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„Al­so ei­ne Un­ter­schen­kel­pro­the­se“, mein­te der Arzt ge­dul­dig. „Ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Lö­sung. So­bald man sich dar­an ge­wöhnt hat, ist man ge­nau­so be­weg­lich wie frü­her, auf je­den Fall be­weg­li­cher als mit ei­ner Knie­pro­the­se. Frei­lich dürf­te es je­dem schwer­fal­len, sich mit dem Ge­dan­ken an ei­ne Am­pu­ta­ti­on ab­zu­fin­den, je­doch …“

„Es ist nicht der Ge­dan­ke an ei­ne Am­pu­ta­ti­on, der mich stört“, un­ter­brach ihn Cle­tus. „Aber ich ha­be ei­ni­ge Auf­ga­ben zu er­fül­len, die zwei ge­sun­de Bei­ne aus Fleisch und Blut er­for­dern. Ich möch­te ei­ne plas­ti­sche Ope­ra­ti­on, einen chir­ur­gi­schen Er­satz.“

„Das ist mir be­kannt“, er­wi­der­te der Arzt. „Sie wer­den sich aber dar­an er­in­nern, daß wir Sie ei­ner ein­ge­hen­den Prü­fung un­ter­zo­gen und da­bei fest­ge­stellt ha­ben, daß Ihr Kör­per je­des Fremd­ge­we­be ab­stößt, wo­bei es sich eher um einen psy­chi­schen als um einen phy­si­schen Vor­gang han­delt. Wenn das wirk­lich der Fall ist, so kann Ih­nen kein im­mun­un­ter­drücken­des Mit­tel hel­fen. Wir kön­nen zwar ver­su­chen, Ih­nen ein neu­es Bein an­zunä­hen, doch Ihr Kör­per wird es si­cher ab­sto­ßen.“

„Sind Sie si­cher, daß es sich um einen psy­chi­schen Vor­gang han­delt?“ sag­te Cle­tus.

„Aus Ih­rer Kran­ken­ge­schich­te geht her­vor, daß Sie selbst un­ter der Ein­wir­kung her­kömm­li­cher Dro­gen einen gleich­mä­ßi­gen Wi­der­stand ge­gen Hyp­no­se leis­ten“, er­wi­der­te der Arzt. „Die­se Art Wi­der­stand fin­det sich stets bei al­len Pa­ti­en­ten, die ei­ne psy­cho­lo­gi­sche Ab­wehr ge­gen im­plan­tier­te Or­ga­ne an den Tag le­gen, und so­oft die­se Er­schei­nung auf­tritt, ha­ben wir – fast aus­nahms­los – mit ei­ner psy­chi­schen Ab­wehr zu tun. Trotz­dem ha­be ich ver­suchs­hal­ber ei­ne neue syn­the­ti­sche pa­rahyp­no­ti­sche Dro­ge mit­ge­bracht. Bei vor­sich­ti­ger Do­sie­rung bleibt der Pa­ti­ent voll bei Be­wußt­sein, wäh­rend der Wil­le voll­kom­men aus­ge­schal­tet wird. Wenn Sie mit die­sem Stoff im Lei­be der Hyp­no­se wi­der­ste­hen kön­nen, so hegt der Wi­der­stands­fak­tor jen­seits der Ebe­ne, die die Psych­ia­trie er­zie­len kann. Wahr­schein­lich han­delt es sich um ei­ne ge­ne­ti­sche An­ge­le­gen­heit. Wol­len Sie es aus­pro­bie­ren?“

„Los, ma­chen Sie schon“, sag­te Cle­tus.

Der Arzt leg­te ein Hyp­no­spray­man­schet­te um Cle­tus’ Un­ter­arm, wäh­rend er das mit ei­ner Gradein­tei­lung ver­se­he­ne Ge­fäß, das die Dro­ge ent­hielt, über ei­ner großen Ar­te­rie be­fes­tig­te. Der Dro­gen­stand im Be­häl­ter war deut­lich zu er­ken­nen. Der Arzt um­faß­te Cle­tus’ Arm auf bei­den Sei­ten der Man­schet­te mit Dau­men und klei­nem Fin­ger, wäh­rend er den Zei­ge­fin­ger auf den Aus­lö­se­knopf leg­te.

„Ich wer­de Sie jetzt fra­gen, wie Sie hei­ßen“, sag­te er. „Ver­su­chen Sie bit­te, mir Ih­ren Na­men nicht zu ver­ra­ten. So­oft Sie die Ant­wort ver­wei­gern, wer­de ich die Do­sis er­hö­hen. Fer­tig?“

„Fer­tig“, sag­te Cle­tus.

„Wie hei­ßen Sie?“ frag­te der Arzt. Cle­tus spür­te den kal­ten Hauch der Dro­ge auf der Haut.

Er schüt­tel­te den Kopf.

„Wol­len Sie mir sa­gen, wie Sie hei­ßen?“ wie­der­hol­te der Arzt.

Cle­tus schüt­tel­te wie­der den Kopf. Die Haut auf sei­nem Un­ter­arm fühl­te sich im­mer noch kalt an. Cle­tus war et­was über­rascht, da er kei­ne Dro­gen Wir­kung re­gis­trie­ren konn­te.

„Sa­gen Sie mir, wie Sie hei­ßen.“

„Nein.“

„Sa­gen Sie mir Ih­ren Na­men …“

Der Arzt frag­te wei­ter, und Cle­tus ver­wei­ger­te je­des­mal die Ant­wort. Plötz­lich, oh­ne je­de An­kün­di­gung, war es ihm, als wür­de das Zim­mer von ei­nem wei­ßen Dunst er­füllt. In sei­nem Kopf be­fand sich ein Ka­rus­sell, und das war das letz­te, wor­an er sich noch er­in­ner­te.

Dann kam er lang­sam wie­der zu sich und er­blick­te den Arzt, der sich über sein Bett beug­te. Das Hyp­no­spray­ge­rät war be­reits ab­ge­schal­tet, die Man­schet­te von sei­nem Arm ent­fernt.

