15

 

Als er wie­der zu sich kam – wahr­schein­lich wa­ren nur Se­kun­den ver­gan­gen –, lag er zu­sam­men­ge­krümmt am Bo­den auf sei­nem schlim­men Knie. Sein Kopf dröhn­te, sonst aber fühl­te er sich ei­ni­ger­ma­ßen wohl.

Er stemm­te sich mit bei­den Hän­den hoch und ver­such­te, vor­sich­tig das Bein zu stre­cken. Der Schmerz schoß wie ein Blitz in ihm hoch, und er fürch­te­te, ohn­mäch­tig zu wer­den.

Mit al­len Mit­teln ver­such­te er, ge­gen die Ohn­macht an­zu­kämp­fen, die all­mäh­lich von ihm zu wei­chen be­gann. Er lehn­te sich an den Baum­stumpf, um et­was Luft zu ho­len und sein au­to­ge­nes Trai­ning ein­zu­lei­ten. Der Schmerz ließ lang­sam nach, und sein Atem ging wie­der ru­hi­ger. Auch sein Herz­schlag be­ru­hig­te sich. Er kon­zen­trier­te sich dar­auf, sei­nen gan­zen Kör­per zu ent­span­nen und sein be­schä­dig­tes Knie zu iso­lie­ren. Nach ei­ner Wei­le spür­te er, wie ihn ein ver­trau­tes, schwe­ben­des Ge­fühl über­kam. Er lehn­te sich vor und streck­te sein Knie vor­sich­tig aus, dann zog er das Ho­sen­bein hoch, um die Be­sche­rung zu be­trach­ten.

Das Knie schwoll an, doch sei­ne tas­ten­den Fin­ger konn­ten kei­ne ernst­haf­te Ver­let­zung fest­stel­len. Er spür­te den Schmerz nur wie einen fer­nen Druck hin­ter ei­ner Mau­er, die ihn ab­schirm­te. Er stütz­te sich auf den Baum­stumpf, ver­leg­te das gan­ze Ge­wicht auf das ge­sun­de Bein und zog sich lang­sam hoch.

So­bald er wie­der auf­recht stand, ver­such­te er, sein Ge­wicht teil­wei­se auf sein kran­kes Bein zu ver­la­gern. Das Bein trug ihn zwar, doch emp­fand er da­bei ei­ne omi­nöse Schwä­che.

Einen Au­gen­blick dach­te er dar­an, sich mit Hil­fe sei­nes Sprung­gür­tels wie­der in die Lüf­te zu schwin­gen und sich über die Baum­wip­fel hin­weg fluß­ab­wärts tra­gen zu las­sen. Doch nach ei­ni­gen Se­kun­den gab er den Ge­dan­ken auf. Er konn­te auf die­sem Knie kei­ne har­te Lan­dung mehr ris­kie­ren, und bei die­sen Strö­mungs­ver­hält­nis­sen im Fluß zu lan­den, war schier un­durch­führ­bar. Wahr­schein­lich hät­te er schwim­men müs­sen, wo­bei sein Knie un­ter Um­stän­den ganz und gar un­brauch­bar ge­wor­den wä­re.

Er lös­te den Sprung­gür­tel und ließ ihn fal­len. Von die­ser Last be­freit, hum­pel­te er bis zu ei­nem jun­gen Baum von et­wa fünf Zen­ti­me­tern Durch­mes­ser. Er zog sei­ne Pis­to­le und trenn­te den Baum­stamm et­wa sechs Fuß über dem Bo­den und dann noch ein­mal dicht ober­halb der Wur­zel ab. Dann ent­fern­te er ein paar Zwei­ge und hat­te jetzt ei­ne Art Stock, auf den er sich stüt­zen konn­te. Auf sei­nen pro­vi­so­ri­schen Stock ge­stützt, hum­pel­te er auf das Fluß­ufer zu. End­lich hat­te er das Ufer des Flus­ses er­reicht, der grau und blei­ern da­hin­floß. Dann hol­te er das Sprech­ge­rät aus sei­nem Gür­tel, stell­te es auf Sen­dung in ei­nem Um­kreis von 100 Me­tern ein und rief We­fer über die Ma­ri­ne­fre­quenz an.

