18
Nach sechs Monaten war Cletus nicht nur völlig genesen, sondern auch kräftig genug, um ans Werk zu gehen und das Ziel zu verfolgen, das er im Auge hatte, als er zu den Dorsai emigriert war.
Von seinem täglichen Dauerlauf von fünfzehn Meilen waren jetzt nur noch zwei Meilen zurückzulegen. Er stemmte sich gegen den langen Hügelhang, der wieder zum Ufer des Athan-Sees führte, zu Eachan Khans Haus im Außenbezirk der Stadt Foralie auf der Dorsai-Welt. Seine Schritte wurden kürzer, und er atmete tiefer, aber sonst war es wie vorher. Er hatte sein Tempo nicht gedrosselt.
Es war jetzt fast fünf Monate her, seit man den Gips von seinen Beinen entfernt hatte, wobei sich herausstellte, daß sein linkes Knie vollkommen gesund und wiederhergestellt war. Das örtliche Ärztekollegium war natürlich darauf erpicht, ihn einer Reihe von Tests zu unterziehen, um dieses medizinische Wunder zu studieren, aber Cletus war mit anderen Dingen beschäftigt. Innerhalb einer Woche ging er auf schwankenden Beinen, die gerade erst wieder das Laufen gelernt hatten, zusammen mit Melissa und Eachan Khan an Bord eines Raumschiffes, um zur Dorsai-Welt zu fliegen. Seitdem logierte er als Gast in Eachans Haus, galt als Melissas Verlobter und verbrachte die Zeit mit gnadenlosem physischen Selbsttraining.
Die Trainingsmethoden waren einfach und bis auf einen gewissen Aspekt orthodox. Im Grunde genommen war sein Tag mit Spaziergängen, Laufen, Schwimmen und Klettern ausgefüllt, wobei das Klettern die einzige unorthodoxe Trainingsmethode darstellte. Cletus hatte nämlich eine Art Klettergerüst für Erwachsene bauen lassen, ein Gewirr von Stahlrohren, die in verschiedenen Höhen und Winkeln miteinander verbunden waren. Das Gerüst war inzwischen zehn Meter hoch, sechs Meter breit und mehr als zwanzig Meter lang.
Jetzt, sechs Monate nachdem er das Krankenhaus in Kultis verlassen hatte, begann Cletus’ Tag mit einer steilen Klettertour, indem er sich ohne Pause vom Boden an einem Tau hinaufhangelte, das zwanzig Meter über dem Boden an einem Baumast befestigt war. Sobald er oben angekommen war, hangelte er sich drei bis vier Meter an diesem Ast entlang, kletterte über ein kurzes, nur etwa fünfzehn Meter langes Seil hinab und begann dann an diesem Seil zu schaukeln, bis er sich an der obersten Stange des Klettergerüsts festhalten konnte. Die nächsten dreißig Minuten vergingen, indem er im Klettergerüst einen Weg durchstieg, der stufenweise immer komplizierter und schwieriger wurde, wobei man das Gerüst Cletus’ Kondition entsprechend immer weiter ausbaute.
Sobald er das Gerüst hinter sich hatte, begann er mit seinem Morgenlauf – der jetzt, wie gesagt, bereits fünfzehn Meilen betrug. Die Strecke führte zunächst querfeldein über ziemlich flaches Gelände, dann aber hügelauf und hügelab durch die bergige Landschaft. Diese Gegend lag eintausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, ein Umstand, der sich bemerkenswert auf Cletus’ rote Blutkörperchen und auf seinen Kreislauf auswirkte.
Die letzte Wegstrecke ging dann zwei Meilen ständig bergauf. Gleich oben am Hang ging er dann wieder etwa fünfzig Meter unter pinienähnlichen Bäumen bergab, bis Cletus schließlich am Ufer des Athan-Sees angekommen war.
Doch Cletus verlangsamte sein Tempo nicht, während er sich dem Ufer näherte, sondern watete durch das seichte Wasser direkt in den See. Dann begann er zu schwimmen, um die halbe Meile bis zum anderen Ufer zurückzulegen, über dem das langgestreckte Landhaus Eachans zwischen den Bäumen hervorlugte.
Das Wasser des Bergsees war kalt, aber Cletus ließ sich nicht abschrecken. Sein vom Laufen erhitzter Körper empfand das kühle Naß eher wohltuend. Er schwamm in voller Trainingskleidung, angetan mit Laufschuhen, Socken, Shorts und Hemd, und hatte sich so sehr an das Gewicht seiner durchnäßten Schuhe und Kleidung gewöhnt, daß er gar keine Notiz davon nahm.
Er schwamm zügig mit weit ausholenden Armbewegungen dahin, während er den Kopf rhythmisch die rechte Schulter entlanggleiten ließ, um die frische Bergluft einzuatmen, während seine Beine eine lange Spur durch das Wasser zogen. Kaum hatte er sich an den gleichmäßigen Rhythmus seiner Schwimmbewegungen gewöhnt, als das Wasser auch schon wieder seicht wurde und seine Füße den Boden berührten.
