sein, einen Mietkauf-Vertrag für die Ausrüstung und für die Fachleute zustande zu bringen, die erforderlich sind, um das Kraftwerk zu bauen.“
„Mit wem denn?“ fragte Mondar. „Mit der Allianz? Oder mit der Koalition?“
„Mit keinem von beiden“, gab Cletus prompt zurück. „Sie scheinen zu vergessen, daß es hier auf den neuen Welten eine weitere Gruppe gibt, die sich als sehr fähig erwiesen hat.“
„Meinen Sie die wissenschaftlichen Kolonien auf Newton?“ fragte Mondar. „Sie liegen von uns aus gesehen am äußersten Ende des philosophischen Spektrums. Sie leben in einer festgefügten Gemeinschaft und möchten mit Außenstehenden so wenig wie möglich zu tun haben. Wir setzen den Individualismus über alles, und der einzige Zweck unseres Daseins liegt darin, sich für die ganze menschliche Rasse einzusetzen. Ich fürchte, daß zwischen den Newtoniern und uns eine natürliche Abneigung besteht.“ Mondar seufzte leicht. „Ich bin dafür, daß wir einen Weg finden, um solche emotionellen Schranken zwischen uns und anderen menschlichen Wesen niederzureißen. Aber wie auch immer – die Schranken sind nun einmal vorhanden, und die Newtonier stehen finanziell auch nicht besser da als wir. Warum sollten Sie uns Kredit, Geräte und die Dienstleistung hochqualifizierter Leute gewähren, als wären sie die Allianz in Person?“
„Weil ein solches Kraftwerk sich mit Zins und Zinseszins bezahlt machen würde – bis zu dem Zeitpunkt, wo der Leihvertrag ausläuft und Sie ihre Anteile zurückkaufen können“, sagte Cletus.
„Ohne Zweifel“, meinte Mondar. „Doch die Investition ist für Leute in ihrer Lage zu groß und viel zu langfristig. Ein Mann mit bescheidenem Einkommen ist nicht bereit, aus heiterem Himmel auf ferne und riskante Projekte zu spekulieren. Er überläßt es reicheren Leuten, die einen eventuellen Verlust eher verkraften können – sofern er kein Narr ist. Und diese Newtonier können sein, was sie wollen, sie sind aber bestimmt keine Narren. Sie würden uns nicht einmal anhören.“
„Sie würden schon“, sagte Cletus, „wenn man den Vorschlag richtig placiert. Ich würde selbst mit ihnen reden – sofern Sie mir die entsprechende Vollmacht erteilen. Ich habe sowieso vor, sie zu besuchen und nachzufragen, ob sie vielleicht einige unserer Dorsai-Truppen anheuern wollen.“
Mondar schaute ihn einen Augenblick an, dann wurden die Augen des Exoten schmal. „Ich bin wirklich fest davon überzeugt“, sagte er, „daß es weit und breit nichts gibt, mit dem man die Leute zu einem solchen Vorhaben überreden könnte. Immerhin könnten wir dabei allerdings einen guten Schnitt machen, und ich glaube nicht, daß wir durch Ihren Versuch etwas einbüßen. Wenn Sie es wünschen, werde ich mit meinen Exoten sprechen – sowohl über das Projekt als auch über Ihre Absicht, die Newtonier wegen der Ausrüstung und wegen der Experten zu befragen.“
„Gut. Tun Sie das“, sagte Cletus. Dann wandte er sich wieder dem Haus zu. „Ich glaube, ich sollte mich jetzt auf die Strümpfe machen. Ich möchte die Dorsai-Truppen in dem Regiment inspizieren, das hier stationiert ist, und eine Art Rotationssystem auf die Beine stellen, so daß wir sie gruppenweise für eine Neuausbildung zu den Dorsai zurückschicken können. Bis Ende der Woche möchte ich nach Newton unterwegs sein.“
„Bis dahin werde ich eine Antwort für Sie haben“, sagte Mondar, indem er Cletus nach drinnen folgte. Während sie beide ins Haus gingen, schaute er Cletus fragend an. „Ich muß ehrlich gestehen, daß ich immer noch nicht weiß, was Sie dabei gewinnen wollen.“
„Eigentlich weiß ich das selbst nicht so genau“, erwiderte Cletus. „Auch die Dorsai wissen es nicht – das heißt, wir Dorsai, wie ich mir angewöhnt habe zu sagen. Aber konnten Sie mir je genau sagen, wieso und warum die Menschheit je zu einem Umsturz bereit war und was Sie und Ihre Leute jemals bewegt haben könnte, irgendein langfristiges Ziel ins Auge zu fassen?“
„Sind Sie an einem langfristigen Projekt interessiert?“ fragte Mondar.