„Al­so nein“, sag­te der Arzt mit ei­nem Seuf­zer. „Sie ha­ben bis zur Be­wußt­lo­sig­keit Wi­der­stand ge­leis­tet. Dem­nach se­he ich kei­ne Mög­lich­keit, den Ver­such mit ei­nem Trans­plan­tat zu wa­gen.“

Cle­tus schau­te ihn kühl an. „Wenn dem so ist“, sag­te er, „wür­den Sie dann bit­te Mon­dar den Exo­ten be­nach­rich­ti­gen, daß ich ihn spre­chen möch­te?“

Der Arzt mach­te den Mund auf, als woll­te er et­was er­wi­dern, dann mach­te er den Mund wie­der zu, nick­te und ging hin­aus.

Da­für er­schi­en ei­ne Kran­ken­schwes­ter. „Ge­ne­ral Tray­nor möch­te Sie spre­chen, Sir“, sag­te sie. „Sind Sie be­reit, ihn zu emp­fan­gen?“

„Aber si­cher“, sag­te Cle­tus. Er drück­te auf den Knopf, um das Kopf­en­de sei­nes Bet­tes an­zu­he­ben. Fle­der­maus trat ein, stand dann an sei­nem Bett und blick­te auf ihn hin­ab, das Ge­sicht ei­ne stei­ner­ne Mas­ke.

„Neh­men Sie Platz, Sir“, sag­te Cle­tus.

„Ich will mich gar nicht so lan­ge auf­hal­ten“, gab Fle­der­maus zu­rück.

Er dreh­te sich um, schloß die Tür hin­ter sich und wand­te sich dann wie­der Cle­tus zu.

„Ich ha­be Ih­nen zwei­er­lei zu sa­gen“, mein­te er. „Nach­dem es mir schließ­lich ge­lun­gen war, die Tür Ih­res Bü­ros zu durch­bre­chen und mir ei­ne Waf­fe zu be­schaf­fen, mit der ich die Tür aus den An­geln he­ben konn­te, war es be­reits Sonn­tagnach­mit­tag. Ich schlich mich aus der Stadt und rief zu­erst Oberst Dup­lei­ne an, be­vor ich wei­te­re Schrit­te un­ter­nahm. Es wird Sie si­cher freu­en zu er­fah­ren, daß ich von der Sa­che kei­ner­lei Auf­he­bens ma­chen wer­de. Of­fi­zi­ell hat­te ich am Frei­tagnach­mit­tag einen klei­nen Un­fall au­ßer­halb von Bak­hal­la. Mein Wa­gen war von der Stra­ße ab­ge­kom­men. Ich war be­wußt­los in mei­nem Wa­gen ein­ge­schlos­sen und konn­te mich erst am Sonn­tag be­frei­en. Was Sie da in Zwei­strom ge­tan ha­ben, näm­lich die­se Neu­län­der ge­fan­gen­zu­neh­men, ist of­fi­zi­ell eben­falls auf mei­nen Be­fehl hin ge­sche­hen.“

„Dan­ke, Sir“, sag­te Cle­tus.

„Kei­ne Schmei­che­lei­en!“ schnarr­te Fle­der­maus sanft, „ich war klug ge­nug, um nicht so­fort an die große Glo­cke zu hän­gen, daß Sie mich aus dem Ver­kehr ge­zo­gen ha­ben, oh­ne daß ich zu­nächst wuß­te, was da­hin­ter­steck­te. Sie und ich wis­sen, daß es Ab­sicht war. Al­so ma­chen wir uns nichts vor. Sie ha­ben mich ein­ge­sperrt, und kein Mensch wird es je er­fah­ren. Aber Sie ha­ben zwei Drit­tel der Neu­län­der-Streit­kräf­te ge­fan­gen­ge­nom­men, und ich bin der­je­ni­ge, der die Sa­che in Genf aus­ba­den muß. So ste­hen die Ak­ti­en, und das ist die ei­ne Sa­che, die ich Ih­nen mit­tei­len woll­te.“

Cle­tus nick­te.

„Die an­de­re Sa­che ist die“, sag­te Fle­der­maus. „Das, was Sie da in Zwei­strom auf­ge­zo­gen ha­ben, war ein ver­dammt gu­tes Stück Stra­te­gie, ei­gent­lich be­wun­ders­wert. Aber ich kann und will sie nicht be­wun­dern. Mir ge­fällt die Art und Wei­se nicht, wie Sie vor­ge­hen, Gra­ha­me, und ich brau­che Sie nicht – auch die Al­li­anz kann Leu­te wie Sie nicht brau­chen. Ich bin ge­kom­men, um Ih­nen zu sa­gen: Ich wün­sche, daß Sie Ih­ren Ab­schied ein­rei­chen. Ich möch­te, daß Ihr Ge­such in­ner­halb von achtund­vier­zig Stun­den auf mei­nem Schreib­tisch liegt. Dann kön­nen Sie mei­net­we­gen wie­der nach Hau­se fah­ren und als Zi­vi­list Ih­re Bü­cher schrei­ben.“

Cle­tus schau­te ihn un­ge­rührt an. „Ich ha­be mei­nen Ab­schied bei der Al­li­anz be­reits ein­ge­reicht“, sag­te er. „Ich ha­be auch auf mei­ne Er­den­bür­ger­schaft ver­zich­tet. Da­für ha­be ich mich um die Staats­bür­ger­schaft bei den Dor­sai be­wor­ben, und mei­nem An­trag wur­de statt­ge­ge­ben.“

Fle­der­maus zog die Au­gen­brau­en hoch. Sein har­tes, kom­pe­tentes Ge­sicht sah für einen Au­gen­blick fast dümm­lich aus. „Sie wol­len“, frag­te er, „aus der Al­li­anz aus­tre­ten?“

„Ich will nur emi­grie­ren, das ist al­les“, sag­te Cle­tus und schenk­te dem Ge­ne­ral ein klei­nes Lä­cheln. „Ma­chen Sie sich nichts draus, Ge­ne­ral. Mir liegt eben­so­we­nig dar­an wie Ih­nen, al­ler Welt zu er­zäh­len, daß ich Sie für ein Wo­chen­en­de in mei­nem Bü­ro ein­ge­sperrt ha­be. Man wird an­neh­men, daß es sich um einen Spi­on der Neu­län­der ge­han­delt hat, der in mein Bü­ro ein­ge­drun­gen ist, dort ein­ge­schlos­sen wur­de und es schließ­lich fer­tig­brach­te zu ent­kom­men.“

Ih­re Bli­cke kreuz­ten sich für einen Au­gen­blick, dann schüt­tel­te Fle­der­maus den Kopf. „Wie auch im­mer“, sag­te er. „Wir wer­den uns nicht mehr wie­der­se­hen.“

Er dreh­te sich um und ver­ließ das Zim­mer. Cle­tus starr­te an die De­cke, bis er ein­sch­lief.