Er schaute auf seine Armbanduhr und trottete gemütlich den Abhang bis zu dem Schiebefenster im Parterre hinauf, das direkt in sein Schlafzimmer führte. Zehn Minuten später, nachdem er geduscht und sich umgezogen hatte, betrat er das sonnige Speisezimmer des Langhauses, um Eachan und Melissa beim Lunch Gesellschaft zu leisten.
„Wie lief es heute?“ fragte Melissa. Sie schenkte ihm ein spontanes, warmes Lächeln, das einen Strom von Mitgefühl und Verständnis zwischen den beiden aufkommen ließ. Diese sechs Monate des Zusammenlebens unter einem Dach hatten alle Schranken zwischen ihnen abgebaut. Cletus war zu liebenswürdig und Melissa zu anziehend, als daß ein so enges Beieinandersein keine gegenseitigen Sympathien geweckt hätte. Sie hatten bereits jenen Zustand erreicht, wo das Unausgesprochene wichtiger war als das, was sie sich zu sagen hatten.
„Im Durchschnitt sechs Minuten unter der Zeit für die fünfzehn Meilen“, erwiderte er. „Etwas mehr als zehn Minuten, um durch den See zu schwimmen.“ Er schaute zu Eachan hinüber. „Ich glaube, es ist an der Zeit für die Demonstration, die ich vorhabe. Wir können die Aschenbahn im Stadion von Foralie zu diesem Zweck benutzen.“
„Ich werde mich darum kümmern“, sagte Eachan.
Drei Tage später fand die Demonstration statt. Im Stadion von Foralie hatten sich unter der warmen Augustsonne jene achtzig hohen Offiziere der Dorsai versammelt, die Eachan zu diesem Anlaß eingeladen hatte. Die ganze Gruppe saß auf der Tribüne vor einem großen Bildschirm, der durch ein ganzes Arsenal von physiologischen Monitoren gefüttert wurde. Diese Monitoren waren ihrerseits drahtlos mit verschiedenen Sensoren und Meßgeräten verbunden, die an und innerhalb von Cletus’ Körper angebracht waren.
Cletus trug die übliche Sportausrüstung. Hier war weder ein Klettergerüst noch ein Schwimmbecken vorhanden, da es sich diesmal lediglich um die Demonstration des Durchhaltevermögens handelte. Sobald die Offiziere Platz genommen hatten, stellte sich Eachan neben den Bildschirm und vergewisserte sich, daß die Übertragung der verschiedenen Meßergebnisse auf den Bildschirm funktionierte und für alle Anwesenden sichtbar war. Und dann begann Cletus zu laufen.
Alle anwesenden Söldneroffiziere waren mit Cletus’ Geschichte vertraut, insbesondere mit den Ereignissen auf Kultis und der schier an ein Wunder grenzenden Regeneration seines verwundeten Knies. Sie schauten interessiert zu, während Cletus mit einer Geschwindigkeit von fast zehn Meilen pro Stunde seine Runden auf der Aschenbahn drehte, deren Länge eine halbe Meile betrug. Nach der ersten Meile fiel er auf etwas mehr als acht Meilen pro Stunde zurück. Sein Puls, der auf 170 gestiegen war, ging auf 140 zurück und stabilisierte sich bei diesem Wert.
Er lief leicht und atmete regelmäßig, während er sich der Vier-Meilen-Markierung näherte. Dann aber, obwohl seine Geschwindigkeit nicht abnahm, begann sein Puls allmählich wieder zu steigen und hatte nach sechs Meilen fast wieder 180 erreicht. Nachdem dieser Höhepunkt erreicht war, begann er allmählich an Geschwindigkeit zu verlieren. Nach acht Meilen betrug sie weniger als sieben Meilen in der Stunde, und nach der neunten Meile waren es nur noch sechs.
Offensichtlich näherte er sich dem Erschöpfungspunkt, aber er zwang sich dazu, noch zwei weitere Runden zu drehen. Die zehnte Meile legte er nur noch im Laufschritt zurück. Er war am Ende seiner Kräfte. Dennoch war es eine gewaltige Leistung, besonders für einen ehemaligen Krüppel mit Knieprothese, der er noch bis vor einem halben Jahr gewesen war, und die Zuschauer sparten nicht mit Beifall.
Einige von ihnen erhoben sich von ihren Plätzen, bereit, in die Arena hinunterzusteigen und Cletus zu gratulieren, während er der Zehn-Meilen-Markierung zustrebte, dem Endziel seiner athletischen Leistung.
„Nur einen Augenblick, meine Herren“, sagte Eachan Khan. „Wenn Sie bitte noch etwas warten würden …“
Er drehte sich um und nickte Cletus zu, der jetzt die Zehn-Meilen-Marke direkt vor den Augen der Zuschauer passierte. Cletus nickte zurück und lief weiter.
Dann passierte zum größten Erstaunen der Zuschauer etwas Merkwürdiges. Während Cletus auf der Bahn weiterlief, wurden sein Schritt fester und sein Atem leichter. Zwar kam er nicht sofort wieder auf Touren, aber sein Puls ging zurück, wie auf den Bildschirmen deutlich zu erkennen war.
Zunächst sank sein Puls ruckartig ab, Stufe für Stufe, während er sich immer wieder auf einen Zwischenwert einpendelte. Dann begann er langsam und gleichmäßig zu sinken, bis er schließlich wieder 150 betrug, als Cletus erneut im Gesichtsfeld der Offiziere auftauchte.
