16
Ich erwachte nackt und quer über dem Gästezimmerbett liegend, umgeben von Fellhügeln, bei denen es sich um schlafende Bulldoggen handelte. Stöhnend stemmte ich mich auf die Ellbogen hoch. Die Tür stand etwa einen halben Meter weit offen – gerade weit genug, um die Anwesenheit meiner ungebetenen Gäste zu erklären. Ich rieb mir mit einer Hand durchs Gesicht und versuchte, wach genug zu werden, um mir Gedanken wegen meiner Kleidung zu machen. »Schätze, es ist Zeit, sich mit einem weiteren Scheißmorgen auseinanderzusetzen, was, George?«
Zur Antwort kam nur Schweigen. Ich nahm die Hand vom Gesicht und setzte mich ganz auf. »George?« Noch immer keine Antwort. »Du machst mir langsam Angst, George. Was habe ich dir getan, dass du mich anschweigst? Ich tu genau das, was du willst. Ich komme aus dem Quark. Kannst du also bitte mit dem Quatsch aufhören?«
Sie hörte nicht mit dem Quatsch auf. Sie war noch immer da – ich wusste noch, wie es sich anfühlte, geistig gesund zu sein, nämlich anders. Wenn ich geistig gesund gewesen wäre, hätte ich nicht ständig das unterschwellige Gefühl gehabt, dass George in meinem Hinterkopf saß. Sie sagte bloß nichts. Ich runzelte die Stirn.
»Na schön! Wenn du mich anschweigen willst, dann schweige ich dich eben auch an. Mal sehen, wie dir das gefällt.« Ich rutschte mit dem Hintern über die Matratze, bis meine Füße schließlich den Boden berührten. Jeder Muskel in meinen Beinen tat mir weh. Ich wusste jetzt schon, dass ich den ganzen Tag Salbe draufschmieren und Aspirin wie Smarties einschmeißen würde. Das hat man wohl davon, wenn man bei einem Ausbruch davonläuft.
»Und trotzdem ist es irgendwie besser als die Alternative«, brummte ich.
Die Frage, wer die Tür geöffnet hatte, wurde von dem Stapel Klamotten und anderem Kram auf dem Bücherregal daneben beantwortet. Ich dankte Maggies hauseigenem Wäschereidienst – im Stillen, weil ich befürchtete, dass das für die Wäsche zuständige Programm ihres Haussystems antworten würde, wenn ich die Worte laut aussprach. Dann zog ich mich an. Auch die Gegenstände, die ich im Badezimmer hinterlassen hatte, waren gesäubert, selbst der Rost von meinem uralten Schweizer Armeemesser war entfernt. Ich schüttelte den Kopf. Manchmal kann etwas auch zu gut organisiert sein. Die Vorstellung, dass das Haus kleine Geräte ausgesandt hatte, um meinen USB-Stick und mein Kleingeld zu säubern, war irgendwie verstörend.
Zumindest fehlte nichts. Ich verstaute alles in den richtigen Taschen, schloss meinen Gürtel und setzte mich aufs Bett, um mir die Stiefel anzuziehen. In diesem Moment drang die Realität der Lage in mein verschlafenes, von George verlassenes Gehirn durch:
Ich befand mich allein im Zimmer. Wo zum Teufel war Becks? Ich schaute mich zum Bett um, das keine Antworten bereithielt. Wenn man danach ging, wie ich beim Aufwachen dagelegen hatte, gab es nicht mal einen Hinweis darauf, dass sich überhaupt noch jemand anders im Bett befunden hatte. Das beunruhigte mich. Wenn ich inzwischen so sehr neben der Spur war, dass ich mir einbildete, von irgendwelchen meiner Kolleginnen verführt zu werden, blieb mir wahrscheinlich nur noch wenig Zeit, bevor ich endgültig durchdrehte.
Mit diesem aufmunternden Gedanken im Kopf machte ich mich daran, mir die Stiefel anzuziehen. Das wurde mir durch die Hunde erschwert, die der Meinung waren, dass man mit meinen Schnürsenkeln wunderbar spielen konnte. Der Hauptunterschied zwischen Hunden dieser Größe und Katzen schien zu sein, dass Katzen zwar ein bisschen verrückt waren, das aber auch sein sollten, während das Schrumpfen von Hunden selbige offenbar in den Wahnsinn treibt. »Immerhin haben wir eine Sache gemeinsam«, brummte ich, stand auf, streckte mich ein letztes Mal und verließ das Zimmer. Die Tür ließ ich offen. Ich sah keinen Grund, den Bulldoggen ein schönes warmes Bett vorzuenthalten.
