9
Cletus lag rücklings in seinem Krankenhausbett und schaute nachdenklich auf sein steifes linkes Bein, das, von der Sonne beschienen, in einem Streckverband über dem Bett hing.
„So“, hatte der Sanitätsoffizier vom Dienst, ein schroffer, mondgesichtiger, forscher Major mit einem fast grausamen Kichern bemerkt, als Cletus eingeliefert worden war, „Sie sind also der Typ, der sich keine Zeit nehmen will, um sich zu erholen, nicht wahr, Oberst?“ Das nächste, dessen Cletus gewahr wurde, war die Tatsache, daß er im Bett lag und sein Bein unbeweglich in einem Streckverband baumelte, der an der Decke befestigt war.
„Das ist aber schon drei Tage her“, bemerkte Cletus zu Arvid, der soeben eingetroffen war und befehlsmäßig einen Almanach über Kultis mitgebracht hatte. „Dabei hat er mir versprochen, daß ich am dritten Tag entlassen werde. Schauen Sie mal in den Flur hinaus und sehen Sie nach, ob er vielleicht in einem der anderen Zimmer ist.“
Arvid gehorchte, kam aber schon nach wenigen Minuten zurück und schüttelte den Kopf.
„Leider Fehlanzeige“, sagte er. „Aber General Traynor ist unterwegs, Sir. Die Schwester am Empfang sagte mir, er habe soeben angerufen, um zu erfahren, ob Sie noch da sind.“
„So?“ meinte Cletus. „Gut so. Natürlich wird er hier auftauchen.“ Er streckte die Hand aus und drückte auf den Knopf, um den Mechanismus zu betätigen, der sein Bett aufrichtete und ihn in sitzende Stellung brachte. „Ich will Ihnen was sagen, Arv.
Schauen Sie sich in den anderen Räumen um und sehen Sie zu, ob Sie mir ein paar Raumpostumschläge beschaffen können.“
„Umschläge für Raumpost?“ fragte Arvid zurück, um sich zu vergewissern, daß er richtig verstanden hatte. „In Ordnung, bin sofort zurück.“
Er ging hinaus, aber es dauerte dann doch eine Weile, bis er zurückkam. Immerhin brachte er fünf gelbe Briefumschläge mit, die für die Beförderung von Post per Raumschiff vorgeschrieben waren. Jeder Umschlag trug den rechteckigen Stempel der Poststelle des Erdterminals auf der Rückseite. Cletus legte die Umschläge lose zusammen und steckte sie in ein Fach seines Nachtschränkchens. Arvid schaute ihm zu.
„Haben Sie in dem Almanach gefunden, was Sie suchten, Sir?“ fragte er.
„Ja“, erwiderte Cletus. Und auf Arvids fragenden Blick hin, der immer noch auf ihm ruhte, setzte er hinzu: „Heute ist Neumond.“
„Oh“, erwiderte Arvid.
„Ja. Wenn der General hier ist, Arv“, sagte Cletus, „beziehen Sie auf dem Flur Posten und halten die Augen offen. Ich möchte nicht, daß wir diesen Arzt verpassen, nur weil der General zu Besuch kommt, und man mich deswegen einen weiteren Tag schmoren läßt. Für wann ist der Termin mit dem Offizier vom Sicherheitsdienst angesetzt?“
„Elf Uhr genau, Sir“, erwiderte Arvid.
„Jetzt ist es bereits halb zehn“, sagte Cletus, indem er auf seine Uhr schaute. „Arv, wenn Sie ins Badezimmer nebenan gehen, können Sie die Auffahrt sehen, die zum Krankenhaus führt. Wenn der General mit einem gewöhnlichen Wagen ankommt, können Sie ihn sehen. Würden Sie das für mich tun?“
Arv verschwand in der kleinen Duschzelle neben Cletus’ Badezimmer.
„Nichts zu sehen, Sir“, meldete er.
„Bleiben Sie auf dem Posten“, sagte Cletus.
Cletus lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen auf seinem Bett zurück. Natürlich hatte er den Besuch des Generals erwartet.
Fledermaus war der letzte auf einer langen Besucherliste nach Mondar, Eachan Khan, Melissa, Wefer Linet – und sogar Jarnki. Der junge Mann war gekommen, um Cletus stolz seine neuen Streifen zu präsentieren und ihm Bericht zu erstatten.
