5

 

Sie lie­ßen das Kom­man­do­fahr­zeug lie­gen, des­sen Kom­pres­sor durch die Gue­ril­las be­schä­digt wor­den war. Ei­ner der bei­den Kampf­glei­ter flog die vier Über­le­ben­den bis zur Ha­fen­stadt Bak­hal­la und setz­te sie bei der Trans­por­t­ab­tei­lung des Haupt­quar­tiers der Al­li­anz in Bak­hal­la ab. Eachan Khan und Me­lis­sa ver­ab­schie­de­ten sich und fuh­ren mit ei­nem Ta­xi zu ih­rer Stadt­woh­nung. Mon­dar hin­ge­gen öff­ne­te den Schlag ei­nes zwei­ten Ta­xis und nö­tig­te Cle­tus ein­zu­stei­gen.

„Sie müs­sen zum Haupt­quar­tier, um sich zu mel­den. Das liegt auf mei­nem Weg. Ich kann Sie un­ter­wegs ab­set­zen.“

Cle­tus stieg ein, und Mon­dar tipp­te einen Kode in den Com­pu­ter. Das Fahr­zeug er­hob sich auf sei­nem Luft­kis­sen und glitt laut­los zwi­schen den Rei­hen der weiß ge­stri­che­nen Mi­li­tär­ge­bäu­de da­hin.

„Dan­ke“, sag­te Cle­tus.

„Ab­so­lut kei­ne Ur­sa­che“, ver­setz­te Mon­dar. „Sie ha­ben uns al­len da drau­ßen in der Wild­nis das Le­ben ge­ret­tet. Ich möch­te et­was mehr für Sie tun, als nur zu dan­ken. Ich neh­me an, daß Sie noch ein­mal mit Dow de­Ca­stries spre­chen möch­ten?“

Cle­tus schau­te den Exo­ten fra­gend an. Er hat­te im­mer schon Freu­de an Men­schen ge­habt, die ih­re Grund­sät­ze hat­ten und ihr Ziel kon­se­quent ver­folg­ten, und in die­sen fünf Ta­gen, seit er Mon­dar ken­nen­ge­lernt hat­te, war ihm die Ziel­stre­big­keit des Exo­ten auf­ge­fal­len, die der sei­nen fast aufs Haar glich.

„Ich dach­te, de­Ca­stries sei zur Haupt­stadt Neu­land ge­fah­ren.“

„Ist er auch“, sag­te Mon­dar, wäh­rend das Ta­xi nach rechts in ei­ne brei­te­re Stra­ße ein­bog und auf ein grö­ße­res Ge­bäu­de zu­eil­te, einen wei­ßen Ze­ment­klotz, auf des­sen Dach die Flag­ge der Al­li­anz weh­te. „Aber Neu­land ist von hier nur et­wa fünf­zehn Mi­nu­ten Luft­li­nie ent­fernt. Die Ko­ali­ti­on un­ter­hält kei­ne di­rek­ten di­plo­ma­ti­schen Be­zie­hun­gen mit un­se­rer exo­ti­schen Re­gie­rung auf Kul­tis, und we­der un­se­re Leu­te noch Dow möch­ten die Chan­ce für ein Ge­spräch ver­pas­sen. Schließ­lich ist es die Ko­ali­ti­on, die wir be­kämp­fen – Neu­land könn­te kei­ne sechs Wo­chen oh­ne sie durch­hal­ten. Al­so wer­de ich heu­te Abend in mei­ner Woh­nung ei­ne klei­ne in­of­fi­zi­el­le Par­ty ge­ben – mit kal­tem Buf­fet und all­ge­mei­ner Un­ter­hal­tung. Eachan und Me­lis­sa wer­den auch an­we­send sein. Es wür­de mich freu­en, Sie eben­falls be­grü­ßen zu kön­nen.“

„Ich wer­de gern kom­men“, sag­te Cle­tus. „Darf ich mei­nen Ad­ju­tan­ten mit­brin­gen?“

„Ih­ren Ad­ju­tan­ten?“

„Einen Leut­nant na­mens Ar­vid John­son – falls ich das Glück ha­be, daß er noch nicht ab­kom­man­diert wur­de“, er­klär­te Cle­tus. „Ei­ner mei­ner frü­he­ren Stu­den­ten an der Aka­de­mie. Er hat mich vor ei­ni­gen Mo­na­ten wäh­rend sei­nes Ur­laubs be­sucht. Und das, was er mir sag­te, hat mein In­ter­es­se an Bak­hal­la ge­weckt.“

