20

 

Am nächs­ten Vor­mit­tag war Cle­tus da­mit be­schäf­tigt, das Kon­tin­gent aus den be­reits neu­aus­ge­bil­de­ten und den nicht aus­ge­bil­de­ten Dor­sai be­reit­zu­stel­len, das er nach New­ton mit­neh­men woll­te. Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter, als er in sei­nem Pri­vat­bü­ro auf dem Übungs­ge­län­de in Fo­ra­lie saß, kam Ar­vid her­ein und mel­de­te einen neu­en Emi­gran­ten, einen Of­fi­ziers-Re­kru­ten, der ihn zu spre­chen wünsch­te.

„Ich glau­be, Sie wer­den sich an ihn er­in­nern, Sir“, mein­te Ar­vid, in­dem er Cle­tus et­was grim­mig an­blick­te. „Ober­leut­nant Wil­liam Athyer – frü­her bei der Ex­pe­di­ti­ons­ar­mee der Al­li­anz auf Bak­hal­la.“

„Athyer?“ sag­te Cle­tus und schob die Pa­pie­re auf der Schreib­tisch­plat­te bei­sei­te. „Schi­cken Sie ihn rein, Arv.“

Ar­vid trat einen Schritt zu­rück und ver­ließ das Bü­ro. Kurz dar­auf er­schi­en Bill Athyer und blieb zö­gernd un­ter der Tür ste­hen – eben je­ner Athyer, der Cle­tus sei­ner­zeit in be­trun­ke­nem Zu­stand im Flug­bus­ter­mi­nal von Bak­hal­la den Weg ver­stellt hat­te. Er trug statt der Sil­ber­strei­fen ei­nes Ober­leut­nants die brau­ne Uni­form ei­nes Dor­sai-Re­kru­ten mit den Rang­ab­zei­chen ei­nes Of­fi­ziers auf Pro­be.

„Tre­ten Sie ein“, sag­te Cle­tus, „und schlie­ßen Sie die Tür hin­ter sich.“

Athyer ge­horch­te und trat ins Zim­mer. „Sehr freund­lich von Ih­nen, daß Sie mich emp­fan­gen, Sir“, sag­te er sto­ckend. „Ich glau­be nicht, daß Sie an­ge­nom­men ha­ben, ich wür­de hier auf­tau­chen …“

„Ganz im Ge­gen­teil“, gab Cle­tus zu­rück. „Ich ha­be Sie er­war­tet. Set­zen Sie sich.“

Er zeig­te auf den Stuhl vor sei­nem Schreib­tisch, und Athyer ließ sich auf der Stuhl­kan­te nie­der. „Ich weiß nicht, wie ich mich ent­schul­di­gen soll …“ be­gann er.

„Dann las­sen Sie’s blei­ben“, mein­te Cle­tus. „Ich neh­me an, daß sich in Ih­rem Le­ben ei­ni­ges ge­än­dert hat.“

„Was heißt ge­än­dert!“ Athyers Ge­sicht leuch­te­te auf. „Sir … kön­nen Sie sich noch an die Hal­le in Bak­hal­la er­in­nern …? Als ich da­mals die Hal­le ver­ließ, hat­te ich et­was Be­stimm­tes im Sinn. Ich woll­te je­de Zei­le durch­käm­men, die Sie je­mals zu Pa­pier ge­bracht hat­ten, um nach Irr­tü­mern und Feh­lern zu su­chen, die ich ge­gen Sie ver­wen­den könn­te. Sie sag­ten, ich brau­che mich nicht zu ent­schul­di­gen, aber …“

„Ich mein­te, was ich sag­te“, er­wi­der­te Cle­tus. „Fah­ren Sie fort und er­zäh­len Sie mir, was Sie zu sa­gen ha­ben.“

„Nun … plötz­lich be­gann ich zu be­grei­fen, das ist al­les“, mein­te Athyer. „Auf ein­mal hat­te al­les einen Sinn, ob­wohl ich es gar nicht glau­ben konn­te! Ich ließ Ih­re Bü­cher lie­gen und be­gann, in die­ser exo­ti­schen Bi­blio­thek in Bak­hal­la nach an­de­ren Wer­ken über die mi­li­tä­ri­sche Kunst zu for­schen, doch ich konn­te nichts Neu­es ent­de­cken. Das, was Sie ge­schrie­ben hat­ten, war et­was an­de­res … Sir, Sie glau­ben gar nicht, wie groß der Un­ter­schied ist!“

Cle­tus lä­chel­te.

„Na­tür­lich wis­sen Sie das!“ un­ter­brach sich Aty­her. „Dar­um geht es aber nicht. Ich ha­be zum Bei­spiel im­mer Schwie­rig­kei­ten mit der Ma­the­ma­tik ge­habt. Ich hat­te die Aka­de­mie der Al­li­anz nicht be­sucht, wie Sie wis­sen. Ich ha­be das Pro­gramm für Re­ser­ve­of­fi­zie­re ab­sol­viert und mich nur ober­fläch­lich mit Ma­the­ma­tik be­faßt. Und das ging so wei­ter, bis ich ei­nes Ta­ges mit hand­fes­ter Geo­me­trie kon­fron­tiert wur­de. Ur­plötz­lich paß­ten al­le Zah­len und For­men zu­sam­men – es war herr­lich. Das­sel­be pas­sier­te mir mit Ih­ren Wer­ken, Sir. Plötz­lich er­kann­te ich das Zu­sam­men­wir­ken der Kunst und Me­cha­nik der mi­li­tä­ri­schen Stra­te­gie. All mei­ne Träu­me, die ich schon als Kind ge­träumt hat­te, um große Din­ge zu voll­brin­gen – jetzt konn­te ich nach­le­sen, wie man sie ver­wirk­li­chen kann. Und nicht nur mi­li­tä­ri­sche Din­ge, son­dern al­le mög­li­chen Sa­chen.“

„Das ha­ben Sie al­les mei­nen Schrif­ten ent­nom­men?“ frag­te Cle­tus.