Mon­dar kam erst am nächs­ten Nach­mit­tag und ent­schul­dig­te sich, daß er nicht frü­her kom­men konn­te.

„Die Nach­richt, daß Sie mich spre­chen möch­ten, wur­de mit der ge­wöhn­li­chen Post zu­ge­stellt“, sag­te er und nahm in ei­nem Ses­sel ne­ben Cle­tus’ Bett Platz. „Of­fen­sicht­lich hielt es der gu­te Dok­tor nicht für ei­lig, mir Ih­re Bot­schaft zu­kom­men zu las­sen.“

„Nein“, sag­te Cle­tus. „Er kennt die Zu­sam­men­hän­ge nicht.“

„Er dach­te wohl, ich wür­de Ih­nen sa­gen, daß ich – oder bes­ser wir Exo­ten – Ih­nen so­wie­so nicht hel­fen kön­nen“, sag­te Mon­dar lang­sam. „Ich fürch­te, er dürf­te recht ha­ben. Nach­dem ich Ih­re Nach­richt er­hielt, ha­be ich einen Be­kann­ten hier im Kran­ken­haus an­ge­ru­fen. Man sag­te mir, daß Ihr Kör­per aus psy­chi­schen Grün­den je­des frem­de Or­gan ab­stößt.“

„Das stimmt“, be­stä­tig­te Cle­tus.

„Er sag­te mir, Sie glau­ben, daß viel­leicht ich – oder auch ir­gend­ein an­de­rer Exo­te, der mit Ih­nen ar­bei­tet – in der La­ge wä­re, ei­ne sol­che psy­chi­sche Re­ak­ti­on zu über­win­den, bis die Trans­plan­ta­ti­on ei­nes Bei­nes ge­glückt ist.“

„Ist so was nicht mög­lich?“ Wäh­rend er dies sag­te, be­ob­ach­te­te Cle­tus den Exo­ten auf­merk­sam.

Mon­dar schau­te vor sich hin und glät­te­te das blaue Ge­wand, das sei­ne ge­kreuz­ten Knie be­deck­te. Dann hob er den Blick und schau­te Cle­tus an.

„Un­mög­lich ist es nicht“, sag­te er. „Nicht bei je­man­dem wie mir, der ich von Kin­des­bei­nen an in der geis­ti­gen und phy­si­schen Selbst­be­herr­schung ge­schult wur­de. Ich kann den Schmerz aus­schal­ten und selbst mein Herz still­ste­hen las­sen, wenn ich will.

Ich könn­te, wenn ich woll­te, so­gar mei­ne Im­mun­re­ak­tio­nen un­ter­drücken – selbst bei je­ner Art psy­cho­lo­gi­scher Ab­wehr, die bei Ih­nen vor­liegt … Cle­tus, Sie ver­fü­gen über ei­ne gan­ze Men­ge na­tür­li­cher Be­ga­bung, doch Ih­nen feh­len all die Jah­re der un­aus­ge­setz­ten Übung. Selbst mit mei­ner Hil­fe wä­ren Sie nicht in der La­ge, den Ab­wehr­me­cha­nis­mus Ih­res Kör­pers zu steu­ern.“

„Sie sind nicht der ein­zi­ge, der den Schmerz igno­rie­ren kann“, mein­te Cle­tus. „Ich kann es auch, und das wis­sen Sie ge­nau.“

„Kön­nen Sie das wirk­lich?“ Mon­dar wirk­te in­ter­es­siert. „Na­tür­lich kön­nen Sie das, wenn ich’s mir recht über­le­ge. Da­mals beim Et­ter-Paß und auch dies­mal bei Zwei­strom, als Sie wie­der ein­mal Ihr Knie ver­letz­ten, ha­ben Sie ihr Bein über Ge­bühr stra­pa­ziert, wo­bei Sie ei­gent­lich un­er­träg­li­che Schmer­zen hät­ten ha­ben müs­sen.“

Sei­ne Au­gen wur­den schmal, und ein nach­denk­li­cher Aus­druck trat in sein Ge­sicht. „Sa­gen Sie – be­kämp­fen Sie ei­gent­lich den Schmerz? Ich mei­ne, wol­len Sie ein­fach nicht zu­ge­ben, daß Sie Schmer­zen ha­ben? Oder igno­rie­ren Sie den Schmerz – das heißt, daß Sie sich des Schmerz­ge­fühls voll be­wußt sind, aber nicht zu­las­sen, daß der Schmerz Sie be­rührt?“

„Ich igno­rie­re ihn“, er­wi­der­te Cle­tus. „Ich fan­ge da­mit an, daß ich mich ent­span­ne, bis ich das Ge­fühl ha­be zu schwe­ben. Schon al­lein durch die­se Ent­span­nung läßt der Schmerz deut­lich nach. Dann ar­bei­te ich wei­ter an mir und ver­su­che, den rest­li­chen Schmerz zu ver­trei­ben, bis nichts wei­ter mehr üb­rig­bleibt als ei­ne Art Druck­ge­fühl. Ich weiß ge­nau, wann es wie­der zu­nimmt oder ab­nimmt oder ob es ganz ver­schwin­det, aber es be­rei­tet mir wei­ter kei­ne Schwie­rig­kei­ten.“

Mon­dar nick­te lang­sam. „Sehr gut. In der Tat fast un­ge­wöhn­lich gut für ein Selbst­trai­ning“, sag­te er. „Sa­gen Sie mal, kön­nen Sie Ih­re Träu­me steu­ern?“

„Bis zu ei­nem ge­wis­sen Maß“, er­wi­der­te Cle­tus. „Ich kann mir vor dem Ein­schla­fen ei­ne geis­ti­ge Auf­ga­be stel­len und die­se im Schlaf lö­sen – manch­mal in Ge­stalt ei­nes Trau­mes. Auf die glei­che Wei­se kann ich auch im Wach­zu­stand ir­gend­wel­che Pro­ble­me lö­sen, wäh­rend ich einen Teil mei­nes Geis­tes ge­wis­ser­ma­ßen iso­lie­re und den Rest mei­nes Geis­tes und mei­nes Kör­pers au­to­ma­tisch wei­ter­lau­fen las­se.“

Mon­dar schau­te ihn an und schüt­tel­te den Kopf, aber es lag ir­gend­wie Be­wun­de­rung dar­in.