„Oberleutnant Athyer hat in seinem Bericht versucht, alle Lorbeeren für sich einzuheimsen“, erzählte Jarnki. „Wir haben es vom Kompanieschreiber erfahren. Doch die anderen und ich – wir haben die wahre Geschichte unter die Leute gebracht. Vielleicht ist die Sache bereits bis zum Offiziersklub durchgedrungen – bis zu denen, die in der Etappe sitzen und keine Ahnung vom Tuten und Blasen haben.“
„Danke“, sagte Cletus.
„Zum Teufel auch …“ sagte Jarnki, dann legte er eine Pause ein, weil er offensichtlich nicht wußte, wie er seine Gefühle ausdrücken sollte. Dann wechselte er das Thema. „Haben Sie keine Möglichkeit, Oberst, mich in Ihrer Nähe zu verwenden? Ich habe zwar eine Grundausbildung hinter mir, aber – vielleicht könnten sie einen Fahrer oder so was brauchen?“
Cletus lächelte. „Ich möchte Sie gern haben, Ed“, meinte er, „aber ich glaube kaum, daß ich Sie loseisen kann. Sie sind schließlich einer Kampftruppe zugeteilt.“
„Dann also nicht“, versetzte Jarnki enttäuscht. Dann ging er, nicht ohne Cletus vorher das Versprechen abgerungen zu haben, daß er ihn holen würde, sobald er verfügbar sei.
Jarnki hatte sich aber insofern geirrt, als er annahm, daß Athyers Bericht kommentarlos akzeptiert würde. Natürlich war der Leutnant bei seinen Kameraden als ein tüchtiger Feldoffizier bekannt – und es lag ebenso auf der Hand, daß Fledermaus nicht von ungefähr einen Offizier seiner Qualifikation gewählt hatte, um Cletus’ Voraussagen über das Eindringen der Guerillas zu prüfen. Wie Arvid nach jener Party bei Mondar berichtet hatte, ging das Gerücht, daß Fledermaus Traynor darauf aus war, Cletus für sich zu gewinnen. Ursprünglich sollte diese Information den Zweck haben, anderen anzudeuten, daß Cletus eine Person sei, der man besser aus dem Weg gehe. Doch jetzt, nachdem er am Blauen Fluß die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen, wandten sich ihm alle Sympathien zu – bis auf die der engsten Mitarbeiter von Fledermaus. Eachan Khan hatte sich für ihn eingesetzt, ebenso Wefer Linet aus seiner sicheren Position heraus, die er innerhalb der Kommandokette der Marine innehatte. Fledermaus konnte kaum all diese Reaktionen ignorieren, die reihum bei seinen Offizieren und der Mannschaft auftauchten. Darüber hinaus war er immerhin ein pflichtbewußter kommandierender Offizier im formalen Sinn. Zumindest aber war es erstaunlich, daß er nach alldem Cletus noch nicht im Krankenhaus besucht hatte.
Cletus versuchte sich zu entspannen, indem er die Spannung, die immer mehr Besitz von ihm ergriff, zu überwinden trachtete, und die Ungeduld niederkämpfte, die ihn überkam, weil er hier ans Bett gefesselt war, während tausend Aufgaben auf ihn warteten, die er lösen mußte. Wie würde die Zukunft aussehen? .. Nun, es wird kommen, wie es kommen muß …
Die Tür ging auf, und auf dieses Geräusch hin öffnete er die Augen. Er hob den Kopf, schaute nach rechts und erblickte Fledermaus Traynor, der das Krankenzimmer betrat. Arvid, der sich immer noch im Badezimmer befand, hatte ihn nicht gewarnt. Cletus hoffte inständig, daß der junge Leutnant soviel Feingefühl besitzen würde, sich nicht blicken zu lassen, jetzt, wo ihm der Weg aus dem Zimmer versperrt war.
Fledermaus trat an das Bett heran und schaute auf Cletus hinab, während er die buschigen Brauen zusammenzog.
