10
Draußen peitschte mir der Wind ins Gesicht. Die Tür zu Dr. Abbeys Labor schlug laut hinter mir zu. Taumelnd kam ich zum Stehen und begriff zwei Dinge gleichzeitig: erstens, dass ich mich allein mitten in einem größtenteils verlassenen Gewerbegebiet befand, und zweitens, dass ich zwar meine übliche Bewaffnung für Feldeinsätze dabeihatte, jedoch abgesehen von meiner Motorradkleidung keinerlei Panzerung am Leib trug. Auf diese Art konnte man sich ziemlich zuverlässig umbringen. So ein Verhalten wäre vielleicht zu entschuldigen gewesen, wenn ich so sehr durch den Wind gewesen wäre, dass ich überhaupt nicht mehr begriff, was ich tat, aber der Moment der ersten Verwirrung war vorbei. Mit schnellen Blicken suchte ich meine Umgebung nach Bewegungen ab, entdeckte jedoch nichts. Was ich allerdings sehr wohl entdeckte, war der Sendewagen, der wie eine Insel der Ruhe inmitten der Ruinen stand.
Ich machte einen weiteren Schritt vorwärts, ohne überhaupt richtig zu bemerken, was ich da tat. Dorthin hatte ich gewollt, als ich losgerannt war. Zu dem Wagen, in dem George und ich einander tausendmal das Leben gerettet hatten … wo ich abgedrückt und mit nur einer Kugel die Frau getötet habe, die meine Schwester war, meine beste Freundin und meine ganze, einzige Familie.
Sie wäre wieder gesund geworden, flüsterte Kellys Stimme in der Finsternis hinter meinen Augen, wo eigentlich nur George sein sollte. Einmal mehr wurde die Welt um mich herum schwarz.
Das Geräusch der Wagentür, die hinter mir zuschlug, riss mich zurück in die Wirklichkeit. Mein Zeigefinger fühlte sich etwas taub an, und unter der Haut spürte ich den pochenden Schmerz, der verriet, dass ich einen Bluttest abgelegt – und bestanden – hatte, um hineinzugelangen. Keine Virenvermehrung für mich. Zumindest noch nicht. Ich schaute mich benommen im Wagen um, und mein Blick zuckte zur Decke, auf der Suche nach dem Rorschachmuster, das Georges Blut nach meinem tödlichen Schuss hinterlassen hatte. Einen Moment lang sah ich es vor mir, rote Spritzer, die beim Trocknen unterschiedliche Brauntöne annahmen. Dann blinzelte ich, und das Blut verschwand und wurde durch die makellos weiße Innenverkleidung ersetzt.
»Atme, Shaun«, sagte George. Ihre Stimme kam von hinter mir anstatt aus meinem Kopf. Sie klang ruhig, tröstend, sogar ein wenig belustigt. Sie redete mir einfach nur gut zu, um mich vor einer Panikattacke zu bewahren. Alles keine große Sache, ganz normales Tagesgeschäft. Zwar war ich eigentlich nicht sehr anfällig für derartige Aussetzer, aber wenn man ständig mit totem Zeugs herumspielt, dann tickt man zwangsläufig das eine oder andere Mal aus. »Du holst dir noch ein Aneurysma.«
»Hast du nicht gehört?«, fragte ich mit geballten Fäusten. Der Drang, mich dorthin umzudrehen, wo ihre Stimme herkam, war fast unwiderstehlich. Doch stattdessen schaute ich weiter zur Decke und wartete darauf, dass erneut das Blut aufflackerte. »Du hättest dich erholt.«
»Sagt sie«, erwiderte George. Die Belustigung war aus ihrem Tonfall verschwunden und wurde durch die kaum im Zaum gehaltene Wut ersetzt, die praktisch ihr Markenzeichen war. »Die Testergebnisse waren eingespeichert – der Seuchenschutz wusste von meinem Tod. Wenn du einfach gegangen wärst, dann wäre etwas passiert, das weißt du. Im schlimmsten Fall hättest du mit ansehen dürfen, wie mich Leute in Schutzanzügen ins Freie zerren, während ich schreie, dass sie mich noch einmal testen sollen. Vielleicht wäre nicht einmal mein letzter Blogeintrag veröffentlicht worden. Vielleicht wäre die Wahrheit nicht rausgekommen.« Sie hielt inne und sagte dann die Worte, die mir offenbar den Rest geben sollten: »Vielleicht wäre Tate mit weißer Weste davongekommen.«
»Das weißt du nicht«, gab ich zurück. »Wir hätten behaupten können, dass die Testeinheit eine Fehlfunktion hatte. So etwas ist schon vorgekommen.«
»Wie oft?«
Ich antwortete nicht.