„Sie ma­chen mir Spaß, Cle­tus“, sag­te der Exo­te. „Wür­den Sie mir einen Ge­fal­len tun? Schau­en Sie auf die Wand zu Ih­rer Lin­ken und sa­gen Sie mir, was Sie se­hen.“

Cle­tus wand­te sich von Mon­dar ab und be­trach­te­te die ebe­ne, senk­rech­te Flä­che der weiß ge­stri­che­nen Wand. Er fühl­te ein lei­ses, pri­ckeln­des Ge­fühl im Nacken di­rekt hin­ter und un­ter sei­nem rech­ten Ohr – und dann folg­te ei­ne plötz­li­che Ex­plo­si­on von Schmerz an der glei­chen Stel­le, als hät­te ihn dort ei­ne Bie­ne ge­sto­chen. Cle­tus at­me­te ru­hig aus. So­bald die Luft aus sei­ner Lun­ge ge­wi­chen war, ebb­te der Schmerz ab und war dann ver­schwun­den. Er wand­te sich wie­der Mon­dar zu.

„Ich ha­be na­tür­lich nichts ge­se­hen“, be­merk­te er.

„Na­tür­lich nicht. Es war nichts wei­ter als ein Trick, um Sie zu ver­an­las­sen, den Kopf zu dre­hen“, sag­te Mon­dar, wäh­rend er ein In­stru­ment in den Fal­ten sei­nes Ge­wan­des ver­barg, das aus­sah wie ein klei­ner me­cha­ni­scher Schrei­ber. „Das In­ter­essan­tes­te ist, daß ich kein Zu­cken der Haut fest­stel­len konn­te, was nichts wei­ter ist als ei­ne phy­sio­lo­gi­sche Re­ak­ti­on. Dem­nach läßt Ihr Kör­per kei­nen Zwei­fel dar­über auf­kom­men, daß Sie in der La­ge sind, um­ge­hend auf Schmer­zen zu rea­gie­ren und mit ih­nen fer­tig zu wer­den.“

Er zö­ger­te einen Au­gen­blick und mein­te dann: „Nun gut, Cle­tus. Ich wer­de mit Ih­nen ar­bei­ten. Aber es ist nur fair, Sie zu war­nen, daß ich im­mer noch kei­ne ech­te Er­folgschan­ce se­he. Wann soll die Trans­plan­ta­ti­on durch­ge­führt wer­den?“

„Ich möch­te über­haupt kei­ne Trans­plan­ta­ti­on“, er­wi­der­te Cle­tus. „Wahr­schein­lich ge­hen Sie recht in der An­nah­me, daß ich mei­nen Ab­wehr­me­cha­nis­mus nicht un­ter­drücken kann. Al­so wol­len wir et­was an­de­res ma­chen. Da es so­wie­so ei­ne lang­wie­ri­ge Ge­schich­te wird, wol­len wir es mit ei­ner Wun­der­kur ver­su­chen.“

„Ei­ne Wun­der­kur?“ wie­der­hol­te Mon­dar lang­sam.

„Warum auch nicht?“ ver­setz­te Cle­tus freund­lich. „Wun­der­ku­ren sind seit Jahr­hun­der­ten be­kannt. Neh­men wir ein­mal an, ich un­ter­zie­he mich ei­ner Art von sym­bo­li­scher Ope­ra­ti­on. In mei­nem Knie sind we­der Fleisch noch Kno­chen vor­han­den, seit mir vor Jah­ren nach mei­ner ers­ten Ver­wun­dung ei­ne Knie­pro­the­se ein­ge­setzt wur­de. Ich möch­te, daß die­ses Im­plan­tat ent­fernt und durch Fleisch und Kno­chen aus mei­nem ei­ge­nen Kör­per er­setzt wird. Dann le­gen wir bei­de Knie in Gips“ – sein Blick kreuz­te Mon­dars Blick –, „und wir bei­de wer­den uns dann stark kon­zen­trie­ren, wäh­rend der Hei­lungs­pro­zeß statt­fin­det.“

Mon­dar saß ei­ne Wei­le re­gungs­los da, dann er­hob er sich.

„Letz­ten En­des ist al­les mög­lich“, mur­mel­te er. „Ich ha­be Ih­nen be­reits ge­sagt, daß ich Ih­nen hel­fen will. Aber die­se Sa­che be­darf der Über­le­gung und ei­ner Kon­sul­ta­ti­on mit mei­nen Exo­ten. Ich wer­de Sie in ein oder zwei Ta­gen wie­der be­su­chen.“

Am nächs­ten Mor­gen be­kam Cle­tus Be­such von Eachan und Me­lis­sa. Zu­nächst be­trat Eachan al­lein das Kran­ken­zim­mer und setz­te sich steif auf den Stuhl ne­ben Cle­tus’ Bett. Cle­tus, der in sei­nem Bett auf­recht saß, blick­te ihm er­war­tungs­voll ent­ge­gen.

„Wie ich hör­te, will man al­les tun, um ihr Bein zu er­hal­ten“, sag­te Eachan.

„Ich muß­te da­für ein paar Ar­me um­dre­hen“, er­wi­der­te Cle­tus lä­chelnd.