„Nein, nicht was mich betrifft“, sagte Cletus. „Doch in diesem Fall kommt es hier wie dort auf dasselbe heraus.“
Die nächsten fünf Tage verbrachte er in Bakhalla, wo er mit den Dorsai-Offizieren sein Trainingsprogramm auf der Dorsai-Welt besprach. Er lud jene ein, die zusammen mit ihrer Mannschaft nach Dorsai zurückkehren und an der Ausbildung teilnehmen wollten, und hinterließ ihnen einen Musterplan für den Truppenaustausch. Entsprechend diesem Plan sollten diejenigen, die am Training teilnehmen wollten, von bereits ausgebildeten Truppen auf Bakhalla ersetzt werden, die ihrerseits den Sold jener Leute erhalten sollten, die sie für die Dauer der Ausbildung ersetzten.
Die Dorsai in Bakhalla reagierten enthusiastisch. Die meisten Männer kannten Cletus seit der Zeit seiner Siege über Neuland. So war Cletus in der Lage, die Darlehenssumme, die ihm die Exoten gewährt hatten, besser zu verwerten, da er für die bereits ausgebildeten Dorsai nicht sofort einen Job finden mußte, sondern sie immer dort einsetzen konnte, wo andere Truppen abgezogen wurden, die an der Ausbildung teilnehmen wollten. In der Zwischenzeit konnte er aber auch die Zahl jener Dorsai ständig erhöhen, die für seine eigenen Zwecke ausgebildet wurden.
Am Wochenende schiffte er sich nach Newton ein, mit einer Vollmacht der Exoten versehen, den Bau eines Kraftwerks mit dem Direktorium auf Newton zu besprechen, vor allem aber, um seine Dorsai unterzubringen.
Ein Termin mit dem Präsidenten war für den Tag seiner Ankunft in Baille vereinbart worden. Baille war die größte Stadt und de facto die Hauptstadt der Vereinigten Fortschrittlichen Gemeinschaften, wie die Kolonien der technischen und wissenschaftlichen Emigranten auf Newton ihren Zusammenschluß nannten. Der Präsident war ein schlanker, fast kahlköpfiger Mittfünfziger mit jugendlichem Gesicht, der Artur Walco hieß. Er empfing Cletus in einem geräumigen, sauberen, fast steril wirkendem Büro in einem Hochhaus, das mindestens so modern war wie jedes entsprechende Gebäude auf der Erde.
„Ich bin mir nicht ganz im klaren darüber, was den Gegenstand unseres Gesprächs bilden soll, Oberst“, sagte Walco, nachdem sie auf beiden Seiten eines vollkommen aufgeräumten Schreibtisches Platz genommen hatten, auf dessen Platte nichts als ein Steuerpult zu sehen war. „Die VFG hat zu den anderen Kolonien dieser Welt ein recht gutes Verhältnis.“
Es war die sprachliche Entsprechung eines Königsspringerspiels beim Schach. Cletus lächelte.
„Also war ich nicht richtig informiert“, sagte er, schob seinen Stuhl vom Tisch zurück und wollte sich erheben. „Dann entschuldigen Sie. Ich …“
„Nicht doch, nicht doch! Behalten Sie bitte Platz!“ sagte Walco hastig. „Nachdem Sie diese lange Reise auf sich genommen haben, sollte ich zumindest anhören, was Sie mir zu sagen haben.“
„Wenn Sie mich aber nicht anhören wollen …“ fuhr Cletus fort. Aber Walco schnitt ihm mit einer kurzen Handbewegung das Wort ab.