„Wirk­lich? Brin­gen Sie ihn auf je­den Fall mit.“ Das Ta­xi hielt am Ran­de des Bür­ger­steigs, der zum Ein­gang des großen wei­ßen Ge­bäu­des hin­auf­führ­te. Mon­dar drück­te auf einen Knopf, und die Tür ne­ben Cle­tus schwang auf. „Brin­gen Sie mit, wen Sie wol­len, so­fern es dem Be­tref­fen­den an­ge­nehm ist. So ge­gen acht Uhr.“

„Ich wer­de pünkt­lich er­schei­nen“, sag­te Cle­tus. Er wand­te sich ab und ließ sich vom För­der­band zum Haupt­quar­tier hin­auf­tra­gen.

„Oberst Cle­tus Gra­ha­me?“ echo­te der schmal­ge­sich­ti­ge jun­ge Leut­nant am Emp­fangs­tisch hin­ter der Glas­tür, die zum Bü­ro des Quar­tier­meis­ters führ­te, als ihm Cle­tus ge­gen­über­stand. „Sie sol­len sich so­fort bei Ge­ne­ral Tray­nor mel­den – und zwar um­ge­hend.“

Er hat­te ei­ne ho­he Te­nor­stim­me und grins­te un­freund­lich, wäh­rend er sprach. Cle­tus schenk­te ihm ein freund­li­ches Lä­cheln, frag­te nach dem Weg zum Bü­ro des Ge­ne­rals und ließ den jun­gen Of­fi­zier ste­hen.

Die Glas­tür, auf die er schließ­lich stieß und die die Auf­schrift Bri­ga­de­ge­ne­ral John Hou­ston Tray­nor trug, führ­te ihn zu­nächst in ein Vor­zim­mer, wo ein un­ter­setz­ter Oberst mit Halb­glat­ze so­eben die letz­ten An­wei­sun­gen an einen über­ge­wich­ti­gen Haupt­mann er­teil­te, der hin­ter dem ein­zi­gen Tisch die­ses Raum­es stand. Der Oberst wand­te sich um und er­blick­te Cle­tus.

„Sind Sie Gra­ha­me?“ frag­te er kurz an­ge­bun­den.

„Rich­tig, Oberst“, er­wi­der­te Cle­tus freund­lich, „und wie lau­tet Ihr Na­me?“

„Dup­lei­ne“, gab der an­de­re un­freund­lich zu­rück. „Ich bin der Stabs­chef von Ge­ne­ral Tray­nor.“

„Ich kom­me in ei­ner Son­der­mis­si­on aus Genf, Oberst“, sag­te Cle­tus.

Dup­lei­ne grunz­te, dreh­te sich auf dem Ab­satz um und ver­ließ den Raum durch die glei­che Tür, die Cle­tus beim Her­ein­kom­men pas­siert hat­te. Cle­tus schau­te den di­cken Haupt­mann hin­ter dem Tisch fra­gend an.

„Sir“, sag­te der Of­fi­zier mit ei­nem An­flug von Sym­pa­thie in der Stim­me. Sein Ge­sicht war nicht un­freund­lich und ver­riet so­gar ei­ne Spur von In­tel­li­genz trotz des schwe­ren Dop­pel­kinns, das wie ei­ne Art Kopf­stüt­ze wirk­te. „Wenn Sie einen Au­gen­blick Platz neh­men wol­len, will ich Ge­ne­ral Tray­nor un­ver­züg­lich mel­den, daß Sie da sind.“

Cle­tus nahm Platz, wäh­rend der Haupt­mann sich vor­beug­te und et­was in den In­ter­ko­man­schluß sag­te, Cle­tus konn­te die Ant­wort zwar nicht hö­ren, aber der Haupt­mann schau­te auf und nick­te.

„Sie kön­nen hin­ein­ge­hen, Oberst“, sag­te er und deu­te­te mit dem Kopf auf ei­ne Tür hin­ter sei­nem Schreib­tisch.

Cle­tus er­hob sich und folg­te der Auf­for­de­rung. Als er durch die Tür in das an­gren­zen­de Bü­ro trat, stand er un­mit­tel­bar ei­nem weitaus grö­ße­ren Schreib­tisch ge­gen­über, hin­ter dem ein bul­li­ger Mann Mit­te Vier­zig mit bu­schi­gen, schwar­zen Brau­en im kno­chi­gen Ge­sicht, die ihm den Spitz­na­men „Fle­der­maus“ ein­ge­bracht hat­ten, saß. Fle­der­maus Tray­nor fi­xier­te ihn un­ter zu­sam­men­ge­zo­ge­nen Brau­en, wäh­rend Cle­tus auf sei­nen Schreib­tisch zu­ging.

