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Ei­ne Wo­che spä­ter kehr­te Cle­tus mit zwei gechar­ter­ten Fracht­schif­fen zur Neu­en Er­de zu­rück. Die Be­sat­zung und die Of­fi­zie­re hat­ten sich be­reit­er­klärt, in einen Raum ein­ge­schlos­sen zu wer­den, wäh­rend die Trup­pen, die sie an­geb­lich trans­por­tie­ren soll­ten, ein- und aus­ge­la­den wur­den. Spä­ter wür­den sie dann be­stä­ti­gen kön­nen, daß sie Schrit­te ver­nom­men hät­ten, als hät­ten auf Dor­sai ei­ne Men­ge Leu­te das Schiff be­tre­ten. Glei­ches galt für et­wa vier Stun­den, wäh­rend sie auf der Kreis­bahn über der Neu­en Er­de hin­gen, wo­bei die Raum­fäh­ren zwi­schen den Raum­schif­fen und ei­nem un­be­kann­ten Punkt auf dem Pla­ne­ten un­ter ih­nen hin und her pen­del­ten. Agen­ten des Zen­tral­rin­ges der Stadt­staa­ten al­ler­dings be­ob­ach­te­ten die­se Lan­de­fahr­zeu­ge, die in ei­ner Wald­land­schaft vor der Gren­ze zwi­schen der Ko­lo­nie Brea­tha und Spa­nier­stadt nie­der­gin­gen. Bei ih­ren wei­te­ren Vor­stö­ßen sa­hen sich die Agen­ten ei­nem Kor­don be­waff­ne­ter Dor­sai ge­gen­über, die ih­nen den Weg ver­stell­ten und am wei­te­ren Vor­drin­gen hin­der­ten, doch aus der An­zahl der Lan­dun­gen und dem Pen­del­ver­kehr der Raum­fäh­ren zwi­schen Raum­schiff und Lan­de­platz schlos­sen sie auf et­wa fünf­tau­send Mann, die auf den Pla­ne­ten ge­bracht wur­den.

Ge­ne­ral Lu May, Kom­man­deur der zu­sam­men­ge­leg­ten Streit­kräf­te der Stadt­staa­ten, knurr­te vor sich hin, als man ihm die­se In­for­ma­ti­on über­brach­te.

„Das sind die Scher­ze, die die­ser Gra­ha­me be­vor­zugt“, sag­te Lu May. Der Ge­ne­ral war Mit­te Sieb­zig und hat­te be­reits den ak­ti­ven Dienst quit­tiert, als die neu­en Am­bi­tio­nen und die Kriegs­be­geis­te­rung der Stadt­staa­ten da­zu führ­ten, daß er zu­rück­kehr­te, um das Ober­kom­man­do über die neu­en Streit­kräf­te zu über­neh­men. „Er will uns ein­re­den, daß wir zwei ver­schie­de­ne In­va­si­ons­kom­man­dos zu über­wa­chen ha­ben. Doch ich mag wet­ten, daß er sei­ne Trup­pen bei der ers­ten sich bie­ten­den Ge­le­gen­heit zu­sam­men­zieht – und zwar so­bald er meint, er hät­te uns aus der Re­ser­ve ge­lockt –, um dann ei­ne gan­ze Rei­he lus­ti­ger Ma­nö­ver auf­zu­zie­hen. Aber wir wer­den ihm nicht auf den Leim ge­hen. Wir wer­den hübsch brav hier in Spa­nier­stadt sit­zen blei­ben und ihn an uns her­an­kom­men las­sen.“

Der Ge­ne­ral ki­cher­te. Er war eben­so fett wie alt, und er glaub­te, die­sen un­or­tho­do­xen jun­gen Senk­recht­star­ter zu frus­tie­ren, wäh­rend er ge­müt­lich in sei­nem Haus in Stan­ley­wil­le sit­zen blieb. Er be­fahl, schwe­re Ener­gie­waf­fen rund um die Stadt auf­zu­stel­len und al­le Zu­fahr­ten zu ver­mi­nen. Es be­durf­te mehr als der nur leicht be­waff­ne­ten und auch nur leicht ge­schütz­ten Dor­sai-Söld­ner, um ei­ne sol­che Ver­tei­di­gungs­li­nie zu bre­chen, selbst wenn ih­re An­zahl der An­zahl von Män­nern ent­sprach, die in der Stadt un­ter Waf­fen stan­den.