„Ich bestehe darauf. Behalten Sie Platz, Oberst, und erzählen Sie“, sagte er. „Wie gesagt, im Augenblick besteht hier kein Bedarf an Ihren Söldnern. Doch jeder, der vernünftig denkt, muß wissen, daß auf weite Sicht nichts unmöglich ist. Außerdem fanden wir Ihre schriftlichen Mitteilungen interessant. Sie behaupten, Sie hätten Ihre Söldner in Hochform gebracht, so daß sie überdurchschnittlichen Leistungen fähig sind. Um ehrlich zu sein, mir ist unklar, was die Hochform des einzelnen in einer militärischen Einheit unter modernen Kriegsbedingungen für einen Einfluß hat. Was macht es schon aus, wenn der einzelne Schütze tatsächlich mehr leisten kann? Er ist und bleibt nichts weiter als Kanonenfutter, nicht wahr?“
„Nicht immer“, sagte Cletus. „Gelegentlich ist er auch der Mann hinter der Kanone. Der Unterschied ist besonders bei Söldnern gewaltig, und eine Leistungssteigerung des einzelnen ist ein nicht zu übersehender Faktor.“
„Wirklich? Wieso denn das?“ Walco zog die immer noch dunklen, schmalen Augenbrauen hoch.
„Weil Söldner nicht unbedingt darauf aus sind, getötet zu werden“, erwiderte Cletus. „Ihr Ziel ist, militärische Erfolge zu erringen, ohne selbst dabei draufzugehen. Je geringer die Verluste, um so größer der Gewinn – sowohl für den Söldner als auch für den Auftraggeber.“
„Wieso Auftraggeber?“ versetzte Walco, und sein Blick wurde scharf.
„Ein Auftraggeber, der Söldner beschäftigt“, meinte Cletus, „befindet sich in der gleichen Lage, wie ein Geschäftsmann, der mit einer Arbeit konfrontiert wird, die durchgeführt werden muß. Wenn die Kosten dem Gewinn entsprechen oder sie sogar übersteigen, so ist er besser beraten, wenn er die Finger von einem solchen Projekt läßt. Im umgekehrten Fall ist die Durchführung eines Vorhabens eine praktische Entscheidung. Das heißt in unserem Fall: Wenn bessere Söldnertruppen zur Verfügung stehen, die einen Erfolg garantieren, wird man sich überlegen, ob man eine solche Aktion nicht doch durchführt. Nehmen wir einmal an, es ginge um ein Gebiet, das Bodenschätze enthält, wie etwa Sibnit …“
„Wie die Antimonminen in der Broza-Kolonie, die uns die Brozaner einfach gestohlen haben“, rief Walco aus.
Cletus nickte. „Eine ähnliche Situation, wie ich sie eben erwähnen wollte“, sagte er. „Hier haben wir den Fall äußerst wertvoller Minen, mitten in einem Sumpf- und Waldgebiet gelegen, das sich Hunderte von Meilen in alle Richtungen erstreckt, wo weit und breit keine Stadt ist und wo diese Minen von einer Hinterwäldlerkolonie von Trappern und Farmern besetzt sind und ausgebeutet werden. Eine Kolonie, die diese Minen nur dank der militärischen Kräfte der Koalition in Besitz nehmen konnte – der gleichen Koalition, die von den hohen Preisen profitiert, die Sie für das aus dem Sibnit gewonnene Antomon bezahlen.“
Cletus brach ab und schaute Walco bedeutungsvoll an. Walcos Miene verdüsterte sich.
„Diese Vorkommen wurden von uns entdeckt und durch uns auf einem Land erschlossen, das wir von der Broza-Kolonie gekauft haben“, sagte er. „Die Koalition fand es nicht einmal für nötig zu verbergen, daß sie es war, die diese Enteignung angestiftet hat. Das war Raub im wahrsten Sinne des Wortes.“ Walcos Kinnmuskeln strafften sich, und sein Blick kreuzte sich mit Cletus’ Blick über den Schreibtisch hinweg. „Sie haben sich da ein interessantes Beispiel ausgesucht“, meinte er. „Ich glaube, wir sollten uns zumindest theoretisch über die Kostenfrage unterhalten und über die Einsparungen, die mit Hilfe Ihrer Dorsai in diesem speziellen Fall zu erzielen wären.“
Eine Woche später befand sich Cletus bereits auf dem Rückweg zu den Dorsai, einen Dreimonatsvertrag für zweitausend Mann nebst Offizieren in der Tasche. Er machte Zwischenstation in Bakhalla auf Kultis, um die Exoten zu informieren, daß ihr Darlehen sich allem Anschein nach auszahlen würde.
