12

 

Sie tra­fen sich ei­ne Wo­che spä­ter in Eachan Khans Bü­ro – Cle­tus, Eachan und wei­te­re vier ho­he Dor­sai-Of­fi­zie­re. Da war Eachans Stell­ver­tre­ter, Oberst­leut­nant Mar­cus Dodds, ein hoch­ge­schos­se­ner, stil­ler, schmal­kno­chi­ger Mann. Da war auch ein Ma­jor mit kahl­ra­sier­tem Schä­del und aus­drucks­lo­sen Zü­gen in ei­nem har­ten, run­den, blauschwar­zen Ge­sicht, der den sim­plen Na­men Swa­hi­li Arug, ein ge­wis­ser Ma­jor Da­vid Ap Mor­gan, dünn wie ei­ne Boh­nen­stan­ge, mit Frett­chen­ge­biß und hel­ler Haut, so weiß, wie Swa­hi­li schwarz war. Und schließ­lich Haupt­mann Es­te Cho­tai, un­ter­setzt, mus­ku­lös, statt­lich, mit Schlitzau­gen in ei­nem leicht mon­go­lisch wir­ken­den Ge­sicht. Sie al­le sa­ßen am großen Kon­fe­renz­tisch in Eachans ge­räu­mi­gem Ar­beits­zim­mer, Eachan am Kopf­en­de und Cle­tus zu sei­ner Rech­ten.

„Al­so, mei­ne Her­ren“, sag­te Eachan Khan ab­schlie­ßend, in­dem er sei­ne Er­klä­run­gen hin­sicht­lich Cle­tus’ An­we­sen­heit be­en­de­te, „ha­ben wir einen neu­en kom­man­die­ren­den Of­fi­zier von den Streit­kräf­ten der Al­li­anz. Ich er­tei­le hier­mit Oberst Gra­ha­me das Wort.“

Eachan er­hob sich von sei­nem Stuhl am Kopf­en­de des Ti­sches und trat bei­sei­te. Cle­tus er­hob sich, und Eachan nahm Cle­tus’ Platz ein. Cle­tus trat hin­ter den Stuhl, auf dem Eachan ge­ses­sen hat­te, nahm aber nicht so­fort Platz.

Er dreh­te sich um und schau­te auf die große Kar­te, die auf die Wand hin­ter sei­nem Rücken pro­ji­ziert wor­den war und das Ge­biet um den Et­ter-Paß und Zwei­strom zeig­te. Wäh­rend er die Kar­te be­trach­te­te, durch­flu­te­te ihn plötz­lich ein tie­fes Ge­fühl von Kraft und Zu­ver­sicht, und die Stil­le des Raum­es, der hin­ter ihm lag, klang in sei­nen Oh­ren wie Glo­cken­ge­läut. Die Kar­te schi­en vor sei­nen Au­gen auf­zu­blü­hen und le­ben­dig zu wer­den, er aber sah nicht mehr das pro­ji­zier­te Bild, son­dern die Wirk­lich­keit, den Ur­wald, die Ber­ge und den Fluß vor sich.

Dann dreh­te er sich um und wand­te sich wie­der den Dor­sai-Of­fi­zie­ren zu. Un­ter sei­nem Blick straff­ten sie sich, und ih­re Au­gen wur­den schmal, als sei et­was Mas­si­ves und Frem­des in ih­ren Kreis ge­tre­ten. Eachan starr­te Cle­tus an, als hät­te er ihn nie vor­her ge­se­hen.

„Sie al­le sind Be­rufs­sol­da­ten“, sag­te Cle­tus. Sei­ne Stim­me klang flach, fast ein­tö­nig und aus­drucks­los, aber sie füll­te den­noch den Raum und war von ei­ner Ent­schlos­sen­heit, die we­der Zwei­fel noch Wi­der­spruch bei sei­nen Zu­hö­rern auf­kom­men ließ. „Ih­re Zu­kunft hängt da­von ab, was Sie in den nächs­ten zwei Wo­chen un­ter­neh­men. Dar­um möch­te ich Ih­nen et­was sa­gen, was kein Mensch auf die­sem Pla­ne­ten weiß, und ich hof­fe, daß Sie die­se In­for­ma­tio­nen ab­so­lut ver­trau­lich be­han­deln.“

Er leg­te ei­ne Pau­se ein, aber die an­de­ren starr­ten ihn an, als sei­en sie in Tran­ce.

„Sie sol­len ei­ne Schlacht schla­gen. Da­bei ha­be ich kei­nes­wegs vor, den Feind in die­ser Schlacht zu ver­nich­ten – viel­mehr soll er ge­zwun­gen wer­den, sich in großer Zahl zu er­ge­ben. Wenn al­les nach Plan läuft, kön­nen Sie oh­ne große Op­fer die­se Schlacht ge­win­nen … Das ist na­tür­lich kei­ne Ga­ran­tie. Ich mei­ne nur, daß die Sa­che so und nicht an­ders ver­lau­fen soll. Auf je­den Fall müs­sen Sie ei­ne Schlacht schla­gen.“

Er leg­te wie­der ei­ne Pau­se ein, schau­te je­dem ein­zel­nen ins Ge­sicht und fuhr dann fort.

„Dort hin­ter mir“, sag­te er. „se­hen Sie je­nes Hoch­land, wo­hin Sie En­de die­ser Wo­che zum Zwe­cke ei­ner wei­te­ren prak­ti­schen Aus­bil­dung ver­legt wer­den. Doch dies soll kein blo­ßes Trai­ning sein. Je bes­ser die Ver­fas­sung Ih­rer Leu­te am En­de der Aus­bil­dungs­zeit ist und je bes­ser sie das Ge­län­de ken­nen, um so grö­ßer die Chan­ce, in ei­nem mög­li­chen Kampf zu über­le­ben. Oberst Khan wird je­dem von Ih­nen sei­ne spe­zi­fi­schen Be­feh­le er­tei­len. Das ist al­les, was ich Ih­nen im Au­gen­blick zu sa­gen ha­be. Wie ich schon sag­te, dür­fen Sie kei­nem ver­ra­ten, am we­nigs­ten den Leu­ten, die un­ter Ih­rem Kom­man­do ste­hen, daß ir­gend­ei­ne Ak­ti­on ge­plant ist. Wenn ich Sie und Ih­re Mann­schaft rich­tig ein­schät­ze, so wer­den sie schon mit­krie­gen, daß et­was läuft … Das wä­re al­les.“

Er setz­te sich ab­rupt und wand­te sich an Eachan.