Und jetzt nahm auch seine Laufgeschwindigkeit wieder zu, zwar nicht übermäßig stark, doch immerhin steigerte sie sich auf fast sechs Meilen pro Stunde. Und dieses Tempo hielt er konstant durch, während er weiter seine Runden drehte.
Er legte die Strecke noch sechsmal zurück – also insgesamt drei Meilen – und am Ende der dritten Meile waren Geschwindigkeit und Puls immer noch konstant.
Am Ende dieser zusätzlichen drei Meilen angelangt, hörte er auf zu laufen, drehte noch gemächlich und im Spazierschritt unbekümmert eine weitere Runde und hielt dann vor der Tribüne an. Sein Atem ging normal, er war zwar verschwitzt, aber sein Puls lag nur knapp über siebzig.
„Das war’s, meine Herren“, sagte er, an seine Zuschauer gewandt. „Jetzt brauche ich ein paar Minuten, um mich zu waschen. Begeben Sie sich bitte in der Zwischenzeit zu Eachans Haus, wo wir uns dann in einer bequemeren und privateren Umgebung unterhalten können. Ich werde in etwa zwanzig Minuten bei Ihnen sein. Es liegt nun bei Ihnen, sich alles zu überlegen, was Sie gesehen und erlebt haben. Ich habe zwar meine Kräfte bis zum Rand erschöpft, doch wie Sie sehen, war es einen Versuch wert, und eine solche Leistung ist in der Praxis durchaus möglich.“
Damit wandte er sich den Umkleideräumen zu, die an diesem Ende des Stadions lagen. Die Zuschauer gingen indessen zu dem Luftbus, den Eachan gemietet hatte, und wurden zu Eachans Haus geflogen. Die Fensterwand an der einen Seite des Hauses stand offen, so daß Wohnzimmer und Patio zu einer einzigen großen Empfangshalle geworden waren. Speisen und Getränke standen bereit, und etwas später gesellte sich auch Cletus zu ihnen.
„Wie Sie wissen“, sagte er, zu seinen Zuhörern gewandt, die in einem lockeren Halbkreis vor ihm Platz genommen hatten, „sind alle Anwesenden Offiziere, die wir eingeladen haben, weil wir hoffen, daß Sie daran interessiert sind, zusammen mit mir eine militärische Einheit besonderer Art zu gründen, eine Einheit, deren Kommando ich zu übernehmen beabsichtige. Während einer Ausbildungszeit von einigen Monaten erhalten Offiziere und Mannschaften zwar nur einen minimalen Sold, doch später werden sie das Doppelte von dem verdienen, das sie zur Zeit erhalten. Es versteht sich von selbst, daß ich nur die allerbesten Leute haben möchte, und ich wünsche, daß sie nicht nur ihre Zeit opfern, sondern mit großem Enthusiasmus an die Sache herangehen und sich voll für diese neue Organisation einsetzen, die mir vorschwebt.“
Cletus legte eine Pause ein und fuhr dann fort: „Das war einer der Gründe für die Demonstration, die Sie soeben miterlebt haben. Was Sie gesehen haben war, um mich einfach auszudrücken, die Demonstration einer Leistung, der meine physikalische Energie und meine Kondition kaum zur Hälfte gewachsen waren. Kurzum, ich habe Ihnen gezeigt, auf welche Weise ein Mensch aus sich einen anderhalbfachen Menschen machen kann.“
Er legte wieder eine Pause ein, und diesmal ließ er den Blick über jedes einzelne Gesicht seiner Zuhörer gleiten, faßte jeden einzeln ins Auge, bevor er fortfuhr.
„Ich erwarte“, sagte er langsam und eindringlich, „daß jeder Mann und jeder Offizier, der dieser Einheit beitritt, nach der Ausbildung in der Lage sein wird, eine solche oder zumindest eine ähnliche Leistung zu erbringen. Meine Herren, dies ist die erste Voraussetzung für jeden, der den Wunsch hat, sich an diesem Unternehmen zu beteiligen.“
Dann lächelte er plötzlich und unerwartet. „Und nun, meine Herren, entspannen und amüsieren Sie sich. Schauen Sie sich um, betrachten Sie meine hausgemachte Trainingsausrüstung und stellen Sie uns so viele Fragen, wie Sie wollen, ob Sie sich nun an Eachan, an Melissa Khan oder an mich selbst wenden. In einigen Tagen werden wir hier für alle diejenigen ein Treffen veranstalten, die beschlossen haben, unserer Organisation beizutreten. Das ist alles.“
Damit trat er aus ihrem Kreis und begab sich zum kalten Buffet, wo allerlei Speisen und Getränke auf die Gäste warteten. Die Versammlung löste sich in kleine Gruppen auf, wobei sich ein Stimmengewirr erhob. Bis zum späten Nachmittag waren die meisten Besucher gegangen, nachdem sich knapp zwei Dutzend vorher bei Cletus hatten eintragen lassen. Mehr als weitere zwei Dutzend versprachen, sich die Sache noch einmal zu überlegen und ihm innerhalb der nächsten zwei Tage Bescheid zu geben. Eine kleine Gruppe, die sich bereits vor der Demonstration für Cletus entschlossen hatte, blieb zurück und begab sich nach dem Abendessen zu einer Privatkonferenz in die Wohnhalle, deren Fenster jetzt wieder geschlossen waren.
