15
Als er wieder zu sich kam – wahrscheinlich waren nur Sekunden vergangen –, lag er zusammengekrümmt am Boden auf seinem schlimmen Knie. Sein Kopf dröhnte, sonst aber fühlte er sich einigermaßen wohl.
Er stemmte sich mit beiden Händen hoch und versuchte, vorsichtig das Bein zu strecken. Der Schmerz schoß wie ein Blitz in ihm hoch, und er fürchtete, ohnmächtig zu werden.
Mit allen Mitteln versuchte er, gegen die Ohnmacht anzukämpfen, die allmählich von ihm zu weichen begann. Er lehnte sich an den Baumstumpf, um etwas Luft zu holen und sein autogenes Training einzuleiten. Der Schmerz ließ langsam nach, und sein Atem ging wieder ruhiger. Auch sein Herzschlag beruhigte sich. Er konzentrierte sich darauf, seinen ganzen Körper zu entspannen und sein beschädigtes Knie zu isolieren. Nach einer Weile spürte er, wie ihn ein vertrautes, schwebendes Gefühl überkam. Er lehnte sich vor und streckte sein Knie vorsichtig aus, dann zog er das Hosenbein hoch, um die Bescherung zu betrachten.
Das Knie schwoll an, doch seine tastenden Finger konnten keine ernsthafte Verletzung feststellen. Er spürte den Schmerz nur wie einen fernen Druck hinter einer Mauer, die ihn abschirmte. Er stützte sich auf den Baumstumpf, verlegte das ganze Gewicht auf das gesunde Bein und zog sich langsam hoch.
Sobald er wieder aufrecht stand, versuchte er, sein Gewicht teilweise auf sein krankes Bein zu verlagern. Das Bein trug ihn zwar, doch empfand er dabei eine ominöse Schwäche.
Einen Augenblick dachte er daran, sich mit Hilfe seines Sprunggürtels wieder in die Lüfte zu schwingen und sich über die Baumwipfel hinweg flußabwärts tragen zu lassen. Doch nach einigen Sekunden gab er den Gedanken auf. Er konnte auf diesem Knie keine harte Landung mehr riskieren, und bei diesen Strömungsverhältnissen im Fluß zu landen, war schier undurchführbar. Wahrscheinlich hätte er schwimmen müssen, wobei sein Knie unter Umständen ganz und gar unbrauchbar geworden wäre.
Er löste den Sprunggürtel und ließ ihn fallen. Von dieser Last befreit, humpelte er bis zu einem jungen Baum von etwa fünf Zentimetern Durchmesser. Er zog seine Pistole und trennte den Baumstamm etwa sechs Fuß über dem Boden und dann noch einmal dicht oberhalb der Wurzel ab. Dann entfernte er ein paar Zweige und hatte jetzt eine Art Stock, auf den er sich stützen konnte. Auf seinen provisorischen Stock gestützt, humpelte er auf das Flußufer zu. Endlich hatte er das Ufer des Flusses erreicht, der grau und bleiern dahinfloß. Dann holte er das Sprechgerät aus seinem Gürtel, stellte es auf Sendung in einem Umkreis von 100 Metern ein und rief Wefer über die Marinefrequenz an.
Wefer beantwortete den Ruf, und einige Minuten später tauchte der massive Bug einer Mark V keine zehn Meter vor ihm auf.
„Was jetzt?“ fragte Wefer, nachdem sie Cletus an Bord genommen und in den Kontrollraum der Mark V gebracht hatten. Cletus lehnte sich in dem Sessel zurück, den man ihm angeboten hatte, und streckte sein krankes Bein vorsichtig aus.