„Ich gratuliere“, sagte Mondar „Walco hat den Ruf, der härteste Verhandlungspartner auf allen bekannten Welten zu sein. War es schwer, ihn zu überreden?“
„Von Überreden keine Spur“, erwiderte Cletus. „Ich hatte die Lage auf Newton auf einen empfindlichen und schwerwiegenden Punkt hin untersucht, bevor ich ihn anschrieb. Die Stibnitminen, die einzigen natürlichen Antimonreserven auf Newton, kamen mir wie gerufen. Also habe ich in meiner Korrespondenz sämtliche Aspekte und Vorteile unserer frisch ausgebildeten Truppen für eine ähnliche Situation geschildert – ohne natürlich die Broza-Sibnitminen zu erwähnen. Natürlich hat er meine Absicht durchschaut, und sicher stand sein Entschluß schon fest, unsere Truppen anzuheuern, um die Minen zurückzugewinnen, noch bevor wir uns getroffen hatten. Wäre ich nicht darauf zu sprechen gekommen, so hätte er es von sich aus getan.“
Mondar schüttelte den Kopf mit einem leisen, bewundernden Lächeln. „Haben Sie die Gelegenheit genutzt, um mit ihm über das Kraftwerk-Projekt zu sprechen?“
„Ja“, erwiderte Cletus. „Sie sollen einen Vertreter entsenden, der die erforderlichen Papiere unterzeichnet, und Sie werden sehen, daß er sich vor Eifer überschlägt, um die Verträge ebenfalls zu unterschreiben.“
Das Lächeln aus Mondars Gesicht verschwand. „Glauben Sie, daß er ernsthaft daran interessiert ist?“ fragte er. „Wäre er tatsächlich an einer Situation interessiert, wo er all diese Geräte und Fachleute zur Verfügung stellen müßte, und dies angesichts eines nur langfristig möglichen finanziellen Erfolgs?“
„Er ist nicht nur interessiert“, sagte Cletus. „Er ist vielmehr entschlossen, wie Sie feststellen werden, keine Chance auszulassen, ganz gleich, um was es sich handelt. Sie können Ihre Bedingungen stellen, und er wird sie akzeptieren, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Ich kann es nicht glauben!“ sagte Mondar. „Wie, im Namen der Ewigkeit, haben Sie ihn so günstig gestimmt?“
„Das war kein Problem“, erwiderte Cletus. „Wie Sie richtig bemerkten, ist der Mann ein harter Brocken, ein zäher Verhandlungspartner. Doch nur dann, wenn er aus einer sicheren Position heraus verhandelt. Nachdem wir über die Dorsai gesprochen hatten, bemerkte ich so nebenbei, daß ich zur Erde reisen würde, wo ich durch meine familiären Beziehungen wahrscheinlich Geld bei der Allianz locker machen könnte, um Ihnen bei der Finanzierung des Kraftwerkprojekts auf Mara unter die Arme zu greifen. Natürlich war er daran interessiert – insbesondere, wie ich annehme, um auf diese Weise Zuschüsse von der Allianz auf Newton zu bekommen. Doch dann kam die Sprache auf die finanziellen Rückvergütungen, die die Allianz langfristig für ihre Hilfe beanspruchen würde, und das gab ihm zu denken.“
„Oh ja“, murmelte Mondar. „Die Newtonier hatten immer schon ein einnehmendes Wesen.“
„Genau“, sagte Cletus. „Sobald er Interesse zeigte, wußte ich, daß ich ihn an der Angel hatte. Ich bearbeitete ihn weiter, bis er von sich aus vorschlug, daß die VFG einen kleinen Anteil erwerben könne – etwa zwanzig Prozent an der Ausrüstung oder an entsprechendem Fachpersonal, und zwar für eine Hypothek mit einer Laufzeit von sage und schreibe fünf Jahren auf einen Besitz hier auf Bakhalla.“
„Wirklich?“ Mondar machte ein bedenkliches Gesicht. „Das ist natürlich ein gepfefferter Preis, aber wenn man bedenkt, daß unsere Aussichten, von der Allianz Geld zu bekommen, gleich Null sind …“
„Genau das habe ich ihm gesagt“, unterbrach ihn Cletus. „Es war ein so stolzer Preis, daß es schon fast lächerlich war. Ich habe ihm direkt ins Gesicht gelacht.“
„Wahrhaftig?“ Mondars Blick wurde schärfer. „Cletus, das war nicht sehr klug von Ihnen. Ein solches Angebot vom Präsidenten des Rates der VFG …“
„… ist kaum als realistisch zu bezeichnen, und das habe ich ihm unumwunden gesagt“, fuhr Cletus fort. „Man könnte mir doch nicht zumuten, Ihnen ein solches Angebot zu unterbreiten, das fast schon einer Beleidigung gleichkommt. Darüber hinaus sei ich meinen Dorsai gegenüber verpflichtet, mit den Regierungen aller unabhängigen Kolonien der neuen Welten gute Beziehungen zu pflegen – und es würde mir fast leid tun, daß ich die Sache überhaupt erwähnt habe. Ich sei lediglich befugt, mit meinen Verwandten und Kontaktmännern auf der Erde zu verhandeln.“
„Und ist er darauf reingefallen?“ fragte Mondar und schaute Cletus an.