We­fer be­ant­wor­te­te den Ruf, und ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter tauch­te der mas­si­ve Bug ei­ner Mark V kei­ne zehn Me­ter vor ihm auf.

„Was jetzt?“ frag­te We­fer, nach­dem sie Cle­tus an Bord ge­nom­men und in den Kon­troll­raum der Mark V ge­bracht hat­ten. Cle­tus lehn­te sich in dem Ses­sel zu­rück, den man ihm an­ge­bo­ten hat­te, und streck­te sein kran­kes Bein vor­sich­tig aus.

„Ich ha­be ei­ne Kom­pa­nie auf die bei­den Fluß­sei­ten ver­teilt, die in et­wa …“ – er brach ab und schau­te auf die Uhr – „… drei­ßig Mi­nu­ten zu uns sto­ßen wird. Ei­ne Ih­rer Mark V soll­te sie Zug um Zug an Bord neh­men und un­ter Was­ser zum fluß­ab­wärts lie­gen­den En­de der Stadt brin­gen. Kön­nen Sie ei­nes Ih­rer Fahr­zeu­ge für die­se Auf­ga­be frei­ma­chen? Üb­ri­gens, wie schaut’s mit dem Was­ser­stand aus?“

„Der Pe­gel steigt“, er­wi­der­te We­fer. „Ih­re Leu­te wer­den bei ih­rer An­kunft knie­tief im Was­ser wa­ten. Ge­ben Sie uns noch ei­ne Stun­de, und der Fluß wird so tief sein, wie Sie es wün­schen. Al­so kann ich oh­ne wei­te­res ei­ne Mark V zur Ver­fü­gung stel­len.“

„Fein“, sag­te Cle­tus.

Er fuhr mit der letz­ten La­dung Dor­sai-Sol­da­ten an Bord der Mark V in die Stadt. Wie We­fer vor­aus­ge­sagt hat­te, stand das Was­ser knie­hoch in den Stra­ßen am fluß­ab­wärts lie­gen­den En­de der Stadt. Eachan Khan stieß zu ihm, als er in den Kom­man­doraum des Dor­sai-Haupt­quar­tiers in Zwei­strom hum­pel­te.

„Neh­men Sie Platz, Oberst“, sag­te Eachan und führ­te ihn zu ei­nem Ses­sel, der dem großen Bild­schirm ge­gen­über­stand. „Was ist denn mit dem Fluß los? Wir muß­ten al­le Zi­vi­lis­ten in die höchs­ten Ge­bäu­de pfer­chen.“

„Ich ha­be We­fer Li­net und ei­ni­ge sei­ner Fahr­zeu­ge fluß­ab­wärts ein­ge­setzt, um den Was­ser­pe­gel an­zu­he­ben“, er­wi­der­te Cle­tus. „Die Ein­zel­hei­ten er­zäh­le ich Ih­nen spä­ter. Wie ste­hen die Ak­ti­en im Au­gen­blick?“

„Nichts als ein paar Schüs­se aus der Fer­ne von Sei­ten der Neu­län­der-Späh­trupps“, sag­te Eachan kühl. „Die mit Sand­sä­cken be­fes­tig­ten Stel­lun­gen wa­ren ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Idee. Die Leu­te kön­nen tro­cken und be­quem in ih­ren Stel­lun­gen sit­zen, wäh­rend die Neu­län­der durch knö­chel­tie­fes Was­ser wa­ten müs­sen, um sie zu er­rei­chen.“

„Wir wer­den hin­aus­ge­hen und selbst ein biß­chen durchs Was­ser wa­ten müs­sen“, sag­te Cle­tus. „Ich ha­be Ih­nen zu­sätz­lich et­wa zwei­hun­dert Mann mit­ge­bracht. Glau­ben Sie, daß Sie mit die­sen Trup­pen und Ih­ren Leu­ten einen An­griff wa­gen kön­nen?“

Eachan ließ sich sel­ten et­was an­mer­ken, auch dies­mal ver­zog er kei­ne Mie­ne. Doch der Blick, den er Cle­tus schenk­te, ver­riet Cle­tus, daß er dies­mal über­rascht und gleich­zei­tig er­regt war.