„Ich habe eine Kompanie auf die beiden Flußseiten verteilt, die in etwa …“ – er brach ab und schaute auf die Uhr – „… dreißig Minuten zu uns stoßen wird. Eine Ihrer Mark V sollte sie Zug um Zug an Bord nehmen und unter Wasser zum flußabwärts liegenden Ende der Stadt bringen. Können Sie eines Ihrer Fahrzeuge für diese Aufgabe freimachen? Übrigens, wie schaut’s mit dem Wasserstand aus?“
„Der Pegel steigt“, erwiderte Wefer. „Ihre Leute werden bei ihrer Ankunft knietief im Wasser waten. Geben Sie uns noch eine Stunde, und der Fluß wird so tief sein, wie Sie es wünschen. Also kann ich ohne weiteres eine Mark V zur Verfügung stellen.“
„Fein“, sagte Cletus.
Er fuhr mit der letzten Ladung Dorsai-Soldaten an Bord der Mark V in die Stadt. Wie Wefer vorausgesagt hatte, stand das Wasser kniehoch in den Straßen am flußabwärts liegenden Ende der Stadt. Eachan Khan stieß zu ihm, als er in den Kommandoraum des Dorsai-Hauptquartiers in Zweistrom humpelte.
„Nehmen Sie Platz, Oberst“, sagte Eachan und führte ihn zu einem Sessel, der dem großen Bildschirm gegenüberstand. „Was ist denn mit dem Fluß los? Wir mußten alle Zivilisten in die höchsten Gebäude pferchen.“
„Ich habe Wefer Linet und einige seiner Fahrzeuge flußabwärts eingesetzt, um den Wasserpegel anzuheben“, erwiderte Cletus. „Die Einzelheiten erzähle ich Ihnen später. Wie stehen die Aktien im Augenblick?“
„Nichts als ein paar Schüsse aus der Ferne von Seiten der Neuländer-Spähtrupps“, sagte Eachan kühl. „Die mit Sandsäcken befestigten Stellungen waren eine ausgezeichnete Idee. Die Leute können trocken und bequem in ihren Stellungen sitzen, während die Neuländer durch knöcheltiefes Wasser waten müssen, um sie zu erreichen.“
„Wir werden hinausgehen und selbst ein bißchen durchs Wasser waten müssen“, sagte Cletus. „Ich habe Ihnen zusätzlich etwa zweihundert Mann mitgebracht. Glauben Sie, daß Sie mit diesen Truppen und Ihren Leuten einen Angriff wagen können?“
Eachan ließ sich selten etwas anmerken, auch diesmal verzog er keine Miene. Doch der Blick, den er Cletus schenkte, verriet Cletus, daß er diesmal überrascht und gleichzeitig erregt war.
„Einen Angriff?“ echote er. „Zweieinhalb – höchstens drei Kompanien gegen sechs oder acht Bataillione?“
Cletus schüttelte den Kopf. „Ich meine, einen Angriff vortäuschen“, erwiderte er. „Ich möchte lediglich, daß diese beiden Neuländer-Fronten so weit aufgefächert werden, daß sie eine Pause einlegen, um noch mehr Leute einzuholen, bevor sie wieder gegen uns vorgehen. Glauben Sie, daß uns das gelingt?“
„Hmmm.“ Eachan zwirbelte seinen Schnurrbart. „So was wäre, glaube ich, durchaus möglich.“
„Gut“, sagte Cletus. „Können Sie mich akustisch, vorzugsweise auch optisch, mit Marc Dodds verbinden?“
„Wir haben eine direkte Verbindung“, erwiderte Eachan. Er durchquerte das Zimmer und kam mit einem Feldtelefon zurück.
„Hier Oberst Khan“, sagte er in den Apparat. „Oberst Grahame möchte Oberst Dodds sprechen.“
Er reichte Cletus den Hörer. Sobald Cletus’ Finger sich um den Hörer geschlossen hatten, leuchtete der kleine Bildschirm im Griff auf, und Marcs Gesicht erschien vor dem Hintergrund des Bildschirms im Flugzeug.