„Oberst Cle­tus Gra­ha­me zu Ih­ren Diens­ten, Sir“, sag­te Cle­tus und leg­te sei­ne Marsch­be­feh­le auf den Tisch, die Fle­der­maus mit ei­ner ein­zi­gen Be­we­gung sei­ner ge­wal­ti­gen Faust bei­sei­te feg­te.

„In Ord­nung, Oberst“, sag­te er mit sei­ner rau­hen Baß­stim­me. Er deu­te­te auf einen Stuhl, der links vor dem Schreib­tisch stand. „Set­zen Sie sich.“

Cle­tus hum­pel­te dank­bar um den Tisch her­um und ließ sich auf den Stuhl fal­len. Er be­gann im­mer deut­li­cher zu spü­ren, daß er ei­ni­ge der noch hei­len Seh­nen in sei­nem an­ge­schla­ge­nen Knie wäh­rend der Epi­so­de im Gra­ben drau­ßen vor der Stadt über Ge­bühr be­an­sprucht hat­te. Er schau­te auf und sah, daß ihn Fle­der­maus im­mer noch un­ver­wandt an­starr­te.

„Ich ha­be mir Ih­re Per­so­nal­ak­ten kom­men las­sen, Oberst“, sag­te Fle­der­maus einen Au­gen­blick spä­ter. Er öff­ne­te die graue Kunst­stoff­map­pe, die vor ihm auf dem Tisch lag, und warf einen kur­z­en Blick in die Ak­ten. „Hier steht, daß Sie aus ei­ner Aka­de­mie-Fa­mi­lie stam­men. Ihr On­kel war Ge­ne­ral­st­abs­chef des Haupt­quar­tiers der Al­li­anz in Genf, kurz be­vor er vor acht Jah­ren in den Ru­he­stand ver­setzt wur­de. Stimmt das?“

„Ja­wohl, Sir“, sag­te Cle­tus.

„Und sie …“ – Fle­der­maus blät­ter­te mit sei­nem di­cken Zei­ge­fin­ger in den Ak­ten und schau­te mit düs­te­rem Blick in die Pa­pie­re – „… ha­ben sich Ih­re Knie­ver­let­zung wäh­rend des Drei­mo­nats­krie­ges auf Ja­va vor sie­ben Jah­ren ge­holt? Sie sind auch Trä­ger der Eh­ren­me­dail­le?“

„Ja­wohl“, sag­te Cle­tus.

„Seit die­ser Zeit …“ – Fle­der­maus schlug die Map­pe zu, hob den Blick und schau­te Cle­tus noch ein­mal di­rekt ins Ge­sicht – „… wa­ren Sie beim Aka­de­mie­stab. Ab­ge­se­hen von drei Mo­na­ten ak­ti­vem Dienst ha­ben Sie nichts wei­ter ge­tan, als un­se­ren Ka­det­ten die Grund­la­gen mi­li­tä­ri­scher Tak­tik ein­zu­bleu­en.“

„Ich ha­be auch“, sag­te Cle­tus vor­sich­tig, „an ei­ner um­fas­sen­den ‚Theo­rie der Tak­tik und stra­te­gi­sche Über­le­gun­gen’ ge­ar­bei­tet.“

„Ja“, sag­te Fle­der­maus grim­mig. „Das steht eben­falls da drin. Drei Mo­na­te im Feld, und da set­zen Sie sich hin, um zwan­zig Bän­de zu schrei­ben.“

„Sir?“ frag­te Cle­tus.

Doch Fle­der­maus lehn­te sich schwer in sei­nem Ses­sel zu­rück.

„Schon gut“, sag­te er. „Sie sind jetzt mit ei­nem Son­der­auf­trag ge­kom­men, um als mein tak­ti­scher Rat­ge­ber zu fun­gie­ren.“ Die schwar­zen Brau­en zo­gen sich zu­sam­men und flat­ter­ten wie Sturm­fah­nen im Wind. „Ich möch­te nicht an­neh­men, Sie ha­ben Lei­ne ge­zo­gen, weil Ih­nen ir­gend­wel­che Ge­rüch­te zu Oh­ren ge­kom­men sind, daß man die Aka­de­mie durch­fors­ten will, und Sie sich einen klei­nen Druck­pos­ten er­hof­fen, wo Sie über­haupt nichts zu tun brau­chen.“