„Über­neh­men Sie, Oberst“, sag­te er.

Eachan stand noch einen Au­gen­blick un­be­weg­lich da und schau­te ihn den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de lang an. Dann stand er auf, räus­per­te sich und be­gann, die plan­mä­ßi­gen Be­we­gun­gen der ver­schie­de­nen Ein­hei­ten von Bak­hal­la in den Be­reich von Zwei­strom zu er­läu­tern.

Vier Ta­ge spä­ter be­gann der Trans­port der Söld­ner nach Zwei­strom an Bord je­ner Schif­fe, die sei­ner­zeit Cle­tus, Ober­leut­nant Athyer und sei­ne Trup­pen nach Zwei­strom ge­bracht hat­te. Cle­tus war bei ei­nem der ers­ten Flü­ge da­bei und ab­sol­vier­te mit Eachan Khan einen Rund­flug über dem Ge­biet. Cle­tus’ Auf­merk­sam­keit galt vor al­lem Zwei­strom selbst, ei­nem Ort, den man eher als ein großes Dorf denn als Stadt be­zeich­nen konn­te.

Die Sied­lung war ei­gent­lich nichts wei­ter als ei­ne V-för­mi­ge An­häu­fung von Ei­gen­hei­men und Pri­vat­häu­sern, die um ein La­ger­haus, ei­ne Art Su­per­markt und ein klei­nes Ge­schäfts­vier­tel grup­piert wa­ren, und zwar am En­de des Flach­lan­des, wo sich das Tal des Blau­en Flus­ses mit dem Tal des Milch­flus­ses ver­ein­te. Die­ses Wohn­ge­biet mit sei­nen we­ni­gen Stra­ßen und Ge­bäu­den, die wie zu­fäl­lig ver­streut in der Land­schaft la­gen, er­streck­te sich über die bei­den Fluß­tä­ler un­ge­fähr ei­ne Vier­tel­mei­le bis zu je­ner Stel­le, wo das Fluß­ufer zu hoch und zu steil wur­de, um wei­te­re Häu­ser zu bau­en. Die Sied­lung war weit­ge­hend ei­ne Ge­mein­schaft von Wild­far­mern, die in dem Ur­wald, der sie um­gab, ein­hei­mi­sche oder ak­kli­ma­ti­sier­te Bäu­me züch­te­ten, die ei­ne Ern­te lie­fer­ten, oh­ne daß das Land vor­her auf­ge­teilt oder ge­ro­det wur­de. Ein Wild­far­mer hat­te kei­nen Land­be­sitz. Sein Be­sitz be­schränk­te sich auf ein paar Bäu­me oder Pflan­zen, die er pfleg­te und de­ren Früch­te er in ge­wis­sen Ab­stän­den ern­te­te. Um Zwei­strom her­um wuch­sen ei­ne Art Sau­er­kir­schen­bäu­me und mu­tier­te Gum­mi­bäu­me, wel­che die Exo­ten vor vier Jah­ren ge­pflanzt hat­ten.

Die Ein­woh­ner nah­men die In­va­si­on der Dor­sai gu­ten Mu­tes auf. Die Söld­ner wa­ren nach Dienst­schluß be­deu­tend ru­hi­ger als die re­gu­lä­ren Trup­pen. Au­ßer­dem wür­den sie in der Stadt Geld aus­ge­ben. Die Leu­te schenk­ten Cle­tus we­nig Auf­merk­sam­keit, wäh­rend er zu­sam­men mit Eachan Khan an den na­hen Ufern der bei­den Flüs­se und wei­ter un­ten in der of­fe­nen Land­schaft der Ge­mein­de Be­fes­ti­gungs­punk­te mar­kier­te und Grä­ben für Waf­fen aus­he­ben ließ. Am En­de wa­ren es zwei V-för­mi­ge Li­ni­en, ei­ne in­mit­ten der an­de­ren, die sich über die Zu­gän­ge zur Stadt fluß­auf­wärts und an den Fluß­mün­dun­gen ent­lang­zo­gen.

„Und jetzt“, sag­te Cle­tus zu Eachan, als sie da­mit fer­tig wa­ren, „wol­len wir einen Blick hin­ter den Paß wer­fen.“

Sie nah­men ei­nes der Ver­sor­gungs­schif­fe, das so­eben sei­ne mensch­li­che Fracht, ei­ne Grup­pe von Dor­sai-Krie­gern, aus­ge­la­den hat­te und ge­ra­de nach Bak­hal­la zu­rück­keh­ren woll­te, um die nächs­te La­dung ab­zu­ho­len. Sie über­flo­gen die Ge­gend um den Et­ter-Paß und kreis­ten tief über die et­wa zehn Mei­len brei­te Ge­birgs­land­schaft hin­ter dem Paß, wo sich der Bo­den wie­der zum Ur­wald hin zu sen­ken be­gann, der be­reits zum Neu­län­der-Ter­ri­to­ri­um ge­hör­te.

„Ich glau­be, daß die Neu­län­der kom­men wer­den, um nach­zu­se­hen, was wir da trei­ben“, sag­te er zu Eachan, „so­bald ih­re Leu­te aus Bak­hal­la ge­mel­det ha­ben, daß die Dor­sai zu Wehr­übun­gen in die­se Ge­gend ver­legt wur­den. Die­se Sei­te des Ge­bir­ges soll von Leu­ten über­wacht wer­den, die man nicht so leicht aus­ma­chen kann. Ich hof­fe, daß Sie sol­che Leu­te zur Ver­fü­gung ha­ben.“

„Aber ge­wiß doch!“ er­wi­der­te Eachan. „Ich wer­de Wa­chen in sechs­und­zwan­zig-Stun­den-Schich­ten rund um die Uhr auf­stel­len las­sen. Wann sol­len wir da­mit be­gin­nen?“

„Un­ver­züg­lich“, mein­te Cle­tus.

„Die ers­te Grup­pe wird in ei­ner hal­b­en Stun­de in Marsch ge­setzt“, ver­sprach Eachan. „Sonst noch Wün­sche?“

„Ja“, sag­te Cle­tus. „Ich möch­te, daß die Stel­lun­gen in der Stadt und ober­halb der Stadt ein­ge­gra­ben wer­den, mit ei­nem Erd­wall in­nen und Sand­sä­cken au­ßen, so daß die Stel­lun­gen an der Ba­sis min­des­tens sechs Fuß stark und et­wa sie­ben Fuß hoch über dem Bo­den lie­gen.“

Eachan run­zel­te leicht die Stirn. „In Ord­nung, Oberst“, sag­te er la­ko­nisch und oh­ne Kom­men­tar.