Anwesend waren Arvid, der seine Schulterwunde bereits auskuriert hatte, Major Swahili und Major David Ap Morgan, dessen Familie ebenfalls in der Nachbarschaft in Foralie wohnte. Eachans übrige Offiziere befanden sich immer noch in Bakhalla, wo sie die Dorsai-Truppen kommandierten, die im Sold der Exoten dort stationiert waren, nachdem die Allianz ihre Truppen unter General Traynor zurückgezogen hatte. Fledermaus’ böse Ahnungen wurden vom Hauptquartier der Allianz auf der Erde nicht geteilt. Dort war man heilfroh, eine halbe Division abziehen zu können, die auf einem Dutzend anderer neuer Welten eingesetzt werden konnten, wo die militärische Lage ziemlich prekär war. Außer Arvid, Ap Morgan, Swahili und Eachan selbst waren noch zwei alte Freunde Eachans anwesend – ein gewisser Oberst Lederle Dark und ein Brigadegeneral Tosca Aras. Dark war ein schmaler, kahlköpfiger Mann, der unter seiner dandyhaften Kleidung nur aus Knochen und Muskeln zu bestehen schien. Tosca Aras dagegen war schlank, adrett, glattrasiert, ein Mann mit klaren, blauen Augen und einem Blick, der so unerschütterlich war wie ein schußbereites Gewehr.
„Jeder, der sich bis zum Wochenende noch nicht gemeldet hat“, sagte Cletus zu der Versammlung, „ist es nicht wert, daß wir mit ihm rechnen. Aus dem Kreis jener, zu denen ich heute gesprochen habe, werden wir wahrscheinlich fünfzig gute Offiziere bekommen, wobei etwa zehn beim Training ausscheiden werden. Also brauchen wir keine Zeit zu verlieren. Wir können vielmehr damit beginnen, einen Organisations- und Ausbildungsplan aufzustellen. Wir werden die Offiziere ausbilden, und die können dann ihrerseits später ihre Mannschaften trainieren.“
„Wer wird dieses Sonder-Energietraining leiten?“ fragte Lederle Dark.
„Das werde ich übernehmen“, erwiderte Cletus. „Im Augenblick ist niemand sonst dazu in der Lage. Und Sie alle müßten dann zusammen mit den anderen Offizieren an meinen Vorträgen teilnehmen. Ansonsten können Sie alle selbständig handeln – es geht lediglich darum, die Leute mit den physischen und praktischen Standardproblemen im Felde vertraut zu machen, allerdings im Hinblick auf die neue Organisation.“
„Sir“, sagte Arvid, „entschuldigen Sie, aber ich sehe immer noch nicht ein, warum wir den ganzen Organisationsplan auf den Kopf stellen sollen – es sei denn, sie wollen den Leuten bewußt die Andersartigkeit der Ausbildung vor Augen führen.“
„Nein – obwohl es ganz bestimmt nicht schaden würde“, sagte Cletus. „Das hätte ich Ihnen früher erklären müssen. Es geht einfach darum, daß eine militärische Einheit, die in Trupps, Züge, Kompanien, Bataillione und so weiter unterteilt ist, für die konventionelle Kriegsführung bestimmt ist, für eine Kriegsart, die auf den neuen Welten gar nicht zur Anwendung kommen kann. Unsere Kampfgruppen müssen eher einem Sportlerteam von Athleten ähnlich sein als einer Kampfeinheit alten Typs. Die Taktik – meine Taktik –, die anzuwenden es gilt, ist nicht für straff gegliederte Armeen und handfeste Konfrontationen gedacht. Sie zielt vielmehr auf eine lose Gruppe von Einheiten ab, die so gut wie unabhängig voneinander agieren und deren Aktionen nicht von einer Befehlshierarchie koordiniert werden, sondern vielmehr durch die Tatsache, daß sie wie gute Mitglieder eines Teams miteinander vertraut sind und daher genau wissen, wie ihre Kameraden auf ihre eigenen Aktionen und angesichts der allgemeinen Situation reagieren.“
Cletus hielt inne und schaute sich um. „Haben Sie soweit alles mitbekommen?“ fragte er.
Eachan räusperte sich. „Wir alle haben begriffen, was Sie meinen, Cletus“, sagte er. „Doch die Theorie bedarf weiterer Erklärungen, bevor sie greifbar wird. Ein Trupp soll aus sechs Mann bestehen und in zwei Teams von je drei Mann aufgeteilt werden. Vier Trupps ergeben eine Gruppe mit je einem Gruppenführer, und zwei Gruppen ergeben eine Kampfeinheit. Ziemlich einfach. Aber wie soll man denn wissen, wie das funktioniert, bevor man es nicht in der Praxis gesehen hat?“
„Das ist freilich kaum möglich“, erwiderte Cletus. „Doch zunächst sollte die Sache theoretisch erfaßt werden, bevor wir einen Beweis antreten. Soll ich’s noch mal wiederholen?“
Einen Augenblick herrschte Stille.
„Vielleicht wäre es besser“, meinte Eachan.