„Einen An­griff?“ echo­te er. „Zwei­ein­halb – höchs­tens drei Kom­pa­ni­en ge­gen sechs oder acht Ba­tail­lio­ne?“

Cle­tus schüt­tel­te den Kopf. „Ich mei­ne, einen An­griff vor­täu­schen“, er­wi­der­te er. „Ich möch­te le­dig­lich, daß die­se bei­den Neu­län­der-Fron­ten so weit auf­ge­fä­chert wer­den, daß sie ei­ne Pau­se ein­le­gen, um noch mehr Leu­te ein­zu­ho­len, be­vor sie wie­der ge­gen uns vor­ge­hen. Glau­ben Sie, daß uns das ge­lingt?“

„Hmmm.“ Eachan zwir­bel­te sei­nen Schnurr­bart. „So was wä­re, glau­be ich, durch­aus mög­lich.“

„Gut“, sag­te Cle­tus. „Kön­nen Sie mich akus­tisch, vor­zugs­wei­se auch op­tisch, mit Marc Dodds ver­bin­den?“

„Wir ha­ben ei­ne di­rek­te Ver­bin­dung“, er­wi­der­te Eachan. Er durch­quer­te das Zim­mer und kam mit ei­nem Feld­te­le­fon zu­rück.

„Hier Oberst Khan“, sag­te er in den Ap­pa­rat. „Oberst Gra­ha­me möch­te Oberst Dodds spre­chen.“

Er reich­te Cle­tus den Hö­rer. So­bald Cle­tus’ Fin­ger sich um den Hö­rer ge­schlos­sen hat­ten, leuch­te­te der klei­ne Bild­schirm im Griff auf, und Mar­cs Ge­sicht er­schi­en vor dem Hin­ter­grund des Bild­schirms im Flug­zeug.

„Sir?“ Marc starr­te auf Cle­tus. „Sie sind in Bak­hal­la?“

„Rich­tig“, er­wi­der­te Cle­tus. „Und auch die Kom­pa­nie, die Sie mir ge­schickt ha­ben, um an der Fluß­bie­gung zu mir zu sto­ßen. Wür­den Sie bit­te die Sicht auf den Bild­schirm hin­ter Ih­rem Rücken frei­ge­ben?“

Marc rück­te zur Sei­te, und der Schirm hin­ter ihm schi­en sich aus­zu­brei­ten und den gan­zen Bild­schirm des Te­le­fons zu fül­len. Ein­zel­hei­ten wa­ren na­tür­lich nicht zu er­ken­nen, da­für war das Bild im­mer noch zu klein, den­noch konn­te Cle­tus er­ken­nen, daß die bei­den großen Trup­pen­tei­le der Neu­län­der so­eben im Be­griff wa­ren, sich auf der san­di­gen Ebe­ne zu­sam­men­zu­schlie­ßen, die an je­ner Stel­le be­gann, wo sich die Steilufer am Zu­sam­men­fluß des Blau­en und des Milch­flus­ses ver­ei­nig­ten und in ei­ner spitz zu­lau­fen­den Bö­schung ober­halb der Stadt en­de­ten. Aus ih­ren be­fes­tig­ten Stel­lun­gen konn­ten die Dor­sai jetzt schon den Feind auf große Ent­fer­nung be­schie­ßen.