„Das wär’s dann“, mein­te Cle­tus. „Ich wer­de nach Bak­hal­la zu­rück­flie­gen, Sie aber vor­her in Zwei­strom ab­set­zen. Ha­ben Sie vor, spä­ter in die Stadt zu­rück­zu­keh­ren?“

„Heu­te Abend“, er­wi­der­te er, „so­bald al­le mei­ne Leu­te da sind und ih­re Stel­lun­gen be­zo­gen ha­ben. Ich wer­de wahr­schein­lich hin und her pen­deln. Tags­über hier – nachts in Bak­hal­la.“

„Dann se­hen wir uns in der Stadt wie­der“, sag­te Cle­tus, dann wand­te er sich an die Pi­lo­ten. „Brin­gen Sie uns nach Zwei­strom zu­rück.“

Er setz­te Eachan ab und kehr­te nach Bak­hal­la zu­rück. Dort war­te­te die Ar­beit be­reits sta­pel­wei­se auf ihn, zu­mal er sich als Stell­ver­tre­ter von Fle­der­maus bei den Dor­sai einen zwei­ten Pos­ten auf­ge­bür­det hat­te. Die Dor­sai hat­ten nur ein klei­nes Haupt­quar­tier, des­sen Stab fast gleich Null war, wie auf al­len Ge­bie­ten, wo die Dor­sai Ver­wal­tungs­per­so­nal ein­set­zen muß­ten. Im Fel­de war je­der Dor­sai sein ei­ge­ner Koch, Bur­sche und Tel­ler­wä­scher, und die Of­fi­zie­re wa­ren für den ge­sam­ten an­fal­len­den Pa­pier­kram zu­stän­dig, so­weit er ihr Kom­man­do be­traf. In der Etap­pe aber wur­den Leu­te von den re­gu­lä­ren Kampf­trup­pen ge­gen ei­ne klei­ne Ex­tra­ver­gü­tung als Schrei­ber, Kö­che, Fah­rer und so wei­ter an­ge­stellt, al­les Pos­ten, die es drau­ßen im Feld nicht gab.

Je­ne Dor­sai al­so, die Cle­tus hät­ten bei­ste­hen sol­len, um den Wust von Pa­pier ab­zu­bau­en, so­fern es die Söld­ner be­traf, wa­ren al­le nach Zwei­strom ab­kom­man­diert. Das war ein wei­te­rer Grund für Eachan, je­den Abend nach Bak­hal­la zu kom­men und sich um den Pa­pier­kram zu küm­mern.

Cle­tus hat­te zwar sei­nen Stab zur Ver­fü­gung, den Ar­vid für ihn zu­sam­men­ge­trom­melt hat­te, um bei den Vor­her­sa­gen über die feind­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten be­hilf­lich zu sein. Doch die Mit­glie­der die­ses Sta­bes ein­schließ­lich Ar­vid wa­ren durch ih­re Auf­ga­ben voll aus­ge­las­tet, zu­min­dest wäh­rend der nor­ma­len Ar­beits­stun­den. Cle­tus hat­te sei­ne Leu­te als ei­ne Art For­schungs­dienst or­ga­ni­siert. Sie sam­mel­ten In­for­ma­tio­nen so­wohl über Neu­land als auch über die Exo­ten­ko­lo­nie nebst all den phy­si­ka­li­schen Da­ten über Kul­tis – Wet­ter, Kli­ma, Flo­ra und Fau­na –, die für die bei­den Völ­ker­grup­pen cha­rak­te­ris­tisch wa­ren. Die­se In­for­ma­tio­nen wur­den ver­dich­tet und an Cle­tus wei­ter­ge­lei­tet, so­bald sie ver­füg­bar wa­ren. Er be­nö­tig­te fast einen hal­b­en Ar­beits­tag da­zu, um all die­se Da­ten auf­zu­neh­men und zu ver­ar­bei­ten.

So kam es, daß Cle­tus die ers­ten fünf Ta­ge nach Ver­le­gung der Dor­sai nach Zwei­strom von sie­ben Uhr mor­gens bis Mit­ter­nacht in sei­nem Bü­ro saß und kaum ei­ne klei­ne Pau­se ein­schob. Am Abend des fünf­ten Ta­ges ge­gen sie­ben Uhr, nach­dem sein Per­so­nal schon ge­gan­gen war, kam We­fer Li­net un­er­war­tet zu Be­such.

„Zie­hen wir aus, um ein paar wei­te­re Neu­län­der-Gue­ril­las zu fan­gen“, schlug er vor.

Cle­tus lach­te, lehn­te sich auf sei­nem Stuhl zu­rück und streck­te die Glie­der. „Ich wüß­te nicht, wo im Au­gen­blick wel­che zu fin­den sind“, sag­te er.

„Ge­hen wir al­so zum Abendes­sen und re­den wir dar­über“, ver­setz­te We­fer hin­ter­häl­tig. „Viel­leicht kommt dann ei­ner von uns bei­den da­hin­ter, wo wir wel­che auf­stö­bern kön­nen.“

Cle­tus lach­te er­neut, woll­te den Kopf schüt­teln, ließ sich dann aber doch über­re­den. Al­ler­dings be­stand er nach dem Abendes­sen dar­auf, an sei­nen Schreib­tisch zu­rück­zu­keh­ren. We­fer be­glei­te­te ihn und ging nur un­gern, als ihm Cle­tus be­deu­te­te, daß er un­be­dingt noch ei­ni­ges auf­ar­bei­ten müs­se.

„Den­ken Sie aber dar­an“, sag­te We­fer, be­vor er ihn ver­ließ, „daß Sie mich an­ru­fen, so­bald sich et­was rührt. Ich ha­be ins­ge­samt fünf Mark V be­kom­men, und vier da­von ste­hen in­ner­halb von ei­ner hal­b­en Stun­de zu Ih­rer Ver­fü­gung. Das gilt nicht nur für mich, son­dern auch für mei­ne Mann­schaft. Je­der von de­nen, die da­mals mit an Bord ge­we­sen sind, hat die Ge­schich­te über­all her­u­mer­zählt, so daß es kaum einen Mann un­ter mei­nem Kom­man­do gibt, der für Sie nicht durchs Feu­er ge­hen wür­de, so­bald Sie nur mit dem Fin­ger schnip­pen … Sie wer­den be­stimmt ei­ne Mög­lich­keit fin­den, nicht wahr?“

„Ver­spro­chen“, sag­te Cle­tus. „Ich wer­de in Kür­ze et­was für Sie aus­gra­ben.“

Dann hat­te sich We­fer end­lich ver­zo­gen, und Cle­tus kehr­te an sei­nen Schreib­tisch zu­rück. Ge­gen elf hat­te er die um­fang­rei­chen und de­tail­lier­ten Be­feh­le im Ent­wurf fer­tig, wel­che die Ak­tio­nen und die un­vor­her­ge­se­he­nen Mög­lich­kei­ten für die nächs­ten zwei Ta­ge be­tra­fen. Er pack­te je­ne Be­feh­le zu­sam­men, die für Eachan Khan und die Dor­sai-Trup­pen be­stimmt wa­ren, ver­ließ das Bü­ro und fuhr mit ei­nem Dienst­wa­gen zum Haupt­quar­tier im Dor­sai-Be­zirk.