Mitt­ler­wei­le war Cle­tus’ Ar­mee be­reits auf den Bei­nen. Ei­ne bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­te Schar von zi­vi­len Last­wa­gen und sons­ti­gen schwe­ren Luft­pols­ter­fahr­zeu­gen hat­te sich be­reits auf dem Ge­län­de ein­ge­fun­den, wo die Raum­fäh­ren ge­lan­det wa­ren. Die­se Fahr­zeu­ge rück­ten jetzt wie ein Trans­port- und Nach­schub­kon­voi ab, wo­bei je­des Fahr­zeug von ei­nem Dor­sai ge­lenkt wur­de. Der Trans­port über­schritt die Gren­ze nach Ar­moy und fuhr wei­ter land­ein­wärts auf Ar­moy-Stadt zu, wo­bei sei­ne An­kunft über­all bei der Be­völ­ke­rung Alarm aus­lös­te.

„Im­mer mit der Ru­he!“ grunz­te Lu May an­ge­sichts der drin­gen­den Bot­schaf­ten, die ihn aus Ar­moy-Stadt er­reich­ten und in de­nen er um Ent­sen­dung ei­ner Ex­pe­di­ti­ons­ar­mee ge­be­ten wur­de, um sie ge­gen die her­an­marschie­ren­den Dor­sai zu ver­tei­di­gen. Er dach­te nicht im Traum dar­an, die an­ge­for­der­ten Trup­pen zu ent­sen­den. Da­für be­folg­te er sei­nen ei­ge­nen Be­fehl, be­wahr­te die Ru­he und be­ob­ach­te­te Cle­tus’ zwei­tes Kom­man­do, das jetzt eben­falls in Be­we­gung war, die Gren­ze von Spa­nier­stadt über­schrit­ten hat­te und sich of­fen­bar durch Spa­nier­stadt hin­durch auf die an­gren­zen­den Stadt­staa­ten zu­be­weg­te. Lu May un­ter­nahm im­mer noch nichts, und so­bald es die Stadt Spa­nier­stadt durch­quert hat­te, schwenk­te Cle­tus’ ers­tes Dor­sai-Kom­man­do um und ging hin­ter der Stadt in Stel­lung. Gleich­zei­tig aber kam auch je­nes Kom­man­do, das die Stadt Ar­moy be­droht hat­te, her­an­ge­rückt und pos­tier­te sich vor Spa­nier­stadt, so daß die Stadt in­ner­halb we­ni­ger Ta­ge von den Dor­sai-Trup­pen um­zin­gelt war.

Lu May ki­cher­te und klopf­te sich auf die fet­ten Knie. In Cle­tus’ Haupt­quar­tier au­ßer­halb der Stadt herrsch­te merk­wür­di­ger­wei­se eben­falls ei­tel Freu­de und Son­nen­schein. Be­son­ders der Ver­tre­ter der Ko­lo­nie Brea­tha, Kanz­ler Ad Rey­res, der Cle­tus an­geb­lich als „Be­ob­ach­ter“ be­glei­te­te, war hell be­geis­tert.

