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Cle­tus lag rück­lings in sei­nem Kran­ken­h­aus­bett und schau­te nach­denk­lich auf sein stei­fes lin­kes Bein, das, von der Son­ne be­schie­nen, in ei­nem Streck­ver­band über dem Bett hing.

„So“, hat­te der Sa­ni­täts­of­fi­zier vom Dienst, ein schrof­fer, mond­ge­sich­ti­ger, for­scher Ma­jor mit ei­nem fast grau­sa­men Ki­chern be­merkt, als Cle­tus ein­ge­lie­fert wor­den war, „Sie sind al­so der Typ, der sich kei­ne Zeit neh­men will, um sich zu er­ho­len, nicht wahr, Oberst?“ Das nächs­te, des­sen Cle­tus ge­wahr wur­de, war die Tat­sa­che, daß er im Bett lag und sein Bein un­be­weg­lich in ei­nem Streck­ver­band bau­mel­te, der an der De­cke be­fes­tigt war.

Das ist aber schon drei Ta­ge her“, be­merk­te Cle­tus zu Ar­vid, der so­eben ein­ge­trof­fen war und be­fehls­mä­ßig einen Al­ma­nach über Kul­tis mit­ge­bracht hat­te. „Da­bei hat er mir ver­spro­chen, daß ich am drit­ten Tag ent­las­sen wer­de. Schau­en Sie mal in den Flur hin­aus und se­hen Sie nach, ob er viel­leicht in ei­nem der an­de­ren Zim­mer ist.“

Ar­vid ge­horch­te, kam aber schon nach we­ni­gen Mi­nu­ten zu­rück und schüt­tel­te den Kopf.

„Lei­der Fehl­an­zei­ge“, sag­te er. „Aber Ge­ne­ral Tray­nor ist un­ter­wegs, Sir. Die Schwes­ter am Emp­fang sag­te mir, er ha­be so­eben an­ge­ru­fen, um zu er­fah­ren, ob Sie noch da sind.“

„So?“ mein­te Cle­tus. „Gut so. Na­tür­lich wird er hier auf­tau­chen.“ Er streck­te die Hand aus und drück­te auf den Knopf, um den Me­cha­nis­mus zu be­tä­ti­gen, der sein Bett auf­rich­te­te und ihn in sit­zen­de Stel­lung brach­te. „Ich will Ih­nen was sa­gen, Arv.

Schau­en Sie sich in den an­de­ren Räu­men um und se­hen Sie zu, ob Sie mir ein paar Raum­po­s­tum­schlä­ge be­schaf­fen kön­nen.“

„Um­schlä­ge für Raum­post?“ frag­te Ar­vid zu­rück, um sich zu ver­ge­wis­sern, daß er rich­tig ver­stan­den hat­te. „In Ord­nung, bin so­fort zu­rück.“

Er ging hin­aus, aber es dau­er­te dann doch ei­ne Wei­le, bis er zu­rück­kam. Im­mer­hin brach­te er fünf gel­be Brief­um­schlä­ge mit, die für die Be­för­de­rung von Post per Raum­schiff vor­ge­schrie­ben wa­ren. Je­der Um­schlag trug den recht­e­cki­gen Stem­pel der Post­stel­le des Erd­ter­mi­nals auf der Rück­sei­te. Cle­tus leg­te die Um­schlä­ge lo­se zu­sam­men und steck­te sie in ein Fach sei­nes Nacht­schränk­chens. Ar­vid schau­te ihm zu.

„Ha­ben Sie in dem Al­ma­nach ge­fun­den, was Sie such­ten, Sir?“ frag­te er.

„Ja“, er­wi­der­te Cle­tus. Und auf Ar­vids fra­gen­den Blick hin, der im­mer noch auf ihm ruh­te, setz­te er hin­zu: „Heu­te ist Neu­mond.“

„Oh“, er­wi­der­te Ar­vid.

„Ja. Wenn der Ge­ne­ral hier ist, Arv“, sag­te Cle­tus, „be­zie­hen Sie auf dem Flur Pos­ten und hal­ten die Au­gen of­fen. Ich möch­te nicht, daß wir die­sen Arzt ver­pas­sen, nur weil der Ge­ne­ral zu Be­such kommt, und man mich des­we­gen einen wei­te­ren Tag schmo­ren läßt. Für wann ist der Ter­min mit dem Of­fi­zier vom Si­cher­heits­dienst an­ge­setzt?“

„Elf Uhr ge­nau, Sir“, er­wi­der­te Ar­vid.