Er park­te vor dem Ge­bäu­de, wo be­reits zwei wei­te­re Wa­gen stan­den. Das Fens­ter von Eachans Bü­ro war er­leuch­tet. Der Rest des Ge­bäu­des – ein pro­vi­so­ri­scher Bau aus ein­hei­mi­schem Holz mit mi­li­tä­risch hell­grü­nem An­strich, das im blei­chen Licht des Neu­mon­des fast weiß wirk­te – war dun­kel wie die üb­ri­gen Bü­ro­ge­bäu­de und Ba­ra­cken. Es war wie in ei­ner Geis­ter­stadt, in der nur ein ein­zi­ger Mensch wohn­te.

Cle­tus stieg aus dem Wa­gen, ging die Trep­pen zur Ein­gangs­hal­le hin­auf, trat durch die Schwing­tür, die nor­ma­ler­wei­se die Be­su­cher von den Ar­bei­ten­den im Vor­raum trenn­te, ging den Kor­ri­dor ent­lang, der sich hin­ter dem Vor­raum er­streck­te, bis er die halb ge­öff­ne­te Tür von Eachans Pri­vat­bü­ro er­reich­te, aus dem ein gel­ber Licht­strahl auf den Kor­ri­dor fiel. Wäh­rend er sich lang­sam dem Licht­fleck auf dem Bo­den nä­her­te, horch­te er plötz­lich auf, als Stim­men an sein Ohr dran­gen.

Es wa­ren Eachans und Me­lis­sas Stim­men – und ih­re Un­ter­hal­tung war nicht für die Öf­fent­lich­keit be­stimmt.

Cle­tus hät­te sich durch ein Hus­ten oder sonst­wie be­merk­bar ma­chen kön­nen – doch in dem Au­gen­blick, als sein Na­me fiel, wuß­te er auch schon, worum es ging. An­statt um­zu­keh­ren oder sich zu­rück­zu­zie­hen, blieb er ein­fach ste­hen, oh­ne sich zu rüh­ren, und lausch­te.

„Ich dach­te, du magst den jun­gen Gra­ha­me“, sag­te Eacham.

„Na­tür­lich mag ich ihn!“ Me­lis­sas Stim­me hör­te sich ge­quält an. „Aber das hat nichts da­mit zu tun. Kannst du das nicht be­grei­fen, Va­ti?“

„Nein“, er­wi­der­te Eachan, und sei­ne Stim­me klang un­beug­sam.

Cle­tus trat einen Schritt vor, so daß er durch die halb­of­fe­ne Tür in den er­leuch­te­ten Raum bli­cken konn­te. Das Licht kam von ei­ner ein­zi­gen Lam­pe, die et­wa an­dert­halb Fuß über Eachans Schreib­tisch bau­mel­te. Auf der an­de­ren Sei­te des Ti­sches stan­den sich Eachan und Me­lis­sa ge­gen­über. Ih­re Köp­fe rag­ten über die Lam­pe hin­aus, und ih­re Ge­sich­ter wa­ren in Schat­ten ge­taucht, wäh­rend der un­te­re Teil ih­res Kör­pers hell er­leuch­tet war.

„Frei­lich kannst du das nicht!“ sag­te Me­lis­sa. „Du willst es nicht ein­mal ver­su­chen! Du willst mir doch nicht weis­ma­chen, daß dir das lie­ber ist – als Söld­ner von der Hand in den Mund zu le­ben, lie­ber als un­ser Zu­hau­se in Ja­lala­bad! Mit Dows Hil­fe könn­ten wir dort­hin zu­rück­keh­ren. Du kannst wie­der ein ho­her Of­fi­zier wer­den und dei­nen al­ten Rang zu­rück­er­lan­gen. Und wir könn­ten wie­der in un­se­rer Hei­mat le­ben, wie­der auf der Er­de zu Hau­se sein, Va­ti, wir bei­de!“

„Jetzt nicht mehr“, sag­te Eachan über­zeugt. „Ich bin Sol­dat, Mel­ly, ver­stehst du? Sol­dat! Nicht nur ei­ne Uni­form, in der ein Mann her­um­läuft – aber das wä­re ich, ei­ne ko­stü­mier­te Pup­pe, wenn ich nach Ja­lala­bad zu­rück­kehr­te. Als Dor­sai bin ich im­mer­hin noch Sol­dat!“ Sei­ne Stim­me wur­de plötz­lich rauh. „Ich weiß, es ist un­fair, so­weit es dich be­trifft …“

„Ich tu’s ja nicht für mich!“ sag­te Me­lis­sa. „Glaubst du, ich ma­che mir was dar­aus? Ich war ein klei­nes Mäd­chen, als wir von der Er­de weg­zo­gen, und wenn wir zu­rück­kehr­ten, wä­re be­stimmt al­les an­ders. Aber Mut­ter hat mir ge­sagt, ich soll auf dich auf­pas­sen. Und das will ich tun, weil ich das Ge­fühl ha­be, daß du im­mer noch nicht ge­lernt hast, dich um dich selbst zu küm­mern.“

„Mel­ly …“ Eachans Stim­me war jetzt von Schmerz er­füllt. „Du bist so selbst­si­cher …“

„Das bin ich!“ sag­te sie. „Ei­ner von uns bei­den muß es wohl sein. Ich ha­be ihn ges­tern an­ge­ru­fen.“

„Du hast de­Ca­stries an­ge­ru­fen?“

„Ja“, be­stä­tig­te sie. „ Ich ha­be ihn in der Haupt­stadt von Neu­land an­ge­ru­fen. Ich ha­be ihm ge­sagt, daß wir je­der­zeit kom­men wür­den, wenn er von der Er­de nach uns schickt. Wir wer­den kom­men, ha­be ich ge­sagt. Aber ich möch­te dich war­nen. Wenn du nicht mit­gehst, dann ge­he ich al­lein.“

Einen Au­gen­blick herrsch­te Stil­le in der Dun­kel­heit, die Eachans Ober­kör­per um­hüll­te.