„Aus­ge­zeich­net, Mar­schall, aus­ge­zeich­net!“ Rey­res, ein ha­ge­rer, eif­ri­ger Mann mit ho­her Ge­lehr­tenstirn in sei­ner lan­gen schwar­zen Amts­ro­be rieb sich er­freut die kno­chi­gen Hän­de. „Sie ha­ben es fer­tig­ge­bracht, ih­re Ar­mee hier fest­zu­na­geln. Und es gibt kei­ne an­de­ren Trup­pen, die ih­nen zu Hil­fe ei­len könn­ten. Aus­ge­zeich­net!“

„Sie soll­ten eher Ge­ne­ral Lu May als mir dank­bar sein“, er­wi­der­te Cle­tus tro­cken. „So­lan­ge er hin­ter sei­nen Mi­nen­fel­dern und sei­ner Ver­tei­di­gungs­li­nie hockt, hat er we­ni­ger von uns zu be­fürch­ten, als auf of­fe­nem Feld, wo die Dor­sai weitaus be­weg­li­cher sind als sei­ne ei­ge­nen Trup­pen. Er hat mehr Leu­te und hat sich wohl­weis­lich ver­schanzt.“

„Aber Sie müs­sen die Stadt doch nicht im Sturm neh­men!“ pro­tes­tier­te Reyes. „Sie kön­nen sich aus der Um­ge­bung ver­sor­gen oder aus Brea­tha Nach­schub kom­men las­sen, wie es Ih­nen ge­fällt. Lu May da­ge­gen ist von je­dem Nach­schub von au­ßen ab­ge­schnit­ten. Wir müs­sen ihn le­dig­lich aus­hun­gern!“

„Das wird nicht so ein­fach sein“, sag­te Cle­tus. „Er müß­te schon sehr ver­geß­lich ge­we­sen sein, wenn er nicht ge­nug Vor­rä­te für sich und sei­ne Trup­pen ge­hor­tet hät­te, so daß er län­ger aus­hal­ten kann, als wir in der La­ge sind, die Stadt zu be­la­gern.“

Reyes run­zel­te die Stirn. Er hat­te den Ein­druck, daß die­ser Dor­sai-Mar­schall viel zu schwarz sah.

„Ha­ben Sie ge­gen die Be­la­ge­rung et­was ein­zu­wen­den?“ woll­te Reyes wis­sen. „Wenn ja, dann dürf­te ich viel­leicht er­wäh­nen, daß die Re­gie­rung von Brea­tha es als die op­ti­ma­le – und ein­zi­ge Kon­stel­la­ti­on – an­sah, Lu May ir­gend­wo fest­zu­na­geln.“

„Ich ha­be kei­ne Ein­wän­de – zu­min­dest im Au­gen­blick nicht“, er­wi­der­te Cle­tus ge­las­sen. „Aber nur, weil es da­für mi­li­tä­ri­sche Grün­de gibt, ein Um­stand, der mit der Mei­nung Ih­rer Re­gie­rung nichts zu tun hat. Ich darf Sie dar­an er­in­nern, Kanz­ler, daß ei­ne mei­ner Be­din­gun­gen hin­sicht­lich des Ver­tra­ges mit Brea­tha wie bei je­dem an­de­ren Ver­trag, den ich un­ter­zeich­ne, da­hin­ge­hend lau­tet, daß ich al­lein die Kam­pa­gne lei­te und kein an­de­rer.“

Er wand­te sich ab und setz­te sich hin­ter den Tisch sei­nes Zel­tes, wo die Un­ter­hal­tung ge­führt wur­de. „Wenn Sie mich nun ent­schul­di­gen wol­len – ich ha­be zu tun.“

Reyes zö­ger­te einen Au­gen­blick, dann mach­te er auf dem Ab­satz kehrt und ging hin­aus.

Cle­tus ließ die Stadt noch drei Wo­chen be­la­gern, ließ Brust­weh­ren er­rich­ten und Grä­ben aus­he­ben, um die Stadt fest in den Griff zu be­kom­men, als hät­te er vor, für im­mer dort zu blei­ben. Wäh­rend all die­ser Zeit kam es au­ßer ei­ni­gen klei­nen Schar­müt­zeln zwi­schen den Ver­tei­di­gern und den Dor­sai zu kei­nem of­fe­nen Kon­flikt.