„Nicht nur das“, sagte Cletus. „Er zögerte keinen Augenblick, um sich zu entschuldigen und sein Angebot realistischer zu gestalten. Ich sagte ihm, daß ich etwas unsicher sei, soweit die Angelegenheit ihn beträfe, er aber begann sein Angebot zu erhöhen, bis er sich schließlich bereit erklärte, die erforderliche Ausrüstung zu liefern und außerdem die notwendige Anzahl geschulter Leute bereitzustellen, um das Werk zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Schließlich willigte ich widerstrebend ein, Ihnen das Angebot vorzulegen, bevor ich zur Erde fliege.“
„Cletus!“ Mondars Augen leuchteten auf. „Sie haben es wahrhaftig geschafft!“
„Das kann man so nicht sagen“, erwiderte Cletus. „Da war noch diese Sache, daß die Newtonier außer einer Hypothek auf das Kraftwerk auch bakhallanischen Besitz als Sicherheit forderten. Ich mußte am nächsten Tag wieder abreisen, also schickte ich ihm am frühen Morgen die Nachricht, ich hätte die Sache überschlafen, und da überhaupt kein Zweifel daran bestehe, daß die Allianz bereit sei, das Projekt allein auf der Basis einer Hypothek zu finanzieren, hätte ich mich entschlossen, sein Angebot abzulehnen und direkt zur Erde zu reisen.“
Mondar atmete langsam aus. „Und mit einem solchen Angebot, das Sie bereits in der Tasche hatten“, sagte er – in einem Tonfall, den man als bitter hätte bezeichnen können, wäre er kein Exote gewesen –, „mußten Sie mit einem solchen Bluff arbeiten!“
„Das war kein Trick und kein Bluff“, versetzte Cletus. „Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der gute Mann selbst eingeredet, sich an diesem Projekt um jeden Preis beteiligen zu müssen. Wahrscheinlich hätte ich noch mehr aus ihm herausgeholt, wenn ich ihm zuvor nicht bereits die Grenze genannt hätte, die die Allianz noch akzeptieren würde. Sie haben also nichts weiter zu tun, als jemanden hinzuschicken, der die Papiere unterzeichnet.“
„Worauf Sie sich verlassen können. Wir werden keine Zeit verlieren“, erwiderte Mondar. Dann schüttelte er den Kopf. „Wir stehen in Ihrer Schuld, Cletus, das werden Sie selbst wissen.“
„Das läßt sich nicht leugnen“, sagte Cletus nüchtern. „Aber ich will hoffen, daß Exoten und Dorsai auf lange Sicht tiefere Gründe haben, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, als nur, um sich einen Gefallen zu erweisen.“
Nach Schiffszeit acht Tage später kehrte er zu den Dorsai zurück und fand die dreitausend Mann, die er von Newton aus bestellt hatte, abmarschbereit und fertig zum Einschiffen vor. Unter diesen Leuten waren nur etwa fünfhundert neuausgebildete Dorsai. Bei den anderen zweitausendfünfhundert handelte es sich um solide Söldnertruppen vom Planeten, die bis jetzt noch nicht an Cletus’ Spezialtraining teilgenommen hatten. Dieser Umstand schlug aber nicht zu Buche, da diese nichtausgebildeten vierundzwanzig Hundertschaften nach Cletus’ Plan nur als Reserve dienen sollten.
Bevor er mit seiner Mannschaft in drei Tagen nach Newton reisen wollte, sollte zwischenzeitlich seine Hochzeit mit Melissa über die Bühne gehen. Die Verhandlungen in Bakhalla und auf Newton hatten ihn aufgehalten. Als er dann endlich eintraf – nachdem er eine Nachricht vorausgeschickt hatte, daß er beizeiten eintreffen würde, selbst wenn er ein Raumschiff entführen müßte –, knapp 45 Minuten vor der Zeit, schien es, nach allem, was er zu hören bekam, daß seine Mühe für die Katz gewesen war.