„Nein, Sir“, sag­te Cle­tus ru­hig. „Ich ha­be viel­leicht die ei­ne oder an­de­re Be­zie­hung spie­len las­sen, um hier­her ge­schickt zu wer­den. Doch mit Ih­rer gü­ti­gen Er­laub­nis ha­be ich kei­nes­falls einen Druck­pos­ten an­ge­strebt. Im Ge­gen­teil, ich ha­be al­ler­hand vor.“

„Das will ich nicht hof­fen, Oberst, das will ich nicht hof­fen“, ver­setz­te Fle­der­maus. „Ich ha­be vor drei Mo­na­ten ein Dut­zend Pan­zer­wa­gen für den Ein­satz im Ur­wald be­an­tragt … und al­les, was man mir ge­schickt hat, sind Sie. Mich küm­mert es einen feuch­ten Keh­richt, was die Aka­de­mie mit ih­rer Ab­tei­lung für Tak­tik vor­hat. Die Bur­schen brau­chen nur hier­her­zu­kom­men und ihr tak­ti­sches Wis­sen un­ter prak­ti­schen Be­din­gun­gen vor Ort zu re­vi­die­ren. Aber ich brauch­te die­se Pan­zer, und ich brau­che sie im­mer noch.“

„Mög­li­cher­wei­se“, mein­te Cle­tus, „kann ich mit ei­ni­gen Vor­schlä­gen die­nen, wie man un­ter Um­stän­den auch oh­ne die Pan­zer aus­kommt.“

„Das glau­be ich we­ni­ger“, gab Fle­der­maus grim­mig zu­rück. „Ich bin viel­mehr der Mei­nung, daß Sie hier ei­ni­ge Mo­na­te her­um­hän­gen wer­den, bis sich her­aus­stellt, daß wir Sie nicht ge­brau­chen kön­nen. Dann muß ich die Sa­che dem Haupt­quar­tier der Al­li­anz auf der Er­de mel­den und noch ein­mal we­gen mei­ner Pan­zer vor­stel­lig wer­den. Ich wer­de sie be­kom­men, und Sie wer­den wie­der auf die Er­de zu­rück­ver­setzt – wenn nicht ge­ra­de mit ei­ner Be­lo­bi­gung, dann doch zu­min­dest mit ei­ner wei­ßen Wes­te … Das aber auch nur, wenn al­les glatt­geht, Oberst. Üb­ri­gens …“ – Fle­der­maus streck­te die Hand aus und an­gel­te nach ei­nem ein­zel­nen Blatt, das auf der Schreib­tisch­kan­te lag – „… ha­be ich hier einen Be­richt, wo­nach Sie in der ers­ten Nacht drau­ßen an Bord des Raum­schif­fes be­trun­ken wa­ren und sich vor dem Au­ßen­mi­nis­ter der Ko­ali­ti­on zum Nar­ren ge­macht ha­ben, der sich eben­falls an Bord be­fand.“

„Das ist aber ziem­lich schnell ge­gan­gen“, mein­te Cle­tus, „wenn man be­denkt, daß zu der Zeit, wo wir von Bord gin­gen, al­le Fern­ver­bin­dun­gen von den Leu­ten der Ko­ali­ti­on be­legt wa­ren. Ich neh­me an, daß die­ser Be­richt von ei­nem die­ser Leu­te stammt.“

„Das geht Sie mit Ver­laub einen Dreck an“, wet­ter­te der Ge­ne­ral. „Aber wenn Sie es un­be­dingt wis­sen wol­len – der Be­richt stammt vom Ka­pi­tän des Raum­schif­fes.“

Cle­tus lach­te.

„Was ist so lus­tig dran, Oberst?“ frag­te Fle­der­maus mit er­ho­be­ner Stim­me.

„Der Ge­dan­ke, Sir“, ver­setz­te Cle­tus, „daß der Kom­man­dant ei­nes zi­vi­len Raum­schif­fes über den Zu­stand ei­nes Of­fi­ziers der Al­li­anz zu be­fin­den hat.“

„Sie wer­den es we­ni­ger lus­tig fin­den, wenn ich den Be­richt zu Ih­ren Per­so­nal­ak­ten le­ge, Oberst“, mein­te Fle­der­maus. Er starr­te Cle­tus zu­erst grim­mig und schließ­lich fas­sungs­los an, als er merk­te, daß Cle­tus von die­ser Dro­hung nicht be­son­ders be­ein­druckt war. „Aber ver­ges­sen Sie die Ko­ali­ti­on oder ir­gend­wel­che zi­vi­len Schiffs­füh­rer. Ich bin Ihr kom­man­die­ren­der Of­fi­zier, und ich wün­sche ei­ne Er­klä­rung über Ih­ren Zu­stand.“

„Da gibt es wei­ter kei­ne Er­klä­rung …“ be­gann Cle­tus.