„Jetzt ist es be­reits halb zehn“, sag­te Cle­tus, in­dem er auf sei­ne Uhr schau­te. „Arv, wenn Sie ins Ba­de­zim­mer ne­ben­an ge­hen, kön­nen Sie die Auf­fahrt se­hen, die zum Kran­ken­haus führt. Wenn der Ge­ne­ral mit ei­nem ge­wöhn­li­chen Wa­gen an­kommt, kön­nen Sie ihn se­hen. Wür­den Sie das für mich tun?“

Arv ver­schwand in der klei­nen Dusch­zel­le ne­ben Cle­tus’ Ba­de­zim­mer.

„Nichts zu se­hen, Sir“, mel­de­te er.

„Blei­ben Sie auf dem Pos­ten“, sag­te Cle­tus.

Cle­tus lehn­te sich mit halb­ge­schlos­se­nen Au­gen auf sei­nem Bett zu­rück. Na­tür­lich hat­te er den Be­such des Ge­ne­rals er­war­tet.

Fle­der­maus war der letz­te auf ei­ner lan­gen Be­su­cher­lis­te nach Mon­dar, Eachan Khan, Me­lis­sa, We­fer Li­net – und so­gar Jarn­ki. Der jun­ge Mann war ge­kom­men, um Cle­tus stolz sei­ne neu­en Strei­fen zu prä­sen­tie­ren und ihm Be­richt zu er­stat­ten.

„Ober­leut­nant Athyer hat in sei­nem Be­richt ver­sucht, al­le Lor­bee­ren für sich ein­zu­heim­sen“, er­zähl­te Jarn­ki. „Wir ha­ben es vom Kom­pa­nie­schrei­ber er­fah­ren. Doch die an­de­ren und ich – wir ha­ben die wah­re Ge­schich­te un­ter die Leu­te ge­bracht. Viel­leicht ist die Sa­che be­reits bis zum Of­fi­zier­sklub durch­ge­drun­gen – bis zu de­nen, die in der Etap­pe sit­zen und kei­ne Ah­nung vom Tu­ten und Bla­sen ha­ben.“

„Dan­ke“, sag­te Cle­tus.

„Zum Teu­fel auch …“ sag­te Jarn­ki, dann leg­te er ei­ne Pau­se ein, weil er of­fen­sicht­lich nicht wuß­te, wie er sei­ne Ge­füh­le aus­drücken soll­te. Dann wech­sel­te er das The­ma. „Ha­ben Sie kei­ne Mög­lich­keit, Oberst, mich in Ih­rer Nä­he zu ver­wen­den? Ich ha­be zwar ei­ne Grund­aus­bil­dung hin­ter mir, aber – viel­leicht könn­ten sie einen Fah­rer oder so was brau­chen?“

Cle­tus lä­chel­te. „Ich möch­te Sie gern ha­ben, Ed“, mein­te er, „aber ich glau­be kaum, daß ich Sie losei­sen kann. Sie sind schließ­lich ei­ner Kampf­trup­pe zu­ge­teilt.“

„Dann al­so nicht“, ver­setz­te Jarn­ki ent­täuscht. Dann ging er, nicht oh­ne Cle­tus vor­her das Ver­spre­chen ab­ge­run­gen zu ha­ben, daß er ihn ho­len wür­de, so­bald er ver­füg­bar sei.

Jarn­ki hat­te sich aber in­so­fern ge­irrt, als er an­nahm, daß Athyers Be­richt kom­men­tar­los ak­zep­tiert wür­de. Na­tür­lich war der Leut­nant bei sei­nen Ka­me­ra­den als ein tüch­ti­ger Fel­d­of­fi­zier be­kannt – und es lag eben­so auf der Hand, daß Fle­der­maus nicht von un­ge­fähr einen Of­fi­zier sei­ner Qua­li­fi­ka­ti­on ge­wählt hat­te, um Cle­tus’ Vor­aus­sa­gen über das Ein­drin­gen der Gue­ril­las zu prü­fen. Wie Ar­vid nach je­ner Par­ty bei Mon­dar be­rich­tet hat­te, ging das Ge­rücht, daß Fle­der­maus Tray­nor dar­auf aus war, Cle­tus für sich zu ge­win­nen. Ur­sprüng­lich soll­te die­se In­for­ma­ti­on den Zweck ha­ben, an­de­ren an­zu­deu­ten, daß Cle­tus ei­ne Per­son sei, der man bes­ser aus dem Weg ge­he. Doch jetzt, nach­dem er am Blau­en Fluß die Kas­ta­ni­en aus dem Feu­er ge­holt hat­te, oh­ne sich da­bei die Fin­ger zu ver­bren­nen, wand­ten sich ihm al­le Sym­pa­thi­en zu – bis auf die der engs­ten Mit­ar­bei­ter von Fle­der­maus. Eachan Khan hat­te sich für ihn ein­ge­setzt, eben­so We­fer Li­net aus sei­ner si­che­ren Po­si­ti­on her­aus, die er in­ner­halb der Kom­man­do­ket­te der Ma­ri­ne in­ne­hat­te. Fle­der­maus konn­te kaum all die­se Re­ak­tio­nen igno­rie­ren, die reihum bei sei­nen Of­fi­zie­ren und der Mann­schaft auf­tauch­ten. Dar­über hin­aus war er im­mer­hin ein pflicht­be­wuß­ter kom­man­die­ren­der Of­fi­zier im for­ma­len Sinn. Zu­min­dest aber war es er­staun­lich, daß er nach all­dem Cle­tus noch nicht im Kran­ken­haus be­sucht hat­te.