Alaric saß mit seinem Laptop am Küchentisch und tippte geschäftig vor sich hin. Vor ihm stand eine halb volle Kaffeekanne, aus der mir der köstliche Geruch heißen Koffeins entgegenschlug, als ich eintrat. Ich hielt inne, um genussvoll zu schnuppern. Das Geräusch ließ ihn aufmerken. Er nickte mir kurz zu und senkte den Blick dann wieder. »He!«
»He!«, sagte ich, nahm mir einen Becher von der Anrichte und goss mir einen heißen schwarzen Kaffee ein. Morgens ist die einzige Zeit, zu der ich Kaffee bekomme, ohne mir Beschwerden von den billigen Plätzen in meinem Kopf anhören zu müssen. Wenn George unbedingt schmollen wollte, konnte ich mir vielleicht sogar noch eine zweite Tasse genehmigen, ehe ich wieder zu Cola übergehen musste.
Ein schuldbewusster Stich folgte dem Gedanken auf dem Fuß, doch das hielt mich nicht davon ab, einen Mundvoll von der brühwarmen Flüssigkeit zu nehmen. Lieber als allen Kaffee der Welt hätte ich George zurückgehabt. Trotzdem, wenn die Konzentration auf meine Koffeinversorgung mich von der Frage ablenkte, warum sie schwieg, dann war es das wert. Alaric tippte weiter, während ich mich ihm gegenüber hinsetzte. Er schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Ich nahm einen Schluck Kaffee. Er tippte. George sagte kein Wort.
Das ging ein paar Minuten so weiter, bis ich mich schließlich räusperte und fragte: »Also, was habe ich verpasst? Abgesehen vom Sonnenaufgang und, wie es aussieht, dem Frühstück?«
Alaric hob den Kopf. »Maggie hat Becks und den Doc in die Stadt zum Einkaufen mitgenommen. Sie hat irgendwas darüber erzählt, dass wir ihr das Dach überm Kopf wegfressen würden.«
Die Vorstellung, wie diese drei sich gemeinsam den Supermarkt von Weed vornahmen, war faszinierend. Einen Moment lang verweilte ich schweigend bei dem Bild vor meinem geistigen Auge. Ich kenne noch die Supermärkte aus der alten Zeit. Es waren seltsame, beengte Orte, voller schmaler Gänge, in denen sich die Kunden drängten – als die Zombies kamen, haben diese Geschäfte sich natürlich in praktische kleine Todesfallen verwandelt, voller Verstecke für die Infizierten. Selbst die Sprinkleranlagen, mit denen man Obst und Gemüse besprüht hatte, trugen zur Verbreitung von Ausbrüchen bei, weil nur ein paar Tröpfchen Blut in den Wasserkreislauf gelangen mussten, und, schwupps, wurden die Gänge buchstäblich mit aktiven Viren bestäubt. Dass die Leute immer wieder austickten und sich Orte suchten, an denen sie sich verkriechen konnten, bis die ganze Sache vorbei war – wie zum Beispiel im nächsten Supermarkt –, half auch nicht gerade. Die Verluste bei Wal-Mart waren geradezu astronomisch.
Die ersten paar Jahre nach dem Erwachen kauften die Leute nur noch online ein. Manche machen das bis heute so. Sie ziehen eine kleine Versandgebühr dem Risiko vor, sich nach draußen unter den Rest der Bevölkerung zu begeben. Unglücklicherweise eignet sich nicht alles dazu, es online anzubieten. Frisches Obst und Gemüse, Fleisch – Fisch und Geflügel zumindest, das einzige Fleisch, das noch als Nahrungsmittel angeboten wird –, und alles, was es en gros gibt, kauft man besser persönlich. Die Entstehung des modernen Lebensmittelgeschäfts spiegelt beide Bedürfnisse der Menschen wider – zu essen und nicht gefressen zu werden. Sein Grundriss ähnelt am ehesten alten Riesensupermärkten, aber zu jedem Zeitpunkt darf sich nur eine bestimmte Anzahl von Menschen in jeder Abteilung aufhalten. Die Gruppen werden durch die einzelnen Abteilungen geleitet, die durch Luftschleusen und Bluttesteinheiten voneinander getrennt sind. Das Ganze dauert Stunden. Einkaufen ist nichts für Leute mit schwachen Nerven.