„Also gut“, sagte Cletus. „Wie gesagt, das Grundprinzip besteht darin, daß, angefangen von der kleinsten Einheit bis hinauf zur obersten Leitung des Dorsai-Militärkommandos, jede Einheit für sich in der Lage sein muß, wie ein einzelnes Mitglied eines Teams zu reagieren, das die gleiche Struktur aufweist und die gleiche Wichtigkeit und Bedeutung besitzt. Das heißt, daß jeder Soldat eines beliebigen Halbtrupps in der Lage sein sollte, in perfekter Übereinstimmung mit den beiden anderen Mitgliedern seiner Gruppe zu operieren, und das nur mit Hilfe von einigen wenigen Codewörtern oder Signalen, die die anderen zu Standardaktionen oder Reaktionen in einer bestimmten Situation veranlassen. Gleichzeitig aber müssen die beiden Teams in einem Trupp auch in Partnerschaft zusammenarbeiten können, und dies ebenfalls nur mit Hilfe von Codewörtern oder Signalen. Ebenso müssen die vier Trupps als Team innerhalb einer Gruppe operieren können, wobei jeder Trupp seine Rolle bei hundert oder mehr Gruppenaktionen kennen muß, die durch Codewort oder Signal identifizierbar sind, so wie die zwei Gruppen in der Lage sein müssen, fast instinktiv als ein einziges Kommando aufeinander zu reagieren. Der Kommandant muß so ausgebildet sein, daß er schematisch mit den Kommandanten der anderen Kommandos zusammenarbeiten kann, denen er zugeteilt wird.“
Cletus hielt inne, und wieder herrschte kurzes Schweigen.
„Sie sagen, Sie werden all diese Schemata oder Verhaltensmuster liefern?“ fragte Tosca Aras. „Ich meine, werden Sie all diese Teamaktionen ausarbeiten, die durch Codewörter oder Signale abgerufen werden können?“
„Ich habe sie bereits fertig ausgearbeitet“, erwiderte Cletus.
„Was? Sie haben den ganzen Plan schon fertig?“ Aras’ Stimme klang skeptisch. „Das müssen doch Tausende und aber Tausende von Signalen sein.“
Cletus schüttelte den Kopf. „Etwas mehr als dreiundzwanzigtausend, um genau zu sein“, sagte er. „Aber ich glaube, Sie haben etwas übersehen. Die Aktionen eines Teams sind in den Aktionen eines Trupps inbegriffen, und dasselbe gilt für einen Trupp innerhalb der Gruppe. Kurz gesagt, es ist wie bei einer Sprache mit dreiundzwanzigtausend Wörtern. Sobald man einmal die Struktur gemeistert hat, ist die Wortauswahl im Satz ziemlich eingeschränkt. In der Tat gibt es stets nur eine einzige ideale Wahl.“
„Warum dann dieser komplizierte Aufwand?“ fragte David Ap Morgan.
Cletus drehte sich um und schaute den jungen Major an. „Der Wert des Systems“, sagte er, „entspringt nicht so sehr der Tatsache, daß es eine große Anzahl von taktischen Möglichkeiten gibt, die vom Team bis hin zum Kommando reichen, sondern eher dem Umstand, daß ein weites Spektrum von Aktionen auch für die niedrigeren Chargen zur Auswahl steht, so daß der einzelne Soldat, der das entsprechende Codewort hört, sofort weiß, innerhalb welcher Grenzen die Aktionen aller Gruppen, Trupps und seines eigenen Teams liegen.“
Cletus hielt inne, dann fuhr er fort: „Kurz gesagt, keiner, von der kleinsten Charge bis hinauf zum Kommandeur der ganzen militärischen Einheit, ist ein simpler Befehlsempfänger. Im Gegenteil, alle, bis hin zum letzten Soldaten, reagieren als Mitglieder eines Teams, die eine Aufgabe zu erledigen haben. Das heißt, daß Unterbrechungen in der Befehlskette, Mißverständnisse oder falsche Befehle, die einen Schlachtplan gefährden könnten, auf diese Weise umgangen werden. Außerdem wäre dann jeder in der Lage, die Stelle seines Vorgesetzten im Bedarfsfall einzunehmen, und zwar mit etwa neunzig Prozent jener Kenntnisse, über die der betreffende Vorgesetzte in jenem Augenblick verfügte, als er nicht mehr einsatzfähig war.“
Arvid pfiff leise und bewundernd vor sich hin, und die anderen Offiziere schauten ihn an. Neben Cletus war er der einzige in der Runde, der noch niemals ein praktizierender Feldoffizier der Dorsai gewesen war. Arvid schaute verlegen vor sich hin.
„Wirklich ein revolutionäres Konzept“, sagte Tosca Aras. „Mehr als revolutionär, wenn es sich in der Praxis bewährt.“
„Es muß funktionieren“, versetzte Cletus. „Das Gesamtschema meiner Strategie und Taktik gründet sich auf Truppen, die auf diese Weise operieren können.“
„Nun gut, wir werden sehen.“ Arvid nahm das dicke Handbuch, das Cletus gleich nach dem Abendessen an alle verteilt und das bisher in seinem Schoß gelegen hatte. Dann stand er auf. „Mir geht es wie einem alten Hund, der neue Tricks lernen muß, und das ist sogar noch eine Untertreibung. Wenn die Herren nichts dagegen haben, werde ich mich an meine Hausaufgaben machen.“
Er verabschiedete sich und ging hinaus, und sein Abschied war das Zeichen für den allgemeinen Aufbruch. Eachan blieb zurück, und Arvid hatte das Bedürfnis, sich für den Pfiff von vorhin zu entschuldigen.