Cle­tus ver­such­te sich zu ent­span­nen, in­dem er die Span­nung, die im­mer mehr Be­sitz von ihm er­griff, zu über­win­den trach­te­te, und die Un­ge­duld nie­der­kämpf­te, die ihn über­kam, weil er hier ans Bett ge­fes­selt war, wäh­rend tau­send Auf­ga­ben auf ihn war­te­ten, die er lö­sen muß­te. Wie wür­de die Zu­kunft aus­se­hen? .. Nun, es wird kom­men, wie es kom­men muß …

Die Tür ging auf, und auf die­ses Ge­räusch hin öff­ne­te er die Au­gen. Er hob den Kopf, schau­te nach rechts und er­blick­te Fle­der­maus Tray­nor, der das Kran­ken­zim­mer be­trat. Ar­vid, der sich im­mer noch im Ba­de­zim­mer be­fand, hat­te ihn nicht ge­warnt. Cle­tus hoff­te in­stän­dig, daß der jun­ge Leut­nant so­viel Fein­ge­fühl be­sit­zen wür­de, sich nicht bli­cken zu las­sen, jetzt, wo ihm der Weg aus dem Zim­mer ver­sperrt war.

Fle­der­maus trat an das Bett her­an und schau­te auf Cle­tus hin­ab, wäh­rend er die bu­schi­gen Brau­en zu­sam­men­zog.

„Nun, Oberst“, sag­te er, hol­te sich einen Stuhl ans Bett, setz­te sich und schau­te Cle­tus ins Ge­sicht. Sein Lä­cheln war hart, ob­wohl er ver­such­te, freund­lich drein­zu­bli­cken. „Wie ich se­he, hat man Sie im­mer noch an der Kan­dar­re.“

„Es hieß, ich sol­le heu­te er­löst wer­den“, er­wi­der­te Cle­tus. „Vie­len Dank, daß Sie vor­bei­schau­en, Sir.“

„Ich pfle­ge mei­ne Of­fi­zie­re stets im Kran­ken­haus zu be­su­chen“, mein­te Fle­der­maus. „Sie sind kei­ne Aus­nah­me – ob­wohl Sie mit Ih­ren sechs Mann da oben am Blau­en Fluß wirk­lich gu­te Ar­beit ge­leis­tet ha­ben, Oberst.“

„Die Gue­ril­las wa­ren nicht be­son­ders dar­auf er­picht, es auf einen Kampf an­kom­men zu las­sen, Sir“, sag­te Cle­tus. „Oben­drein ha­be ich Glück ge­habt, daß es mir ge­lun­gen ist, sie nach mei­ner Pfei­fe tan­zen zu las­sen. Sie wis­sen selbst, Ge­ne­ral, wie sel­ten es vor­kommt, daß drau­ßen im Feld al­les plan­mä­ßig ver­läuft.“

„Al­ler­dings. Das kön­nen Sie mir glau­ben“, er­wi­der­te Fle­der­maus. Sei­ne Au­gen un­ter den bu­schi­gen Brau­en wa­ren fest, aber wach­sam auf Cle­tus ge­rich­tet. „Das än­dert aber nichts an der Tat­sa­che, daß Sie die La­ge rich­tig ein­ge­schätzt ha­ben, daß Sie rich­tig kom­bi­nier­ten, an wel­cher Stel­le sie durch­bre­chen und was sie nach­her un­ter­neh­men wür­den.“

„Schön, das freut mich“, ver­setz­te Cle­tus lä­chelnd. „Wie ich Ih­nen be­reits ge­sagt ha­be, Ge­ne­ral, ha­be ich bei mei­nen Freun­den auf der Er­de mei­ne Eh­re ver­wet­tet, be­vor ich ab­reis­te.“

Er schau­te schein­bar ge­dan­ken­los auf den klei­nen Hau­fen Luft­po­s­tum­schlä­ge auf sei­nem Nacht­tisch. Fle­der­maus’ Au­gen folg­ten Cle­tus’ Blick und wur­den schmal, als er die gel­ben Um­schlä­ge ent­deck­te.