Ich zögerte. »Hat Maggie keine Angst, dass man sie erkennen wird?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Geschäft ihren Eltern gehört.«
»Ach so, dann ist ja gut. War der Doc überhaupt jemals zuvor in einem Lebensmittelgeschäft?«, fragte ich. Mein Kaffee wurde langsam kälter. Ich nahm einen größeren Schluck und ließ mir voll Wohlbehagen die bittere Flüssigkeit in die Kehle rinnen. Es war seltsam, Kaffee zu trinken, ohne sich dafür bei George zu entschuldigen oder vorher um ihre Erlaubnis zu bitten. Ich nahm einen weiteren Schluck, fast um sie zu einem Kommentar herauszufordern.
Doch sie sagte nichts.
»Ich glaube nicht«, antwortete Alaric. »Sie ist ein bisschen blass geworden, als Maggie ihr gesagt hat, wo es hingeht.«
»Himmel, ich hoffe, dass jemand eine Kamera mitlaufen lässt!« Oder auch vier oder fünf oder ein ganzes Dutzend. Das Videomaterial konnten wir für alles Mögliche benutzen, aber Kelly an einer echten Fischtheke würde eine unschlagbare Lachnummer abgeben.
»Sicher«, sagte Alaric. »Die kennen ihren Job.«
»Stimmt.« Ich goss mir Kaffee nach. »Sonst noch etwas?«
»Eigentlich nicht.«
»Hm! Na schön, wie waren unsere Quoten über Nacht?«
»Gut.«
»Nicht großartig?«
»Wirklich gut.« Alaric schien zu begreifen, dass ich ihn nicht so schnell in Ruhe lassen würde. Er schob seinen Laptop beiseite und griff nach seinem eigenen Becher. »Dein Bericht ist absurd oft runtergeladen worden. Ich meine wirklich absurd. Jedes Mal, wenn du dich auch nur ansatzweise ins Feld wagst, haben wir eine irre Quotenspitze.«
»Ja, toll, jedes Mal, wenn ich mich auch nur ansatzweise ins Feld wage, schlafe ich anschließend fast einen Monat lang nicht, letztlich gleicht sich das wohl aus. Hat der Seuchenschutz etwas über die Sache in Portland bekannt gegeben?«
»Eine offizielle Stellungnahme gibt es noch nicht, aber Talking Points hat ein Interview mit Direktor Swenson bekommen …«
Ich schnaubte. Talking Points ist eine lausige Website, die in dem Ruf steht, Berichte nachzubearbeiten, um den Wünschen des Meistbietenden entgegenzukommen. Ihnen ein Exklusivinterview zu geben war etwa das Gleiche, wie wenn man einen Werbeplatz zur besten Sendezeit kaufte: Eine großartige Investition und ein schreckliches Verbrechen an der Wahrheit.
Alaric kniff die Augen zusammen. »Darf ich weitermachen?«
»Tut mir leid.« Ich deutete mit meinem Becher auf ihn. »Ich bin ganz Ohr. Keine Unterbrechungen mehr, versprochen.«
»Das glaube ich, wenn ich es sehe«, brummte Alaric und fuhr dann fort: »Er hat die Geschichte von dem Laborunfall wiederholt und ein nettes kleines ›wenn sie sich nicht irgendwie in einen Sicherheitsbereich verirrt hätten, dann hätten sie auch nicht die Nottunnel benutzen müssen‹ hinzugefügt, um den Eindruck zu erwecken, dass du und Becks unachtsam gewesen wärt oder dass ihr euch, schlimmer noch, in einem gesperrten Bereich herumgetrieben hättet.«
»Wie haben wir darauf reagiert?«
»Mahir hat euer Videomaterial ohne Ton hochgeladen, alles von dem Zeitpunkt an, als der Direktor euch im Konferenzzimmer zurücklässt, bis zu dem, an dem das Licht ausgeht. Der Zeitstempel ist ununterbrochen zu sehen. Wenn ihr irgendwo wart, wo ihr nicht hättet sein sollen, dann deshalb, weil der Direktor euch dort sitzen lassen hat.«
»Erinnere mich daran, sein Gehalt zu erhöhen!«
»Wie wäre es, wenn du uns andere erst einmal aus der Schusslinie bringst?« Alarics Tonfall klang unwirsch, fast schon giftig. Ich hatte ihn noch nie so mit jemandem reden hören. Nicht einmal, nachdem ich ihm die Nase gebrochen hatte, weil er angedeutet hatte, dass mein anhaltendes Bedürfnis danach, mit George zu sprechen, ein Anzeichen von Geisteskrankheit sei. Ich weiß das selbst, und damals wusste ich es auch schon. Ich bin nur der Meinung, dass die Alternative zum Verrücktwerden darin besteht, dass es einem noch schlechter geht.