„Dort un­ten gibt es nichts für dich zu ho­len, Kind“, mein­te er barsch. „Du hast es selbst ge­sagt.“

„Trotz­dem wer­de ich ge­hen!“ gab sie zu­rück. „Weil dies die ein­zi­ge Mög­lich­keit ist, dich zu be­we­gen, mit mir mit­zu­kom­men. Ich ge­he auf der Stel­le, wenn es sein muß, und al­lein – das ver­spre­che ich dir …“

Cle­tus war­te­te das En­de des Sat­zes nicht ab. Er mach­te ab­rupt kehrt und ging auf lei­sen Soh­len zum Hauptein­gang zu­rück. Dann mach­te er die Tür auf und schloß sie wie­der, wäh­rend er mit dem Handrücken laut an die Tür klopf­te. Dann trat er ein, öff­ne­te ge­räusch­voll die Ab­sper­rung zum Vor­raum und stapf­te laut über den Kor­ri­dor auf die halb ge­öff­ne­te Tür zu.

Als er das Bü­ro be­trat, war die De­cken­be­leuch­tung ein­ge­schal­tet. Im hel­len Licht stan­den sich Me­lis­sa und Eachan im­mer noch ge­gen­über, durch den Schreib­tisch ge­trennt.

„Hal­lo, Me­lis­sa!“ sag­te Cle­tus. „Schön, Sie zu se­hen. Ich ha­be Eachan le­dig­lich ein paar Be­feh­le zu über­hin­gen. Blei­ben Sie noch ein paar Mi­nu­ten, dann kön­nen wir zu­sam­men ei­ne Tas­se Kaf­fee oder sonst­was trin­ken.“

„Nein, ich …“ Me­lis­sa war of­fen­sicht­lich ver­le­gen. Im Schein der De­cken­leuch­ten wirk­te ihr Ge­sicht blaß und ver­härmt. „Ich ha­be Kopf­schmer­zen. Ich wer­de nach Hau­se ge­hen und mich hin­le­gen.“ Und an ih­ren Va­ter ge­wandt: „Wir se­hen uns spä­ter, Va­ti.“

„Ich kom­me bald nach“, er­wi­der­te Eachan.

Sie dreh­te sich um und ver­ließ das Zim­mer, wäh­rend die bei­den Män­ner ihr nach­blick­ten.

Als der Schall ih­rer Schrit­te ver­hallt war und das Tor sich hin­ter ihr ge­schlos­sen hat­te, wand­te sich Cle­tus Eachan zu und leg­te die mit­ge­brach­ten Pa­pie­re auf sei­nen Schreib­tisch.

„Wie lau­tet die neues­te Nach­richt von den Scouts, die die neu­län­di­sche Sei­te der Ber­ge über­wa­chen?“ frag­te Cle­tus, in­dem er das Ge­sicht sei­nes Ge­gen­übers be­trach­te­te und sich vor dem Schreib­tisch in einen Ses­sel fal­len ließ. Eachan ließ sich lang­sam in sei­nen Schreib­tisch­ses­sel sin­ken.

„Die Neu­län­der ent­sen­den kei­ne Trup­pen mehr in die­ses Ge­biet“, sag­te Eachan. „Aber die Scouts schät­zen, daß sie mitt­ler­wei­le an die drei­tau­send­sechs­hun­dert Mann zu­sam­men­ge­zo­gen ha­ben – et­wa die dop­pel­te An­zahl der Dor­sai-Trup­pen. Da­bei han­delt es sich um re­gu­lä­re Trup­pen­ver­bän­de, nicht um Gue­ril­las, die mit leich­ten Pan­zern und be­weg­li­cher Ar­til­le­rie aus­ge­rüs­tet sind. Ich schät­ze, daß es sich um et­wa sech­zig Pro­zent ih­rer voll aus­ge­rüs­te­ten re­gu­lä­ren Kräf­te han­delt.“

„Gut“, sag­te Cle­tus. „Zie­hen Sie Ih­re Leu­te bis auf zwei Kom­pa­ni­en nach Bak­hal­la zu­rück.“

Eachan schau­te rasch auf, als hät­te er all je­ne Be­feh­le, die vor ihm la­gen, voll­kom­men ver­ges­sen. „Ein Rück­zug?“ frag­te er zu­rück. „Wo­zu war es dann gut, un­se­re Trup­pen hier zu kon­zen­trie­ren?“

„Der Grund da­für war, die Neu­län­der zu ver­an­las­sen, so zu han­deln, wie sie es eben ge­tan ha­ben“, sag­te Cle­tus, „näm­lich ih­re Trup­pen auf ih­rer Sei­te der Ber­ge zu­sam­men­zu­zie­hen. Jetzt wer­den wir den Groß­teil un­se­rer Leu­te zu­rück­neh­men, da­mit es so aus­sieht, als hät­ten wir den Kopf ver­lo­ren oder nie vor­ge­habt, ir­gend­wen zu be­dro­hen.“

„Und was woll­ten wir da­mit bezwe­cken?“ frag­te Eachan. Er schau­te Cle­tus aus zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen an.

Cle­tus ließ ein freund­li­ches La­chen er­tö­nen. „Wie ich be­reits ge­sagt ha­be“, er­wi­der­te er, „woll­ten wir nichts wei­ter, als sie zu ver­an­las­sen, auf ih­rer Sei­te des Pas­ses im Ge­bir­ge ei­ne mög­lichst große Streit­macht zu­sam­men­zu­zie­hen. Jetzt kön­nen wir ein­pa­cken und nach Hau­se ge­hen. Aber wie sieht es bei Ih­nen aus? Wahr­schein­lich ist Ih­nen mitt­ler­wei­le auch das Ge­rücht zu Oh­ren ge­kom­men – und nun dürf­ten es die Neu­län­der eben­falls mit­be­kom­men ha­ben –, daß Ge­ne­ral Tray­nor und ich auf höchs­ter Ebe­ne über ei­ne In­va­si­on von Neu­land ge­spro­chen ha­ben und daß wir zu die­sem Zweck ei­ne Be­sich­ti­gung des Et­ter-Pas­ses vor­ge­nom­men ha­ben.“

„Glau­ben Sie wirk­lich“, sag­te Eachan, „daß de­Ca­stries und die Neu­län­der wirk­lich an­neh­men, wir plan­ten ei­ne In­va­si­on?“