„Ich ha­be ent­lang der Steilufer an bei­den Flüs­sen über den Neu­län­dern Trup­pen sta­tio­niert“, sag­te Mar­cs Stim­me, „eben­so min­des­tens zwei Kom­pa­ni­en mit Ener­gie­ge­weh­ren un­ten im Flach­land am Fu­ße der Steilufer und da­mit im Rücken ih­rer Nach­hut, die sie pau­sen­los be­schie­ßen kön­nen.“

„Zie­hen Sie die­se Schüt­zen­kom­pa­nie zu­rück“, sag­te Cle­tus. „Ich se­he nicht ein, daß wir auch nur einen Mann ris­kie­ren, wo es nicht un­be­dingt nö­tig ist. Ih­re Leu­te auf den Steilufern sol­len die Stel­lung hal­ten, aber nur noch spo­ra­disch feu­ern. Las­sen Sie das Feu­er all­mäh­lich ein­stel­len, Schritt für Schritt, bis nur noch ge­le­gent­lich ein Schuß fällt, um die Neu­län­der dar­an zu er­in­nern, daß wir noch da sind.“

„Zu­rück­zie­hen?“ wie­der­hol­te Marc. Sein Ge­sicht er­schi­en wie­der auf dem Bild­schirm, und er run­zel­te die Stirn. „Und das Feu­er all­mäh­lich ein­stel­len? Aber was ge­schieht mit den an­de­ren dort un­ten in der Stadt?“

„Wir ge­hen zum An­griff über“, sag­te Cle­tus.

Mark starr­te wort­los aus dem Bild­schirm. Sei­ne Ge­dan­ken wa­ren so deut­lich zu le­sen, als wä­ren sie vor ihm in der Luft aus­ge­druckt. Er mit gut drei­tau­send Mann war ge­hal­ten, sich aus dem Hin­ter­land ei­ner feind­li­chen Streit­macht von mehr als sechs­tau­send Mann zu­rück­zu­zie­hen – nur, um ir­gend­wel­che Even­tua­li­tä­ten zu ver­mei­den –, wäh­rend Cle­tus mit sei­nen knapp sechs­hun­dert Mann den Feind fron­tal an­grei­fen woll­te.

„Ver­trau­en Sie mir, Oberst“, sprach Cle­tus sanft in den Hö­rer. „Ha­be ich Ih­nen nicht schon vor ei­ner Wo­che ge­sagt, daß ich vor­ha­be, die­sen Kampf mit mi­ni­mals­ten Ver­lus­ten aus­zu­tra­gen?“

„Ja­wohl, Sir …“ sag­te Marc wi­der­stre­bend und im­mer noch be­stürzt.

„Dann tun Sie, was ich Ih­nen ge­sagt ha­be“, sag­te Cle­tus. „Kei­ne Ban­ge, das Spiel ist noch nicht vor­bei. Sa­gen Sie Ih­ren Leu­ten, daß sie das Feu­er so gut wie ein­stel­len, aber wach­sam blei­ben sol­len. Sie wer­den noch ge­nug Mög­lich­kei­ten ha­ben, von ih­ren Waf­fen Ge­brauch zu ma­chen.“

Er leg­te auf und gab Eachan den Ap­pa­rat zu­rück.

„Al­so gut“, sag­te er. „Las­sen wir die­sen Schein­an­griff stei­gen.“

Ei­ne hal­be Stun­de spä­ter saß Cle­tus mit Eachan in ei­nem Kampf­wa­gen, der auf sei­nem Luft­pols­ter zwan­zig Zen­ti­me­ter über dem Was­ser da­hing­litt, das die Stadt über­flu­te­te und selbst hier am obers­ten Stadt­rand jetzt fast knö­chel­tief war. Vor ihm dran­gen die Dor­sai vor, in ei­nem Ab­stand von zehn Me­tern von Mann zu Mann aus­schwär­me­nd, wo­bei sie den Schutz von Ge­bäu­den, Bäu­men und sons­ti­ger De­ckung ge­schickt nutz­ten. Di­rekt vor ihm, in­mit­ten des Ar­ma­tu­ren­bretts, saß ein klei­ner Bild­schirm, der über ei­ne fern­ge­steu­er­te Schal­tung mit In­for­ma­tio­nen be­lie­fert wur­de. Eachan saß vor dem Haupt­schirm im Dor­sai-Haupt­quar­tier in der Stadt und sorg­te für In­for­ma­ti­ons­nach­schub. Die Neu­län­der for­mier­ten sich am Fu­ße des stei­len Stein- und Erd­walls, wo die Steilufer an­ein­an­ders­tie­ßen. Ih­re Li­nie er­streck­te sich über et­wa sechs­hun­dert Me­ter Sand­bo­den, je­ne Landen­ge, die den Fuß der Steilufer mit dem et­was brei­te­ren und hö­her ge­le­ge­nen Ge­biet ver­band, auf dem die Stadt Zwei­strom er­baut wor­den war.