„Sir?“ Marc starrte auf Cletus. „Sie sind in Bakhalla?“
„Richtig“, erwiderte Cletus. „Und auch die Kompanie, die Sie mir geschickt haben, um an der Flußbiegung zu mir zu stoßen. Würden Sie bitte die Sicht auf den Bildschirm hinter Ihrem Rücken freigeben?“
Marc rückte zur Seite, und der Schirm hinter ihm schien sich auszubreiten und den ganzen Bildschirm des Telefons zu füllen. Einzelheiten waren natürlich nicht zu erkennen, dafür war das Bild immer noch zu klein, dennoch konnte Cletus erkennen, daß die beiden großen Truppenteile der Neuländer soeben im Begriff waren, sich auf der sandigen Ebene zusammenzuschließen, die an jener Stelle begann, wo sich die Steilufer am Zusammenfluß des Blauen und des Milchflusses vereinigten und in einer spitz zulaufenden Böschung oberhalb der Stadt endeten. Aus ihren befestigten Stellungen konnten die Dorsai jetzt schon den Feind auf große Entfernung beschießen.
„Ich habe entlang der Steilufer an beiden Flüssen über den Neuländern Truppen stationiert“, sagte Marcs Stimme, „ebenso mindestens zwei Kompanien mit Energiegewehren unten im Flachland am Fuße der Steilufer und damit im Rücken ihrer Nachhut, die sie pausenlos beschießen können.“
„Ziehen Sie diese Schützenkompanie zurück“, sagte Cletus. „Ich sehe nicht ein, daß wir auch nur einen Mann riskieren, wo es nicht unbedingt nötig ist. Ihre Leute auf den Steilufern sollen die Stellung halten, aber nur noch sporadisch feuern. Lassen Sie das Feuer allmählich einstellen, Schritt für Schritt, bis nur noch gelegentlich ein Schuß fällt, um die Neuländer daran zu erinnern, daß wir noch da sind.“
„Zurückziehen?“ wiederholte Marc. Sein Gesicht erschien wieder auf dem Bildschirm, und er runzelte die Stirn. „Und das Feuer allmählich einstellen? Aber was geschieht mit den anderen dort unten in der Stadt?“
„Wir gehen zum Angriff über“, sagte Cletus.
Mark starrte wortlos aus dem Bildschirm. Seine Gedanken waren so deutlich zu lesen, als wären sie vor ihm in der Luft ausgedruckt. Er mit gut dreitausend Mann war gehalten, sich aus dem Hinterland einer feindlichen Streitmacht von mehr als sechstausend Mann zurückzuziehen – nur, um irgendwelche Eventualitäten zu vermeiden –, während Cletus mit seinen knapp sechshundert Mann den Feind frontal angreifen wollte.
„Vertrauen Sie mir, Oberst“, sprach Cletus sanft in den Hörer. „Habe ich Ihnen nicht schon vor einer Woche gesagt, daß ich vorhabe, diesen Kampf mit minimalsten Verlusten auszutragen?“
„Jawohl, Sir …“ sagte Marc widerstrebend und immer noch bestürzt.
„Dann tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe“, sagte Cletus. „Keine Bange, das Spiel ist noch nicht vorbei. Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie das Feuer so gut wie einstellen, aber wachsam bleiben sollen. Sie werden noch genug Möglichkeiten haben, von ihren Waffen Gebrauch zu machen.“
Er legte auf und gab Eachan den Apparat zurück.