George seufzte. »Dreimal, Shaun. Bei einer solch erstklassigen Testeinheit dreimal. In allen drei Fällen wurde ein mechanisches Versagen nachgewiesen – und in zwei der Fälle wurden die betreffenden Personen trotzdem getötet. Die Familien haben ihre Prozesse auf Grundlage von weiteren Tests gewonnen. Wir wissen beide, was ein zweiter Test in meinem Fall gezeigt hätte. Es ist sinnlos, so zu tun, als wüssten wir es nicht.«
Das war zu viel. Erneut flackerte das Blut vor meinen Augen auf. Ich wirbelte herum und spürte, wie sich mir die Fingernägel in die Handballen gruben, während ich schrie: »Scheiße noch mal, George, es bestand eine Chance!« Sobald ich den leeren Stuhl vor mir sah, würde alles wieder normal sein. Sie würde wieder zu einer Stimme in meinem Kopf werden, nichts weiter, weil sie nämlich tot war, weil ich sie getötet hatte. Ich musste bloß den leeren Stuhl vor mir sehen.
Stattdessen sah ich George.
Sie saß mir zugewandt an ihrem angestammten Arbeitsplatz. Der Computermonitor hinter ihr umrahmte ihren Kopf wie ein technologischer Heiligenschein, und das Licht und die Art, wie sie dasaß, waren so vertraut, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder schreien oder dem Himmel dafür danken sollte, dass ich nun endgültig den Verstand verloren hatte. Sie trug ihre übliche, von jeglicher Mode unbeeindruckte Kombination: eine schwarze Jacke, ein weißes Anzughemd und schwarze Jogginghosen. Nur mit ihrem Gesicht stimmte etwas nicht – nein, es war eigentlich nicht ihr Gesicht, nur die Augen. Ihre Sonnenbrille fehlte, und ihre Augen waren von dem klaren Kupferbraun, an das ich mich aus der Zeit erinnern konnte, bevor ihr retinales Kellis-Amberlee ihre Iriden zu schmalen Ringen hatte schrumpfen lassen.
Ich starrte sie an. Sie beachtete es gar nicht, wie immer, wenn sie nicht so lange warten wollte, bis ich es auch endlich kapierte. »Es bestand eine Chance«, pflichtete George mir bei. »Jetzt nicht mehr. Das ist jetzt Vergangenheit, hab ich recht? Über diesen Punkt sind wir längst hinaus.«
Mein Mund wurde trocken, und der Raum um mich herum, der ohnehin schon verschwommen gewirkt hatte, begann sich zu drehen. »George …?«
»Ich bin froh, dass du in letzter Zeit keine schweren Kopfverletzungen erlitten hast«, sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln.
Ich starrte sie weiter an, bis sie schließlich seufzte. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, weißt du. Früher oder später wird man dich suchen kommen – wahrscheinlich eher früher –, und du willst wohl kaum, dass man dich in diesem Zustand findet.«
»Sie sind daran gewöhnt, dass ich mit mir selbst rede«, erwiderte ich leise.
»Mit dir selbst, ja; nicht mit mir.« George schüttelte den Kopf. »Versteh mich nicht falsch, wir wissen beide, dass es mich nicht wirklich gibt. Es gibt keine Geister. Aber wenn du mich tatsächlich anschaust, wird es ihnen sehr viel schwerer fallen, dich ernst zu nehmen, und du hast eine Menge Arbeit vor dir. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.«
Ich beschloss, nicht zu fragen, wie »wir« irgendetwas tun sollten, wenn wir doch beide wussten, dass es sie nicht wirklich gab. Wenn ich das tat, würde sie vielleicht aufhören, mit mir zu reden, und dann würde ich wirklich durchdrehen. Auf die Art, bei der sie einen in die Gummizelle stecken, anstatt einen Verschwörungen hinterherjagen und Websites leiten zu lassen. Ich rang mir meinerseits ein Lächeln ab, obwohl ich mir nicht sicher war, wie überzeugend es aussah. »Schön, dich zu sehen.«
»Ich würde ja sagen, dass es schön ist, gesehen zu werden, nur stimmt das leider nicht.« George sah mich ruhig an. »Wie verrückt bist du eigentlich?«
»Auf einer Skala von eins bis zehn?« Ich verkniff mir ein Lachen. »Verrückt genug, um diese Unterhaltung mit dir zu führen. Wie ist das für den Anfang?«
»Kannst du arbeiten?« Sie beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Es war eine so vertraute Geste, dass sich etwas in meiner Brust zusammenzog und mir das Atmen schwer machte.