„Nun, Oberst“, sagte er, holte sich einen Stuhl ans Bett, setzte sich und schaute Cletus ins Gesicht. Sein Lächeln war hart, obwohl er versuchte, freundlich dreinzublicken. „Wie ich sehe, hat man Sie immer noch an der Kandarre.“
„Es hieß, ich solle heute erlöst werden“, erwiderte Cletus. „Vielen Dank, daß Sie vorbeischauen, Sir.“
„Ich pflege meine Offiziere stets im Krankenhaus zu besuchen“, meinte Fledermaus. „Sie sind keine Ausnahme – obwohl Sie mit Ihren sechs Mann da oben am Blauen Fluß wirklich gute Arbeit geleistet haben, Oberst.“
„Die Guerillas waren nicht besonders darauf erpicht, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, Sir“, sagte Cletus. „Obendrein habe ich Glück gehabt, daß es mir gelungen ist, sie nach meiner Pfeife tanzen zu lassen. Sie wissen selbst, General, wie selten es vorkommt, daß draußen im Feld alles planmäßig verläuft.“
„Allerdings. Das können Sie mir glauben“, erwiderte Fledermaus. Seine Augen unter den buschigen Brauen waren fest, aber wachsam auf Cletus gerichtet. „Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Sie die Lage richtig eingeschätzt haben, daß Sie richtig kombinierten, an welcher Stelle sie durchbrechen und was sie nachher unternehmen würden.“
„Schön, das freut mich“, versetzte Cletus lächelnd. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, General, habe ich bei meinen Freunden auf der Erde meine Ehre verwettet, bevor ich abreiste.“
Er schaute scheinbar gedankenlos auf den kleinen Haufen Luftpostumschläge auf seinem Nachttisch. Fledermaus’ Augen folgten Cletus’ Blick und wurden schmal, als er die gelben Umschläge entdeckte.
„Sie haben wohl Glückwunschbriefe erhalten, nicht wahr?“ fragte Fledermaus.
„Nun ja, ein paar Leute hielten es für nötig, mir auf die Schulter zu klopfen“, sagte Cletus, wobei er allerdings verschwieg, daß die Gratulationen von irgendwelchen Lokalgrößen, wie etwa von Eachan, Mondar und Jarnki, der soeben zum Seargant befördert worden war, stammten. „Freilich war die Operation kein voller Erfolg. Wie ich hörte, ist es den übrigen Guerillas gelungen, durch den Paß zu entkommen, bevor Oberleutnant Athyer sie davon abhalten konnte.“
Fledermaus’ Augenbrauen zogen sich zu einem einzigen schwarzen Strich zusammen. „Machen Sie mir nichts vor, Oberst“, grollte er. „Athyers Bericht besagt, daß Sie ihn viel zu spät benachrichtigt haben, so daß er keine Zeit mehr gehabt hat, mit seinen Leuten den Paß zu sperren.“
„Wirklich, Sir?“ fragte Cletus. „Schön, dann war es eben mein Fehler. Schließlich ist Athyer ein erfahrener Feldoffizier, während ich nur ein Schreibtischhengst bin, ein Theoretiker. Und ich bin sicher, alle sind mittlerweile der Meinung, daß ich nichts weiter als Glück hatte, als das Scharmützel meiner Leute mit dem Gegner erfolgreich verlief – während sich die Sache beim Leutnant und seinen Mannen ganz anders verhielt.“
Für einen Augenblick tauchten ihre Blicke ineinander.
„Natürlich“, sagte Fledermaus grimmig. „Aber wenn es die anderen nicht begreifen, ich habe begriffen. Und das ist doch das, was zählt, nicht wahr, Oberst?“
„Jawohl, Sir“, erwiderte Cletus.
Fledermaus lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und seine Brauen glitten auseinander. „Trotzdem“, sagte er, „bin ich nicht nur gekommen, um Ihnen zu gratulieren. Einer Ihrer Vorschläge ist bei mir eingegangen, ein Antrag auf einen Mitarbeiterstab, um wöchentliche Vorhersagen über die Aktivitäten des Gegners zu machen, dazu der Antrag auf Personal und Büroräume für diesen Zweck. … Was mich angeht, Oberst, brauche ich Sie nach wie vor so nötig wie ein Fünfzig-Mann-Orchester. Doch Ihr Erfolg bei den Guerillas hat uns einigermaßen gute Publicity beim Hauptquartier der Allianz gebracht, und ich glaube nicht, daß sich Ihre Bemühungen um die Einrichtung eines Vorhersageteams hier auf Kultis negativ auf die weiteren kriegerischen Entwicklungen auswirken könnten. Also werde ich Ihren Antrag wohl genehmigen.“ Er legte eine Pause ein und wandte sich dann unvermittelt an Cletus. „Sind Sie nun zufrieden?“
„Jawohl, Sir“, erwiderte Cletus. „Vielen Dank, General.“
„Schon gut“, sagte Fledermaus grimmig. „Und was Athyer betrifft – er hatte seine Chance und ist auf die Schnauze gefallen. Ein Spezialausschuß wird seine Eignung als Allianz-Offizier prüfen. Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“
„Nein“, sagte Cletus.