„Sie sagt, sie hat es sich anders überlegt, das ist alles“, sagte Eachan in der Geborgenheit des schattigen Speisezimmers mit leiser Stimme zu Cletus. Über Eachans steife Schultern hinweg erblickte Cletus in einiger Entfernung den Kaplan seines neuausgebildeten Dorsai-Regiments und die Schar der übrigen Gäste, die am kalten Buffet sorglos den Speisen und Getränken zusprachen, ohne sich um die drastische Änderung des Tagesplans zu kümmern, alles alte, treue Freunde Eachans und neue, aber ebenso treue Freunde und Offiziere von Cletus. Es war nicht leicht, unter den Söldnern Freunde zu gewinnen, doch hatte man erst welche, konnte man mit ihnen rechnen. Cletus’ Freunde waren in der Überzahl, weil er die Einladungsliste entsprechend zusammengestellt hatte.
„Sie sagt, irgend etwas sei nicht in Ordnung“, sagte Eachan hilflos, „und sie möchte mit Ihnen sprechen. Ich kann sie nicht begreifen. Früher habe ich sie verstanden, bevor deCastries …“ Er brach ab, und seine Schultern sackten unter der Galauniform zusammen. „Aber jetzt nicht mehr.“
„Wo ist sie?“ fragte Cletus.
„Im Garten. Dort unten am Ende des Gartens im Sommerhaus“, sagte Eachan.
Cletus drehte sich um und trat durch die offenen französischen Fenster des Speiseraums in den Garten hinaus. Sobald er Eachans Blicken entschwunden war, schlug er einen Bogen um den Parkplatz und den Mietwagen, mit dem er aus Foralie gekommen war.
Er öffnete den Wagenschlag, holte seinen Koffer heraus und klappte den Deckel auf. Im Koffer lagen sein Patronengürtel und seine Waffe. Er legte den Gürtel um und entfernte die Schutzhülle vom Kolben. Dann wandte er sich wieder dem Garten zu.
Er fand sie an jenem Ort, den Eachan bezeichnet hatte. Sie stand im Sommerhaus mit dem Rücken zu ihm, die Hände aufs weiße Geländer gestützt und betrachtete durch die Büsche die fernen Gipfel der Berge. Beim Geräusch seiner Schritte auf dem Holzboden des Sommerhauses drehte sie sich um und schaute ihm entgegen.
„Cletus!“ sagte sie. Ihr Gesichtsausdruck war kühl und gefaßt wie stets, ihre Gesichtsfarbe normal, wenn auch ihre Lippen etwas schmaler waren als sonst. „Hat dir mein Vater Bescheid gesagt?“
„Ja“, erwiderte er und blieb vor ihr stehen. „Du solltest jetzt hineingehen. Wir müssen weiterkommen.“
Ihre Augen weiteten sich, ihr Blick wurde unsicher. „Weiterkommen?“ fragte sie. „Cletus, bist du nicht im Haus gewesen? Du sagtest doch, du hättest bereits mit Vater gesprochen.“
„Das habe ich“, sagte er.
„Dann …“ Sie starrte ihn an. „Cletus, hast du nicht begriffen, was er gemeint hat? Ich sagte ihm – es ist etwas nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgend etwas stimmt nicht – und ich will dich nicht heiraten!“
Cletus betrachtete sie aufmerksam. Sie erwiderte seinen Blick, und während sie sich noch anschauten, veränderte sich Melissas Gesicht. Es war ein Ausdruck, den Cletus nur einmal bei ihr erlebt hatte, der gleiche Ausdruck wie damals, als er lebend aus dem Graben gekrochen war, wo er den toten Mann gespielt hatte, um die Neuländer-Guerillas in die Irre zu führen, die ihren Panzerwagen auf dem Weg nach Bakhalla angegriffen hatten.
„Du kannst nicht … du glaubst doch nicht“, begann sie fast flüsternd, doch dann fuhr sie mit fester Stimme fort. „Du kannst mich nicht zwingen, dich zu heiraten.“
„Wir werden Hochzeit machen“, sagte er.
Sie aber schüttelte ungläubig den Kopf. „Kein Dorsai-Kaplan würde mich gegen meinen Willen trauen.“
„Der Geistliche meines Regiments wird es tun – wenn ich es ihm befehle“, sagte Cletus.