„Was heißt ent­nom­men!“ Athyer streck­te die Hand aus und ball­te die Faust in der Luft. „Ich sah al­les so deut­lich, als wür­den die Din­ge greif­bar vor mir im Raum ste­hen. Sir, kein Mensch weiß, was Ih­re Wer­ke wert sind, kein Mensch kann das ab­schät­zen – und da­bei geht es nicht nur dar­um, was Ih­re Bü­cher für die Ge­gen­wart be­deu­ten, son­dern dar­um, was sie für die Zu­kunft bie­ten!“

„Gut“, mein­te Cle­tus. „Es freut mich, daß Sie so den­ken. Was kann ich jetzt für Sie tun?“

„Ich glau­be, Sie wis­sen es selbst am bes­ten, Sir“, gab Athyer zu­rück. „Ich bin zu den Dor­sai ge­sto­ßen, weil ich Ih­re Bü­cher ge­le­sen ha­be. Aber ich möch­te nicht nur ei­ner un­ter den Na­men­lo­sen sein. Ich möch­te in Ih­rer Nä­he sein, wo ich et­was ler­nen kann. Ich weiß nur zu gut, daß Sie im Au­gen­blick kei­ne Stel­le für mich frei ha­ben, aber wenn Sie mich zu­min­dest vor­mer­ken wür­den …“

„Ich glau­be schon, daß sich ei­ne Stel­le für Sie fin­den läßt“, mein­te Cle­tus. „Wie ge­sagt, ich ha­be Sie mehr oder we­ni­ger er­war­tet. Ge­hen Sie zu Kom­man­dant Ar­vid John­son und sa­gen Sie ihm, daß er Sie als sei­nen Ad­ju­tan­ten ein­stel­len soll. Wir wer­den die Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen in Ih­rem Fall still­schwei­gend über­ge­hen und Sie in die Grup­pe auf­neh­men, die wir auf New­ton ein­set­zen wol­len.“

„Sir …“ Athyer fehl­ten die Wor­te.

„Das wär’s dann vor­erst“, sag­te Cle­tus und zog die Pa­pie­re wie­der an sich her­an, die er vor­hin bei­sei­te ge­scho­ben hat­te. „Sie wer­den Ar­vid drau­ßen in sei­nem Bü­ro fin­den.“

Dann wand­te er sich wie­der sei­ner Ar­beit zu. Zwei Wo­chen spä­ter lan­de­te das Dor­sai-Kon­tin­gent ein­satz­be­reit auf New­ton – und der frisch ab­kom­man­dier­te Grup­pen­füh­rer Bill Athyer war da­bei.

„Ich hof­fe“, mein­te Ar­tur Wal­co ei­ni­ge Ta­ge spä­ter, wäh­rend er mit Cle­tus die Abend­pa­ra­de der Trup­pen be­ob­ach­te­te, „daß Sie sich nicht zu­viel zu­ge­mu­tet ha­ben, Mar­schall.“

Der Prä­si­dent der VFG auf New­ton sprach den Ti­tel mit lei­ser Iro­nie aus, einen Ti­tel, den sich Cle­tus zu­ge­legt hat­te, um sich von den üb­ri­gen Of­fi­zie­ren und Char­gen sei­ner un­ge­schul­ten Dor­sai zu un­ter­schei­den. Sie stan­den am Ran­de des Auf­marsch­fel­des. Die ro­te Son­ne am grau­en Him­mel von New­ton neig­te sich hin­ter der Fah­nen­stan­ge be­reits dem Ho­ri­zont zu, und die Fah­ne weh­te schon auf halb­mast, als Ma­jor Swa­hi­li das Re­gi­ment an der An­fahrts­ram­pe prä­sen­tier­te. Cle­tus dreh­te sich um und schau­te den ha­ge­ren, kahl­köp­fi­gen New­to­ni­er an.

„Ein Über­maß an Ver­trau­en“, sag­te er, „ist ein Feh­ler, den Leu­te be­ge­hen, die ihr Hand­werk nicht ver­ste­hen.“

„Und Sie zäh­len sich nicht da­zu.“

„Ge­wiß nicht“, er­wi­der­te Cle­tus.

Wal­co lach­te säu­er­lich und zog die schma­len Schul­tern un­ter sei­ner schwar­zen Ja­cke hoch, um sich ge­gen den Nord­wind zu schüt­zen, der vom Wald her­über­weh­te, der di­rekt am Stadt­rand von De­broy auf New­ton be­gann und sich mehr als zwei­hun­dert Mei­len nord­wärts er­streck­te, bis hin zu den Stib­nit­mi­nen und zur Broz­a­stadt Was­ser­hüt­te.