„Ich glau­be eher das Ge­gen­teil“, mein­te Cle­tus. „Es ist et­was dar­an: Ein Lüg­ner nimmt stets selbst an, daß der an­de­re lügt, und ein Dieb zwei­felt stets an der Ehr­lich­keit sei­nes Ge­gen­übers. De­Ca­stries ist ver­schla­gen, und ver­schla­ge­ne Men­schen nei­gen da­zu, in je­der di­rek­ten Ak­ti­on die Ver­schleie­rung ir­gend­wel­cher Tricks zu se­hen. Er weiß längst, daß die­ses Ge­rücht in die Welt ge­setzt wur­de, um ihn und die Neu­län­der zu ver­an­las­sen, ih­re Trup­pen in Marsch zu set­zen, wo­bei der Grund sich dann als trü­ge­risch er­weist und in Wohl­ge­fal­len auf­löst. Er wä­re der Bla­mier­te. Nach La­ge der Din­ge wird er be­schlos­sen ha­ben, un­ser Spiel mit­zu­spie­len und sei­ne Vor­tei­le in dem­sel­ben Au­gen­blick wahr­zu­neh­men, wo er an­nimmt, daß wir uns über ihn lus­tig ma­chen.“

Eachan run­zel­te die Stirn. „Ich weiß nicht, ob ich Ih­ren Aus­füh­run­gen fol­gen kann“, sag­te er.

Cle­tus deu­te­te auf die Schrift­stücke, die er mit­ge­bracht hat­te. „Es steht al­les in den Be­feh­len“, sag­te er. „Sie wer­den mor­gen in al­ler Frü­he da­mit be­gin­nen, Ih­re Leu­te aus dem Ge­biet von Zwei­strom ab­zu­zie­hen, al­le hal­be Stun­de ei­ne Schiffs­la­dung. So­bald Ih­re Leu­te hier ein­tref­fen, kön­nen Sie sie für drei Ta­ge in den Ur­laub schi­cken.“

Eachan schau­te ihn grim­mig an. „Ist das al­les?“ sag­te er schließ­lich.

„Das ist al­les – bis ich Ih­nen wei­te­re Be­feh­le er­tei­le“, sag­te Cle­tus und er­hob sich. Er wand­te sich um und ging auf die Tür zu.

„Gu­te Nacht“, sag­te Eachan hin­ter ihm. Als Cle­tus zur Tür hin­aus­ging und sich nach links wand­te, um den Kor­ri­dor ent­lang­zu­ge­hen, sah er, daß Eachan im­mer noch hin­ter dem Tisch stand und ihm nach­blick­te.

Cle­tus be­gab sich in sein Quar­tier zu­rück und ging zu Bett. Am nächs­ten Mor­gen er­laub­te er sich den un­ge­wöhn­li­chen Lu­xus, lan­ge zu schla­fen. Es war ge­gen zehn Uhr, als er im Of­fi­zier­sklub zu ei­nem spä­ten Früh­stück ein­traf, und fast Mit­tag, als er schließ­lich in sei­nem Bü­ro auf­tauch­te. Ar­vid und sein Stab wa­ren be­reits eif­rig am Werk. Cle­tus schenk­te ih­nen ein vä­ter­li­ches Lä­cheln und rief sie al­le zu­sam­men.

„Ich wer­de am Nach­mit­tag nach Zwei­strom flie­gen“, sag­te er, „um den Ab­zug der Dor­sai-Trup­pen zu über­wa­chen. Es ist al­so sinn­los, mich mit ir­gend­wel­chen In­for­ma­tio­nen zu über­schüt­ten, die bis Mon­tag­mor­gen so­wie­so über­holt sein wer­den. Sie ha­ben al­le Über­stun­den ge­macht, al­so neh­men Sie sich den Rest des Ta­ges frei, das heißt, al­le bis auf Ar­vid.“ Er lä­chel­te dem hoch­auf­ge­schos­se­nen jun­gen Of­fi­zier zu. „Und wir se­hen uns dann An­fang nächs­ter Wo­che wie­der.“

Die Leu­te ver­schwan­den so schnell wie Re­gen­trop­fen auf heißem Pflas­ter nach ei­nem tro­pi­schen Platz­re­gen. So­bald sie weg wa­ren, mach­te Cle­tus sorg­fäl­tig die Run­de im Bü­roraum, um fest­zu­stel­len, ob al­le Si­cher­heits­sys­te­me in­takt und be­triebs­be­reit wa­ren. Dann kehr­te er zu­rück, nahm vor Ar­vids Schreib­tisch Platz, streck­te die Hand nach dem Te­le­fon aus und wähl­te die Num­mer der Ma­ri­ne­ba­sis.

„Hier spricht Oberst Cle­tus Gra­ha­me“, sag­te er zu dem dienst­ha­ben­den Of­fi­zier am an­de­ren En­de der Lei­tung. „Wür­den Sie bit­te Kom­man­deur Li­net auf­trei­ben und ihm sa­gen, er möch­te mich zu­rück­ru­fen? Ich bin in mei­nem Bü­ro zu er­rei­chen.“

Er stell­te das Te­le­fon auf Ar­vids Schreib­tisch zu­rück und war­te­te. Ar­vid mus­ter­te ihn neu­gie­rig. Cle­tus stand auf und ging zu sei­nem ei­ge­nen Schreib­tisch hin­über, hol­te sei­nen ei­ge­nen Ap­pa­rat und tausch­te ihn ge­gen das Ge­rät aus, das vor Ar­vid stand. Dann nahm er Ar­vids Ap­pa­rat und stell­te ihn auf sei­nen Tisch.

Er wähl­te die ers­ten bei­den Stel­len der fünf­stel­li­gen Num­mer von Ge­ne­ral Tray­nors Bü­ro. Auf die­se Wei­se war al­so sein Ap­pa­rat be­legt, oh­ne daß die Ver­bin­dung zu­stan­de ge­kom­men war. Er schob den Ap­pa­rat bei­sei­te und schau­te Ar­vid an.