„Die Tochter von Eachan Khan einfach trauen?“ flammte sie plötzlich auf. „Und du glaubst wirklich, daß mein Vater tatenlos zusehen wird?“
„Ich will es inständig hoffen“, erwiderte Cletus, so langsam und betont, daß ihr für einen Augenblick die Röte ins Gesicht sprang, um dann einer Blässe zu weichen, als hätte sie einen Schock erlitten.
„Du …“ Ihre Stimme erstarb. Als Kind eines Söldneroffiziers konnte sie unmöglich übersehen haben, daß die Gäste, die zur Hochzeit erschienen waren, zum überwiegenden Teil Cletus’ Anhänger waren. Sie waren weitaus zahlreicher als die Freunde ihres Vaters. Trotzdem ruhte ihr Blick voller Zweifel auf ihm, indem sie sich einzureden suchte, daß jener Cletus, der jetzt vor ihr stand, unmöglich der echte Cletus sein konnte.
„Aber du bist doch gar nicht so. Du würdest nicht …“ Wieder versagte ihre Stimme. „Vater ist dein Freund!“
„Und du wirst meine Frau“, erwiderte Cletus.
Erst jetzt erblickte sie die Waffe an seinem Gürtel.
„O Gott!“ Sie legte ihre beiden schmalen Hände auf ihre Wangen. „Und ich dachte, Dow wäre roh … Ich werde nicht antworten. Aber wenn der Pfarrer mich fragt, ob ich dich zum Mann nehmen will, werde ich nein sagen!“
„Das will ich nicht hoffen“, sagte Cletus, „um Eachans willen.“
Sie ließ die Hände sinken und stand da wie eine Schlafwandlerin, während ihre Arme kraftlos am Körper baumelten.
Cletus trat zu ihr, ergriff ihren Arm. Sie ließ sich willenlos führen, aus dem Sommerhaus und durch den Garten, durch eine Hecke und durch die französischen Fenster in den Speiseraum. Eachan war immer noch da. Als sie eintraten, drehte er sich rasch um, stellte das Glas ab, das er in der Hand hielt und ging schnell auf die beiden zu.
„Da seid ihr ja!“ Dann richtete er den Blick forschend auf seine Tochter. „Melly! Was ist los?“
„Nichts“, erwiderte Cletus. „Keine Schwierigkeiten. Wir möchten getraut werden.“
Eachans Blick wanderte zu Cletus. „Wirklich?“ Sein und Cletus’ Blick kreuzten sich für einen Moment, dann wandte er sich wieder an Melissa. „Stimmt das, Melly? Ist alles in Ordnung?“
„Alles bestens“, sagte Cletus. „Sagen wir dem Pfarrer Bescheid, daß wir bereit sind.“
Eachan rührte sich nicht. Sein Blick glitt nach unten und blieb an Cletus’ Waffe am Gürtel haften. Dann schaute er Cletus und Melissa an.
„Ich warte, Melly“, sagte Eachan gedehnt, und seine Augen waren grau wie verwitterter Granit. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob alles in Ordnung ist.“
„Alles in Ordnung“, stieß sie zwischen schmalen, farblosen Lippen hervor. „Es war vor allem deine Idee, daß ich Cletus heirate, nicht wahr, Vati?“
„Ja“, sagte Eachan. Sein Gesichtsausdruck änderte sich kaum, doch da war etwas in seiner Haltung, etwas durchfuhr ihn wie eine Welle, die alle Emotionen hinwegspülte, so daß er ruhig, gesetzt und entschlossen dastand. Er trat einen Schritt vor, so daß er jetzt fast zwischen den beiden stand, wobei er Cletus aus nächster Nähe ins Gesicht schaute. „Aber vielleicht war es ein Fehler.“
Er ließ die Hand wie zufällig sinken und umfaßte die Hand von Cletus, der Melissa am Handgelenk festhielt. Seine Finger legten sich leicht um Cletus’ Daumen, ein Griff, der dazu geeignet war, den Daumen zu brechen, wenn Cletus nicht losließ.
Cletus aber ließ die andere Hand leicht auf seinen Gürtel über der Waffe gleiten.
„Loslassen“, sagte er sanft zu Eachan.
Es war die gleiche tödliche Ruhe, die beide beherrschte. Für einen Augenblick war im Raum alles wie erstarrt.