»Meiner Ansicht nach sind wir an dem Punkt, an dem du entweder endlich deinen Mann stehst und aufhörst, dauernd durchzudrehen, oder zugibst, dass du zu kaputt bist, um deine Arbeit weiterzumachen und sie an jemand anders abtrittst. Deine Entscheidung. Du bist derjenige, der eigentlich nicht tot ist.«
Bei dem Wort »tot« zuckte ich leicht zusammen. »Kannst du nicht …?«
»Kann ich nicht was? Mich nicht als tot bezeichnen? Es ist eben wahr, du Dumpfbacke. Du sprichst deshalb mit mir, weil ich den Teil von dir repräsentiere, der eine entfernte Ahnung hat, wie schlimm all das noch werden wird. Seit Tate beschlossen hat, den Märtyrer zu spielen, baust du nur noch Scheiße, und langsam bin ich es leid. Die Truppe braucht dich. Ich brauche dich. Entweder, du wächst an deinen Herausforderungen, oder du kapitulierst vor ihnen, aber hör endlich auf, bloß Wasser zu treten!«
Sie wäre wieder gesund geworden, flüsterte Kelly.
»Sei still«, brummte ich.
»Das sagst du nur, weil du weißt, dass ich recht habe«, sagte George unnachgiebig. Anscheinend konnten die Stimmen in meinem Kopf einander nicht hören. Noch eine kleine Verrücktheit. »Himmel, ernsthafte Kritik konntest du noch nie vertragen. Als Newsie hättest du es nie weit gebracht.«
»Dann ist es doch gut, dass ich es nie versucht habe.« Meine Knie zitterten. Ich ließ mich auf meiner Seite des Wagens an die Tischplatte sinken und stützte mich schwer auf die Hände; so hielt ich mich selbst davon ab, meine Halluzination bei den Schultern zu packen, und es hatte auch den Vorteil, dass ich nicht einfach umfiel. »Wie soll ich mich deiner Meinung nach einer solchen Herausforderung gewachsen zeigen? So war das nicht geplant.«
»Nein, laut Plan hätte ich das tun sollen.« Sie schaute mich traurig an, die fremden Augen im vertrauten Gesicht geweitet. »Wir wussten immer, dass einer von uns beiden die Sache allein zu Ende bringen würde. Vielleicht kannten wir die genauen Gründe noch nicht, aber wir haben immer gewusst, dass etwas Derartiges passieren würde.« Ihre ernste Miene schwand und wurde von einem schiefen Lächeln ersetzt; das bedeutete, dass sie ihre Belustigung zu verbergen suchte. »Ich muss gestehen, dass ich nicht mal in meinen selbstgefälligsten Momenten gedacht hätte, dass es in meinem Eintrag an der Mauer einmal heißen würde: ›Ermordet, um eine weitreichende politische Verschwörung zu vertuschen.‹ Ich hatte immer etwas erwartet, das nicht so … ich weiß nicht. Das wäre eigentlich eher in deinen Bereich gefallen.«
»Tja.« Der Kloß in meinem Hals bereitete mir Schwierigkeiten beim Schlucken. Das kam von ihrem verdammten Lächeln. Ich wusste, dass sie eine Halluzination war. Es war mir bloß egal. »Du hast eben Hü statt Hott gesagt.«
»Was vorbei ist, ist vorbei. Also, bist du der Sache gewachsen?«
Ich antwortete nicht.