In der Luft herrsch­te in die­ser Zeit eben­falls ei­ne Art still­schwei­gen­der Waf­fen­still­stand. Die Luft­fahr­zeu­ge der Dor­sai pa­troul­lier­ten über der Stadt, um zu ver­hin­dern, daß stadt­ei­ge­ne Flug­ge­rä­te star­ten oder lan­den konn­ten. Dar­über hin­aus gab es aber kei­ne Luft­kämp­fe. Wie bei den meis­ten in­ter­ko­lo­nia­len Kon­flik­ten wur­de der Luft­krieg nach Mög­lich­keit ver­mie­den, und zwar auf­grund ei­nes ähn­li­chen still­schwei­gen­den Über­ein­kom­mens wie im Zwei­ten Welt­krieg im zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert auf der Er­de, dem­zu­fol­ge kein Gift­gas zum Ein­satz kam. Ziel und Zweck der be­waff­ne­ten Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen tech­no­lo­gie­ar­men Ko­lo­ni­en, wie et­wa den jun­gen Ko­lo­ni­en im Welt­raum, war es nicht un­be­dingt, die pro­duk­ti­ve Ka­pa­zi­tät des Fein­des zu zer­stö­ren, son­dern ihm die­se ab­zu­neh­men. Kein An­grei­fer woll­te je­ne An­la­gen zer­stö­ren, de­rent­we­gen er einen Krieg an­ge­zet­telt hat­te. Wa­ren die Pro­duk­ti­ons­stät­ten und sons­ti­gen Ge­rä­te der Zi­vi­li­sa­ti­on von Wert, so wa­ren die Leu­te, die die­se An­la­gen be­die­nen konn­ten, eben­so wert­voll.

Al­so wur­de ver­sucht, Bom­bar­de­ments, ja selbst den Ein­satz schwe­rer Waf­fen in der Um­ge­bung be­bau­ter Ge­bie­te zu ver­mei­den, und da at­mo­sphä­ri­sche Flug­ge­rä­te ähn­lich teu­er wa­ren wie Raum­schif­fe, wur­de der Him­mel nur zu Auf­klä­rungs- und Trans­port­zwe­cken be­nutzt.

Als die drei Wo­chen ver­stri­chen wa­ren, schi­en Cle­tus die Ge­duld ver­lo­ren und die­se Patt­si­tua­ti­on satt be­kom­men zu ha­ben, denn er er­ließ ei­ni­ge Be­feh­le, die Kanz­ler Ad Reyes ver­an­laß­ten, mit flie­gen­den Rock­schö­ßen in Cle­tus’ Haupt­quar­tier zu er­schei­nen, so daß er um ein Haar über sei­ne lan­ge Ro­be ge­stol­pert wä­re.

„Sie zie­hen die Hälf­te Ih­rer Streit­kräf­te ab und schi­cken sie aus, um Ar­moy-Stadt und den Raum­ha­fen zu er­obern!“ rief Rey­res an­kla­gend, wäh­rend er in Cle­tus’ Bü­ro stürm­te.

Cle­tus schau­te von sei­nem Tisch auf, an dem er ar­bei­te­te. „Ha­ben Sie es auch schon ver­nom­men?“ frag­te er.