„Also gut“, sagte er. „Lassen wir diesen Scheinangriff steigen.“
Eine halbe Stunde später saß Cletus mit Eachan in einem Kampfwagen, der auf seinem Luftpolster zwanzig Zentimeter über dem Wasser dahinglitt, das die Stadt überflutete und selbst hier am obersten Stadtrand jetzt fast knöcheltief war. Vor ihm drangen die Dorsai vor, in einem Abstand von zehn Metern von Mann zu Mann ausschwärmend, wobei sie den Schutz von Gebäuden, Bäumen und sonstiger Deckung geschickt nutzten. Direkt vor ihm, inmitten des Armaturenbretts, saß ein kleiner Bildschirm, der über eine ferngesteuerte Schaltung mit Informationen beliefert wurde. Eachan saß vor dem Hauptschirm im Dorsai-Hauptquartier in der Stadt und sorgte für Informationsnachschub. Die Neuländer formierten sich am Fuße des steilen Stein- und Erdwalls, wo die Steilufer aneinanderstießen. Ihre Linie erstreckte sich über etwa sechshundert Meter Sandboden, jene Landenge, die den Fuß der Steilufer mit dem etwas breiteren und höher gelegenen Gebiet verband, auf dem die Stadt Zweistrom erbaut worden war.
Auf dem Bildschirm war allerdings nur die Landenge zu sehen. Inzwischen war sie allerdings teilweise überflutet, und das Wasser reichte von den Steilufern jenseits des Milchflusses bis zu den Steilufern diesseits des Blauen Flusses. Bei dieser grauen Flutwelle, die langsam dahinfloß und aus der auf der Landenge nur ein paar Bäumchen und Büsche aus dem Wasser ragten, ließ sich kaum feststellen, wo das Wasser nur knöcheltief oder bereits tief genug war, um eine von Wefers Mark V unbemerkt passieren zu lassen. Cletus hatte die angreifenden Truppen gewarnt, sich auf die Mitte der Linie ihres Gegners zu konzentrieren, um nicht in tieferes Wasser zu geraten und flußabwärts abgetrieben zu werden.
Die Angreifer legten im Schutze der letzten Häuserreihen eine Pause ein und richteten ihre Reihen aus. Der Feind war nur einige hundert Meter von ihnen entfernt.
„In Ordnung“, sprach Cletus in sein Feldtelefon. „Vorwärts, marsch!“
Die erste Welle der Angreifer tauchte aus ihrer Deckung auf und preschte, Haken schlagend, im Laufschritt vorwärts. Die Kameraden hinter ihnen und die Soldaten in ihren Stellungen deckten die Landenge mit einem Trommelfeuer von Raketenwaffen ein.
Die Neuländer, die am Fuße des Steilufers, das etwas höher gelegen war, immer noch auf dem Trockenen standen, starrten die plötzlich auftauchenden Soldaten an, die mit Gewehren bewaffnet waren und in einer großen Staubwolke in scheinbar selbstmörderischer Absicht auf sie zurannten. Doch bevor sie überhaupt reagieren konnten, war die erste Welle wieder in Deckung gegangen, und die zweite Welle folgte ihnen auf dem Fuße.
Doch dann, bevor noch die dritte Welle heranrollte, setzte die Reaktion der Neuländer ein. Doch mittlerweile hatte das Feuer der Angreifer – und das Feuer der schwereren automatischen Waffen aus den Stellungen – ihre Frontlinien bereits aufgerissen. Für einen Augenblick wurden sie zwischen Zweifel und Panik hin und her gerissen. Die Neuländer-Truppen waren der Meinung gewesen, in Zweistrom seien nur wenige Soldaten stationiert, und sie müßten daher nur mit geringem Widerstand rechnen, der sich routinemäßig in kleinen Gefechten brechen ließ. Jetzt mußten sie jedoch einsehen, daß bedeutend mehr Dorsai in der Stadt waren, als man sie glauben machen wollte. Die Frontlinie der Neuländer begann zu wanken und wich zurück und prallte auf die Truppen in ihrem Rücken, die nach vorne drängten, um zu sehen, was vor sich ging.
Die Verwirrung war groß genug, um die Panik zu steigern. Die Neuländer-Truppen, die noch nie eine regelrechte Schlacht geschlagen hatten, begannen jetzt allmählich den Kopf zu verlieren und von ihren modernen Waffen Gebrauch zu machen, die ihnen die Koalition geliefert hatte, ein Umstand, den ein alter Hase instinktiv vermieden hätte. In ihren Reihen blitzen hier und da Energiewaffen auf.