„Sie ha­ben wohl Glück­wunsch­brie­fe er­hal­ten, nicht wahr?“ frag­te Fle­der­maus.

„Nun ja, ein paar Leu­te hiel­ten es für nö­tig, mir auf die Schul­ter zu klop­fen“, sag­te Cle­tus, wo­bei er al­ler­dings ver­schwieg, daß die Gra­tu­la­tio­nen von ir­gend­wel­chen Lo­kal­grö­ßen, wie et­wa von Eachan, Mon­dar und Jarn­ki, der so­eben zum Sear­gant be­för­dert wor­den war, stamm­ten. „Frei­lich war die Ope­ra­ti­on kein vol­ler Er­folg. Wie ich hör­te, ist es den üb­ri­gen Gue­ril­las ge­lun­gen, durch den Paß zu ent­kom­men, be­vor Ober­leut­nant Athyer sie da­von ab­hal­ten konn­te.“

Fle­der­maus’ Au­gen­brau­en zo­gen sich zu ei­nem ein­zi­gen schwar­zen Strich zu­sam­men. „Ma­chen Sie mir nichts vor, Oberst“, groll­te er. „Athyers Be­richt be­sagt, daß Sie ihn viel zu spät be­nach­rich­tigt ha­ben, so daß er kei­ne Zeit mehr ge­habt hat, mit sei­nen Leu­ten den Paß zu sper­ren.“

„Wirk­lich, Sir?“ frag­te Cle­tus. „Schön, dann war es eben mein Feh­ler. Schließ­lich ist Athyer ein er­fah­re­ner Fel­d­of­fi­zier, wäh­rend ich nur ein Schreib­tisch­hengst bin, ein Theo­re­ti­ker. Und ich bin si­cher, al­le sind mitt­ler­wei­le der Mei­nung, daß ich nichts wei­ter als Glück hat­te, als das Schar­müt­zel mei­ner Leu­te mit dem Geg­ner er­folg­reich ver­lief – wäh­rend sich die Sa­che beim Leut­nant und sei­nen Man­nen ganz an­ders ver­hielt.“

Für einen Au­gen­blick tauch­ten ih­re Bli­cke in­ein­an­der.

„Na­tür­lich“, sag­te Fle­der­maus grim­mig. „Aber wenn es die an­de­ren nicht be­grei­fen, ich ha­be be­grif­fen. Und das ist doch das, was zählt, nicht wahr, Oberst?“

„Ja­wohl, Sir“, er­wi­der­te Cle­tus.

Fle­der­maus lehn­te sich in sei­nem Stuhl zu­rück, und sei­ne Brau­en glit­ten aus­ein­an­der. „Trotz­dem“, sag­te er, „bin ich nicht nur ge­kom­men, um Ih­nen zu gra­tu­lie­ren. Ei­ner Ih­rer Vor­schlä­ge ist bei mir ein­ge­gan­gen, ein An­trag auf einen Mit­ar­bei­ter­stab, um wö­chent­li­che Vor­her­sa­gen über die Ak­ti­vi­tä­ten des Geg­ners zu ma­chen, da­zu der An­trag auf Per­so­nal und Bü­ro­räu­me für die­sen Zweck. … Was mich an­geht, Oberst, brau­che ich Sie nach wie vor so nö­tig wie ein Fünf­zig-Mann-Or­che­s­ter. Doch Ihr Er­folg bei den Gue­ril­las hat uns ei­ni­ger­ma­ßen gu­te Pu­bli­ci­ty beim Haupt­quar­tier der Al­li­anz ge­bracht, und ich glau­be nicht, daß sich Ih­re Be­mü­hun­gen um die Ein­rich­tung ei­nes Vor­her­sa­ge­teams hier auf Kul­tis ne­ga­tiv auf die wei­te­ren krie­ge­ri­schen Ent­wick­lun­gen aus­wir­ken könn­ten. Al­so wer­de ich Ih­ren An­trag wohl ge­neh­mi­gen.“ Er leg­te ei­ne Pau­se ein und wand­te sich dann un­ver­mit­telt an Cle­tus. „Sind Sie nun zu­frie­den?“