„Zwei­tau­send Mann dürf­ten aus­rei­chen, um die Mi­nen ein­zu­neh­men“, sag­te er, „aber laut Ver­trag müs­sen Sie die Mi­nen drei Ta­ge lang oder zu­min­dest bis zu dem Zeit­punkt hal­ten, bis die new­to­ni­schen Streit­kräf­te in der La­ge sind, Sie ab­zu­lö­sen. Und in­ner­halb von vier­und­zwan­zig Stun­den, nach­dem Sie in Was­ser­hüt­te ein­mar­schiert sind, kön­nen die Bro­za­ner mit zehn­tau­send Mann ih­rer re­gu­lä­ren Trup­pen ein­grei­fen. Ich weiß nicht, wie Sie die­ses Ver­hält­nis von fünf zu eins meis­tern wol­len.“

„Na­tür­lich nicht“, ver­setz­te Cle­tus. Die Flag­ge hing nun ganz un­ten an der Fah­nen­stan­ge, und Ma­jor Swa­hi­li hat­te be­reits an sei­nen Ad­ju­tan­ten über­ge­ben, um die Leu­te zu ent­las­sen. „Es ist auch nicht Ih­re Auf­ga­be. Ih­re Auf­ga­be war es le­dig­lich, einen Ver­trag mit mir zu un­ter­zeich­nen, laut dem wir un­ser Geld be­kom­men, so­bald Ih­re Trup­pen die Kon­trol­le über die Mi­nen über­nom­men ha­ben. Das ha­ben Sie ge­tan. Wenn wir ver­sa­gen, er­lei­det Ih­re VFG kei­ner­lei fi­nan­zi­el­le Ver­lus­te.“

„Viel­leicht nicht“, sag­te Wal­co hef­tig. „Aber mein An­se­hen wür­de dar­un­ter lei­den.“

„Mir wür­de es nicht an­ders er­ge­hen.“

Wal­co schnauf­te und ent­fern­te sich. Cle­tus blick­te ihm kurz nach, dann wand­te er sich ab und ging auf das Haupt­quar­tier zu, das für die Dor­sai in die­sem pro­vi­so­ri­schen La­ger di­rekt am Stadt­rand von De­broy im Wald­schat­ten ein­ge­rich­tet wor­den war. Im Kar­ten­zim­mer traf er Swa­hi­li und Ar­vid, die be­reits auf ihn war­te­ten.

„Schau­en Sie sich das mal an“, sag­te er und führ­te die bei­den zu dem großen Kar­ten­tisch, wo auf ei­ner Re­li­ef­kar­te der brei­te Wald­gür­tel mit De­broy am einen und den Stib­nit­mi­nen um Was­ser­hüt­te am an­de­ren En­de dar­ge­stellt war. Die drei Män­ner stan­den jetzt an je­nem Kar­ten­ab­schnitt, der De­broy zeig­te. „Wal­co und sei­ne Leu­te wol­len, daß wir hier ein oder zwei Wo­chen her­um­sit­zen, be­vor wir et­was un­ter­neh­men. Die Spio­ne der Bro­za wer­den wahr­schein­lich auf die glei­che Idee kom­men. Wir aber wol­len kei­ne Zeit ver­lie­ren. Ma­jor …“

Er schau­te Swa­hi­li an, des­sen zer­furch­tes, dunkles Ge­sicht sich in­ter­es­siert über den Tisch beug­te. Swa­hi­li blick­te zu Cle­tus auf.

„Wir wer­den gleich mor­gen bei Ta­ges­an­bruch mit dem Ak­kli­ma­ti­sie­rungs­trai­ning der Trup­pen hier dicht am Wald­rand be­gin­nen“, sag­te Cle­tus. „Das Trai­ning wird et­wa fünf Mei­len tief im Wald statt­fin­den, ziem­lich weit von der New­ton-Bro­za-Front ent­fernt.“ Er zeig­te auf ei­ne ro­te Li­nie, die et­wa zwan­zig Mei­len ober­halb De­broys durch den Wald ver­lief. „Das Trai­ning er­folgt grup­pen­wei­se, und es braucht nicht be­son­ders in­ten­siv zu sein. Sie müs­sen nur über Nacht drau­ßen blei­ben und üben, bis die Of­fi­zie­re ei­ni­ger­ma­ßen zu­frie­den sind. Dann kann man sie Grup­pe für Grup­pe ent­las­sen, so­bald ih­re Of­fi­zie­re der Mei­nung sind, daß sie ein­satz­be­reit sind. Da­nach kön­nen sie ins La­ger zu­rück­keh­ren. Die letz­te Grup­pe soll­te den Wald nicht frü­her als in zwei­ein­halb Ta­gen ver­las­sen, von mor­gen früh an ge­rech­net. Sie wer­den da­für sor­gen, daß die Of­fi­zie­re den ent­spre­chen­den Be­fehl er­hal­ten.“

„Wer­de ich nicht da­bei sein?“ frag­te Swa­hi­li.