„Wissen Sie, Sir“, sagte er in ernstem Tonfall zu Cletus, „mir ist ganz plötzlich ein Licht aufgegangen. Jetzt weiß ich, wie die Dinge liegen und wie alles zusammenpaßt.“
„Gut“, versetzte Cletus. „Damit haben Sie schon fast die Hälfte gelernt.“
Arvid folgte den anderen, die den Wohnraum verließen, dann waren Eachan und Cletus allein. Cletus schaute Eachan an.
„Können Sie die Zusammenhänge erkennen?“ fragte er.
„Ich glaube schon“, meinte Eachan. „Aber vergessen Sie nicht, daß ich im letzten halben Jahr mit Ihnen unter einem Dach gelebt habe – und daß ich die meisten Schemata Ihres Handbuches bereits kenne.“
Er streckte die Hand nach der Karaffe aus, die hinter einer Reihe von Gläsern auf einem kleinen Tisch neben seinem Sessel stand und schenkte sich nachdenklich etwas Whisky ein.
„Ich würde nicht zu bald zuviel erwarten“, sagte er, während er an seinem Glas nippte, „alle Militärs sind nämlich ein bißchen konservativ. Das liegt in unserer Natur. Aber sie werden sich durchbeißen, Cletus. Es wird sich zeigen, daß Dorsai mehr ist als nur ein Name.“
Eachan sollte recht behalten. Als das Trainingsprogramm der Offiziere eine Woche später begann, kannten alle, die an jenem Abend mit Cletus im Wohnzimmer gewesen waren, ihr Handbuch auswendig – sofern sie nicht schon instinktiv mit dem Inhalt vertraut waren. Cletus teilte die Auszubildenden in Zehnergruppen unter seinen sechs Ausbildern auf, und das Training begann.
Cletus reservierte sich die Gruppe, die schlicht als „Lockerungsgruppe“ bezeichnet wurde. In dieser Gruppe sollte den Offizieren beigebracht werden, jene besonderen Energiequellen so anzuzapfen, wie er es ihnen im Stadium von Foralie demonstriert hatte, nachdem er seine normalen Energiereserven durch seinen Parforcelauf bis zur Neige ausgeschöpft hatte. Seine erste Klasse bestand aus den sechs Offizieren, die seinerzeit im Wohnzimmer gewesen waren. Auch Eachan gehörte dazu, obwohl er mehr als nur eine Ahnung von dieser Technik hatte. Während der letzten Monate hatte Cletus ihm und Melissa Privatunterricht in dieser Disziplin erteilt, wobei beide beachtliche Ergebnisse erzielten. Eachan hatte jedoch vorgeschlagen – und Cletus fand den Vorschlag gut –, in die Klasse aufgenommen zu werden, seiner Meinung nach ein gutes Beispiel für die anderen, daß außer Cletus auch andere außergewöhnliche Fälligkeiten erwerben und ungewöhnliche physiologische Ergebnisse erzielen konnten.
Cletus begann seinen Vortrag kurz vor dem Mittagessen, nachdem seine Schüler das physische Training des ganzen Tages absolviert hatten, ein Programm, das aus Übungen im Klettergerüst sowie aus Laufen und Schwimmen bestand. Sie waren durch die körperliche Anstrengung etwas erschöpft und hatten seit dem Frühstück auch nichts mehr zu sich genommen, befanden sich also in einem Zustand, wo die Aufnahmefähigkeit ihren Höhepunkt erreicht.
Cletus stellte sie hinter einer langen Stahlstange in Reih und Glied auf. Die Stange ruhte in Schulterhöhe auf zwei Pfosten.
„Schön“, sagte er. „Stellen Sie sich auf Ihr rechtes Bein, und heben Sie das linke Bein hoch. Sie können mit der Fingerspitze die Stange berühren, um das Gleichgewicht zu halten, aber Sie dürfen das linke Bein erst wieder zu Hilfe nehmen, wenn ich es Ihnen sage.“
Man folgte seiner Aufforderung. Zunächst war die Situation etwas lächerlich, und so manches verlegene oder spöttische Lächeln kam auf, bis dann das Standbein zu erlahmen begann. Als die Muskelspannung schmerzlich zu werden begann, befahl Cletus, das Bein zu wechseln und das Gewicht zu verlagern, bis die Beinmuskeln unter ihrem Körpergewicht zu zittern begannen. Dann wurde das Standbein wieder gewechselt, rechts, links, rechts, links, in immer kürzeren Abständen, dem Ermüdungsgrad der Beinmuskel entsprechend. Nach kurzer Zeit schon standen ein paar schwankende Gestalten vor ihm, die aussahen wie Rekonvaleszenten, die lange Zeit bettlägerig gewesen waren.