„Ja­wohl, Sir“, er­wi­der­te Cle­tus. „Vie­len Dank, Ge­ne­ral.“

„Schon gut“, sag­te Fle­der­maus grim­mig. „Und was Athyer be­trifft – er hat­te sei­ne Chan­ce und ist auf die Schnau­ze ge­fal­len. Ein Spe­zi­al­aus­schuß wird sei­ne Eig­nung als Al­li­anz-Of­fi­zier prü­fen. Ha­ben Sie sonst noch et­was auf dem Her­zen?“

„Nein“, sag­te Cle­tus.

Fle­der­maus stand ab­rupt auf. „Al­so gut“, sag­te er. „Ich las­se mich un­gern in die En­ge trei­ben. Ich zie­he es vor, ei­ne Gunst zu ge­wäh­ren, be­vor man mich dar­um bit­tet. Ich brau­che al­so nach wie vor die­se Pan­zer, Sie aber wer­den bei der ers­ten Mög­lich­keit, die sich bie­tet, zur Er­de zu­rück­keh­ren, Oberst. Prä­gen Sie sich das ein, und ver­ges­sen Sie’s nicht!“

Er dreh­te sich auf dem Ab­satz um und ging auf die Tür zu.

„Ge­ne­ral“, sag­te Cle­tus, „Sie könn­ten mir viel­leicht einen Ge­fal­len tun …“

Fle­der­maus dreh­te sich noch ein­mal um, und sein Ge­sicht ver­düs­ter­te sich. „Al­so, was wün­schen Sie?“ Sei­ne Stim­me klang hart. „Was darf es sein?“

„Die Exo­ten ver­fü­gen hier in Bak­hal­la über ei­ne be­acht­li­che Bi­blio­thek“, mein­te Cle­tus. „Sie ent­hält ei­ne Men­ge mi­li­tä­ri­scher Tex­te und In­for­ma­tio­nen.“

„Und was ist da­mit?“

„Wenn Sie mir gü­tigst ver­zei­hen wol­len, Ge­ne­ral“, sag­te Cle­tus lang­sam, „Ober­leut­nant Athyers Pro­blem liegt in ei­ner et­was blü­hen­den Phan­ta­sie und ei­nem ge­wis­sen Man­gel an Selbst­ver­trau­en. Wenn er die Mög­lich­keit hät­te, sich für ei­ne Wei­le zu er­ho­len und über sich nach­zu­den­ken – sa­gen wir als In­for­ma­ti­ons­of­fi­zier der Ex­pe­di­ti­ons­ar­mee bei die­ser exo­ti­schen Bi­blio­thek –, so wa­ge ich zu be­haup­ten, daß er sich mit der Zeit als äu­ßerst nütz­lich er­wei­sen könn­te.“

Fle­der­maus starr­te Cle­tus an. „Warum in al­ler Welt“, sag­te er sanft, „schla­gen Sie für Athyer einen sol­chen Pos­ten vor, an­statt ihn vor den Be­fra­gungs­aus­schuß zu stel­len?“

„Ich möch­te nicht, daß uns ein wert­vol­ler Mensch ver­lo­ren­geht“, er­wi­der­te Cle­tus.

Fle­der­maus grunz­te. Dann mach­te er auf dem Ab­satz kehrt und ver­ließ das Zim­mer, oh­ne ein wei­te­res Wort zu ver­lie­ren. Jetzt kam Ar­vid mit ver­le­ge­nem Lä­cheln aus dem Ba­de­zim­mer.

„Tut mir leid, Sir“, sag­te er zu Cle­tus. „Der Ge­ne­ral muß per Hub­schrau­ber ge­kom­men und auf dem Dach ge­lan­det sein.“

„Ma­chen Sie sich nichts draus, Arv“, mein­te Cle­tus gut ge­launt. „Ge­hen Sie noch mal auf den Flur und trei­ben Sie mir die­sen Arzt auf. Ich muß hier raus.“