Sobald die glühend heißen Strahlen das Wasser berührten, ging das seichte Wasser in Dampfwolken auf – und innerhalb von Sekunden hatten die heranstürmenden Dorsai eine natürliche Deckung, als hätten die Neuländer absichtlich eine Nebelwand für sie aufgebaut.
Daraufhin schlug die Panik in den ersten Reihen in wilde Flucht um. Die Männer in den vordersten Reihen machten auf dem Absatz kehrt und versuchten, sich ihren Weg durch die hinteren Reihen zu bahnen.
„Zurück!“ befahl Cletus seinen vorwärts stürmenden und feuernden Dorsai durch das Feldtelefon. Denn trotz der vorübergehenden Sicherheit, die ihnen die Nebelwand bot, welche sie einhüllte, waren sie, nur eine Handvoll, der Masse der Neuländer-Streitkräfte gefährlich nahe gerückt, wie man auf dem Bildschirm eindeutig erkennen konnte, obwohl jetzt die Sicht etwas getrübt war. „Zurück! Alle Mann zurück! Wir haben unseren Plan erfüllt.“
Im Schutze der Nebelwand machten die Dorsai kehrt und zogen sich zurück. Noch bevor sie wieder hinter den Häusern Deckung fanden, riß der Nebel auf. Aber die Front der Neuländer war noch immer ein einziges Chaos. Es fielen nur vereinzelt ein paar Schüsse, die dann auch den letzten Dorsai in Deckung scheuchten.
Cletus brachte sie zum Hauptquartier der Dorsai zurück und stieg steifbeinig aus dem Kampfwagen, der auf seinem Luftpolster über einer Wassertiefe von nahezu sieben Fuß schwebte. Das Wasser war bereits so hoch gestiegen, daß es die oberste Stufe der Treppe überspülte, die zum Haupteingang führte. Er machte einen langen Schritt vom Wagen zur Schwelle und humpelte dann vorsichtig in Richtung Kommandoraum.
Er war vor Erschöpfung fast betäubt und stolperte beim Gehen. Einer der jüngeren Offiziere sprang herbei, um ihn zu stützen, aber Cletus lehnte mit einer Handbewegung ab. Er humpelte in den Kommandoraum, und Eachan, der am Bildschirm stand, wandte sich ihm zu.
„Gut gemacht, Sir“, sagte Eachan langsam und weich. „Eine brilliante Leistung.“
„Ja“, erwiderte Cletus schleppend, viel zu erschöpft, um das Kompliment abzuwehren. Der Bildschirm zeigte, daß sich die Neuländer allmählich wieder gefangen hatten, ein massiver Klumpen, der sich um den Fuß des Steilufers scharte. „Es ist alles vorbei.“
„Noch nicht“, sagte Eachan. „Wir können sie noch eine Weile aufhalten.“
„Aufhalten?“ Der Raum vor Cletus brennenden Augen schien zu wabern und zu schwanken, als wollte er sich um die eigene Achse drehen. „Sie brauchen sie nicht aufzuhalten. Wir haben gewonnen.“
„Gewonnen?“
Cletus sah wie durch einen Dunstschleier, daß Eachan ihn befremdet anblickte. Er schwankte etwas unbeholfen bis zum nächsten Stuhl und setzte sich.
„Sagen Sie Marc, er soll sie nicht auf die Steilufer lassen, außer wenn sie sich ergeben“ vernahm er seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne. „Sie werden’s erleben.“
Er schloß die Augen und hatte das Gefühl, wie ein Stein in bodenlose Finsternis zu stürzen. Nur Eachans Stimme drang noch bis zu ihm durch.