„Sie wer­den bei mir sein“, er­wi­der­te Cle­tus und schau­te den hoch­ge­wach­se­nen jun­gen Haupt­mann zu sei­ner Rech­ten an. „Zu­sam­men mit Ar­vid und zwei­hun­dert un­se­rer bes­ten Män­ner. So­bald wir im Wald sind, müs­sen wir uns von den an­de­ren ab­set­zen, in Zwei­er- und Drei­er­grup­pen auf­tei­len und nach Nor­den mar­schie­ren, um uns dann vier Ta­ge spä­ter fünf Mei­len süd­lich von Was­ser­hüt­te wie­der zu tref­fen.“

„In vier Ta­gen?“ wie­der­hol­te Swa­hi­li. „Das sind mehr als fünf­zig Mei­len Fuß­marsch pro Tag durch un­be­kann­tes Ge­län­de.“

„Ge­nau!“ sag­te Cle­tus. „Und eben dar­um wird kei­ner – we­der die New­to­ni­er noch die Bro­za­ner – an­neh­men, daß wir et­was Ähn­li­ches ver­su­chen. Aber Sie, Ma­jor, und ich wis­sen, daß es un­se­re bes­ten Leu­te schaf­fen wer­den, nicht wahr?“

Sein Blick und der Blick aus Swa­hi­lis Au­gen in des­sen dunklem, un­be­weg­li­chen Ge­sicht kreuz­ten sich.

„Ja“, sag­te Swa­hi­li.

„Gut“, mein­te Cle­tus und trat vom Tisch zu­rück. „Wir wol­len jetzt es­sen und heu­te Abend die Ein­zel­hei­ten aus­ar­bei­ten. Sie, Ma­jor, ge­hen mit Arv, und ich fah­re mit Grup­pen­füh­rer Athyer.“

„Aty­her?“ gab Swa­hi­li zu­rück.

„Rich­tig“, er­wi­der­te Cle­tus tro­cken. „Sie ha­ben mir doch ge­sagt, daß er mit­kommt?“

„Ja“, gab Swa­hi­li zu. Selt­sa­mer­wei­se stimm­te es. Swa­hi­li schi­en sich für den frisch re­kru­tier­ten, nicht aus­ge­bil­de­ten Athyer zu in­ter­es­sie­ren, of­fen­sicht­lich mehr aus Neu­gier denn aus Sym­pa­thie – denn man konn­te sich kei­ne grö­ße­ren Ge­gen­sät­ze den­ken als den Ma­jor und Athyer. Swa­hi­li war weit und breit der bes­te un­ter den neu­aus­ge­bil­de­ten Dor­sai, Mann­schaf­ten und Of­fi­zie­re glei­cher­ma­ßen. Er hat­te bei der Aus­bil­dung, was die Selbst­kon­trol­le be­traf, mit Aus­nah­me von Cle­tus al­le über­flü­gelt. Trotz­dem war Swa­hi­li nicht be­reit, sein Ur­teil durch sein In­ter­es­se be­ein­flus­sen zu las­sen. Er schau­te Cle­tus mit ei­nem An­flug von grim­mi­gem Hu­mor an.

„Und, Sir, da er Sie be­glei­ten wird …“ sag­te er.

„Die gan­ze Zeit“, mein­te Cle­tus ru­hig. „Ich neh­me an, Sie ha­ben nichts da­ge­gen, Arv bei sich zu ha­ben?“

„Nein, Sir.“ Swa­hi­li schenk­te dem jun­gen Kom­man­dan­ten einen Blick, der fast vä­ter­lich und zu­stim­mend zu­gleich war.

„Gut“, mein­te Cle­tus. „Sie kön­nen jetzt ge­hen. Wir tref­fen uns dann hier nach dem Es­sen wie­der.“

„Ja­wohl.“

Swa­hi­li ent­fern­te sich. Cle­tus wand­te sich der Tür zu und ent­deck­te Ar­vid, der im Tür­rah­men stand und ihm fast den Weg ver­sperr­te.

„Ist was, Arv?“ frag­te Cle­tus.

„Sir …“ setz­te Ar­vid an, doch dann wuß­te er nicht wei­ter.

Cle­tus mach­te kei­ne An­stal­ten, ihm wei­ter­zu­hel­fen, son­dern stand ab­war­tend da.

„Sir“, wie­der­hol­te Ar­vid. „Ich bin doch noch Ihr Ad­ju­tant?“

„Das sind Sie“, sag­te Cle­tus.

„Dann …“ Ar­vids Ge­sicht war starr und et­was blaß – „… darf ich viel­leicht fra­gen, warum Athyer Ih­nen bei ei­nem sol­chen Un­ter­neh­men an mei­ner Stel­le as­sis­tie­ren soll?“

Cle­tus schau­te ihn kühl an. Ar­vids Hal­tung war et­was steif, die rech­te Schul­ter un­ter der Uni­formja­cke im­mer noch et­was hoch­ge­zo­gen durch die Brand­wun­de, die er sich ge­holt hat­te, als er sei­ner­zeit im Haupt­quar­tier von Bak­hal­la Cle­tus vor den Neu­län­der-Gue­ril­las schüt­zen woll­te.

„Nein, Kom­man­dant“, sag­te Cle­tus ge­dehnt. „Sie dür­fen mich nicht fra­gen, warum ich so und nicht an­ders ent­schie­den ha­be – we­der heu­te noch in Zu­kunft.“

Sie stan­den sich ge­gen­über, von An­ge­sicht zu An­ge­sicht.

„Ist das klar?“ frag­te Cle­tus.

Ar­vids Hal­tung wur­de, wenn mög­lich, noch stei­fer. Sein Blick irr­te von Cle­tus ab und hef­te­te sich hoch über ihm auf einen Fleck an der Wand.