Zwan­zig Mi­nu­ten spä­ter, nach­dem Ar­vid den Arzt auf­ge­stö­bert und her­bei­ge­holt hat­te, war Cle­tus aus sei­ner He­rings­büch­se her­aus und zu den Bü­ro­räu­men un­ter­wegs, die Ar­vid für ihn or­ga­ni­siert hat­te. Es han­del­te sich um ei­ne die­ser Bü­ro­sui­ten mit drei Zim­mern und Bad, die die Exo­ten für ih­re VIPs ein­ge­rich­tet hat­ten. Zwei von den ins­ge­samt drei Sui­ten stan­den leer, so daß man im we­sent­li­chen das Ge­bäu­de für sich hat­te – ein Punkt, den Cle­tus be­son­ders be­tont hat­te, be­vor er Ar­vid auf die Su­che schick­te. Im Bü­ro an­ge­kom­men, muß­te Cle­tus fest­stel­len, daß die Ein­rich­tung nur aus ein paar Feld­stüh­len und ei­nem ein­fa­chen Schreib­tisch be­stand. Ein Ma­jor An­fang Vier­zig mit ei­ner wei­ßen Nar­be über dem Kinn war da­mit be­schäf­tigt, die Ein­rich­tung ge­ring­schät­zig zu in­spi­zie­ren.

„Ma­jor Wil­son?“ frag­te Cle­tus, als sich ih­nen der Of­fi­zier zu­wand­te. „Ich bin Oberst Gra­ha­me.“

Die bei­den Of­fi­zie­re schüt­tel­ten sich die Hand.

„Der Si­cher­heits­dienst hat mich her­über­ge­schickt“, sag­te Wil­son. „Ha­ben Sie ir­gend­wel­che be­son­de­ren Pro­ble­me?“

„Ei­nes ge­wiß“, er­wi­der­te Cle­tus. „Wir wer­den hier ei­ne Men­ge Ma­te­ri­al un­ter die Fin­ger krie­gen, über­wie­gend ver­trau­li­che In­for­ma­tio­nen und ge­hei­me Do­ku­men­te. Ich soll all­wö­chent­lich ei­ne Vor­her­sa­ge über feind­li­che Ak­ti­vi­tä­ten für Ge­ne­ral Tray­nor an­fer­ti­gen. Frü­her oder spä­ter wer­den die Neu­län­der Wind da­von be­kom­men und sich dann wahr­schein­lich für die­se Dienst­stel­le in­ter­es­sie­ren. Und ich ha­be vor, ei­ne Fal­le für ih­re Agen­ten zu bau­en.“

„Ei­ne Fal­le, Sir?“ frag­te Wil­son über­rascht.

„Ge­nau das“, sag­te Cle­tus ver­bind­lich. „Ich möch­te, daß sie je­der­zeit her­ein­kom­men, wenn es ih­nen be­liebt, aber die Sa­che so ein­rich­ten, daß es für sie kein Ent­kom­men mehr gibt.“

Er dreh­te sich um und zeig­te auf die Wän­de, die den Raum ein­schlos­sen.

„So zum Bei­spiel“, fuhr er fort, „ein so­li­des Stahl­git­ter vor den Fens­tern im In­nern, aber eins von je­ner Sor­te, daß es mit her­kömm­li­chem Werk­zeug nicht durch­schnit­ten oder aus der Ver­an­ke­rung ge­ris­sen wer­den kann. An der Au­ßen­tür soll ein Schloß an­ge­bracht wer­den, das ins Au­ge fällt – gleich­zeitg aber auch ein Ge­heim­schloß, das sich nicht mehr öff­nen läßt, so­bald man das Schloß, das für je­der­mann sicht­bar ist, ge­knackt, die Tür ge­öff­net und hin­ter sich ge­schlos­sen hat. Einen Me­tall­rah­men und ein eben­sol­ches Mit­tel­feld für den Tür­rah­men und für die Tür, da­mit kei­ner mehr ent­kommt, so­bald das Ge­heim­schloß ein­ras­tet … Viel­leicht auch ein Netz, um die Tü­ren, Fens­ter und das Ent­lüf­tungs­sys­tem un­ter Strom zu set­zen, um je­den Aus­bruchs­ver­such zu ver­ei­teln.“

Wil­son nick­te lang­sam und zwei­felnd. „Das er­for­dert ei­ne Men­ge Ar­beits­zeit und einen großen Ma­te­ri­al­auf­wand“, mein­te er. „Ich neh­me an, Oberst, daß Sie für all dies die Be­fug­nis ha­ben …“

„Die wer­de ich mir be­schaf­fen“, sag­te Cle­tus. „Ih­re Ab­tei­lung soll aber gleich ans Werk ge­hen. Der Ge­ne­ral hat vor ei­ner knap­pen Stun­de im Kran­ken­haus ge­sagt, die­ses Bü­ro sol­le ein­ge­rich­tet wer­den.“