„Sehr gut“, meinte Cletus freundlich. „Und jetzt einen Handstand, wenn ich bitten darf, die Handflächen am Boden, die Arme ausgestreckt. Diesmal dürfen Sie sich mit den Beinen an der Stange abstützen.“
Seine Leute gehorchten, doch kaum waren sie in Stellung gegangen, wurden sie von Cletus’ nächstem Kommando wieder aufgescheucht.
„Jetzt heben Sie eine Hand hoch und versuchen Sie, auf einem Arm zu stehen.“
Dann folgte die gleiche Prozedur wie mit den Beinen, nur daß diesmal der Wechsel in bedeutend kürzeren Zeitabständen erfolgte. Die Übung war nach kurzer Zeit beendet, und alle taumelten zu Boden und streckten alle viere von sich.
„Legen Sie sich auf den Rücken“, befahl Cletus. „Beine gestreckt, Arme am Körper – aber keine Habachtstellung, wenn ich bitten darf. Strecken Sie sich einfach bequem auf dem Rücken aus, den Blick nach oben.“
Sie gehorchten.
„Und jetzt“, sagte Cletus, während er vor ihnen auf und ab ging, „bleiben Sie einfach liegen und entspannen Sie sich, während ich zu Ihnen spreche. Schauen Sie einfach zur Decke … Blicken Sie himmelwärts …“ Über ihren Köpfen wölbte sich ein heller, blauer Himmel, über den ein paar Wolken träge dahinglitten. „Konzentrieren Sie sich auf das Gefühl in Armen und Beinen, das sich jetzt einstellt, nachdem die Last Ihres Körpers von ihnen genommen ist und sie nicht mehr gegen die Schwerkraft ankämpfen müssen. Versuchen Sie sich der Tatsache bewußt zu werden, daß nunmehr der Boden Ihre Glieder und Ihr Gewicht trägt – und seien Sie dankbar dafür. Empfinden Sie die Schwere und die Schlaffheit Ihrer Arme und Beine, jetzt, wo sie keine Last mehr zu tragen haben, jetzt, wo sie selbst von der Oberfläche des Bodens getragen werden. Machen Sie sich im stillen mit ihren eigenen Worten selbst klar, wie schwer und wie schlaff ihre Glieder sind. Sagen Sie das immer wieder vor sich hin und schauen Sie in den Himmel. Spüren Sie, wie schwer und entspannt Ihr Körper ist, wie ihr Körpergewicht vom Boden unter ihrem Rücken getragen wird. Fühlen Sie die Entspannung in Ihrem Nacken, in Ihren Kiefermuskeln, in ihrem Gesicht, selbst in Ihrer Kopfhaut. Sagen Sie sich immer wieder, wie entspannt und schwer alle diese Körperteile sind und schauen Sie zum Himmel. Ich werde weitersprechen, aber achten Sie nicht auf mich. Konzentrieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das, was Sie sich vorsagen, was Sie fühlen und wie der Himmel aussieht …“
Er sprach weiter und setzte seinen Spaziergang fort. Nach einer Weile achtete die Gruppe, müde an Armen und Beinen, beruhigt durch ihre entspannte Lage und die Wolken, die langsam über sie hinwegzogen, und eingelullt von dem beharrlichen, angenehmen, monotonen Tonfall seiner Stimme tatsächlich nicht mehr auf den Sinn seiner Worte. Arvid, der am Ende der Reihe lag, hatte den Eindruck, als würde Cletus’ Stimme immer leiser werden, als käme sie aus weiter Ferne, so wie alles um ihn herum in die Ferne gerückt zu sein schien. Er lag auf dem Rücken und sah nichts als den Himmel über sich. Ihm war, als würde der Planet unter ihm gar nicht existieren, abgesehen von dem leisen Druck des Grases, das ihn trug. Die Wolken zogen langsam durch das endlose Blau dahin, und ihm war, als würde er mit ihnen segeln.
Ein leichter Stoß an seinen Füßen riß ihn plötzlich und scharf ins Bewußtsein zurück. Es war Cletus, der zu ihm herablächelte.
„Gut so“, sagte Cletus im gleichen leisen Tonfall wie vorhin. „Jetzt auf die Beine und dort hinüber.“
Arvid gehorchte, richtete sich auf und ging weiter, wie Cletus es ihm bedeutet hatte. Die anderen lagen immer noch am Boden, während Cletus weiter zu ihnen sprach. Dann sah er, wie Cletus, der immer noch auf und ab ging, vor David Ap Morgans Füßen stehenblieb und ihn mit den Zehen leicht gegen die Sohlen stieß.
„In Ordnung, David“, sagte Cletus, indem er weiterging, ohne den Tonfall seiner Stimme zu ändern. „Stehen Sie auf und gehen Sie zu Arvid hinüber.“
Davids geschlossene Augenlider klappten plötzlich auf. Er stand auf und stellte sich neben Arvid. Die beiden schauten zu, wie ihre Kameraden einer nach dem anderen eindösten, sanft geweckt wurden und ausschieden, bis nur noch Eachan mit weit geöffneten Augen im Gras lag.