Ich stellte meinen Becher ab und musterte Alaric stirnrunzelnd. Er sah müde aus, aber das war nicht weiter verwunderlich. Wir sahen alle müde aus, und aus gutem Grund. »Mann, was ist los? Hat dir jemand ins Müsli gepisst oder was?«
»Ich bin mir bloß nicht sicher, ob deine Prioritäten noch klar verteilt sind. Weiter nichts.« Alaric schaute mich fest an, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. »Schließlich kann an diesem Punkt keiner von uns mehr kündigen, nicht wahr? Nicht, wenn man Gebäude in die Luft jagt, um uns vom Nachstochern abzuhalten.«
»Wie, und du findest, dass das meine Schuld ist?« Ich wedelte mit dem Arm Richtung Eingangstür. »Ich habe den Doc nicht darum gebeten, hier aufzutauchen, und sobald diese Leute auch nur die geringste Ahnung hatten, wo sie sich aufhielt, haben sie angefangen zu schießen, weißt du noch? Das kannst du nicht mir anhängen, Alaric. Wenn du auf jemanden sauer sein willst, dann bitte auf sie.«
»Sie hat uns den Aufhänger für eine Story über die größte Verschwörung unserer Generation mitgebracht! Du willst einfach nur Rache! Es geht nicht immer alles um dich, Shaun. Es ging nie alles um dich. Du bist nicht der Einzige, der belogen wird, und du bist nicht der Einzige, der jemanden verloren hat. Ich schätze, ich bin es einfach leid, dass du dich so aufspielst.«
Ich blinzelte. »Dass ich … was?«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Ich habe nie behauptet, dass dieser Kampf nicht uns alle anginge.«
»Tja, dann hab ich mich wohl vertan.«
Ich knallte die Hand so fest auf den Tisch, dass der Kaffee in meinem Becher überschwappte. Alaric zuckte zusammen. »Verdammt noch mal, Alaric, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Zickenkrieg zu spielen! Was zum Henker ist dir über die Leber gelaufen? Hat dich jemand im Forum genervt? Sind deine Anteile runtergegangen? Gefällt dir dein Gästezimmer nicht? Was ist?«
»Gibt es einen bestimmten Grund, warum Rebecca, als sie heute Morgen die Treppe zu den Gästezimmern runtergekommen ist, aussah, als hätte sie kein Auge zugetan, und sich bei der ersten Gelegenheit verdrückt hat?« Alarics Tonfall war so scharf, dass man Stahl damit hätte schneiden können. Er machte seinen Laptop zu und fuhr fort: »Du hast da noch geschlafen. Vielleicht ist sie deshalb so schnell abgehauen. Um einer unangenehmen Begegnung auszuweichen.«
»Oh Kacke!« Jedes bisschen Erleichterung darüber, nicht noch verrückter zu werden – Becks und ich hatten tatsächlich Sex gehabt –, wurde durch die Erkenntnis zunichtegemacht, dass ich ihr anscheinend wehgetan hatte. Ich schlug mir die Hand vors Gesicht und stützte den Ellbogen auf den Tisch. »Ach verfickt!«
»Ja, das hatte ich vermutet.«
»Mensch, Alaric …« Ich hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er starrte mich immer noch wütend an. Das war in Ordnung. Ich hätte mich auch gerne böse angestarrt. »Wie sauer war sie?«
»Ich bin mir wirklich nicht sicher. Sie war nicht gerade in der Stimmung, sich über Einzelheiten auszulassen.«
Dafür war ich ihr was schuldig. Genau genommen war ich ihr zwei Sachen schuldig, wenn man die Riesenentschuldigung mitzählte, die ich vorbringen würde, sobald sie zurück war. »Nein, wohl nicht. Hör mal, Alaric, ich wollte wirklich nicht, dass das geschieht, ich schwöre es. Ich wollte sie nicht ins Bett kriegen, und als sie einmal dort war, wollte ich ihr auf gar keinen Fall wehtun.«