„Wie bit­te?“ sag­te Fle­der­maus.

„Mit ›kei­ne Er­klä­rung‹“ fuhr Cle­tus fort, „mein­te ich, daß es da nichts zu er­klä­ren gibt. Ich war in mei­nem Le­ben noch nie be­trun­ken. Ich fürch­te, der Ka­pi­tän des Raum­schif­fes wur­de falsch un­ter­rich­tet – oder er hat die falschen Schlüs­se ge­zo­gen.“

„Der hat sich wohl ge­irrt, was?“ frag­te Fle­der­maus iro­nisch.

„Zu­fäl­li­ger­wei­se“, sag­te Cle­tus, „kann ich Ih­nen einen Zeu­gen be­nen­nen, der be­stä­ti­gen wird, daß ich nicht be­trun­ken war. Der Zeu­ge saß mit am Tisch. Es ist Mon­dar, der ehe­ma­li­ge Ver­bin­dungs­mann der En­kla­ve von St. Louis.“

Bat öff­ne­te den Mund, um Cle­tus zu un­ter­bre­chen und et­was zu sa­gen, dann schloß er ihn wie­der. Der Ge­ne­ral saß einen Au­gen­blick schwei­gend da. Dann lie­fen die Brau­en aus­ein­an­der, und sei­ne Stirn glät­te­te sich.

„Warum al­so die­ser Be­richt?“ frag­te er in et­was neu­tra­le­rem Ton.

„So­weit ich er­ken­nen konn­te“, sag­te Cle­tus, „hat­te die Schiffs­be­sat­zung ein­deu­tig für die Ko­ali­ti­on Par­tei er­grif­fen.“

„Als­dann, ver­dammt noch mal“, ex­plo­dier­te Fle­der­maus, „warum ha­ben Sie dann die Sa­che nicht auf­ge­klärt?“

„Aus ele­men­ta­ren stra­te­gi­schen Grün­den“, sag­te Cle­tus, „war ich der An­sicht, daß es nichts scha­den könn­te, wenn sich die Ko­ali­ti­ons­leu­te ei­ne mög­lichst ab­fäl­li­ge Mei­nung über mich bil­den wür­den – so­wohl über mei­ne Per­son als auch über mei­ne Fä­hig­kei­ten, Ih­nen als tak­ti­scher Ex­per­te von Nut­zen zu sein.“

Fle­der­maus starr­te ihn un­heil­voll an. „De­ren Mei­nung kann kaum ge­ring­schät­zi­ger ge­we­sen sein als die mei­ne“, sag­te er. „Für mich sind Sie ab­so­lut un­brauch­bar, Oberst. Das hier ist ein klei­ner, schmut­zi­ger, heim­tücki­scher Krieg, der ir­gend­wel­chen stra­te­gi­schen Mys­te­ri­en kei­ner­lei Raum bie­tet. Die­se exo­ti­sche Ko­lo­nie hat al­les, was sie braucht: klu­ge Köp­fe, Geld­mit­tel, tech­no­lo­gi­sche Hil­fe und ei­ne Mee­res­küs­te. Die Neu­län­der ha­ben da­ge­gen we­der ei­ne Küs­te noch ei­ne In­dus­trie, da­für aber ei­ne Men­ge hung­ri­ger Mäu­ler, die sie mit Hil­fe ih­rer Agrar­wirt­schaft, die sie im Hin­ter­land be­trei­ben, nicht stop­fen kön­nen – vor al­lem we­gen ih­res re­li­gi­ösen Kults, der die Viel­wei­be­rei er­laubt. Da­für sind aber ge­nü­gend Leu­te da, um den Gue­ril­las nie ver­sie­gen­den Nach­schub zu bie­ten. Al­so stre­ben die Neu­län­der das an, was die Exo­ten be­reits be­sit­zen, und die Ko­ali­ti­on ver­sucht ih­nen zu hel­fen. Wir aber sind da­zu da, um dies zu ver­hin­dern. Das ist al­les. Was die Neu­land-Gue­ril­las an­stre­ben und wor­an wir sie hin­dern wol­len, ist of­fen­sicht­lich. Dar­um kann ich einen Tak­tik-Ex­per­ten eben­so­we­nig brau­chen wie ein Sym­pho­nie­or­che­s­ter mit hun­dert Mann. Und ich bin si­cher, daß de­Ca­stries und die an­de­ren Ko­ali­ti­ons­leu­te an Bord das eben­so­gut wuß­ten wie ich.“