„Ja­wohl, Sir“, sag­te er.

„Dann soll­ten Sie sich bes­ser zum Abendes­sen be­ge­ben“, mein­te Cle­tus.

Ar­vid mach­te kehrt und ging hin­aus. Cle­tus seufz­te und ging dann in sein Quar­tier, wo ihm sein Bur­sche ein ein­sa­mes Mal ser­vier­te.

Am nächs­ten Mor­gen um neun stand er mit Athyer fünf Mei­len tief im Wald­ge­biet, als Swa­hi­li zu ih­nen stieß und ihm ein klei­nes Me­tall­käst­chen übergab, das ei­ne Art Ori­en­tie­rungs­ge­rät ent­hielt. Cle­tus steck­te die Schach­tel in die Ja­ck­en­ta­sche sei­ner grau­grü­nen Fel­d­uni­form.

„Ist das Ge­rät ein­ge­stellt?“ frag­te er. Ma­jor Swa­hi­li nick­te.

„Mit dem La­ger als Ba­sis­punkt“, sag­te er. „Der Rest der Mann­schaft, die für die Ex­pe­di­ti­on ab­ge­stellt wur­de, ist be­reits ab­ge­rückt, in Zwei­er- und Drei­er­grup­pen, wie Sie be­foh­len ha­ben. Der Haupt­mann und ich sind marsch­be­reit.“

„Gut“, mein­te Cle­tus. „Bill und ich wer­den eben­falls auf­bre­chen. Wir wer­den uns am Treff­punkt fünf Mei­len un­ter­halb von Was­ser­hüt­te in et­wa ein­und­neun­zig Stun­den wie­der­se­hen.“

„Wir wer­den zur Stel­le sein, Sir.“ Swa­hi­li schenk­te Athyer noch einen spöt­ti­schen Blick, dann dreh­te er sich um und ging.

Cle­tus dreh­te das Ori­en­tie­rungs­käst­chen in sei­ner Hand um, so daß die Kom­paß­na­del un­ter dem durch­sich­ti­gen De­ckel sicht­bar wur­de. Er drück­te den Knopf an der Sei­te der Schach­tel, und der Zei­ger schwang im Uhr­zei­ger­sinn et­wa um vier­zig Grad her­um, bis er fast ge­nau nord­wärts in Rich­tung Wald zeig­te. Cle­tus ver­such­te, sich mit Hil­fe ei­nes Baum­stamms zu ori­en­tie­ren, so­weit ihm dies im Däm­mer­licht des Wal­des mög­lich war. Dann hob er das Ge­rät hoch und schau­te durch den Su­cher. Was er da zu se­hen be­kam, war ei­ne et­wa zwei­mal drei Me­ter große Re­li­ef­kar­te des Ge­län­des zwi­schen sei­ner au­gen­blick­li­chen Po­si­ti­on und Was­ser­hüt­te. Ei­ne ro­te Li­nie mar­kier­te den Weg, der in die Kar­te ein­pro­gram­miert wor­den war. Er drück­te auf einen an­de­ren Knopf am Ge­häu­se und hol­te das Bild nä­her her­an, um die Ein­zel­hei­ten der ers­ten fünf Mei­len zu stu­die­ren. Es war nichts als Wald, oh­ne Sumpf­ge­län­de, das man über­que­ren oder um­ge­hen muß­te.

„Los“, sag­te er über die Schul­ter zu Athyer, steck­te das Käst­chen in die Ta­sche und star­te­te im Lauf­schritt.

Athyer folg­te ihm. Wäh­rend der ers­ten Stun­den trot­te­ten sie wort­los ne­ben­ein­an­der her, um­ge­ben von der Däm­me­rung und der Stil­le der nörd­li­chen New­ton-Wäl­der. In die­sem Wald gab es kei­ne ge­flü­gel­te Krea­tur, we­der Vö­gel noch In­sek­ten, nur die am­phi­bi­schen und fisch­ähn­li­chen Le­be­we­sen der Seen, Moo­re und Sümp­fe. Un­ter der di­cken De­cke der na­de­l­ähn­li­chen Blät­ter, die nur auf den höchs­ten Äs­ten der Bäu­me wuch­sen, war der Bo­den nackt bis auf die laub­lo­sen Baum­strün­ke und un­te­ren Äs­te, doch be­deckt mit ei­ner di­cken Schicht schwärz­li­cher, ab­ge­stor­be­ner Na­deln, die im Lauf der Zeit von den Bäu­men ge­fal­len wa­ren. Nur hier und da fand sich ein Strauß großer, fleisch­far­bi­ger Blät­ter, et­wa einen Me­ter lang, die di­rekt aus dem Na­del­bett em­por­wuch­sen, um das Vor­han­den­sein ei­ner Quel­le oder ei­nes sons­ti­gen feuch­ten Be­reichs im Ur­wald­bo­den zu si­gna­li­sie­ren.

Nach den ers­ten zwei Stun­den än­der­ten sie ih­re Gang­art und gin­gen zu ei­nem al­ter­nie­ren­den Rhyth­mus von fünf Mi­nu­ten Lauf­schritt und fünf Mi­nu­ten schnel­lem Ge­hen über. Pro Stun­de leg­ten sie fünf Mi­nu­ten Pau­se ein, um zu ras­ten, wo­bei sie sich der Län­ge nach auf den Bo­den war­fen und sich auf dem wei­chen, di­cken Na­del­tep­pich aus­streck­ten, oh­ne auch nur ihr leich­tes Marsch­ge­päck ab­zu­schnal­len, das sie auf dem Rücken tru­gen.

