27
Ich erwachte in einem weißen Bett in einem weißen Raum, mit dem schweren weißen Geruch von Desinfektionsmitteln in der Nase und den verworrenen weißen Spinnweben meiner Träume im Kopf, die wie Ratten an meinem Gehirn nagten. Nach Luft schnappend fuhr ich hoch und stellte dabei fest, dass ich einen weißen Baumwollschlafanzug anhatte und dass man eine weiße Decke über mich gebreitet hatte. Ich war nicht festgeschnallt. Ich nahm einen Atemzug, dann noch einen, und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, während ich mich im Zimmer umschaute, auf der Suche nach einem Hinweis, wo ich mich befand.
Die einzigen Einrichtungsgegenstände waren das Bett, in dem ich lag, und ein Nachttisch mit abgerundeten Kanten. Ich rüttelte probeweise daran. Er war am Boden festgenietet. Das Gleiche galt wahrscheinlich für das Bett. Nichts hier konnte als Waffe eingesetzt werden, es sei denn, ich versuchte, mich mit den Laken zu strangulieren. Nicht mal erhängen konnte ich mich, weil es nichts gab, woran ich mich hätte aufhängen können.
Eine ganze Wand wurde von einem großen Spiegel eingenommen, der von der anderen Seite zweifellos durchsichtig war und als Beobachtungsfenster diente. Wenn man eine solche Wand in einem Zimmer vorfand, dann konnte das nur eines bedeuten: Man befand sich in einer medizinischen Haftanstalt, die wahrscheinlich zur Seuchenschutzbehörde gehörte. Das passte zu den Träumen, die ich gehabt hatte, schreckliche, verworrene Träume über einen Großausbruch. Nein, kein Großausbruch – so viele Betroffene hatte es nicht gegeben, zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als wir die Schotten dichtgemacht hatten. Und wir hatten sie dichtmachen müssen. Wir hatten sie dichtmachen müssen, weil …
»Wie ich sehe, sind Sie wach.«
Die Stimme kam aus einem Lautsprecher in der Wand über dem Spiegel. Vor Überraschung stieß ich einen leisen Schrei aus und zog die Decke an meine Brust, bevor mir klar wurde, wie bescheuert das war. Wer auch immer mich hier festhielt, diese Leute konnten mir sehr viel Schlimmeres antun, als mit mir zu reden, wenn sie es wollten. Ich beäugte den Lautsprecher argwöhnisch und ließ die Decke wieder los.
»Ich bin wach«, bestätigte ich.
»Gut, gut. Also, Sie sind vielleicht noch ein wenig wackelig auf den Beinen. Ich rate Ihnen davon ab, Gehversuche zu unternehmen, ehe sie nicht ein wenig Zeit hatten, um sich an die Lage zu gewöhnen.«
Ich war bereits aus dem Bett, noch bevor die Stimme ihre Warnung ganz ausgesprochen hatte, und stakste durch das Zimmer auf den Spiegel zu. Dann verharrte ich erneut, verblüfft vom Anblick meines eigenen Spiegelbilds in einer Fläche, die – für mich – durchsichtig hätte sein sollen. Einseitige Spiegel sind eine hübsche Idee, funktionieren bei mir aber aufgrund meiner Augen nicht.
Zumindest war das früher so. Nur lagen die Dinge diesmal aus irgendeinem Grund anders. Anstelle des Flurs hinter dem Spiegel sah ich nur mich selbst.
Der Schlafanzug an meinem Leib war mindestens zwei Nummern zu groß für mich, oder vielleicht hatte ich auch nur abgenommen: Ich sah aus, als erholte ich mich gerade von einer langen Krankheit. Meine Haut war blass, und meine Glieder waren so dünn, als hätte ich Vogelknochen. Meine Schlüsselbeine zeichneten sich ab wie zwei Messerrücken unter der Haut. Ich kam mir geradezu zerbrechlich vor. Meine Haare waren zu lang und fielen mir in diesen nervigen dicken Locken über die Schultern, die sich immer bildeten, wenn ich sie einfach wachsen ließ. Und meine Augen … etwas stimmte nicht mit meinen Augen. Etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihnen.
Ich starrte immer noch mein Spiegelbild an, als es erneut im Lautsprecher knackte. Die glatte Stimme von eben erklang wieder. »Wir freuen uns sehr, dass Sie wieder auf den Beinen sind. Zu Beginn ist eine gewisse Desorientierung ganz normal, davon sollten Sie sich nicht beunruhigen lassen. Die Mikrofone in Ihrem Zimmer schalten sich automatisch ein, wenn Sie sprechen, Sie müssen also nicht nach einem Knopf oder etwas in der Art Ausschau halten. Sprechen sie einfach laut und deutlich, dann hören wir Sie. Können Sie uns bitte Ihren Namen nennen und uns sagen, woran sie sich als Letztes erinnern?«
Ich holte tief Luft und hielt einen Moment lang den Atem an, bevor ich ihn langsam wieder entweichen ließ. Dann schaute ich mein Spiegelbild direkt an – und damit die Person, die wahrscheinlich auf der anderen Seite des Spiegels auf dem Flur stand und ihre Testperson beobachtete.
»Mein Name ist Georgia Mason«, antwortete ich. »Was zum Henker geht hier vor?«