„Arv“, sag­te er, „ir­gend­wann wäh­rend der nächs­ten Stun­den wird mich Eachan Khan an­ru­fen. Soll­te je­mand an­ders zwi­schen­zeit­lich an­ru­fen, sa­gen Sie dem Be­tref­fen­den, ich sei so­eben weg­ge­gan­gen und Sie wüß­ten nicht, wann ich zu­rück­käme. Wenn aber Eachan Khan an­ruft, so sa­gen Sie ihm, daß ich ge­ra­de mit Ge­ne­ral Tray­nor spre­che – was dann tat­säch­lich der Fall sein wird. Fra­gen Sie ihn, ob Sie mir et­was aus­rich­ten kön­nen oder ihn in ein paar Mi­nu­ten zu­rück­ru­fen sol­len.“

Ar­vid run­zel­te et­was ver­wirrt die Stirn – doch der nach­denk­li­che Aus­druck ver­schwand fast um­ge­hend, und der üb­li­che freund­li­che Aus­druck er­schi­en wie­der auf sei­nem Ge­sicht.

„Ja­wohl, Sir“, sag­te er. – „Und jetzt?“ frag­te er, nach­dem Cle­tus an­ge­ru­fen hat­te.

„Jetzt wol­len wir ab­war­ten.“

Sie war­te­ten fast zwei Stun­den. In der Zwi­schen­zeit ka­men et­wa ein Dut­zend un­wich­ti­ger An­ru­fe, die Ar­vid ge­schickt ab­wim­mel­te. Dann läu­te­te plötz­lich das Te­le­fon, das Cle­tus auf den Tisch des Leut­nants ge­stellt hat­te, und Ar­vid nahm den Hö­rer ab.

„Hier Bü­ro Oberst Gra­ha­me, Leut­nant John­son am Ap­pa­rat …“ Ar­vid leg­te ei­ne Pau­se ein und schau­te zu Cle­tus hin­über. „Oberst Khan? Ja­wohl, Sir …“

Cle­tus hat­te be­reits den Hö­rer von Ar­vids Ap­pa­rat ab­ge­nom­men und wähl­te nun die kom­plet­te Te­le­fon­num­mer von Fle­der­maus’ Bü­ro. Im Hin­ter­grund hör­te er Ar­vid sa­gen, daß er gern et­was aus­rich­ten wür­de. Fle­der­maus’ Or­don­nanz­of­fi­zier mel­de­te sich.

„Hier Oberst Gra­ha­me“, sag­te Cle­tus in die Mu­schel. „Ich möch­te so­fort Ge­ne­ral Tray­nor spre­chen. Alarm­stu­fe rot.“

Er war­te­te. Der Of­fi­zier am an­de­ren En­de der Lei­tung schi­en für den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de zu zö­gern. In­zwi­schen hat­te Ar­vid auf­ge­legt. Im Bü­ro herrsch­te Schwei­gen. Cle­tus konn­te aus den Au­gen­win­keln se­hen, wie Ar­vid da­stand und ihn be­ob­ach­te­te.

„Gra­ha­me?“ Fle­der­maus’ Stim­me ex­plo­dier­te di­rekt an Cle­tus’ Ohr. „Was soll das al­les?“

„Sir“, sag­te Cle­tus, „ich ha­be et­was ent­deckt, und ich mei­ne, ich soll­te es mit Ih­nen be­spre­chen – um­ge­hend, und zwar un­ter vier Au­gen. Ich kann Ih­nen das nicht am Te­le­fon er­klä­ren. Die Sa­che hat et­was mit der Ko­ali­ti­on zu tun und geht nicht nur uns hier auf Kul­tis, son­dern die gan­ze Al­li­anz an. Ich bin in mei­nem Bü­ro und ha­be mei­ne Mit­ar­bei­ter für den Rest des Ta­ges be­ur­laubt. Könn­ten Sie viel­leicht einen Vor­wand fin­den, um mich zu ei­ner pri­va­ten und ver­trau­li­chen Un­ter­re­dung auf­zu­su­chen?“

„Ei­ne Un­ter­re­dung? Was in al­ler Welt …“ Fle­der­maus brach ab. Cle­tus konn­te die Stim­me sei­nes Ge­sprächs­part­ners hö­ren, ob­wohl die­ser wahr­schein­lich die Hand auf die Mu­schel ge­legt hat­te, wie er zu je­man­dem sag­te: „Joe, brin­gen Sie mir mal die Map­pe … äh … mit den Plä­nen für den neu­en Mi­li­tär­dis­trikt süd­lich der Stadt.“

Es folg­te ei­ne kur­ze Pau­se, dann er­klang wie­der die Stim­me von Fle­der­maus, dies­mal ge­dämpft und kühl.

„Jetzt kön­nen Sie fort­fah­ren“, sag­te er.

„Tut mir leid, Sir“, mein­te Cle­tus.

„Soll das hei­ßen, daß Sie selbst den Te­le­fon­lei­tun­gen in mei­nem Bü­ro nicht trau­en?“

„Das ha­ben Sie ge­sagt, Sir“, er­wi­der­te Cle­tus ru­hig. „Ich hat­te le­dig­lich vor­ge­schla­gen, einen Vor­wand zu fin­den, um mich in mei­nem Bü­ro auf­zu­su­chen.“

Sei­ne Stim­me war fast höl­zern und aus­drucks­los. Am an­de­ren En­de der Lei­tung war es ei­ne Wei­le still, dann hör­te Cle­tus, wie Fle­der­maus tief ein­at­me­te.

„In Ord­nung, Gra­ha­me“, sag­te Fle­der­maus, „hof­fent­lich ist die An­ge­le­gen­heit so wich­tig wie Sie be­haup­ten.“

„Sir“, er­wi­der­te Cle­tus ernst und oh­ne Über­trei­bung, „es geht nicht nur um die höchs­te Per­son der Ko­ali­ti­on, die sich im Au­gen­blick auf dem Pla­ne­ten be­fin­det, son­dern auch um ei­ni­ge Mit­glie­der des Kom­man­dos der Al­li­anz in Bak­hal­la.“

„Ich wer­de in ei­ner Vier­tel­stun­de bei Ih­nen sein“, sag­te Fle­der­maus. Es klick­te im Hö­rer, dann war die Lei­tung tot.

Cle­tus häng­te ein und wand­te sich Ar­vid zu, der ihn im­mer noch an­starr­te.

„Was hat Eachan ge­sagt?“ frag­te Cle­tus freund­lich. Ar­vid gab sich einen Ruck.

„Sir, die Neu­län­der grei­fen Zwei­strom an!“ brach es aus ihm her­aus. „Oberst Khan sagt, sie kom­men so­wohl durch die Luft als auch über den Paß – aber in Zwei­strom ste­hen nur noch knapp zwei Kom­pa­ni­en der Dor­sai, hin­zu kom­men ein paar Scouts drau­ßen im Ur­wald, die die Neu­län­der mitt­ler­wei­le ent­we­der ge­fan­gen­ge­nom­men oder um­gan­gen ha­ben.“

Cle­tus griff zum Te­le­fon und wähl­te die Num­mer von Oberst­leut­nant Mar­cus Doods am Lan­de­platz des Dor­sai-Mi­li­tär­dis­trikts.