„Ja. Je­den­falls viel Glück.“ Eachan wand­te den Blick ab und schau­te zum Fens­ter hin­aus. Dann ließ er sei­ne Au­gen wie­der auf Cle­tus ru­hen. „Ich brin­ge Ih­nen al­le gu­ten Wün­sche mei­ner Leu­te und mei­ner Of­fi­zie­re“, sag­te er. „Sie ha­ben Ih­nen den Sieg oh­ne nen­nens­wer­te Ver­lus­te ver­spro­chen – und ha­ben dann Ihr Ver­spre­chen ein­ge­löst.“

„Ich ha­be ei­ne Schlacht ver­spro­chen“, be­rich­tig­te ihn Cle­tus mild. „Und hoff­te, daß es kei­ne Zwi­schen­fäl­le ge­ben wür­de. Au­ßer­dem ha­ben sie selbst zu ih­rem An­se­hen bei­ge­tra­gen, näm­lich durch die Art und Wei­se, in der sie ih­re Be­feh­le durch­ge­führt ha­ben.“

„Un­sinn!“ sag­te Eachan brüsk. Er räus­per­te sich. „Al­le Welt weiß, daß Sie zu den Dor­sai emi­griert sind, und al­le Dor­sai sind froh dar­über. Mir scheint aber, daß Sie et­was vor­schnell ge­han­delt ha­ben. Sie sind nicht al­lein. Die­ser jun­ge Leut­nant möch­te auch so­fort den Dienstherrn wech­seln, so­bald sei­ne Schul­ter aus­ge­heilt ist.“

„Ha­ben sie ihn ak­zep­tiert?“ frag­te Cle­tus.

Aber na­tür­lich“, sag­te Eachan. „Die Dor­sai ak­zep­tie­ren je­den Sol­da­ten mit ei­ni­ger­ma­ßen gu­tem Ruf. Frei­lich muß er un­se­re Of­fi­ziers­schu­le ab­sol­vie­ren, wenn er sich uns an­schlie­ßen will. Aber Marc Dodds hat ihm be­reits vor­her­ge­sagt, daß er es wahr­schein­lich nicht schaf­fen wird.“

„Er wird es schaf­fen“, sag­te Cle­tus. „Üb­ri­gens möch­te ich Ih­re Mei­nung über ei­ne Sa­che er­fah­ren – jetzt, wo ich selbst ein Dor­sai bin. Wenn ich die Mit­tel, die Trai­nings­mög­lich­kei­ten und die er­for­der­li­che Aus­rüs­tung zur Ver­fü­gung stel­le – glau­ben Sie, daß Sie Mann­schaf­ten und Of­fi­zie­re in et­wa Re­gi­ment­s­stär­ke zu­sam­men­trom­meln kön­nen, die be­reit sind, an ei­nem Halb­jah­res­trai­ning teil­zu­neh­men – wenn ich ga­ran­tie­ren kann, daß sie nach­her bei be­deu­tend bes­se­rer Be­sol­dung be­schäf­tigt wer­den?“

Re­achan schau­te nach­denk­lich drein. „Sechs Mo­na­te sind für einen Be­rufs­sol­da­ten ei­ne lan­ge Zeit, um mit dem Exis­tenz­mi­ni­mum aus­zu­kom­men“, sag­te er nach ei­ner Wei­le. „Doch nach Zwei­strom lie­ße es sich viel­leicht ein­rich­ten. Es ist nicht nur die Hoff­nung auf bes­se­re Be­zah­lung, so viel die­ser Um­stand auch für vie­le der Leu­te be­deu­ten mag, zu­mal die meis­ten von ih­nen ei­ne Fa­mi­lie auf Dor­sai ha­ben. Es ist viel­mehr die Chan­ce, die man ih­nen bie­tet, am Le­ben und so­mit ih­ren Fa­mi­li­en er­hal­ten zu blei­ben. Soll ich mich dar­um küm­mern?“

„Ich wür­de es be­grü­ßen“, sag­te Cle­tus.

„In Ord­nung“, mein­te Eachan. „Aber wo soll das Geld für die­ses Vor­ha­ben her­kom­men?“

Cle­tus lä­chel­te. „Ich ha­be da ein paar Leu­te im Au­ge“, er­wi­der­te er. „Ich wer­de Sie dar­über zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt in­for­mie­ren. Sie kön­nen den Of­fi­zie­ren und den Leu­ten, an die Sie her­an­tre­ten, sa­gen, daß na­tür­lich al­les da­von ab­hängt, ob ich die Mit­tel be­schaf­fen kann.“

„Na­tür­lich.“ Eachan zwir­bel­te sei­nen Schnurr­bart. „Mel­ly war­tet drau­ßen.“

„Ist sie da?“ frag­te Cle­tus.

„Ja, sie ist mit­ge­kom­men. Ich ha­be sie ge­be­ten, drau­ßen zu war­ten, weil ich vor­her noch ei­ne Pri­vat­an­ge­le­gen­heit mit Ih­nen zu be­spre­chen ha­be …“ Eachan zö­ger­te, und Cle­tus harr­te der Din­ge, die da kom­men soll­ten.

Eachans Rücken war so steif und so ge­ra­de wie ein Stock. Er hat­te die Zäh­ne zu­sam­men­ge­bis­sen, und sei­ne Ge­sichts­haut sah aus wie ein ge­tanz­tes Me­tall.

„Warum hei­ra­ten Sie sie nicht?“ frag­te er schroff.

„Eachan …“ Cle­tus brach ab und war einen Au­gen­blick still. „Wie­so glau­ben Sie, daß Me­lis­sa mich hei­ra­ten will?“

„Me­lis­sa mag Sie“, sag­te Eachan, „und Ih­nen ist das Mäd­chen auch nicht gleich­gül­tig. Sie bei­de wä­ren ein gu­tes Ge­spann. Sie hat viel Herz, und Sie ha­ben viel Ver­stand. Ich ken­ne euch bei­de bes­ser, als ihr euch ge­gen­sei­tig kennt.“

Cle­tus schüt­tel­te lang­sam den Kopf, weil er im Au­gen­blick nicht die pas­sen­den Wor­te fin­den konn­te.