„Was heißt hier ver­nom­men!“ Reyes drang bis zum Schreib­tisch vor und lehn­te sich dar­über, als woll­te er sei­ne Na­se in Cle­tus’ Ge­sicht ste­cken. „Ich ha­be es mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen! All die­se Zi­vil­las­ter, die Sie für den Trans­port Ih­res zwei­ten Kom­man­dos an­ge­for­dert ha­ben, sind Rich­tung Ar­moy ab­ge­braust! Sa­gen Sie mir ja nicht, daß die wo­an­ders hin­ge­gan­gen sind!“

„Das will ich gar nicht leug­nen“, mein­te Cle­tus zu­vor­kom­mend. „Der schä­bi­ge Rest wird ih­nen in­ner­halb von vier­und­zwan­zig Stun­den fol­gen. Wir ha­ben kei­nen Grund mehr, die­se Be­la­ge­rung noch wei­ter fort­zu­füh­ren. Ich bin drauf und dran, die Be­la­ge­rung auf­zu­he­ben, nach Ar­moy-Stadt zu mar­schie­ren und den Raum­ha­fen zu be­set­zen.“

„Die Be­la­ge­rung auf­he­ben? Was ist das wie­der für ein Trick? Wenn die Stadt­staa­ten Sie da­für be­zahlt ha­ben, uns zu ver­ra­ten, so hät­ten Sie sich kei­nen güns­ti­ge­ren Zeit­punkt aus­su­chen kön­nen …“ Er brach plötz­lich ab, wie er­schro­cken vom Klang sei­ner ei­ge­nen Wor­te, die sein Ohr er­reich­ten. Cle­tus rich­te­te sich hin­ter dem Schreib­tisch auf.

„Ich hof­fe, ich ha­be mich ver­hört, Kanz­ler“, sag­te Cle­tus mit ver­än­der­tem Blick und ver­än­der­ter Stim­me. „Wol­len Sie die Dor­sai be­schul­di­gen, einen Ver­trag mit Ih­rer Re­gie­rung miß­ach­tet zu ha­ben?“

„Nein … das heißt, ich mein­te nur …“ stam­mel­te Reyes.

„Ich wür­de Ih­nen ra­ten, mit Ih­rer Mei­nung vor­sich­tig zu sein“, mein­te Cle­tus. „Die Dor­sai bre­chen kei­nen Ver­trag, und wir wer­den nicht dul­den, daß so et­was be­haup­tet wird. Er­lau­ben Sie mir jetzt, Sie zum letz­ten Mal dar­an zu er­in­nern, daß ich, und nur ich al­lein, die­se Kam­pa­gne be­feh­li­ge. Viel­leicht wä­re es bes­ser, wenn Sie jetzt in Ihr ei­ge­nes Quar­tier zu­rück­keh­ren wür­den.“

„Ja, ich …“ stot­ter­te Reyes.

Am nächs­ten Mor­gen, kurz vor Ta­ges­an­bruch, be­stieg der Rest der Dor­sai, die Spa­nier­stadt be­la­ger­ten, die Mi­li­tär­fahr­zeu­ge und zog mit al­len Waf­fen und Ge­rä­ten da­von. Nur die Luft­fahr­zeu­ge der Dor­sai blie­ben im Luftraum von Spa­nier­stadt zu­rück, um ei­ne Ver­fol­gung durch Auf­klä­rungs­flug­zeu­ge zu un­ter­bin­den.

Der Mor­gen däm­mer­te über den ver­las­se­nen Schan­zen auf, die die Söld­ner er­rich­tet hat­ten, aber es war fast Mit­tag, bis die ers­ten Pa­trouil­len aus Spa­nier­stadt, ir­ri­tiert durch die un­ge­wöhn­li­che Stil­le, sich aus ih­ren Mau­ern wag­ten, um die Stel­lun­gen nä­her in Au­gen­schein zu neh­men. Dann aber, so­bald fest­stand, daß die Stel­lun­gen ver­las­sen wa­ren und die Spu­ren im Bo­den und im Gras süd­lich der Stadt die Marsch­rou­te der Dor­sai ver­rie­ten, wur­de Ge­ne­ral Lu May in al­ler Ei­le über die Er­eig­nis­se be­nach­rich­tigt.