Fledermaus stand abrupt auf. „Also gut“, sagte er. „Ich lasse mich ungern in die Enge treiben. Ich ziehe es vor, eine Gunst zu gewähren, bevor man mich darum bittet. Ich brauche also nach wie vor diese Panzer, Sie aber werden bei der ersten Möglichkeit, die sich bietet, zur Erde zurückkehren, Oberst. Prägen Sie sich das ein, und vergessen Sie’s nicht!“
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging auf die Tür zu.
„General“, sagte Cletus, „Sie könnten mir vielleicht einen Gefallen tun …“
Fledermaus drehte sich noch einmal um, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Also, was wünschen Sie?“ Seine Stimme klang hart. „Was darf es sein?“
„Die Exoten verfügen hier in Bakhalla über eine beachtliche Bibliothek“, meinte Cletus. „Sie enthält eine Menge militärischer Texte und Informationen.“
„Und was ist damit?“
„Wenn Sie mir gütigst verzeihen wollen, General“, sagte Cletus langsam, „Oberleutnant Athyers Problem liegt in einer etwas blühenden Phantasie und einem gewissen Mangel an Selbstvertrauen. Wenn er die Möglichkeit hätte, sich für eine Weile zu erholen und über sich nachzudenken – sagen wir als Informationsoffizier der Expeditionsarmee bei dieser exotischen Bibliothek –, so wage ich zu behaupten, daß er sich mit der Zeit als äußerst nützlich erweisen könnte.“
Fledermaus starrte Cletus an. „Warum in aller Welt“, sagte er sanft, „schlagen Sie für Athyer einen solchen Posten vor, anstatt ihn vor den Befragungsausschuß zu stellen?“
„Ich möchte nicht, daß uns ein wertvoller Mensch verlorengeht“, erwiderte Cletus.
Fledermaus grunzte. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Jetzt kam Arvid mit verlegenem Lächeln aus dem Badezimmer.
„Tut mir leid, Sir“, sagte er zu Cletus. „Der General muß per Hubschrauber gekommen und auf dem Dach gelandet sein.“
„Machen Sie sich nichts draus, Arv“, meinte Cletus gut gelaunt. „Gehen Sie noch mal auf den Flur und treiben Sie mir diesen Arzt auf. Ich muß hier raus.“
Zwanzig Minuten später, nachdem Arvid den Arzt aufgestöbert und herbeigeholt hatte, war Cletus aus seiner Heringsbüchse heraus und zu den Büroräumen unterwegs, die Arvid für ihn organisiert hatte. Es handelte sich um eine dieser Bürosuiten mit drei Zimmern und Bad, die die Exoten für ihre VIPs eingerichtet hatten. Zwei von den insgesamt drei Suiten standen leer, so daß man im wesentlichen das Gebäude für sich hatte – ein Punkt, den Cletus besonders betont hatte, bevor er Arvid auf die Suche schickte. Im Büro angekommen, mußte Cletus feststellen, daß die Einrichtung nur aus ein paar Feldstühlen und einem einfachen Schreibtisch bestand. Ein Major Anfang Vierzig mit einer weißen Narbe über dem Kinn war damit beschäftigt, die Einrichtung geringschätzig zu inspizieren.
„Major Wilson?“ fragte Cletus, als sich ihnen der Offizier zuwandte. „Ich bin Oberst Grahame.“
Die beiden Offiziere schüttelten sich die Hand.