Plötzlich unterbrach Cletus seinen Sermon und lachte. „Gut, Eachan“, sagte er. „Es hat keinen Sinn zu versuchen, Sie einzuschläfern. Stehen Sie auf und gehen Sie zu den anderen.“
Eachan erhob sich. Dann stand die Gruppe wieder beieinander und schaute Cletus erwartungsvoll an.
„Es geht hier darum“, sagte Cletus mit einem Lächeln, „nicht einzuschlafen. Doch das soll uns vorerst nicht kümmern. Wer von Ihnen hatte das Gefühl zu schweben, nachdem er geistig weggetreten war?“
Arvid und drei weitere hoben die Hand, darunter auch Eachan.
„Gut, das wär’s für heute“, sagte Cletus. „Morgen wollen wir es einmal ohne Muskeltraining versuchen. Aber ich möchte, daß Sie jetzt alle in Ihr Quartier gehen und die Übung bis morgen früh mindestens dreimal wiederholen. Wenn Sie wollen, können Sie versuchen, sich heute Abend mit dieser Übung zum Einschlafen zu bringen. Morgen treffen wir uns wieder, gleicher Ort, gleiche Zeit.“
Während der nächsten Sitzungen arbeitete Cletus mit seiner Gruppe, bis sie schließlich alle den Schwebezustand erreichten, ohne einzuschlafen. Nachdem dieser Punkt erreicht war, führte er sie schrittweise in die Kunst ein, Schmerzen und tiefgreifende körperliche Empfindungen selbst zu steuern. Sobald sie mit dieser Technik einigermaßen vertraut waren, wurden Entspannung und Bewegungslosigkeit allmählich in Bewegung umgesetzt – zunächst dadurch, indem er seine Gruppe dazu brachte, das schwebende Gefühl aufrecht stehend zu erreichen, dann beim langsamen und rhythmischen Vorwärtsschreiten und schließlich bei jeder Art Tätigkeit oder Aktivität, selbst bei den heftigsten Bewegungen. Nachdem dies erreicht war, blieb nur noch eines, nämlich von diesem Trancezustand in verschiedenen Versionen der Selbstkontrolle unter allen denkbaren Bedingungen Gebrauch zu machen. Dann entließ er sie, damit sie ihr Wissen nun ihrerseits an den Mann brachten, so daß anschließend die von ihnen ausgebildeten Chargen alle Leute bis zum letzten Mann ausbilden konnten, die unter ihrem Kommando standen.
Inzwischen waren fast drei Monate vergangen, und die Offiziere waren mit ihren Übungen und ihrer Ausbildung so weit vorangekommen, daß sie zumindest den physischen Teil ihres Trainings an die Truppen weitergeben konnten, die sie später einmal befehligen würden. Die Dorsai begannen mit der Rekrutierung, um ihren Bedarf zu decken und einige weitere Dorsai-Offiziere anstelle jener anzuheuern, die beim Training ausgefallen waren.
Zu dieser Zeit erhielt Cletus einen dicken Umschlag mit Zeitungsausschnitten, zugesandt von einem Pressedienst auf der Erde, mit dem er sich in Verbindung gesetzt hatte, bevor er Bakhalla verließ. Allein in Eachans Arbeitszimmer, öffnete er den Umschlag und ordnete die Zeitungsausschnitte chronologisch, um sie dann zu überfliegen.
Die Geschichte war ziemlich einfach. Die Koalition, durch einige Reden von Dow deCastries angefeuert, versuchte, einen Proteststurm gegen die Söldnertruppen auf den neuen Welten im allgemeinen und gegen die Dorsai im besonderen zu entfesseln.
Cletus steckte die Zeitungsausschnitte wieder in den Umschlag und legte ihn unter seiner Korrespondenz ab. Dann ging er auf die Terrasse hinaus, wo er Melissa lesend vorfand.
Es war Hochsommer in den Dorsai-Bergen, und die Sonne, die tief über den fernen Gipfeln stand, zeigte die späte Nachmittagsstunde an. Er betrachtete sie eine Weile, während sie ahnungslos in ihrer Lektüre fortfuhr. Im heilen Sonnenlicht wirkte ihr Gesicht sorgenlos und entspannt und etwas gereifter, als er es von Bakhalla her in Erinnerung hatte.
Er trat auf die Terrasse hinaus, und beim Hallen seiner Schritte blickte sie von ihrer Lektüre auf. Ihre Blicke trafen sich, und ihre Augen weiteten sich unter dem ernsten Blick, den er ihr schenkte.
„Wie ist es, Melissa, willst du mich heiraten?“ fragte er.
Das Blau ihrer Augen war so tief wie das Universum. Und wieder einmal, wie damals im Krankenhaus in Bakhalla, schien der Schutzwall der Einsamkeit, mit dem er sich nach all den Erfahrungen seines Lebens umgeben hatte, unter ihrem Blick zu schmelzen.
„Wenn du mich wirklich haben willst, Cletus“, sagte sie.
„Ja, das will ich“, erwiderte er.
Diesmal meinte er es aufrichtig. Doch sobald sich der Schutzwall in seinem Innern wieder aufzurichten begann, stieg in ihm, obwohl ihre Blicke immer noch ineinander ruhten, ein eiskaltes Gefühl auf, weil ihn sein Geist unmißverständlich daran erinnerte, daß er fortan zwangsläufig die Unwahrheit sagen mußte.