Lu May, der durch die­se Nach­rich­ten aus sei­nem Schlum­mer nach ei­ner lan­gen Nacht ge­ris­sen wur­de, fluch­te in ei­ner Art und Wei­se vor sich hin, die be­reits vor vier­zig Jah­ren aus der Mo­de ge­kom­men war.

„Wir wer­den ihn krie­gen!“ ex­plo­dier­te der al­te Mann, wäh­rend er sei­nen Kör­per aus dem Bett roll­te und has­tig in sei­ne Klei­der schlüpf­te. „Er konn­te es nicht ab­war­ten – und hat sich selbst die Keh­le durch­ge­schnit­ten!“

„Sir?“ frag­te der Oberst, der ihm die Neu­ig­keit über­bracht hat­te. „Er hat sich selbst die Keh­le durch­ge­schnit­ten? Ich ver­ste­he nicht …“

„Das kommt da­von, daß ihr kei­ne Ah­nung habt, wie ein Krieg rich­tig ge­führt wird!“ trom­pe­te­te Lu May, wäh­rend er in sei­ne Bein­klei­der stieg. „Gra­ha­me ist nach Ar­moy-Stadt auf­ge­bro­chen, Idi­ot!“

„Ja­wohl, Sir“, sag­te der Oberst. „Aber ich kann im­mer noch nicht be­grei­fen …“

„Er muß­te sich mit der Tat­sa­che ab­fin­den, daß für ihn kei­ne Hoff­nung be­steht, die­se Stadt ein­zu­neh­men!“ schnapp­te Lu May. „Des­halb ist er ab­ge­zo­gen und hat be­schlos­sen, da­für Ar­moy-Stadt zu neh­men. Auf die­se Wei­se kann er be­haup­ten, sein Bes­tes ge­tan und für die Ko­lo­nie Brea­tha den Raum­ha­fen er­obert zu ha­ben, der ih­nen Kon­kur­renz mach­te. Der Raum­ha­fen, so wird er er­klä­ren, wird der Ko­lo­nie da­zu ver­hel­fen, ih­ren Kor­ri­dor zum Meer zu schüt­zen! Ha­ben Sie was ge­merkt? Gra­ha­me ist da­hin­ter­ge­kom­men, daß der Ver­trag, den er un­ter­zeich­net hat, gar nicht so gut war. Er möch­te sich um je­den Preis aus die­sem Ver­trag her­aus­win­den – das kann er aber nur, wenn er Brea­tha we­nigs­tens et­was zu bie­ten hat, in die­sem Fall näm­lich Ar­moy-Stadt und den Raum­ha­fen!“

„Ja­wohl, Sir“, sag­te der Oberst ernst. „Das al­les leuch­tet mir ein. Was ich aber nicht be­grei­fe ist, daß Sie mein­ten, er ha­be sich ins ei­ge­ne Fleisch ge­schnit­ten. Wenn er in der La­ge ist, Brea­tha den Raum­ha­fen und Ar­moy-Stadt zu of­fe­rie­ren …“

„Idi­ot! Idi­ot im Qua­drat!“ röhr­te Lu May. „Zu­erst muß er aber Ar­moy-Stadt er­obern, nicht wahr, Sie Narr?“

„Ja­wohl, Sir …“

„Dann muß er wohl mit sei­ner Schar ab­zie­hen, um Ar­moy-Stadt zu neh­men, nicht wahr?“

End­lich war Lu May fer­tig an­ge­klei­det und wat­schel­te has­tig zur Tür. Über die Schul­tern hin­weg fuhr er fort: „Wenn wir ihm mög­lichst schnell fol­gen, wer­den wir ihn in Ar­moy-Stadt er­wi­schen und ihn ein­schlie­ßen kön­nen! Er hat nicht ge­nü­gend Vor­rä­te, um sich lan­ge in ei­ner sol­chen Stadt zu hal­ten – und wenn es sein muß, ha­ben wir ge­nü­gend Leu­te und Waf­fen, um die Stadt im Sturm zu neh­men! Auf je­den Fall kön­nen wir sei­ne Dor­sai auf­rei­ben und ihn ge­fan­gen­neh­men. Dann kön­nen wir mit ihm ma­chen, was wir wol­len!“