„Oh, ich weiß, sie tut so, als ob sie al­les bes­ser wüß­te, auch wenn es nicht der Fall ist, und als ob sie sich ein­bil­de zu wis­sen, was Ih­nen, mir oder sonst wem gut­tut“, fuhr Eachan fort. „Aber sie kann nichts da­für. Sie hat ein mit­füh­len­des Herz und einen untrüg­li­chen In­stinkt, wie einst ih­re Mut­ter. Und sie ist jung. Sie spürt, wenn ei­ner nicht mit sich zu­recht­kommt und wun­dert sich dar­über, daß die Leu­te nicht so han­deln, wie sie nach ih­rer Vor­stel­lung han­deln soll­ten. Aber sie wird es noch ler­nen.“

Cle­tus schüt­tel­te er­neut den Kopf. „Und ich?“ frag­te er. „Was glau­ben Sie, was ich ler­nen muß?“

„Ver­su­chen Sie es. Fin­den Sie es raus“, gab Eachan zu­rück.

„Und wenn es schief­geht, was dann?“ Cle­tus hob den Blick und schau­te ihn grim­mig an.

„Dann ha­ben Sie sie zu­min­dest vor de­Ca­stries ge­ret­tet“, sag­te Eachan dumpf. „Sie be­ar­bei­tet ihn, da­mit er auf mich ein­wirkt, ihr zu fol­gen – zu­rück zur Er­de. Und ich will ver­su­chen, zu­min­dest die Scher­ben ein­zu­sam­meln. Denn was sie hin­ter­läßt, sind nichts als Scher­ben. Bei ei­ner an­de­ren Frau wür­de es we­nig oder gar nichts aus­ma­chen, aber ich ken­ne mei­ne Mel­ly. Wol­len Sie, daß de­Ca­stries sie in die Fin­ger kriegt?“

„Nein“, sag­te Cle­tus plötz­lich ganz ru­hig. „Und ich glau­be nicht, daß sie es will. Das zu­min­dest kann ich Ih­nen ver­spre­chen.“

„Viel­leicht ha­ben Sie recht“, sag­te Eachan, in­dem er sich er­hob. Dann mach­te er auf dem Ab­satz kehrt. „Ich schi­cke sie jetzt rein“, sag­te er und ver­ließ das Zim­mer.

Ein paar Mi­nu­ten spä­ter er­schi­en Me­lis­sa un­ter der Tür. Sie lä­chel­te Cle­tus von gan­zem Her­zen an und setz­te sich in den glei­chen Ses­sel, aus dem sich Eachan so­eben er­ho­ben hat­te.

„Ich ha­be ge­hört, daß man Ihr Knie in Ord­nung brin­gen will“, sag­te sie. „Ich freue mich dar­über.“

Er be­ob­ach­te­te ihr Lä­cheln, und für einen Au­gen­blick war da ei­ne Art phy­si­scher Emp­fin­dung in sei­ner Brust, als hät­te ihr An­blick tat­säch­lich sein Herz be­wegt. Für einen Mo­ment er­klan­gen Eachans Wor­te in sei­nem Ohr, und der Ab­stand, den ihn das Le­ben und die Men­schen zu hal­ten ge­lehrt hat­ten, schi­en für ei­ne kur­ze Zeit von ihm zu wei­chen.

„Ich auch“, hör­te er sich sa­gen.

„Ich ha­be heu­te mit Ar­vid ge­spro­chen …“ Ih­re Stim­me erstarb. Der Blick ih­rer blau­en Au­gen hing wie hyp­no­ti­siert an ihm, und er merk­te, daß es sein Blick war, der den ih­ren fest­hielt.

„Me­lis­sa“, sag­te er lang­sam, „was wür­den Sie sa­gen, wenn ich Sie fra­gen wür­de, ob Sie mich hei­ra­ten wol­len?“

„Bit­te …“ Es war nur ein Flüs­tern. Er lös­te sei­nen Blick von dem ih­ren, und sie wand­te sich ab.

„Sie wis­sen, daß ich Va­ter ge­be­ten ha­be, sich al­les reif­lich zu über­le­gen, Cle­tus“, sag­te sie still.

„Ja“, mein­te er, „na­tür­lich.“

Sie wand­te sich ihm wie­der zu, lä­chel­te ihn an und leg­te ih­re Hand auf die sei­ne, die auf der Bett­de­cke lag.

„Aber ich woll­te ei­ne gan­ze Men­ge an­de­rer Din­ge mit Ih­nen be­spre­chen“, sag­te sie. „Wis­sen Sie, daß Sie ein be­mer­kens­wer­ter Mann sind?“

„Bin ich das wirk­lich?“ frag­te er mit dem An­flug ei­nes Lä­chelns.

„Sie wis­sen es ge­nau“, mein­te sie. „Sie ha­ben al­les durch­ge­führt und wahr ge­macht, so wie Sie es ver­spro­chen ha­ben. Sie ha­ben den Krieg für Bak­hal­la ge­won­nen, und das in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen, nur mit Hil­fe der Dor­sai-Trup­pen. Und jetzt wol­len Sie selbst ein Dor­sai wer­den, und nie­mand kann Sie da­von ab­hal­ten, Ih­re Bü­cher zu schrei­ben. Es ist al­les vor­bei.“

In sei­nem In­ne­ren stieg ein Schmerz auf – und der Ab­stand, den er stets zu hal­ten pfleg­te, um­gab ihn plötz­lich wie ei­ne Mau­er. Wie­der ein­mal war er al­lein un­ter Men­schen, die ihn nicht be­grif­fen.

„Ich fürch­te, nein“, sag­te er. „Es ist noch lan­ge nicht vor­bei. Dies ist nur der Schluß des ers­ten Ak­tes. Jetzt geht es erst rich­tig los.“

Sie starr­te ihn un­gläu­big an. „Jetzt soll es erst rich­tig los­ge­hen?“ wie­der­hol­te sie. „Aber Dow kehrt heu­te Abend zur Er­de zu­rück und wird nicht mehr wie­der­kom­men.“

„Ich fürch­te, er wird es tun“, ver­setz­te Cle­tus.

„Warum soll­te er?“

„Weil er ein Mann mit Am­bi­tio­nen ist“, sag­te Cle­tus.