„Der Ge­ne­ral – oh!“ sag­te Wil­son, plötz­lich hell­hö­rig ge­wor­den. „Selbst­ver­ständ­lich, Sir.“

„Al­so gut“, mein­te Cle­tus. „Das wä­re er­le­digt.“

Nach­dem sie ei­ni­ge Ein­zel­hei­ten be­spro­chen hat­ten und Wil­son Maß ge­nom­men hat­te, ent­fern­te sich der Si­cher­heits­of­fi­zier. Cle­tus setz­te Ar­vid an das Feld­te­le­fon, ne­ben Tisch und Stüh­len der ein­zi­ge Ein­rich­tungs­ge­gen­stand im Raum, um Eachan Khan an die Strip­pe zu be­kom­men. Schließ­lich stö­ber­te er den Dor­sai-Oberst auf dem Übungs­ge­län­de auf, das für sei­ne Söld­ner­trup­pen re­ser­viert wor­den war.

„Darf ich kurz bei Ih­nen vor­bei­schau­en?“ frag­te Cle­tus.

„Aber selbst­ver­ständ­lich.“ Eachans Ge­sicht nahm sich auf dem win­zi­gen Bild­schirm ziem­lich merk­wür­dig aus. „Kom­men Sie nur, Oberst. Sie sind je­der­zeit herz­lich will­kom­men.“

„Gut“, sag­te Cle­tus. „Ich bin in ei­ner hal­b­en Stun­de bei Ih­nen.“

Cle­tus leg­te auf. Er hin­ter­ließ Ar­vid den Auf­trag, Mö­bel und Mit­ar­bei­ter für das Bü­ro zu or­ga­ni­sie­ren, nahm den Dienst­wa­gen, in dem ihn Ar­vid hier­her­ge­bracht hat­te, und fuhr zum Übungs­ge­län­de der Dor­sai-Trup­pen hin­aus.

Eachan Khan stand am Ran­de ei­nes Fel­des, in des­sen Mit­te ein zehn Me­ter ho­her Me­tall­turm em­por­rag­te und wo ei­ne Kom­pa­nie Dor­sai-Be­rufs­sol­da­ten das Lan­den mit dem Sprung­gür­tel üb­ten. Die Rei­he der War­ten­den reich­te bis weit hin­ter den Turm, wäh­rend die an­de­ren hin­ter­ein­an­der von der Turm­spit­ze spran­gen, wo­bei die Schul­ter­dü­sen ih­rer Sprung­gür­tel kurz auf­heul­ten und ei­ne klei­ne weiß­brau­ne Staub­wol­ke aus­stie­ßen, so­bald der Mann zu Bo­den schweb­te. Wäh­rend Cle­tus auf Eachan Khan zu­hum­pel­te, der die Übung ver­folg­te, stell­te er zu­frie­den fest, daß für Leu­te oh­ne Spe­zi­al­aus­bil­dung die An­zahl der glat­ten Lan­dun­gen er­staun­lich groß war.

„Da sind Sie ja“, sag­te Eachan, oh­ne sich um­zu­se­hen, als Cle­tus hin­ter ihm auf­tauch­te. Der Dor­sai-Oberst stand mit leicht ge­spreiz­ten Bei­nen da, die Hän­de auf dem Rücken ge­fal­tet, wäh­rend er sei­ne Leu­te be­ob­ach­te­te. „Was hal­ten Sie von den Fort­schrit­ten, die mei­ne Leu­te ge­macht ha­ben?“

„Ich bin be­ein­druckt“, er­wi­der­te Cle­tus. „Was wis­sen Sie über den Gue­ril­la-Ver­kehr auf dem Bak­hal­la?“

„Da weiß ich ei­ni­ges, al­ler­dings nur das, was sich auf den Fluß­ab­schnitt be­zieht, der durch die Stadt zum Ha­fen führt.“ Eachan Khan schau­te ihn fra­gend an. „We­ni­ger Ein­dring­lin­ge, eher Sa­bo­ta­ge­ma­te­ri­al, so­weit ich se­hen kann. Warum?“

„Heu­te ist Neu­mond“, er­klär­te Cle­tus.

„Wie­so?“ Eachan schau­te ihn fra­gend an.