„Mag sein, daß ich so un­nütz bin, wie der Herr Ge­ne­ral mei­nen“, sag­te Cle­tus, der sich nicht aus der Ru­he brin­gen ließ. „Na­tür­lich muß ich den­noch die La­ge über­wa­chen und son­die­ren, in­dem ich da­mit be­gin­ne, einen Plan zu ent­wi­ckeln, um je­nen Gue­ril­las das Hand­werk zu le­gen, die wäh­rend der nächs­ten Ta­ge über den Et­ter-Paß ins Land ein­zu­drin­gen ver­su­chen.“

Fle­der­maus’ Au­gen­brau­en schnell­ten wie­der nach oben. „Neue Gue­ril­las? Wer hat Ih­nen et­was vom Et­ter-Paß er­zählt?“ schnapp­te er. „Wel­ches Ka­nin­chen wol­len Sie jetzt schon wie­der aus dem Hut zau­bern?“

„Dies­mal ist es kein Ka­nin­chen“, gab Cle­tus zu­rück. „Ich be­fürch­te, es han­delt sich nicht ein­mal um ei­ne pro­fes­sio­nel­le Be­ur­tei­lung, eher um ge­sun­den Men­schen­ver­stand. Wäh­rend de­Ca­stries hier ist, wol­len die Neu­län­der ver­su­chen, ir­gend et­was Spek­ta­ku­lä­res in die Welt zu set­zen … Ha­ben Sie ei­ne Land­kar­te zur Hand?“

Fle­der­maus drück­te einen Knopf auf der Schreib­tisch­plat­te, und die Wand zu Cle­tus’ Lin­ken wur­de hell und ent­hüll­te ei­ne große Kar­te, auf der die lan­ge, schma­le Küs­ten­land­schaft der exo­ti­schen Ko­lo­nie so­wie die Ber­ge, die sie von der Bin­nen­land­ko­lo­nie Neu­lands trenn­te, sicht­bar wur­den. Cle­tus trat an die Pro­jek­ti­on her­an, un­ter­such­te die Land­kar­te und wies dann mit dem Zei­ge­fin­ger auf einen Punkt in­mit­ten des Ge­birgs­zu­ges, der auf der lin­ken Sei­te der Kar­te ent­lan­glief.

„Hier liegt der Et­ter-Paß“, er­läu­ter­te er, „ein tiefer Ein­schnitt im Ge­bir­ge, der von Neu­land hin­un­ter nach Bak­hal­la führ­te – nach den Be­rich­ten nicht all­zu­sehr von den Neu­län­dern fre­quen­tiert, da es auf der Sei­te der Exo­ten kaum et­was gibt, was im Um­kreis von et­wa hun­dert Mei­len einen An­griff recht­fer­ti­gen wür­de. An­de­rer­seits ist der Paß ver­hält­nis­mä­ßig leicht zu durch­que­ren. Hier, am En­de des Pas­ses, liegt nichts wei­ter als die klei­ne Stadt Zwei­strom. Vom prak­ti­schen Stand­punkt aus ge­se­hen ist es na­tür­lich bes­ser, wenn die Neu­län­der ih­re Gue­ril­las über je­ne Päs­se ins Land schi­cken, die nä­her bei den dich­ter be­völ­ker­ten Zen­tren lie­gen. Doch wenn sie eher auf ein Spek­ta­kel als auf Beu­te aus sind, wür­de es sich aus­zah­len, einen ei­ni­ger­ma­ßen gut aus­ge­rüs­te­ten Trupp wäh­rend der nächs­ten paar Ta­ge hier ein­zu­set­zen, so daß sie in­ner­halb der nächs­ten Wo­che ei­ne der klei­ne­ren Küs­ten­städ­te an­grei­fen, viel­leicht so­gar er­obern und ei­ni­ge Ta­ge hal­ten kön­nen.“

Cle­tus dreh­te sich um, hum­pel­te zu sei­nem Stuhl zu­rück und setz­te sich. Fle­der­maus be­trach­te­te stirn­run­zelnd die Kar­te.