„Und weil ich ihm zei­gen will, wie er sei­ne Am­bi­tio­nen wei­ter ver­fol­gen kann.“

„Am­bi­tio­nen!“ sag­te sie ver­ächt­lich. „Er ist be­reits Mi­nis­ter und ei­ner der fünf Haupt­se­kre­tä­re des obers­ten Ra­tes der Ko­ali­ti­on. Es kann höchs­tens noch ein bis zwei Jah­re dau­ern, bis er einen Sitz im Rat er­ringt. Was wür­de er sonst wol­len? Nach all­dem, was er schon er­reicht hat!“

„Ehr­geiz läßt sich nicht al­lein da­durch schü­ren, daß man mehr Öl ins Feu­er gießt“, sag­te Cle­tus. „Für einen ehr­gei­zi­gen Mann gilt das, was er be­reits be­sitzt, nichts. Was zählt ist ein­zig und al­lein das, was er noch nicht be­sitzt.“

„Aber was ist es denn, was er noch nicht hat?“ frag­te sie ehr­lich über­rascht.

„Al­les, was man sich nur den­ken kann“, gab Cle­tus zu be­den­ken. „Zum Bei­spiel ei­ne ver­ei­nig­te Er­de un­ter sei­ner Herr­schaft, die die Au­ßen­wel­ten, eben­falls un­ter sei­ner Füh­rung, kon­trol­liert.“

Sie starr­te ihn un­gläu­big an. „Die Al­li­anz und die Ko­ali­ti­ton un­ter ei­nem Dach?“ frag­te sie. „Das ist un­mög­lich, und das weiß kei­ner bes­ser als Dow.“

„Ich ha­be vor, ihm zu be­wei­sen, daß dies durch­aus mög­lich ist“, sag­te Cle­tus.

Ein An­flug von Zor­nes­rö­te färb­te ih­re Wan­gen. „Sie ha­ben vor …“ Sie brach ab. „Sie glau­ben wohl, ich bin ei­ne När­rin, um hier zu sit­zen und mir das an­zu­hö­ren!“

„Nein“, sag­te er ein we­nig trau­rig, „nicht mehr als je­der an­de­re. Ich ha­be le­dig­lich ge­hofft, daß Sie mir ein­mal ver­trau­en wür­den.“

„Ih­nen ver­trau­en!“ Ur­plötz­lich, zu ih­rem ei­ge­nen Er­stau­nen, wur­de sie von blin­der Wut ge­packt. „Ich ha­be recht ge­habt, als ich Sie zum ers­ten Mal sah und Ih­nen sag­te, Sie sei­en ge­nau wie mein Va­ter. Al­le Welt glaubt, daß er aus nichts an­de­rem als Le­der und Waf­fen be­steht, und daß ihn auch nichts an­de­res in­ter­es­siert. In Wirk­lich­keit be­deu­ten ihm die­se Din­ge gar nichts. Fast je­der nimmt an, Sie sei­en kalt wie ei­ne Hun­de­schnau­ze, be­rech­nend, ein Mann oh­ne Ner­ven. Nun, ich will Ih­nen et­was sa­gen – Sie kön­nen al­le Welt zum Nar­ren hal­ten, aber nicht mei­nen Va­ter und auch Ar­vid nicht. Vor al­lem aber kön­nen Sie mich nicht an der Na­se her­um­füh­ren! Sie küm­mern sich um die Men­schen, so wie sich tra­di­ti­ons­ge­mäß mein Va­ter um sie küm­mert – um Eh­re, Mut und Wahr­heit und all die Din­ge, die wir an­geb­lich nicht mehr be­sit­zen. Das war es, was man ihm auf der Er­de ge­nom­men hat, und das ist es, was ich ihm wie­der­ge­ben will, so­bald ich ihn wie­der auf der Er­de ha­be, und wenn ich ihn mit Ge­walt dort­hin schlep­pen müß­te – weil er ge­nau­so ist wie Sie. Man muß ihn da­zu brin­gen, sich et­was mehr um sich selbst zu küm­mern und das zu er­rei­chen, was er wirk­lich er­rei­chen möch­te.“

„Ha­ben Sie noch nie dar­an ge­dacht“, sag­te Cle­tus ru­hig, nach­dem sie ge­en­det hat­te, „daß er all die­se tra­di­tio­nel­len Din­ge bei den Dor­sai ge­fun­den ha­ben könn­te?“

„Tra­di­ti­on? Bei den Dor­sai?“ Es ist Ver­ach­tung, die ih­rer Stim­me ei­ne un­ge­wöhn­li­che Schär­fe ver­lieh. „Ei­ne Welt vol­ler ab­ge­half­ter­ter Ex­mi­li­tärs, die ihr Le­ben bei den Klein­krie­gen an­de­rer ein­set­zen, und das für einen Sold, der kaum an das Ge­halt ei­nes Pro­gram­mie­rers her­an­reicht! Kön­nen Sie da ir­gend­ei­ne Tra­di­ti­on er­ken­nen?“

„Ei­ne zu­künf­ti­ge Tra­di­ti­on“, sag­te Cle­tus. „Ich glau­be, Eachan kann wei­ter in die Zu­kunft schau­en als Sie, Me­lis­sa.“

„Was küm­mert mich die Zu­kunft?“ Sie war auf­ge­sprun­gen und schau­te von oben auf ihn hin­ab. „Ich will, daß er glück­lich wird. Er denkt an je­den, nur nicht an sich selbst. Al­so muß ich mich um ihn küm­mern. Als ich ein klei­nes Mäd­chen war und mei­ne Mut­ter im Ster­ben lag, hat sie mir – mir – ans Herz ge­legt, stark zu sein und für ihn zu sor­gen. Und das will ich auch tun.“

Sie wir­bel­te her­um und ging auf die Tür zu. „Und er al­lein ist es, um den ich mich küm­mern will“, rief sie, in­dem sie ste­hen­blieb und sich un­ter der Tür noch ein­mal um­dreh­te. „Wenn Sie glau­ben, daß ich mich auch Ih­rer an­neh­men wer­de, dann sind Sie schief ge­wi­ckelt! Ge­hen Sie nur hin und über­schla­gen Sie sich we­gen die­ses oder je­nes ho­hen Ideals, an­statt sich hin­zu­set­zen und et­was wirk­lich Gu­tes zu tun, in­dem sie schrei­ben und ar­bei­ten und das Ziel ver­fol­gen, das Sie sich ge­setzt ha­ben!“

Dann ver­ließ sie das Zim­mer. Der Me­cha­nis­mus ließ es nicht zu, daß sie die Tür hin­ter sich zu­warf – was für die­se die ein­zi­ge Ret­tung war.