Wäh­rend der ers­ten hal­b­en Stun­de war ih­nen das Ge­hen schwer­ge­fal­len. Doch so­bald sie sich durch die phy­si­sche Be­we­gung warm­ge­lau­fen hat­ten, be­gann ihr Herz lang­sa­mer zu schla­gen, – und es kam ih­nen vor, als könn­ten sie im­mer so wei­ter­lau­fen. Cle­tus lief oder ging, meis­tens geis­tes­ab­we­send und zum Teil „weg­ge­tre­ten“, wo­bei er sich auf an­de­re Pro­ble­me kon­zen­trier­te. Selbst das Nach­prü­fen der zu­rück­ge­leg­ten Stre­cke mit Hil­fe des Kom­pas­ses, der am Ori­en­tie­rungs­kas­ten an­ge­bracht war, er­folg­te bei­na­he au­to­ma­tisch, fast wie ein Re­flex.

Er fand erst wie­der in die Wirk­lich­keit zu­rück, als das Däm­mer­licht des Wal­des über ih­nen ver­blaß­te. Die Son­ne New­tons, die sich hin­ter dem Dop­pel­vor­hang aus Laub­werk und der ho­hen, fast stets ge­schlos­se­nen Wol­ken­de­cke ver­steck­te, die dem Him­mel sein grau­es, me­tal­li­sches Aus­se­hen schenk­te, war im Un­ter­ge­hen be­grif­fen.

„Zeit für ei­ne Es­sen­pau­se“, sag­te Cle­tus. Er ging auf ei­ne fla­che Stel­le am Fu­ße ei­nes großen Baum­stam­mes zu und setz­te sich, die Bei­ne ge­kreuzt, lehn­te sich ge­gen den Stamm und streif­te sei­nen Ruck­sack ab. Athyer setz­te sich zu ihm auf den Bo­den. „Wie geht’s?“

„Aus­ge­zeich­net, Sir“, grunz­te Athyer.

Athyer mach­te wirk­lich den al­ler­bes­ten Ein­druck, so wie Cle­tus es er­war­tet hat­te, und das freu­te ihn be­son­ders. Athyers Ge­sicht war nur leicht mit Schweiß be­deckt, sein Atem aber war tief und ru­hig.

Sie öff­ne­ten ein Ther­mo­paket, bra­chen es ent­zwei und sta­chen es auf, da­mit sich der In­halt er­wärm­te. Als das Es­sen mund­warm war, hat­te sich die Dun­kel­heit be­reits über sie ge­senkt. Es war so fins­ter wie in ei­nem fens­ter­lo­sen Kel­ler.

„In ei­ner hal­b­en Stun­de wer­den die Mon­de auf­ge­hen“, sag­te Cle­tus in die Fins­ter­nis, je­ner Rich­tung zu­ge­wandt, wo er Athyer ne­ben sich ver­mu­te­te. „Ver­su­chen Sie et­was zu schla­fen, wenn Sie kön­nen.“

Cle­tus leg­te sich auf den Na­del­tep­pich und ver­such­te, sei­ne Bei­ne und sei­nen Kör­per zu ent­span­nen. Be­reits nach we­ni­gen Se­kun­den stell­te sich das be­kann­te schwe­ben­de Ge­fühl ein. Nach nur et­wa drei­ßig Se­kun­den der Be­wußt­lo­sig­keit – so kam es ihm zu­min­dest vor – schlug er die Au­gen auf und sah ein neu­es, fah­les Licht, das durch das Blät­ter­werk des Wal­des si­cker­te.

Das Licht war nicht an­nä­hernd so hell wie das ge­fil­ter­te Ta­ges­licht, im­mer­hin aber hell ge­nug, daß sie ih­ren Weg fin­den konn­ten, und wahr­schein­lich wür­de es noch hel­ler wer­den, weil min­des­tens vier der fünf New­ton-Mon­de am Nacht­him­mel zu er­war­ten wa­ren.

„Los, ge­hen wir“, sag­te Cle­tus. Ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter trot­te­ten er und Athyer, den Ruck­sack ge­schul­tert, wie­der im Lauf­schritt da­hin.

Die Kar­te zeig­te in ih­rem ei­ge­nen Licht ei­ne schwar­ze Li­nie, die par­al­lel zur ro­ten Li­nie ver­lief, die ih­re Marsch­rou­te an­zeig­te, und zwar auf ei­ner Stre­cke von mehr als ein­und­drei­ßig Mei­len vom Aus­gangs­punkt. Wäh­rend der nächs­ten neun Stun­den ih­res Nacht­mar­sches, der nur durch die stünd­li­chen Ru­he­pau­sen und ei­ne kur­z­en Es­sen­pau­se um Mit­ter­nacht un­ter­bro­chen wur­de, leg­ten sie wei­te­re sechs­und­zwan­zig Mei­len zu­rück, be­vor die meis­ten Mon­de un­ter­gin­gen und das Licht so schwach wur­de, daß ein si­che­res Wei­ter­mar­schie­ren nicht mehr mög­lich war. Sie nah­men ei­ne letz­te, leich­te Mahl­zeit zu sich und leg­ten sich dann auf den wei­chen Wald­bo­den, wo sie in einen fünf­stün­di­gen Schlaf ver­san­ken.