Lu May ver­lor kei­ne Zeit, um sei­ne Ar­mee Cle­tus und sei­nen Dor­sai auf die Spur zu set­zen. Doch bei al­ler Ei­le ver­säum­te er es nicht, in gu­ter Marsch­ord­nung aus­zu­zie­hen, und ver­gaß auch die schwe­ren Ener­gie­waf­fen nicht, die er rund um die Stadt in Stel­lung ge­bracht hat­te. Er ließ sie jetzt mit­neh­men, auch wenn sie ihn bei sei­nen Ope­ra­tio­nen be­hin­der­ten. Schwer­fäl­lig, aber töd­lich zog er der Spur nach, die Cle­tus’ Kom­man­dos in Wie­sen und Fel­dern zu­rück­ge­las­sen hat­ten.

Der Treck mar­schier­te di­rekt auf Ar­moy-Stadt zu, für Cle­tus’ leicht be­waff­ne­te Dor­sai ein Marsch von et­wa drei Ta­gen. Lu May muß­te Glück ha­ben, um mit sei­nem Kom­man­do den glei­chen Weg in vier Ta­gen zu­rück­zu­le­gen, doch die­ser zu­sätz­li­che Tag wür­de den Ge­ne­ral aus Spa­nier­stadt ge­ra­de zum rech­ten Zeit­punkt in Ar­moy-Stadt in Er­schei­nung tre­ten las­sen, wie er vor­aus­be­rech­net hat­te, ge­ra­de zum rich­ti­gen Zeit­punkt, um je­nen Au­gen­blick zu nut­zen, wo Cle­tus’ Trup­pen auf­at­men wür­den, nach­dem sie Ar­moy-Stadt und den Raum­ha­fen er­obert hat­ten.

Es war ein wei­ser Ent­schluß – dach­te Lu May –, sich et­was Hand­lungs­spiel­raum zu ver­schaf­fen, falls dies mög­lich war. Soll­te er zu früh ein­tref­fen, konn­te er sich dann im­mer noch Zeit las­sen, oh­ne die Spur zu ver­lie­ren, und recht­zei­tig in der Stadt ein­tref­fen. Al­so gab er nach dem Abend­brot den Be­fehl, die Ver­fol­gung nach Ein­bruch der Dun­kel­heit un­ter dem mond­lo­sen, aber hel­len Ster­nen­him­mel der Neu­en Er­de fort­zu­set­zen. Er scheuch­te sein Kom­man­do durch die Fins­ter­nis, bis sei­ne Leu­te am Steu­er ih­rer Fahr­zeu­ge ein­zu­ni­cken be­gan­nen oder gar im Ge­hen und Ste­hen ein­sch­lie­fen. Schließ­lich ließ er drei Stun­den nach Mit­ter­nacht wi­der­wil­lig an­hal­ten und für den Rest der Nacht ei­ne Pau­se ein­le­gen.

Kaum wa­ren sei­ne Leu­te ein­ge­schla­fen, als sie von ei­ner Rei­he schar­fer Ex­plo­sio­nen auf­ge­schreckt wur­den. Was sie sa­hen, ließ ih­nen das Blut in den Adern er­star­ren. Ih­re Ener­gie­waf­fen brann­ten lich­ter­loh, und das La­ger mit den Ener­gie­la­dun­gen schmolz in der Hit­ze wie But­ter in ei­ner Pfan­ne. Im glei­chen Au­gen­blick tauch­ten dun­kel ge­klei­de­te Dor­sai zwi­schen Lu Mays Trup­pen auf, ent­waff­ne­ten die Leu­te und trie­ben sie un­ter den wach­sa­men Au­gen der an­de­ren Söld­ner in Grup­pen zu­sam­men.