„Nein!“ stieß Melissa keuchend hervor. Sie drängte sich zwischen die beiden Männer, ihrem Vater zugewandt, mit dem Rücken zu Cletus, der hinter ihrem Rücken immer noch ihr Handgelenk festhielt. „Vati! Was ist nur mit dir los? Ich glaubte, du wärst froh, daß wir endlich doch beschlossen haben zu heiraten!“
Cletus ließ ihr Handgelenk los, und sie zog den Arm nach vorn. Ihre Schultern hoben und senkten sich im Rhythmus ihrer Atemzüge. Eachan starrte sie zunächst an, dann trat etwas wie Verwirrung und Bestürzung in seinen Blick.
„Melly, ich dachte …“ Seine Stimme überschlug sich und erstarb.
„Du dachtest?“ rief Melissa scharf. „Was dachtest du, Vati?“
Er starrte sie verwirrt an. „Ich weiß es nicht!“ brach es plötzlich aus ihm hervor. „Ich verstehe dich nicht, Kind! Ich verstehe überhaupt nichts mehr.“
Er wandte sich ab, stapfte zu dem Tisch zurück, wo er sein Glas hingestellt hatte und nahm einen tiefen Schluck.
Melissa trat zu ihm, legte den Arm um seine Schultern und lehnte den Kopf für einen Augenblick an den seinen. Dann kehrte sie zu Cletus zurück und legte eine kalte Hand auf sein Gelenk. Und sie schaute ihn aus tiefen Augen an, deren Blick frei von Zorn und Groll war.
„Komm, Cletus“, sagte sie still. „Es ist besser, wenn wir jetzt gehen.“
Erst nach Stunden waren sie wieder allein. Die Hochzeitsgäste hatten sie bis zur Schlafzimmertür des neuerbauten Grahame-Hauses begleitet. Erst als die Tür geschlossen wurde, verließen sie endlich das Haus, während das Echo ihres Lachens und ihrer freundlichen Stimmen langsam verhallte.
Melissa setzte sich müde auf den Rand des großen Bettes und schaute zu Cletus hinauf, der immer noch vor ihr stand.
„Willst du mir nun endlich sagen, was los ist?“ fragte sie.
Er schaute sie an. Der Augenblick, den er vorausgeahnt hatte, als er sie seinerzeit bat, ihn zu heiraten, war jetzt gekommen, und er nahm all seinen Mut zusammen, um sich der Situation zu stellen.
„Es ist nur eine Scheinehe, Melissa“, sagte er. „In ein paar Jahren kannst du die Ehe annullieren lassen.“
„Warum hast du mich dann überhaupt geheiratet“, fragte sie anklagend und verbittert.
„DeCastries wird in etwa zwölf Monaten wieder auf die neuen Welten zurückkehren“, sagte er. „Er wird dich wahrscheinlich erneut auffordern, zur Erde zurückzukehren. Durch deine Eheschließung hast du deine irdische Staatsbürgerschaft verloren. Jetzt bist du eine Dorsai. Du kannst erst dann wieder zurückkehren, wenn deine Ehe annulliert wird und du deine Staatsbürgerschaft neu beantragst. Die Annullierung wird aber nicht so einfach sein, und vor allem kannst du sie nicht sofort beantragen, ohne Eachan zu verraten, daß ich dich zur Ehe gezwungen habe – und was das zur Folge haben könnte, müßtest du mittlerweile wissen.“
„Ich würde nie zulassen, daß ihr euch gegenseitig umbringt“, sagte sie. Ihre Stimme klang merkwürdig.
„Nein“, meinte er. „Also wirst du zwei Jahre warten. Nach zwei Jahren bist du frei.“
„Aber warum?“ fragte sie. „Warum hast du das getan?“
„Eachan wäre dir zur Erde gefolgt“, sagte Cletus. „Damit hat Dow gerechnet, und das konnte ich nicht zulassen. Ich brauche Eachan Khan, um meine Pläne durchzuführen.“
Während er zu ihr sprach, hatten seine Augen auf ihr geruht, doch jetzt wandte er den Blick ab. Er schaute durch die hohen, verhängten Fenster am Ende des Schlafzimmers auf die Berggipfel, die sich allmählich in Regenwolken hüllten. In ein paar Monaten würde der erste Herbstschnee fallen.
Eine Weile herrschte Schweigen. „Dann hast du mich also nie geliebt?“ sagte sie schließlich.
Er machte den Mund auf, weil der Augenblick günstig zu sein schien, doch dann sagte er gegen seine Überzeugung: „Habe ich das je behauptet?“ Dann wandte er sich ab und verließ das Schlafzimmer, bevor sie noch etwas erwidern konnte.
Als er die Tür hinter sich schloß, herrschte nichts als Schweigen.