„Der Sicherheitsdienst hat mich herübergeschickt“, sagte Wilson. „Haben Sie irgendwelche besonderen Probleme?“
„Eines gewiß“, erwiderte Cletus. „Wir werden hier eine Menge Material unter die Finger kriegen, überwiegend vertrauliche Informationen und geheime Dokumente. Ich soll allwöchentlich eine Vorhersage über feindliche Aktivitäten für General Traynor anfertigen. Früher oder später werden die Neuländer Wind davon bekommen und sich dann wahrscheinlich für diese Dienststelle interessieren. Und ich habe vor, eine Falle für ihre Agenten zu bauen.“
„Eine Falle, Sir?“ fragte Wilson überrascht.
„Genau das“, sagte Cletus verbindlich. „Ich möchte, daß sie jederzeit hereinkommen, wenn es ihnen beliebt, aber die Sache so einrichten, daß es für sie kein Entkommen mehr gibt.“
Er drehte sich um und zeigte auf die Wände, die den Raum einschlossen.
„So zum Beispiel“, fuhr er fort, „ein solides Stahlgitter vor den Fenstern im Innern, aber eins von jener Sorte, daß es mit herkömmlichem Werkzeug nicht durchschnitten oder aus der Verankerung gerissen werden kann. An der Außentür soll ein Schloß angebracht werden, das ins Auge fällt – gleichzeitg aber auch ein Geheimschloß, das sich nicht mehr öffnen läßt, sobald man das Schloß, das für jedermann sichtbar ist, geknackt, die Tür geöffnet und hinter sich geschlossen hat. Einen Metallrahmen und ein ebensolches Mittelfeld für den Türrahmen und für die Tür, damit keiner mehr entkommt, sobald das Geheimschloß einrastet … Vielleicht auch ein Netz, um die Türen, Fenster und das Entlüftungssystem unter Strom zu setzen, um jeden Ausbruchsversuch zu vereiteln.“
Wilson nickte langsam und zweifelnd. „Das erfordert eine Menge Arbeitszeit und einen großen Materialaufwand“, meinte er. „Ich nehme an, Oberst, daß Sie für all dies die Befugnis haben …“
„Die werde ich mir beschaffen“, sagte Cletus. „Ihre Abteilung soll aber gleich ans Werk gehen. Der General hat vor einer knappen Stunde im Krankenhaus gesagt, dieses Büro solle eingerichtet werden.“
„Der General – oh!“ sagte Wilson, plötzlich hellhörig geworden. „Selbstverständlich, Sir.“
„Also gut“, meinte Cletus. „Das wäre erledigt.“
Nachdem sie einige Einzelheiten besprochen hatten und Wilson Maß genommen hatte, entfernte sich der Sicherheitsoffizier. Cletus setzte Arvid an das Feldtelefon, neben Tisch und Stühlen der einzige Einrichtungsgegenstand im Raum, um Eachan Khan an die Strippe zu bekommen. Schließlich stöberte er den Dorsai-Oberst auf dem Übungsgelände auf, das für seine Söldnertruppen reserviert worden war.
„Darf ich kurz bei Ihnen vorbeischauen?“ fragte Cletus.
„Aber selbstverständlich.“ Eachans Gesicht nahm sich auf dem winzigen Bildschirm ziemlich merkwürdig aus. „Kommen Sie nur, Oberst. Sie sind jederzeit herzlich willkommen.“
„Gut“, sagte Cletus. „Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.“
Cletus legte auf. Er hinterließ Arvid den Auftrag, Möbel und Mitarbeiter für das Büro zu organisieren, nahm den Dienstwagen, in dem ihn Arvid hierhergebracht hatte, und fuhr zum Übungsgelände der Dorsai-Truppen hinaus.
Eachan Khan stand am Rande eines Feldes, in dessen Mitte ein zehn Meter hoher Metallturm emporragte und wo eine Kompanie Dorsai-Berufssoldaten das Landen mit dem Sprunggürtel übten. Die Reihe der Wartenden reichte bis weit hinter den Turm, während die anderen hintereinander von der Turmspitze sprangen, wobei die Schulterdüsen ihrer Sprunggürtel kurz aufheulten und eine kleine weißbraune Staubwolke ausstießen, sobald der Mann zu Boden schwebte. Während Cletus auf Eachan Khan zuhumpelte, der die Übung verfolgte, stellte er zufrieden fest, daß für Leute ohne Spezialausbildung die Anzahl der glatten Landungen erstaunlich groß war.