Auf dem Bild­schirm war al­ler­dings nur die Landen­ge zu se­hen. In­zwi­schen war sie al­ler­dings teil­wei­se über­flu­tet, und das Was­ser reich­te von den Steilufern jen­seits des Milch­flus­ses bis zu den Steilufern dies­seits des Blau­en Flus­ses. Bei die­ser grau­en Flut­wel­le, die lang­sam da­hin­floß und aus der auf der Landen­ge nur ein paar Bäum­chen und Bü­sche aus dem Was­ser rag­ten, ließ sich kaum fest­stel­len, wo das Was­ser nur knö­chel­tief oder be­reits tief ge­nug war, um ei­ne von We­fers Mark V un­be­merkt pas­sie­ren zu las­sen. Cle­tus hat­te die an­grei­fen­den Trup­pen ge­warnt, sich auf die Mit­te der Li­nie ih­res Geg­ners zu kon­zen­trie­ren, um nicht in tiefe­res Was­ser zu ge­ra­ten und fluß­ab­wärts ab­ge­trie­ben zu wer­den.

Die An­grei­fer leg­ten im Schut­ze der letz­ten Häu­ser­rei­hen ei­ne Pau­se ein und rich­te­ten ih­re Rei­hen aus. Der Feind war nur ei­ni­ge hun­dert Me­ter von ih­nen ent­fernt.

„In Ord­nung“, sprach Cle­tus in sein Feld­te­le­fon. „Vor­wärts, marsch!“

Die ers­te Wel­le der An­grei­fer tauch­te aus ih­rer De­ckung auf und presch­te, Ha­ken schla­gend, im Lauf­schritt vor­wärts. Die Ka­me­ra­den hin­ter ih­nen und die Sol­da­ten in ih­ren Stel­lun­gen deck­ten die Landen­ge mit ei­nem Trom­mel­feu­er von Ra­ke­ten­waf­fen ein.

Die Neu­län­der, die am Fu­ße des Steilufers, das et­was hö­her ge­le­gen war, im­mer noch auf dem Tro­ckenen stan­den, starr­ten die plötz­lich auf­tau­chen­den Sol­da­ten an, die mit Ge­weh­ren be­waff­net wa­ren und in ei­ner großen Staub­wol­ke in schein­bar selbst­mör­de­ri­scher Ab­sicht auf sie zu­rann­ten. Doch be­vor sie über­haupt rea­gie­ren konn­ten, war die ers­te Wel­le wie­der in De­ckung ge­gan­gen, und die zwei­te Wel­le folg­te ih­nen auf dem Fu­ße.

Doch dann, be­vor noch die drit­te Wel­le her­an­roll­te, setz­te die Re­ak­ti­on der Neu­län­der ein. Doch mitt­ler­wei­le hat­te das Feu­er der An­grei­fer – und das Feu­er der schwe­re­ren au­to­ma­ti­schen Waf­fen aus den Stel­lun­gen – ih­re Front­li­ni­en be­reits auf­ge­ris­sen. Für einen Au­gen­blick wur­den sie zwi­schen Zwei­fel und Pa­nik hin und her ge­ris­sen. Die Neu­län­der-Trup­pen wa­ren der Mei­nung ge­we­sen, in Zwei­strom sei­en nur we­ni­ge Sol­da­ten sta­tio­niert, und sie müß­ten da­her nur mit ge­rin­gem Wi­der­stand rech­nen, der sich rou­ti­ne­mä­ßig in klei­nen Ge­fech­ten bre­chen ließ. Jetzt muß­ten sie je­doch ein­se­hen, daß be­deu­tend mehr Dor­sai in der Stadt wa­ren, als man sie glau­ben ma­chen woll­te. Die Front­li­nie der Neu­län­der be­gann zu wan­ken und wich zu­rück und prall­te auf die Trup­pen in ih­rem Rücken, die nach vor­ne dräng­ten, um zu se­hen, was vor sich ging.