Als Cle­tus’ Arm­band­uhr sie weck­te, muß­ten sie fest­stel­len, daß be­reits zwei Stun­den des Ta­ges ver­gan­gen wa­ren. Sie stan­den auf, aßen und mach­ten sich so schnell wie mög­lich auf den Weg.

Wäh­rend der ers­ten vier Stun­den leg­ten sie ei­ne be­acht­li­che Stre­cke zu­rück – sie ka­men so­gar et­was schnel­ler vor­an als am Tag zu­vor. Doch ge­gen Mit­tag er­reich­ten sie ein Sumpf­ge­biet, voll je­ner Pflan­zen mit den fleisch­far­be­nen Blät­tern, vol­ler Ran­ken wil­den Weins und ei­ner Art von Lia­nen, die von den un­te­ren Äs­ten der Bäu­me her­un­ter­bau­mel­ten oder sich mei­len­weit über den Bo­den er­streck­ten, manch­mal so dick wie ein Öl­faß.

Die Um­ge­bung war hin­der­lich, und sie muß­ten Um­we­ge ma­chen. Als die Nacht er­neut her­ab­sank, hat­ten sie kaum zwan­zig Mei­len ge­schafft. Ins­ge­samt hat­ten sie nur ein Drit­tel des Weges bis zum ver­ein­bar­ten Treff­punkt zu­rück­ge­legt, der un­ter­halb von Was­ser­hüt­te lag. Fast ein Drit­tel ih­rer Zeit war ver­stri­chen, und von jetzt ab wür­de sich die Mü­dig­keit zu­neh­mend auf ih­re Leis­tung aus­wir­ken. Cle­tus hat­te ge­hofft, bis zu die­sem Zeit­punkt die Hälf­te der Stre­cke zu­rück­zu­le­gen.

Aber die Kar­te ver­riet ihm, daß sie nach wei­te­ren 20 Mei­len aus die­sem Sumpf­ge­biet her­aus­kom­men und of­fe­ne­res Ge­län­de er­rei­chen wür­den. Wäh­rend der halb­stün­di­gen Dun­kel­heit nah­men sie ei­ne kur­ze Abend­mahl­zeit ein, dann lie­fen sie wei­ter durch die Nacht. Sie er­reich­ten den Rand des Moo­res, kurz be­vor das Mond­licht ver­blaß­te. Sie san­ken wie tot auf den Na­del­tep­pich, der sich un­ter ih­ren Fü­ßen aus­brei­te­te, und schlie­fen so­fort ein.

Am nächs­ten Tag fiel Ih­nen das Ge­hen et­was leich­ter, aber die Er­schöp­fung mach­te sich all­mäh­lich be­merk­bar und hemm­te ih­re Schrit­te. Cle­tus mar­schier­te wie im Traum oder wie in ho­hem Fie­ber und war sich kaum der An­stren­gun­gen und der Mü­dig­keit sei­nes Kör­pers be­wußt, au­ßer daß al­les um ihn her­um in die Fer­ne ge­rückt schi­en. Sein Ge­sicht war grau und ein­ge­fal­len, so daß die kühn ge­schwun­ge­ne Na­se jetzt al­les zu be­herr­schen schi­en, wie der Bug ei­nes al­ten Holz­schif­fes. Ir­gend­wie brach­te er es fer­tig, beim Ge­hen oder Lau­fen Schritt zu hal­ten, doch so­bald sie ei­ne lang­sa­me­re Gang­art ein­schlu­gen, wur­den sei­ne Fü­ße un­si­cher, er strau­chel­te und stol­per­te da­hin. In die­ser Nacht gönn­te Cle­tus sich und sei­nem Ge­fähr­ten nach dem Abendes­sen vol­le sechs Stun­den Schlaf.

Sie leg­ten nicht ganz sech­zehn Mei­len zu­rück, wäh­rend der Mond schi­en, dann mach­ten sie wie­der Rast und schlie­fen noch ein­mal sechs Stun­den.

Als sie er­wach­ten, hat­ten sie das Ge­fühl, aus­ge­ruht und wie­der bei Kräf­ten zu sein. Doch wäh­rend der nächs­ten zwei Stun­den nach Ta­ges­an­bruch muß­ten sie fest­stel­len, daß ih­re Leis­tung nicht bes­ser war als vor vier­und­zwan­zig Stun­den, ob­wohl sie jetzt lang­sa­mer und ste­ti­ger da­hin­mar­schier­ten, wo­bei sie mit ih­ren Kräf­ten so spar­sam um­gin­gen wie ein Geiz­hals mit sei­nem Geld. Und wie­der war es die­ser merk­wür­di­ge Zu­stand, der Cle­tus über­kam: Sei­ne kör­per­li­chen Be­schwer­den nahm er nur wie aus der Fer­ne wahr, und sie ka­men ihm be­deu­tungs­los vor. Ir­gend­wie hat­te sich der Ge­dan­ke in ihm fest­ge­setzt, daß er, wenn not­wen­dig, im­mer so wei­ter­mar­schie­ren könn­te, oh­ne auch nur ei­ne Es­sen­pau­se oder ei­ne Rast ein­zu­le­gen.