Ge­ne­ral Lu May, aus tie­fem Schlum­mer er­wacht, rich­te­te sich auf sei­nem Feld­bett auf und er­blick­te Cle­tus über sich, die Pis­to­le im Gür­tel. Lu May starr­te ihn ver­wirrt an, als sei er ei­ne Er­schei­nung.

„Aber … Sie müß­ten mir weit vor­aus sein …“ stam­mel­te er, nach­dem er sich ei­ni­ger­ma­ßen ge­faßt hat­te.

„Ich ha­be Ih­nen einen Kon­voi zi­vi­ler Last­wa­gen vor­aus­ge­schickt“, er­wi­der­te Cle­tus. „Die­se Wa­gen wa­ren leer bis auf die Fah­rer. Mei­ne Leu­te ha­be ich mit­ge­bracht – und Ihr Kom­man­do ha­ben wir ge­fan­gen­ge­nom­men, Ge­ne­ral. Es ist bes­ser, Sie er­ge­ben sich gleich, das ver­ein­facht die Sa­che.“

Lu May rap­pel­te sich aus sei­nem Bett hoch. Plötz­lich sah er sehr alt und hilf­los wie ein be­gos­se­ner Pu­del aus, als er in sei­nem Schlaf­an­zug da­stand. Fast de­mü­tig er­gab er sich, oh­ne Wi­der­stand zu leis­ten.

Cle­tus kehr­te zu der Feld­ein­heit zu­rück, wo be­reits ein pro­vi­so­ri­sches Haupt­quar­tier ein­ge­rich­tet wor­den war. Kanz­ler Ad Reyes war­te­te schon auf ihn.

„Sie kön­nen Ih­rer Re­gie­rung mit­tei­len, Kanz­ler, daß die re­gu­lä­ren Mi­li­tär­streit­kräf­te des Zen­tral­rings der Stadt­staa­ten un­se­re Ge­fan­ge­nen sind …“ be­gann er, brach dann aber ab, als Ar­vid ein­trat und ein gel­bes Mel­de­for­mu­lar über­reicht.

„Nach­richt von Oberst Khan auf Dor­sai“, sag­te Ar­vid, „über­mit­telt von un­se­rem Ba­sis­la­ger bei Ad­onyer in der Ko­lo­nie Brea­tha.“

Cle­tus nahm das For­mu­lar, ent­fal­te­te es und las:

 

An­griff durch Et­ter-Paß von Neu­land auf Bak­hal­la-Ge­biet ab­ge­wehrt. Streit­kräf­te der Al­li­anz und der Ko­ali­ti­on in ei­ner „Frie­dens­ar­mee“ für die neu­en Wel­ten ver­eint. Dow de­Ca­stries hat Ober­kom­man­do die­ser Streit­kräf­te über­nom­men.

 

Cle­tus fal­te­te das Blatt zu­sam­men und steck­te es in ei­ne Ta­sche sei­ner Kampf­ja­cke. Dann wand­te er sich an Reyes.

„Sie ha­ben vier­und­zwan­zig Stun­den Zeit“, sag­te er, „um die Brea­tha-Trup­pen hier­her­zu­be­or­dern und die Ge­fan­ge­nen zu über­neh­men. Mei­ne Trup­pen und ich müs­sen un­ver­züg­lich nach Dor­sai zu­rück­keh­ren.“

Reyes starr­te ihn ehr­furchts­voll und gleich­zei­tig ver­blüfft an. „Aber wir ha­ben doch für den Fall ei­nes Sie­ges einen Tri­umph­zug vor­ge­se­hen …“ be­gann er un­si­cher.

„Vier­und­zwan­zig Stun­den“, er­wi­der­te Cle­tus brüsk. Da­mit mach­te er auf dem Ab­satz kehrt und ließ den Kanz­ler ste­hen.