Die Ver­wir­rung war groß ge­nug, um die Pa­nik zu stei­gern. Die Neu­län­der-Trup­pen, die noch nie ei­ne re­gel­rech­te Schlacht ge­schla­gen hat­ten, be­gan­nen jetzt all­mäh­lich den Kopf zu ver­lie­ren und von ih­ren mo­der­nen Waf­fen Ge­brauch zu ma­chen, die ih­nen die Ko­ali­ti­on ge­lie­fert hat­te, ein Um­stand, den ein al­ter Ha­se in­stink­tiv ver­mie­den hät­te. In ih­ren Rei­hen blit­zen hier und da Ener­gie­waf­fen auf.

So­bald die glü­hend hei­ßen Strah­len das Was­ser be­rühr­ten, ging das seich­te Was­ser in Dampf­wol­ken auf – und in­ner­halb von Se­kun­den hat­ten die her­an­stür­men­den Dor­sai ei­ne na­tür­li­che De­ckung, als hät­ten die Neu­län­der ab­sicht­lich ei­ne Ne­bel­wand für sie auf­ge­baut.

Dar­auf­hin schlug die Pa­nik in den ers­ten Rei­hen in wil­de Flucht um. Die Män­ner in den vor­ders­ten Rei­hen mach­ten auf dem Ab­satz kehrt und ver­such­ten, sich ih­ren Weg durch die hin­te­ren Rei­hen zu bah­nen.

„Zu­rück!“ be­fahl Cle­tus sei­nen vor­wärts stür­men­den und feu­ern­den Dor­sai durch das Feld­te­le­fon. Denn trotz der vor­über­ge­hen­den Si­cher­heit, die ih­nen die Ne­bel­wand bot, wel­che sie ein­hüll­te, wa­ren sie, nur ei­ne Hand­voll, der Mas­se der Neu­län­der-Streit­kräf­te ge­fähr­lich na­he ge­rückt, wie man auf dem Bild­schirm ein­deu­tig er­ken­nen konn­te, ob­wohl jetzt die Sicht et­was ge­trübt war. „Zu­rück! Al­le Mann zu­rück! Wir ha­ben un­se­ren Plan er­füllt.“

Im Schut­ze der Ne­bel­wand mach­ten die Dor­sai kehrt und zo­gen sich zu­rück. Noch be­vor sie wie­der hin­ter den Häu­sern De­ckung fan­den, riß der Ne­bel auf. Aber die Front der Neu­län­der war noch im­mer ein ein­zi­ges Cha­os. Es fie­len nur ver­ein­zelt ein paar Schüs­se, die dann auch den letz­ten Dor­sai in De­ckung scheuch­ten.

Cle­tus brach­te sie zum Haupt­quar­tier der Dor­sai zu­rück und stieg steif­bei­nig aus dem Kampf­wa­gen, der auf sei­nem Luft­pols­ter über ei­ner Was­ser­tie­fe von na­he­zu sie­ben Fuß schweb­te. Das Was­ser war be­reits so hoch ge­stie­gen, daß es die obers­te Stu­fe der Trep­pe über­spül­te, die zum Hauptein­gang führ­te. Er mach­te einen lan­gen Schritt vom Wa­gen zur Schwel­le und hum­pel­te dann vor­sich­tig in Rich­tung Kom­man­doraum.