In der Tat war der Ge­dan­ke an Nah­rung auf die letz­te Stel­le ih­rer Wunsch­lis­te ge­rückt. Zum Mit­tages­sen leg­ten sie ei­ne Rast ein und zwan­gen sich da­zu, ih­re Ra­ti­on hin­un­ter­zu­wür­gen, doch es ge­sch­ah oh­ne rech­ten Ap­pe­tit und oh­ne Ge­schmack. Das Es­sen lag ih­nen bleischwer im Ma­gen, und als die Dun­kel­heit her­ein­brach, konn­te kei­ner von ih­nen et­was zu sich neh­men. Sie gru­ben an den Wur­zeln ei­ner die­ser Stau­den mit den fleisch­far­be­nen Blät­tern nach der Quel­le, die dort un­ten spru­del­te, und tran­ken durs­tig, be­vor sie in einen jetzt fast au­to­ma­ti­schen Schlaf fie­len. Nach ei­ni­gen Stun­den Schlaf stan­den sie auf und setz­ten ih­ren Weg im Mond­schein fort.

In der Däm­me­rung des vier­ten Ta­ges wa­ren sie nur noch ein hal­b­es Dut­zend Mei­len vom Treff­punkt ent­fernt. Doch als sie mit ih­ren ge­schul­ter­ten Ruck­sä­cken ver­such­ten, auf die Bei­ne zu kom­men, ga­ben ih­re Knie nach und knick­ten ein wie ein lo­ses Schar­nier. Cle­tus aber gab nicht auf, und nach ei­ner Wei­le ge­lang es ihm, sich hoch­zurap­peln und auf sei­nen Bei­nen zu ste­hen. Er schau­te sich um und er­blick­te Athyer, der re­gungs­los am Bo­den lag.

„Das nützt nichts“, krächz­te Athyer. „Sie müs­sen al­lein wei­ter­ge­hen.“

„Nein“, sag­te Cle­tus. Er stand da, die Bei­ne steif und ge­spreizt, schwank­te leicht und schau­te auf Athyer hin­ab.

„Sie müs­sen ein­fach wei­ter“, sag­te Athyer nach ei­ner Wei­le, auf je­ne Art, die sie sich wäh­rend der letz­ten Ta­ge an­ge­wöhnt hat­ten – mit lan­gen Pau­sen zwi­schen Re­de und Ant­wort.

„Warum sind Sie zu den Dor­sai ge­sto­ßen?“ frag­te Cle­tus nach ei­ner die­ser Pau­sen.

Athyer starr­te ihn an. „Sie“, sag­te er. „Sie ha­ben stets das ge­tan, was ich schon im­mer tun woll­te. Sie wa­ren der, der ich stets sein woll­te. Ich wuß­te, daß ich es nie­mals auf Ih­re Art schaf­fen wür­de. Aber ich hoff­te, daß ich es ler­nen wür­de, dicht her­an­zu­kom­men.“

„Dann ler­nen Sie’s“, mein­te Cle­tus schwan­kend. „Neh­men Sie Ih­re Sa­chen und ge­hen Sie.“

„Ich kann nicht“, sag­te Athyer.

„So was darf es für Sie nicht ge­ben“, ver­setz­te Cle­tus. „Ge­hen Sie.“

Cle­tus stand hoch auf­ge­rich­tet vor ihm. Athyer blieb noch ein paar Mi­nu­ten lie­gen. Dann rühr­te er die Bei­ne, setz­te sich auf und ver­such­te, sei­ne Bei­ne un­ter sei­nem Kör­per her­vor­zu­zie­hen, aber sie ge­horch­ten ihm nicht. Er keuch­te und gab sei­ne Be­mü­hun­gen auf.

„Sie sind der, der Sie im­mer sein woll­ten“, sag­te Cle­tus ge­dehnt, wäh­rend er sich über ihm be­weg­te. „Ver­ges­sen Sie Ih­ren Kör­per. Stel­len Sie den Men­schen Athyer auf die Bei­ne. Der Kör­per wird Ih­nen auf na­tür­li­che Wei­se fol­gen.“

Er war­te­te, und Athyer nahm einen wei­te­ren An­lauf. Er stütz­te sich mit kon­vul­si­ver An­stren­gung auf die Knie, riß sich hoch, stand auf den Bei­nen, mach­te ei­ni­ge stol­pern­de Schrit­te und an­gel­te nach ei­nem Baum­stamm, um sich einen fes­ten Halt zu ver­schaf­fen. Dann blick­te er über die Schul­tern und warf Cle­tus ein tri­um­phie­ren­des Lä­cheln zu.

„Al­so sind wir ab­marsch­be­reit“, sag­te Cle­tus.

Fünf Mi­nu­ten spä­ter wa­ren sie be­reits wie­der un­ter­wegs, ob­wohl Athyer wie ein Be­trun­ke­ner da­hintau­mel­te. Nach vier Stun­den hat­ten sie den Treff­punkt er­reicht. Dort war­te­ten be­reits Swa­hi­li und Ar­vid mit et­wa ei­nem Fünf­tel der Män­ner, die mitt­ler­wei­le eben­falls ein­ge­trof­fen wa­ren. Cle­tus und Athyer bra­chen zu­sam­men. Sie leg­ten sich hin, oh­ne ih­ren Ruck­sack ab­zu­schnal­len, und schlie­fen schon, be­vor sie den Na­del­tep­pich be­rühr­ten.