Cle­tus lehn­te sich in sei­ne Kis­sen zu­rück und starr­te auf die nack­te, kah­le, wei­ße Wand. Das Kran­ken­zim­mer kam ihm lee­rer denn je vor.

Al­ler­dings be­kam er noch ein­mal Be­such, be­vor der Tag sich neig­te. Es war Dow de­Ca­stries, der von We­fer Li­net ins Zim­mer ge­führt wur­de.

„Schau­en Sie, Cle­tus, wen ich da mit­ge­bracht ha­be!“ sag­te We­fer freund­lich. „Ich bin dem Mi­nis­ter im Of­fi­zier­sklub in die Ar­me ge­lau­fen, wo er mit ei­ni­gen Exo­ten sei­nen Lunch ein­nahm und mich bat, Ih­nen zu Ih­rer aus­ge­zeich­ne­ten mi­li­tä­ri­schen Leis­tung zu gra­tu­lie­ren – trotz al­lem, was die Si­tua­ti­on Neu­land-Bak­hal­la be­trifft. Ich frag­te ihn, warum er sei­ne Glück­wün­sche nicht per­sön­lich über­bringt, und da ist er!“

Er trat bei­sei­te und ließ de­Ca­stries ein­tre­ten, wäh­rend er hin­ter des­sen Rücken Cle­tus zu­wink­te. „Ich ha­be im Hau­se noch et­was zu be­sor­gen“, sag­te We­fer. „Bin so­fort zu­rück.“

Da­mit ver­ließ er schleu­nigst das Zim­mer und zog die Tür hin­ter sich zu.

„Muß­ten Sie We­fer als Ali­bi mit­brin­gen?“ frag­te Cle­tus.

„Die Ge­le­gen­heit war güns­tig.“ Dow zuck­te die Schul­tern und ließ das The­ma fal­len. „Na­tür­lich möch­te ich nicht ver­säu­men, Ih­nen zu gra­tu­lie­ren.“

„Na­tür­lich nicht“, mein­te Cle­tus. „Wol­len Sie nicht Platz neh­men?“

„Ich ste­he lie­ber“, sag­te Dow. „Man hat mir ge­sagt, Sie wol­len sich nun bei den Dor­sai ver­gra­ben. Wol­len Sie nicht mehr wei­ter an Ih­ren Bü­chern ar­bei­ten?“

„Im Au­gen­blick nicht“, ver­setz­te Cle­tus.

Dow zog die Au­gen­brau­en hoch. „Geht im Au­gen­blick et­was an­de­res vor?“

„Es gibt ein hal­b­es Dut­zend Wel­ten und ei­ni­ge Mil­li­ar­den Men­schen, die be­freit wer­den müs­sen“, sag­te Cle­tus.

„Be­frei­en?“ lä­chel­te Dow. „Von der Ko­ali­ti­on?“

„Von der Er­de.“

Dow schüt­tel­te den Kopf, und sein Lä­cheln wur­de iro­nisch. „Ich wün­sche Ih­nen Glück“, sag­te er. „Und all das nur, um ein paar Bü­cher zu schrei­ben?“

Cleu­tus er­wi­der­te nichts. Er saß auf­recht in sei­nem Bett, als wür­de er auf der Lau­er lie­gen. Dows Lä­cheln er­losch.

„Sie ha­ben recht“, sag­te Dow in ei­nem an­de­ren Ton, ob­wohl Cle­tus im­mer noch schwieg. „Die Zeit wird knapp, und ich will noch heu­te Nach­mit­tag zur Er­de zu­rück. Viel­leicht se­hen wir uns wie­der – sa­gen wir in sechs Mo­na­ten?“

„Ich fürch­te, nein“, sag­te Cle­tus. „Aber ich hof­fe, Sie hier drau­ßen wie­der­zu­se­hen – ir­gend­wo auf ei­ner der neu­en Wel­ten. Sa­gen wir – in zwei Jah­ren?“

Dows dunkle Au­gen wur­den kalt. „Sie ha­ben mich völ­lig miß­ver­stan­den, Cle­tus“, sag­te er. „Ich bin nicht da­zu be­stimmt, an­de­ren hin­ter­her­zu­lau­fen.“

„Ich auch nicht“, ver­setz­te Cle­tus.

„Ja“, sag­te Dow lang­sam. „Ich ver­ste­he. Viel­leicht“, setz­te er hin­zu, wäh­rend sein dün­nes Lä­cheln wie­der­kehr­te, „se­hen wir uns bei Phil­ip­pi wie­der.“

„Das ist der ein­zi­ge Ort, wo wir uns wie­der­se­hen könn­ten“, gab Cle­tus zu­rück.

„Ich glau­be fast, daß Sie recht ha­ben. Al­so gut“, sag­te Dow. Er trat einen Schritt zu­rück und öff­ne­te die Tür. „Ich wün­sche Ih­nen gu­te Ge­ne­sung mit Ih­rem Bein.“

„Und Ih­nen ei­ne gu­te Rei­se zur Er­de“, sag­te Cle­tus.

Dow dreh­te sich um und ging hin­aus. Ein paar Mi­nu­ten spä­ter ging die Tür wie­der auf, und We­fer steck­te den Kopf her­ein.

„Ist de­Ca­stries ge­gan­gen?“ frag­te er. „Das war aber ein kur­z­er Be­such.“

„Wir ha­ben ge­sagt, was wir uns zu sa­gen hat­ten“, er­wi­der­te Cle­tus. „Es be­stand für ihn kein Grund, län­ger zu ver­wei­len.“