Er war vor Er­schöp­fung fast be­täubt und stol­per­te beim Ge­hen. Ei­ner der jün­ge­ren Of­fi­zie­re sprang her­bei, um ihn zu stüt­zen, aber Cle­tus lehn­te mit ei­ner Hand­be­we­gung ab. Er hum­pel­te in den Kom­man­doraum, und Eachan, der am Bild­schirm stand, wand­te sich ihm zu.

„Gut ge­macht, Sir“, sag­te Eachan lang­sam und weich. „Ei­ne bril­li­an­te Leis­tung.“

„Ja“, er­wi­der­te Cle­tus schlep­pend, viel zu er­schöpft, um das Kom­pli­ment ab­zu­weh­ren. Der Bild­schirm zeig­te, daß sich die Neu­län­der all­mäh­lich wie­der ge­fan­gen hat­ten, ein mas­si­ver Klum­pen, der sich um den Fuß des Steilufers schar­te. „Es ist al­les vor­bei.“

„Noch nicht“, sag­te Eachan. „Wir kön­nen sie noch ei­ne Wei­le auf­hal­ten.“

„Auf­hal­ten?“ Der Raum vor Cle­tus bren­nen­den Au­gen schi­en zu wa­bern und zu schwan­ken, als woll­te er sich um die ei­ge­ne Ach­se dre­hen. „Sie brau­chen sie nicht auf­zu­hal­ten. Wir ha­ben ge­won­nen.“

„Ge­won­nen?“

Cle­tus sah wie durch einen Dunst­schlei­er, daß Eachan ihn be­frem­det an­blick­te. Er schwank­te et­was un­be­hol­fen bis zum nächs­ten Stuhl und setz­te sich.

„Sa­gen Sie Marc, er soll sie nicht auf die Steilufer las­sen, au­ßer wenn sie sich er­ge­ben“ ver­nahm er sei­ne ei­ge­ne Stim­me wie aus wei­ter Fer­ne. „Sie wer­den’s er­le­ben.“

Er schloß die Au­gen und hat­te das Ge­fühl, wie ein Stein in bo­den­lo­se Fins­ter­nis zu stür­zen. Nur Eachans Stim­me drang noch bis zu ihm durch.

„… Schnell, einen Arzt!“ schnapp­te Eachan. „Und ein biß­chen plötz­lich, ver­dammt noch mal!“

So kam es, daß Cle­tus den letz­ten Akt der Schlacht bei Zwei­strom ver­paß­te. Von je­nem Au­gen­blick an, als die Neu­län­der un­ter Cle­tus’ Kom­man­do von den Dor­sai an­ge­grif­fen wur­den und mo­men­tan in Pa­nik ge­rie­ten, hat­ten die sechs­tau­send Sol­da­ten aus Neu­land Schwie­rig­kei­ten über Schwie­rig­kei­ten. Sie brauch­ten mehr als ei­ne hal­be Stun­de, um die Ord­nung wie­der her­zu­stel­len und sich er­neut zum Marsch auf die Stadt zu rüs­ten. Doch der Was­ser­spie­gel war in­fol­ge der pau­sen­lo­sen Tä­tig­keit von We­fers Mark-V-Boo­ten stän­dig ge­stie­gen. Nun reich­te das Was­ser selbst den Neu­län­dern bis zu den Kni­en, und die Angst be­gann sie mit ei­si­ger Hand zu um­klam­mern.

Vor ih­nen la­gen mit Si­cher­heit mehr Dor­sai-Trup­pen, als sie er­war­tet hat­ten. Zu­min­dest ge­nug, daß die Dor­sai nicht ge­zö­gert hat­ten, sie an­zu­grei­fen. Wenn sie jetzt wei­ter vor­rück­ten, konn­ten sie leicht in ei­ne Fal­le ge­ra­ten, ab­ge­se­hen da­von, daß sie mit der stei­gen­den Flut rech­nen muß­ten. Selbst die Of­fi­zie­re wa­ren ver­un­si­chert – und Vor­sicht schi­en un­ter al­len Um­stän­den ge­bo­ten. Al­so wur­de zum Rück­zug ge­bla­sen.