„… Schnell, einen Arzt!“ schnappte Eachan. „Und ein bißchen plötzlich, verdammt noch mal!“
So kam es, daß Cletus den letzten Akt der Schlacht bei Zweistrom verpaßte. Von jenem Augenblick an, als die Neuländer unter Cletus’ Kommando von den Dorsai angegriffen wurden und momentan in Panik gerieten, hatten die sechstausend Soldaten aus Neuland Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde, um die Ordnung wieder herzustellen und sich erneut zum Marsch auf die Stadt zu rüsten. Doch der Wasserspiegel war infolge der pausenlosen Tätigkeit von Wefers Mark-V-Booten ständig gestiegen. Nun reichte das Wasser selbst den Neuländern bis zu den Knien, und die Angst begann sie mit eisiger Hand zu umklammern.
Vor ihnen lagen mit Sicherheit mehr Dorsai-Truppen, als sie erwartet hatten. Zumindest genug, daß die Dorsai nicht gezögert hatten, sie anzugreifen. Wenn sie jetzt weiter vorrückten, konnten sie leicht in eine Falle geraten, abgesehen davon, daß sie mit der steigenden Flut rechnen mußten. Selbst die Offiziere waren verunsichert – und Vorsicht schien unter allen Umständen geboten. Also wurde zum Rückzug geblasen.
Die beiden Hälften der Neuländer-Invasionstruppen lösten sich geordnet auf und begannen sich durch die Flußtäler zurückzuziehen, von wo sie gekommen waren. Doch das Flachland wurde immer schmaler, und schon bald merkten die Leute, die am weitesten vom Steilufer entfernt waren, daß sie in immer tieferes Wasser gerieten, wo sie von der Strömung mitgerissen wurden.
Während immer mehr Neuländer in die Strudel des Hauptstroms gerieten, wo sie hilflos herumpaddelten und um Hilfe riefen, begann sich unter den Soldaten, die noch im flachen Wasser standen, die Panik wieder auszubreiten. Sie stießen einander und drängelten, um in die Nähe des Steilufers zu gelangen. Die Ordnung begann sich allmählich aufzulösen. Innerhalb von Minuten brachen die Soldaten aus der Reihe aus und begannen am Steilufer hochzuklettern, um sich in höheren Lagen in Sicherheit zu bringen.
Und gerade in diesem Augenblick geschah es, daß Marc, Cletus’ früher niedergelegten schriftlichen Befehlen folgend, seinen Dorsais, die oben auf den Klippen aufgereiht waren, den Befehl gab, auf die Leute zu schießen, die versuchten, den steigenden Fluten zu entkommen … Dann waren nur noch Schreie zu hören.
Die Neuländer brauchten nicht einmal mehr aufgefordert zu werden, sich zu ergeben. Die von Panik getriebenen Kolonisten in Uniform von jenseits der Berge hinter dem Etter-Paß warfen ihre Waffen weg und begannen mit Händen und Füßen den Steilhang hinaufzuklettern, zunächst einzeln, dann in Scharen. Als die Sonne den westlichen Horizont erreicht hatte, saßen mehr als sechstausend Soldaten – etwa siebzig Prozent der Neuländer-Streitkräfte, wie sich später herausstellte – im Schußbereich der Waffen ihrer Dorsai-Wachen beieinander.
Doch Cletus, immer noch bewußtlos, wußte von alledem nichts. In einem Zimmer des Dorsai-Hauptquartiers in Zweistrom erhob sich gerade ein Prothesenspezialist, der aus Bakhalla eingeflogen worden war, nachdem er seinen Patienten untersucht hatte. Er warf noch einen Blick auf Cletus’ geschwollenes Knie, und sein Gesicht war sorgenvoll.
„Wie sieht’s aus, Doktor?“ fragte Eachan scharf. „Läßt es sich wieder zusammenflicken?“
Der Arzt schüttelte den Kopf und schenkte Eachan einen nüchternen Blick. „Das glaube ich kaum“, sagte er. „Er wird wahrscheinlich das Bein über dem Knie verlieren.“