In schärferem Tonfall sagte sie: »Shaun? Hörst du mir zu?«
»Du fehlst mir so sehr.« Ich schaute auf meine Füße. Ich konnte sie nicht länger ansehen, nicht, wenn ich nicht vollends den Verstand verlieren wollte. »Ich meine, du weißt es, und ich weiß, dass ich die ganze Zeit mit dir geredet habe, aber ich weiß auch, dass ich das tue, weil ich ohne dich nicht ganz da bin, also führe ich Selbstgespräche, um so zu tun, als könnte ich irgendwann wieder ganz da sein, und ein richtiger Satz ist das jetzt auch nicht mehr, also bin ich jetzt still, aber, Himmel, George, du fehlst mir so sehr.« Ich hielt inne und zögerte, ehe ich ganze leise hinzufügte: »Ich glaube, ich weiß nicht, wie ich das ohne dich schaffen soll.«
»Das musst du aber.« Ich hörte, wie sie aufstand und dann ihre Schritte, als sie quer durch den Wagen ging und vor mir stehen blieb. Ihre Knie waren auf Höhe meines Blickfelds. Wenn es eine Bewertungsskala für die Qualität von Halluzinationen gibt, dann war meine darauf ziemlich weit oben anzusiedeln: Ich sah die Falten dort, wo ihr die Jogginghose über die Knie fiel, und eine Teppichfluse an ihrem einen Schuh. »Shaun, sieh mich an!«
Ich hob den Kopf. Aus dieser Entfernung wirkten ihre Augen sogar noch weniger vertraut … aber es waren trotzdem ihre Augen. Es war immer noch der gleiche Mensch dahinter.
»Wächst du an der Herausforderung oder kapitulierst du?«, fragte sie ganz ruhig. »Du hast die Wahl.«
Ich schluckte. »Das sind die einzigen Möglichkeiten? Wachsen oder kapitulieren?«
»Das hier ist nicht irgendeine Reportage, Shaun. Die einzige Belohnung, die du dafür kriegst, bis zum Ende durchzuhalten, besteht darin, dass du bis zum Ende durchgehalten hast – du erfährst die Wahrheit, das ist alles. Das bringt mich nicht zurück. Das letzte Jahr wird nicht plötzlich ungeschehen. Das Leben wird nicht wieder wie früher. Das Leben wird nie mehr so wie früher, wie sehr man sich auch darum bemüht. Aber immerhin wirst du Bescheid wissen. Du wirst die Wahrheit erfahren. Du wirst die fehlenden Puzzleteile erhalten.« Erneut lächelte sie, trotz der Tränen in ihren Augen. Ich hatte sie noch nie weinen sehen, nicht mal, als wir noch Kinder gewesen waren. Das retinale KA hatte, Jahre bevor etwas an ihren Augen zu sehen war, ihre Tränendrüsen verkümmern lassen. Doch jetzt weinte sie. »Das einzige glückliche Ende, das uns bleibt, ist das, bei dem du diese Mistkerle zu Fall bringst und sie für das, was sie uns angetan haben, bezahlen lässt. Kriegst du das hin? Wenn nicht, dann musst du nämlich Mahir anrufen und ihm sagen, dass er ab jetzt das Kommando hat. Irgendjemand muss die Wahrheit herausfinden. Bitte!«
»Ich kriege das hin«, antwortete ich. Meine Stimme zitterte, aber sie versagte nicht, und mehr konnte ich schwerlich verlangen. »Für dich kriege ich das hin.«
»Danke!« Sie beugte sich vor. Mir stockte der Atem, als sie mir einen Kuss auf die Stirn drückte und dann zurücktrat und den Weg zur Tür für mich freigab. »Du fehlst mir auch.«
Beim Aufstehen warf ich einen Blick an die Decke. Das Blut war weg. Als ich den Kopf wieder senkte, war auch George fort. Ich rieb mir die Wangen mit den Händen trocken, während ich nach wie vor auf die Stelle schaute, an der George gestanden hatte. Sie tauchte nicht wieder auf. Das war wahrscheinlich ein gutes Zeichen. »Ich liebe dich, George«, flüsterte ich.
Sie wäre wieder gesund geworden, zischte Kellys Stimme, aber sie hatte keine Macht mehr über mich. Natürlich würde ich mich nach wie vor mit dieser Realität auseinandersetzen müssen, aber ich bin gut darin, mit blödem Scheiß fertig zu werden. Wenn der Seuchenschutz mit harten Bandagen kämpfen wollte, dann würden wir eben auch mit harten Bandagen kämpfen. Und gewinnen.