„Nach der ört­li­chen Ge­zei­ten­ta­bel­le“, sag­te Cle­tus, „soll die Ti­de heu­te be­son­ders groß sein – al­le Ne­ben­flüs­se und Kanä­le wer­den weit über zwan­zig Mei­len land­ein­wärts Hoch­was­ser füh­ren. Die bes­te Ge­le­gen­heit für die Neu­län­der, große Men­gen Nach­schub oder schwe­res Ge­rät ein­zu­schmug­geln.“

„Hm …“ Eachan zwir­bel­te den rech­ten Ast sei­nes Schnurr­barts. „Trotz­dem … wenn Sie mir einen klei­nen Hin­weis nicht übel­neh­men wol­len …?“

„Nur im­mer her­aus da­mit“, sag­te Cle­tus.

„Ich glau­be nicht, daß man da noch viel tun kann“, mein­te Eachan. „Der Fluß ist durch ein hal­b­es Dut­zend Am­phi­bi­en­fahr­zeu­ge der Ar­mee ge­si­chert, mit je­weils sechs Mann und leich­tem Ge­schütz an Bord. Das reicht na­tür­lich bei wei­tem nicht aus, und das weiß je­der. Doch Ihr Ge­ne­ral Tray­nor schwört auf Lan­d­ope­ra­tio­nen und Land­ge­rät. Vor et­wa sechs Mo­na­ten wur­den ihm sechs ge­pan­zer­te Per­so­nen­schif­fe ge­lie­fert, nach­dem er Ih­rem Haupt­quar­tier weis­ge­macht hat­te, die Ver­tei­di­gungs­maß­nah­men für den Fluß sei­en aus­rei­chend. Er ent­schied sich ge­gen die an­ge­bo­te­nen Pa­trouil­len­schif­fe. Wenn Sie al­so auf ir­gend­wel­che Schwie­rig­kei­ten hin­wei­sen wol­len, die mög­li­cher­wei­se am Fluß auf­tau­chen, dürf­ten Sie bei Tray­nor kaum einen Blu­men­topf ge­win­nen. Ich schla­ge vor, daß Sie zu­nächst ein­mal je­de Ak­ti­vi­tät der Neu­län­der schein­bar igno­rie­ren.“

„Viel­leicht ha­ben Sie recht“, sag­te Cle­tus. „Wie wär’s mit ei­nem Lunch?“

Sie ver­lie­ßen den Übungs­platz und fuh­ren zum Of­fi­zier­sklub, wo sie Me­lis­sa tra­fen, die auf Cle­tus’ An­re­gung hin durch einen Te­le­fon­an­ruf ih­res Va­ters her­bei­ge­ru­fen wor­den war. Sie gab sich et­was re­ser­viert und ver­such­te, nach Mög­lich­keit Cle­tus’ Blick aus­zu­wei­chen. Sie hat­te Cle­tus ein­mal kurz im Kran­ken­haus be­sucht, hielt sich aber im Hin­ter­grund und ließ ih­ren Va­ter die Un­ter­hal­tung be­strei­ten. Auch dies­mal schi­en sie ge­neigt, ihm das Wort zu über­las­sen, ob­wohl sie Cle­tus ge­le­gent­lich einen Blick schenk­te, wenn die­ser ge­ra­de mit Eachan be­schäf­tigt war. Cle­tus al­ler­dings igno­rier­te ih­re Re­ak­ti­on und ver­such­te, ein freund­li­ches Ge­spräch in Fluß zu hal­ten.

„We­fer Li­net hat mich ein­ge­la­den“, sag­te Cle­tus zu ihr, als der Kaf­fee und der Nach­tisch auf­ge­tra­gen wa­ren, „einen Un­ter­was­ser­aus­flug mit dem Un­ter­see­boot Mark V mitz­u­ma­chen. Wie wä­re es, wenn Sie uns Ge­sell­schaft leis­ten und dann ein spä­tes Abendes­sen mit uns ein­neh­men wür­den?“

Me­lis­sa zö­ger­te, aber Eachan rea­gier­te fast et­was zu has­tig. „Ei­ne gu­te Idee, Kind“, sag­te er schroff. „Warum auch nicht? Ei­ne Ab­wechs­lung wür­de dir gut­tun.“

In Eachans Stim­me lag ein Un­ter­ton, der sich fast wie ein Be­fehl an­hör­te. Doch in sei­nen har­schen Wor­ten schwang et­was mit, was ei­ner Bit­te gleich­kam. Schließ­lich gab Me­lis­sa nach.

„Vie­len Dank“, sag­te sie und schlug die Au­gen auf, um Cle­tus’ Blick zu be­geg­nen. „Es wird mir ein Ver­gnü­gen sein.“