Die bei­den Hälf­ten der Neu­län­der-In­va­si­ons­trup­pen lös­ten sich ge­ord­net auf und be­gan­nen sich durch die Fluß­tä­ler zu­rück­zu­zie­hen, von wo sie ge­kom­men wa­ren. Doch das Flach­land wur­de im­mer schma­ler, und schon bald merk­ten die Leu­te, die am wei­tes­ten vom Steilufer ent­fernt wa­ren, daß sie in im­mer tiefe­res Was­ser ge­rie­ten, wo sie von der Strö­mung mit­ge­ris­sen wur­den.

Wäh­rend im­mer mehr Neu­län­der in die Stru­del des Haupt­stroms ge­rie­ten, wo sie hilf­los her­um­pad­del­ten und um Hil­fe rie­fen, be­gann sich un­ter den Sol­da­ten, die noch im fla­chen Was­ser stan­den, die Pa­nik wie­der aus­zu­brei­ten. Sie stie­ßen ein­an­der und drän­gel­ten, um in die Nä­he des Steilufers zu ge­lan­gen. Die Ord­nung be­gann sich all­mäh­lich auf­zu­lö­sen. In­ner­halb von Mi­nu­ten bra­chen die Sol­da­ten aus der Rei­he aus und be­gan­nen am Steilufer hoch­zu­klet­tern, um sich in hö­he­ren La­gen in Si­cher­heit zu brin­gen.

Und ge­ra­de in die­sem Au­gen­blick ge­sch­ah es, daß Marc, Cle­tus’ frü­her nie­der­ge­leg­ten schrift­li­chen Be­feh­len fol­gend, sei­nen Dor­sais, die oben auf den Klip­pen auf­ge­reiht wa­ren, den Be­fehl gab, auf die Leu­te zu schie­ßen, die ver­such­ten, den stei­gen­den Flu­ten zu ent­kom­men … Dann wa­ren nur noch Schreie zu hö­ren.

Die Neu­län­der brauch­ten nicht ein­mal mehr auf­ge­for­dert zu wer­den, sich zu er­ge­ben. Die von Pa­nik ge­trie­be­nen Ko­lo­nis­ten in Uni­form von jen­seits der Ber­ge hin­ter dem Et­ter-Paß war­fen ih­re Waf­fen weg und be­gan­nen mit Hän­den und Fü­ßen den Steil­hang hin­auf­zu­klet­tern, zu­nächst ein­zeln, dann in Scha­ren. Als die Son­ne den west­li­chen Ho­ri­zont er­reicht hat­te, sa­ßen mehr als sechs­tau­send Sol­da­ten – et­wa sieb­zig Pro­zent der Neu­län­der-Streit­kräf­te, wie sich spä­ter her­aus­stell­te – im Schuß­be­reich der Waf­fen ih­rer Dor­sai-Wa­chen bei­ein­an­der.

Doch Cle­tus, im­mer noch be­wußt­los, wuß­te von al­le­dem nichts. In ei­nem Zim­mer des Dor­sai-Haupt­quar­tiers in Zwei­strom er­hob sich ge­ra­de ein Pro­the­sen­spe­zia­list, der aus Bak­hal­la ein­ge­flo­gen wor­den war, nach­dem er sei­nen Pa­ti­en­ten un­ter­sucht hat­te. Er warf noch einen Blick auf Cle­tus’ ge­schwol­le­nes Knie, und sein Ge­sicht war sor­gen­voll.

„Wie sieht’s aus, Dok­tor?“ frag­te Eachan scharf. „Läßt es sich wie­der zu­sam­men­fli­cken?“

Der Arzt schüt­tel­te den Kopf und schenk­te Eachan einen nüch­ter­nen Blick. „Das glau­be ich kaum“, sag­te er. „Er wird wahr­schein­lich das Bein über dem Knie ver­lie­ren.“