„Auf je­den Fall“, sag­te Cle­tus, „dürf­te es nicht be­son­ders schwer fal­len, ei­ne Fal­le zu stel­len und die meis­ten von ih­nen zu fan­gen, so­bald sie ver­su­chen, Zwei­strom zu pas­sie­ren. An und für sich könn­te ich die Ope­ra­ti­on selbst durch­füh­ren. Wenn Sie mir ein Ba­tail­lon Fall­schirm­jä­ger ge­ben …“

„Ba­tail­li­on! Fall­schirm­jä­ger!“ Flel­der­maus schreck­te plötz­lich aus sei­nen Ge­dan­ken hoch und warf einen Blick auf Cle­tus. „Was glau­ben Sie, wo wir sind? In ei­nem Klas­sen­zim­mer, wo Sie sich je­de Ar­mee er­träu­men kön­nen, die Sie für ei­ne be­stimm­te Ope­ra­ti­on brau­chen? Auf Kul­tis gibt es kei­ne Fall­schirm­jä­ger. Und Ih­nen gleich ein Ba­tail­li­on zur Ver­fü­gung zu stel­len, ganz gleich, um wel­che Art von Trup­pen es sich han­delt – selbst wenn an Ih­ren Vor­ah­nun­gen et­was dran wä­re …“ schnarr­te Fle­der­maus.

„Die Gue­ril­las wer­den be­stimmt kom­men. Ich set­ze für die­se Pro­gno­se mei­ne ge­sam­te Re­pu­ta­ti­on aufs Spiel“, sag­te Cle­tus un­ge­rührt.

„Das heißt, die ha­be ich wohl be­reits aufs Spiel ge­setzt, wenn ich’s mir recht über­le­ge. Ich er­in­ne­re mich an ein paar Ge­sprä­che mit ei­ni­gen Mit­glie­dern mei­nes Staa­tes an der Aka­de­mie und an ein Ge­spräch mit ei­nem Freund in Wa­shing­ton, wo ich ei­ne sol­che In­fil­tra­ti­on vor­aus­ge­sagt ha­be, so­bald Dow de­Ca­stries in Neu­land ein­ge­trof­fen ist.“

„Sie ha­ben be­reits pro­phe­zeit …“ Fle­der­maus’ Stim­me klang plötz­lich nach­denk­lich, fast hin­ter­lis­tig. Er saß wie­der hin­ter sei­nem Schreib­tisch, hat­te die Brau­en zu­sam­men­ge­zo­gen und schau­te Cle­tus ab­wä­gend an. Dann wur­de der Blick sei­ner dunklen Au­gen scharf. „Al­so ha­ben Sie Ih­re Re­pu­ta­ti­on ver­wet­tet, Oberst, nicht wahr? Aber ich ha­be kei­ne Er­satz­trup­pen, und in je­dem Fall sind Sie nur als tech­ni­scher Be­ra­ter an­ge­stellt … Ich will Ih­nen mal was sa­gen. Ich wer­de ei­ne Kom­pa­nie aus Ur­lau­bern und Um­schü­lern zu­sam­men­trom­meln und mit ei­nem Fel­d­of­fi­zier aus­sen­den. Er wird wahr­schein­lich jün­ger sein als Sie, aber Sie kön­nen ihn be­glei­ten, wenn Sie wol­len. Of­fi­zi­ell nur als Be­ob­ach­ter, aber ich wer­de dem kom­man­die­ren­den Of­fi­zier sa­gen, daß er sich an Ih­re An­wei­sun­gen zu hal­ten hat … Reicht Ih­nen das?“

Fle­der­maus’ letz­te Wor­te hör­ten sich an, als woll­te er Cle­tus die Pis­to­le auf die Brust set­zen. Nimm, Vo­gel, friß oder stirb, sonst gibt es kei­ne Al­ter­na­ti­ve.

„Si­cher“, sag­te Cle­tus. „wie Herr Ge­ne­ral wün­schen.“

„Al­so gut!“ Fle­der­maus rich­te­te sich auf und bleck­te die Zäh­ne mit fast wöl­fi­schem Grin­sen. „Sie kön­nen ge­hen und Ihr Quar­tier auf­su­chen, Oberst. Aber hal­ten Sie sich zur Ver­fü­gung.“

Cle­tus er­hob sich. „Dan­ke, Sir“, sag­te er und mach­te An­stal­ten zu ge­hen.

„Kei­ne Ur­sa­che, Oberst, kei­ne Ur­sa­che“, ver­nahm er Fle­der­maus’ Stim­me, in der ein ver­bor­ge­nes Ki­chern lag, wäh­rend er die Bü­ro­tür hin­ter sich schloß.