Es überraschte mich nicht, draußen vor dem Wagen Becks anzutreffen. Sie ließ die Pistole neben ihrem Knie baumeln und trank gemächlich Wasser aus einer Flasche. Als ich rauskam, richtete sie sich auf und fragte: »Alles in Ordnung?«
»Ich glaube, ich hatte gerade eine kleine psychotische Episode oder einen Zusammenbruch oder so, aber jetzt ist alles bestens. Im Prinzip fühle ich mich gut.« Ich schloss die Wagentür hinter mir. »Und bei dir?«
Becks blinzelte. Für einen Moment brachte meine lockere Antwort sie aus dem Konzept. Selbst nachdem sie so lange mit mir zusammengearbeitet hatte, konnte sie Begriffe wie »kleine psychotische Episode« immer noch nicht einfach wegstecken. Aber man musste ihr zugestehen, dass sie schnell die Fassung zurückgewann. »Tja, ich musste gerade mit ansehen, wie mein Boss eine kleine psychotische Episode erlitten hat, und ich dachte mir, dass ich mal lieber rausgehe und dafür sorge, dass der verdammte Idiot nicht von einem Zombie gefressen wird, bevor er sich wieder beruhigt hat.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Ich habe sie nicht erschossen. Also nachdem du rausgestürmt bist. Habe ich sie nicht erschossen.«
Ich war mir nicht sicher, ob sie gelobt werden wollte oder ob sie meinen Zorn wegen ihres gnädigen Verhaltens fürchtete. Ich entschied mich für das Lob. »Gute Entscheidung«, sagte ich nickend. »Wir brauchen ihr hübsches Köpfchen intakt, wenn wir all die Geheimnisse aus ihm herausholen wollen, mit denen wir den Seuchenschutz zu Fall bringen können.«
»Stimmt«, sagte Becks bedächtig. »Hast du gerade mit Mahir telefoniert? Ich meine nämlich, dass ich da drin jemand reden gehört habe.«
»Psychotischer Zusammenbruch, schon vergessen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Hör mal, Becks – Rebecca –, du weißt, woran du bei dieser Truppe bist. Wir sind alle ziemlich kaputt, einige mehr, andere weniger. Ich bin so schwer beschädigt, dass man mich eigentlich zum Hersteller zurückschicken müsste. Wenn du damit klarkommst, dann verspreche ich dir einen Trip, wie du ihn noch nicht erlebt hast. Wenn nicht, dann dürftest du deine letzte Chance, deine Fahrkarte für den Zug ins Irrenhaus umzutauschen, verspielt haben, sobald wir da wieder reingehen.« Ich deutete auf die Tür zu Dr. Abbeys Labor.
»Ich fahre gerne mit dem Zug«, antwortete Becks. Dann fügte sie mit nüchterner Miene hinzu: »Und deine Schwester hat mir am Herzen gelegen. Sie hat mir meine erste Gelegenheit verschafft, mich im Feld zu beweisen. Sie war eine verdammt gute Reporterin. Dann bist du eben ein bisschen durchgeknallt, und wenn schon? Ich glaube, es ist ziemlich offensichtlich, dass wir alle etwas verrückt sind.«
»Wunderbar«, sagte ich. Auf unserem Weg zum Labor waren wir das Einzige, was sich regte. »Sie wollte dich nicht gehen lassen. Ich musste echt feilschen, um dich von den Newsies loszueisen.«
»Sie hat Talent eben erkannt, wenn sie es gesehen hat«, sagte Becks mit einem kleinen Lächeln.
»Ja, das hat sie«, antwortete ich absolut ernsthaft. Becks blinzelte, und ihr Lächeln verblasste, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Genau wie ich. Ich werde euch ab jetzt alles abverlangen, und ihr müsst euch entscheiden, so oder so, weil wir nämlich ab jetzt nicht mehr nur auf der Stelle treten.« Einiges davon war einfach nur das, was George zuvor zu mir gesagt hatte, aber das war in Ordnung. Sie war ein Produkt meiner Fantasie, weshalb sie mir wohl kaum mit einem Plagiatsvorwurf kommen würde. »Nicht jeder von uns wird lebend aus der Sache rauskommen.«
»Du machst Witze, oder?« Becks lautes Lachen hallte zwischen den leeren Gebäuden wider. »Wenn es eine Sache gibt, die ich bei der Arbeit mit euch gelernt habe, dann ist das, dass niemand hier lebend rauskommt.« Sie gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und legte dann zügig das restliche Stück Weg zum Labor zurück. »Niemand«, wiederholte sie und verschwand durch die Tür.
Ich blieb stehen, berührte meine Wange und schaute ihr verblüfft hinterher. »Was zum Geier war das?«
Eine Komplikation, sagte George. Sie klang belustigt. Und eine Mädchensache.
»Klar doch.« Ich ließ die Hand sinken. »Schön, dass du wieder an deinem Platz bist.«
Ich bin da. Bis zum bitteren Ende.
»Wunderbar.« Ich ging wieder los. »Komm, George! Jetzt kriegst du was zu sehen.«