„Oberst Doods – Sir?“ Das ha­ge­re, ru­hi­ge Ge­sicht von Eachans Stell­ver­tre­ter tauch­te auf dem klei­nen Bild­schirm auf.

„Ha­ben Sie schon et­was über den An­griff der Neu­län­der bei Zwei­strom ge­hört?“ frag­te Cle­tus.

„Ja­wohl, Sir“, er­wi­der­te Doods. „Oberst Khan hat uns so­eben mit­ge­teilt, daß wir al­le un­se­re Trup­pen zu­sam­men­trom­meln sol­len. Wir sind ge­ra­de da­bei, un­se­re Trup­pen wie­der aus­zu­sen­den.“

„Gut“, sag­te Cle­tus. „Ich wer­de so bald wie mög­lich bei Ih­nen sein.“

Er leg­te auf und be­gab sich zu ei­nem Waf­fen­schrank, der im Zim­mer stand. Er öff­ne­te den Schrank und hol­te einen Pis­to­len­gür­tel nebst Pis­to­le her­aus. Dann wand­te er sich um und warf bei­des Ar­vid zu, der au­to­ma­tisch die Hand aus­streck­te, um die Sa­chen zu er­ha­schen.

„Sir?“ frag­te er ver­wirrt. „Die Neu­län­der wol­len doch nicht et­wa die Stadt an­grei­fen?“

Cle­tus lach­te und schloß den Waf­fen­schrank wie­der zu. „Nein, Arv“, sag­te er zu dem Leut­nant, in­dem er sich ihm zu­wand­te, „aber die Neu­län­der ha­ben mit dem Auf­marsch bei Zwei­strom be­gon­nen, und Dow ist der Typ, der stets auf Num­mer Si­cher geht. Es wür­de et­was merk­wür­dig aus­se­hen, wenn ich ei­ne Pis­to­le tra­gen wür­de, aber Sie kön­nen sie an mei­ner Stel­le tra­gen.“

Er ging zu sei­nem Te­le­fon­ap­pa­rat und wähl­te die Num­mer der Ma­ri­ne­ba­sis.

„Hier Oberst Gra­ha­me“, sag­te er. „Vor kur­z­em ha­be ich ein drin­gen­des Ge­spräch für Kom­man­deur Li­net an­ge­mel­det …“

„Ja­wohl, Sir“, sag­te der Of­fi­zier, der den An­ruf be­ant­wor­tet hat­te. „Der Kom­man­deur hat be­reits ver­sucht, Sie zu er­rei­chen, Sir, aber Ihr An­schluß war dau­ernd be­setzt. Einen Au­gen­blick, Sir …“

Jetzt kam We­fers Stim­me über die Lei­tung. „Cle­tus! Was ist los?“

„Sie ha­ben mir fünf Ih­rer Mark V an­ge­bo­ten“, er­wi­der­te Cle­tus. „Ich brau­che nur drei. Aber sie müß­ten von hier aus fluß­auf­wärts nach Zwei­strom fah­ren, bis zum Zu­sam­men­fluß des Blau­en und des Milch­flus­ses. Das sind un­ge­fähr zwei­hun­dert­drei­ßig Mei­len. Glau­ben Sie, daß sie es bis ei­ne Stun­de vor Son­nen­auf­gang schaf­fen, wenn sie jetzt gleich los­fah­ren?“

„Zwei­hun­dert­drei­ßig Mei­len bis mor­gen früh? Kein Pro­blem!“ rief We­fer durchs Te­le­fon. „Was ist ei­gent­lich pas­siert?“

„Die Neu­län­der ha­ben re­gu­lä­re Trup­pen über die Gren­ze beim Et­ter-Paß ge­bracht“, sag­te Cle­tus ru­hig. „Sie wer­den mor­gen kurz nach Son­nen­auf­gang Zwei­strom an­grei­fen. Ein­zel­hei­ten über Ih­ren Ein­satz wer­de ich Ih­nen spä­ter mit­tei­len. Kön­nen Sie aber Ih­re Boo­te in­ner­halb ei­ner Mei­le fluß­ab­wärts von je­ner Stel­le sta­tio­nie­ren, wo die bei­den Flüs­se zu­sam­men­flie­ßen, oh­ne ent­deckt zu wer­den?“

„Sie wis­sen nur zu gut, daß ich das kann!“ sag­te We­fer. „Blei­ben wir in Ver­bin­dung? Kann ich Sie ir­gend­wo er­rei­chen?“

„Ich wer­de mich mor­gen vor Son­nen­auf­gang mel­den“, sag­te Cle­tus.

„In Ord­nung! Wir sind schon un­ter­wegs!“ Da­mit häng­te We­fer ein.

„Ge­hen Sie schon vor, Arv“, sag­te Cle­tus. „War­ten Sie am Wa­gen auf mich. Ich kom­me so­fort nach.“

Arv starr­te ihn an. „Wol­len wir fort, Sir?“ frag­te er. „Ist nicht der Ge­ne­ral …“

Dann brach er ab, wäh­rend Cle­tus ge­dul­dig da­stand. „Ja­wohl, Sir“, sag­te er.

Dann ver­ließ er den Raum.

Cle­tus leg­te das Te­le­fon wie­der auf den Tisch, ne­ben dem er stand. Dann schau­te er auf die Uhr. Es wa­ren et­wa acht Mi­nu­ten ver­gan­gen, seit er mit Fle­der­maus ge­spro­chen hat­te, und Fle­der­maus hat­te ge­sagt, er wür­de in ei­ner Vier­tel­stun­de hier sein. Cle­tus mach­te noch ei­ne letz­te Run­de durchs Bü­ro, um si­cher­zu­ge­hen, daß al­le Si­cher­heits­ein­rich­tun­gen ak­ti­viert wa­ren. Dann ging er durch die Vor­der­tür und ließ sie einen Spalt breit of­fen. Der nächs­te, der durch die Tür ging, war un­wei­ger­lich ge­fan­gen, so­bald die Tür hin­ter ihm zu­schnapp­te, und saß in ei­ner Fal­le, aus der er nicht so leicht ent­kom­men konn­te.

Cle­tus dreh­te sich um und ging zu sei­nem Wa­gen, wo Ar­vid be­reits auf ihn war­te­te. Dann fuh­ren sie zum Of­fi­zier­s­quar­tier.