Cle­tus ver­ließ das Haupt­quar­tier und such­te nach ei­ner Un­ter­kunft. So­bald er im Quar­tier für le­di­ge Of­fi­zie­re un­ter­ge­bracht war, be­gab er sich mit ei­ner Ko­pie sei­ner Be­feh­le ins Of­fi­ziers-Haupt­quar­tier, um fest­zu­stel­len, ob je­ner Leut­nant Ar­vid John­son, über den er mit Mon­dar ge­spro­chen hat­te, ver­füg­bar war. Nach­dem er fest­ge­stellt hat­te, daß der Of­fi­zier zur Ver­fü­gung stand, stell­te Cle­tus den An­trag, ihm den Mann als Mit­glied sei­nes For­schungs­sta­bes zu­zu­tei­len, und hin­ter­ließ ihm die Nach­richt, ihn un­ver­züg­lich in sei­nem Quar­tier auf­zu­su­chen.

Dann be­gab er sich wie­der in sein Quar­tier. Nach ei­ner knap­pen Vier­tel­stun­de läu­te­te es be­reits an sei­ner Tür. Cle­tus er­hob sich aus sei­nem Ses­sel und öff­ne­te.

„Ar­vid!“ sag­te er, in­dem er den Be­such ein­tre­ten ließ und die Tür hin­ter ihm schloß. Ar­vis John­son trat ein, mach­te kehrt und lä­chel­te Cle­tus fröh­lich an, wäh­rend sie sich die Hän­de schüt­tel­ten. Cle­tus war selbst hoch­ge­wach­sen, Ar­vid aber wirk­te wie ei­ne Tan­ne von den Soh­len sei­ner schwar­zen Stie­fel bis an die Spit­zen sei­nes kurz­ge­schnit­te­nen, weiß­blon­den Haa­res.

„End­lich sind Sie ge­kom­men, Sir“, sag­te Ar­vid lä­chelnd. „Sie hat­ten es zwar ver­spro­chen, aber ich konn­te ein­fach nicht glau­ben, daß Sie we­gen die­ser Sa­che die Aka­de­mie sau­sen las­sen wür­den.“

„Hier ist die Stät­te, wo sich die Din­ge ent­wi­ckeln wer­den“, sag­te Cle­tus.

„Sir?“ mein­te Ar­vid zwei­felnd. „Hier auf Kul­tis?“

„Es geht nicht so sehr um den Ort“, sag­te Cle­tus. „Eher sind es die Leu­te, die die Er­eig­nis­se steu­ern. Wir ha­ben jetzt einen Mann mit Na­men Dow de­Ca­stries in un­se­rer Mit­te, und ich möch­te sie zu­nächst bit­ten, mit mir an ei­ner Par­ty teil­zu­neh­men, die er heu­te Abend gibt.“

„Dow de­Ca­stries?“ ver­setz­te Ar­vid und schüt­tel­te den Kopf. „Ich glau­be nicht, daß ich ihn ken­ne …“

„Mi­nis­ter für die Au­ßen­wel­ten bei der Ko­ali­ti­on“, er­läu­ter­te Cle­tus. „Er kam mit dem glei­chen Raum­schiff von der Er­de wie ich – ein Mann, der et­was für Spie­le üb­rig hat.“

Avrid nick­te. „Oh, ei­ner von den Ko­ali­ti­ons­bos­sen!“ sag­te er. „Kein Wun­der, wenn Sie mein­ten, daß es jetzt hier bei uns los­geht … Was mei­nen Sie da­mit – ein Mann, der et­was für Spie­le üb­rig hat? In­ter­es­siert er sich für Sport?“

„Nicht im üb­li­chen Sinn“, sag­te Cle­tus. Dann be­gann er zu zi­tie­ren: „Er spiel­te oh­ne Herz um man­che Kro­ne/sein Ein­satz war ein Welt­reich, wa­ren Thro­ne/Der Wa­gen, den er fuhr, ein To­ten­schrein/und sei­ne Wür­fel nichts als To­ten­bein.“

„Sha­ke­s­pea­re?“ frag­te Ar­vid neu­gie­rig.

„By­ron“, sag­te Cle­tus, „in The Age of Bron­ze über Na­po­le­on.“

„Sir“, mein­te Ar­vid, „glau­ben Sie wirk­lich, daß de­Ca­stries ein zwei­ter Na­po­le­on ist?“

„Eben­so­we­nig wie Na­po­le­on ein frü­he­rer de­Ca­stries war“, er­wi­der­te Cle­tus. „Aber die bei­den ha­ben ei­ni­ges ge­mein­sam.“

Ar­vid war­te­te noch einen Au­gen­blick, aber Cle­tus sag­te nichts wei­ter. Der hoch­ge­wach­se­ne jun­ge Mann nick­te er­neut.

„Ja­wohl, Sir“, sag­te er. „Wann wer­den wir auf die­ser Par­ty er­war­tet, Oberst?“