„Da sind Sie ja“, sagte Eachan, ohne sich umzusehen, als Cletus hinter ihm auftauchte. Der Dorsai-Oberst stand mit leicht gespreizten Beinen da, die Hände auf dem Rücken gefaltet, während er seine Leute beobachtete. „Was halten Sie von den Fortschritten, die meine Leute gemacht haben?“
„Ich bin beeindruckt“, erwiderte Cletus. „Was wissen Sie über den Guerilla-Verkehr auf dem Bakhalla?“
„Da weiß ich einiges, allerdings nur das, was sich auf den Flußabschnitt bezieht, der durch die Stadt zum Hafen führt.“ Eachan Khan schaute ihn fragend an. „Weniger Eindringlinge, eher Sabotagematerial, soweit ich sehen kann. Warum?“
„Heute ist Neumond“, erklärte Cletus.
„Wieso?“ Eachan schaute ihn fragend an.
„Nach der örtlichen Gezeitentabelle“, sagte Cletus, „soll die Tide heute besonders groß sein – alle Nebenflüsse und Kanäle werden weit über zwanzig Meilen landeinwärts Hochwasser führen. Die beste Gelegenheit für die Neuländer, große Mengen Nachschub oder schweres Gerät einzuschmuggeln.“
„Hm …“ Eachan zwirbelte den rechten Ast seines Schnurrbarts. „Trotzdem … wenn Sie mir einen kleinen Hinweis nicht übelnehmen wollen …?“
„Nur immer heraus damit“, sagte Cletus.
„Ich glaube nicht, daß man da noch viel tun kann“, meinte Eachan. „Der Fluß ist durch ein halbes Dutzend Amphibienfahrzeuge der Armee gesichert, mit jeweils sechs Mann und leichtem Geschütz an Bord. Das reicht natürlich bei weitem nicht aus, und das weiß jeder. Doch Ihr General Traynor schwört auf Landoperationen und Landgerät. Vor etwa sechs Monaten wurden ihm sechs gepanzerte Personenschiffe geliefert, nachdem er Ihrem Hauptquartier weisgemacht hatte, die Verteidigungsmaßnahmen für den Fluß seien ausreichend. Er entschied sich gegen die angebotenen Patrouillenschiffe. Wenn Sie also auf irgendwelche Schwierigkeiten hinweisen wollen, die möglicherweise am Fluß auftauchen, dürften Sie bei Traynor kaum einen Blumentopf gewinnen. Ich schlage vor, daß Sie zunächst einmal jede Aktivität der Neuländer scheinbar ignorieren.“
„Vielleicht haben Sie recht“, sagte Cletus. „Wie wär’s mit einem Lunch?“
Sie verließen den Übungsplatz und fuhren zum Offiziersklub, wo sie Melissa trafen, die auf Cletus’ Anregung hin durch einen Telefonanruf ihres Vaters herbeigerufen worden war. Sie gab sich etwas reserviert und versuchte, nach Möglichkeit Cletus’ Blick auszuweichen. Sie hatte Cletus einmal kurz im Krankenhaus besucht, hielt sich aber im Hintergrund und ließ ihren Vater die Unterhaltung bestreiten. Auch diesmal schien sie geneigt, ihm das Wort zu überlassen, obwohl sie Cletus gelegentlich einen Blick schenkte, wenn dieser gerade mit Eachan beschäftigt war. Cletus allerdings ignorierte ihre Reaktion und versuchte, ein freundliches Gespräch in Fluß zu halten.
„Wefer Linet hat mich eingeladen“, sagte Cletus zu ihr, als der Kaffee und der Nachtisch aufgetragen waren, „einen Unterwasserausflug mit dem Unterseeboot Mark V mitzumachen. Wie wäre es, wenn Sie uns Gesellschaft leisten und dann ein spätes Abendessen mit uns einnehmen würden?“
Melissa zögerte, aber Eachan reagierte fast etwas zu hastig. „Eine gute Idee, Kind“, sagte er schroff. „Warum auch nicht? Eine Abwechslung würde dir guttun.“
In Eachans Stimme lag ein Unterton, der sich fast wie ein Befehl anhörte. Doch in seinen harschen Worten schwang etwas mit, was einer Bitte gleichkam. Schließlich gab Melissa nach.
„Vielen Dank“, sagte sie und schlug die Augen auf, um Cletus’ Blick zu begegnen. „Es wird mir ein Vergnügen sein.“