»Ich weiß.« Mit einem Seufzer schaute er auf die Tischplatte und schien irgendwie in sich zusammenzusinken. »Ich weiß, dass sie dich mag. Das weiß ich schon seit Ewigkeiten. Ich habe einfach gehofft, dass sie irgendwann begreifen würde, dass du nicht interessiert bist. Dass es bessere Optionen für sie gibt. Aber anscheinend war sie die ganz Zeit davon überzeugt, dass du dich bloß zierst.«
»Ich habe mich nicht geziert«, sagte ich leise. Als George noch da gewesen war, war ich besser mit solchen Sachen zurechtgekommen. Sie war immer diejenige gewesen, der es aufgefallen war, wenn ein Mädchen sich in mich verknallte, und sie hatte diese Mädchen auf Abstand gehalten. Auf die eine oder andere Art. Noch nie hatte ich versucht, allein mit dieser speziellen Situation fertigzuwerden. »Wirklich nicht. Das war kein Spiel.«
Alaric lachte. Es war ein harter, trockener Laut, ohne jede Heiterkeit. »Das Tragische daran ist, dass ich das weiß. Wenn du mit ihr gespielt hättest, dann wäre sie vielleicht schneller über dich hinweggekommen.«
»Ich werd mich entschuldigen.«
»Das solltest du wohl.« Er stand auf und nahm seinen Laptop mit. »Wir können es uns im Moment nicht leisten, einander an die Gurgel zu gehen.«
»Nein, das können wir nicht«, sagte ich ausdruckslos und sah zu, wie er sich umdrehte und das Zimmer verließ. Sobald er weg war, ließ ich den Kopf auf die Tischplatte sacken, sodass meine Stirn leicht ans Holz schlug. »Scheiße, George! Wie hab ich mich bloß in diesen Mist reingeritten?«
Vor allem, indem du gesprungen bist, ohne vorher zu schauen. Das war schon immer deine größte Schwäche. Ihr Lachen ähnelte oberflächlich dem von Alaric, hart und beißend, aber es hatte auch etwas Belustigtes. Es handelte sich um die Sorte Heiterkeit, die man kurz vor seiner Hinrichtung erlebt. Dadurch und vielleicht auch durch mich.
»Oh, Gott sei Dank!« Ich hob den Kopf, ließ mich in meinen Stuhl zurücksacken und schloss die Augen. »Du hast mir tierisch Angst gemacht.«
Du brauchtest etwas Zeit zum Nachdenken.
»Ja, und schau, was ich davon habe. Jetzt ist Becks sauer, was bedeutet, dass Maggie auch sauer ist, und Alaric hält mich für ein Arschloch.«
Tja, das bist du irgendwie auch. Ich habe dir gesagt, dass du vorsichtig mit ihr sein sollst.
»Woher sollte ich wissen, dass sie mich im Badezimmer überfallen würde?«
Ich liebe dich, aber manchmal verstehe ich wirklich nicht, wie du tickst. Die Anzeichen waren deutlich erkennbar.
»Woher soll ich wissen, was das für Anzeichen sind, George? Früher musste ich sie nie erkennen.«
Sie seufzte. Wohl wahr. Du hättest sie nicht mit meinem Namen ansprechen dürfen, Shaun. Das wird alles verkomplizieren.
»Ich weiß. Und was soll ich jetzt deswegen machen?«
Darauf wusste sie keine Antwort.
Eine halbe Stunde später fuhr Maggies Transporter vor. Ich hörte die Türen auf der Auffahrt zuknallen, und dann war die Küche wie von Zauberhand voller Frauen, die die Arme voller Einkäufe hatten und braune Papiertüten auf jeder Oberfläche abstellten. Ich saß noch immer am Küchentisch, wobei ich meinen Kaffee inzwischen gegen eine Cola ausgetauscht hatte. Die beißende Süße fühlte sich ausnahmsweise einmal angenehm an. Der Umstand, dass ich Cola trank, bedeutete, dass George wieder mit mir redete. Das war es wert, meinen Zahnschmelz etwas in Mitleidenschaft zu ziehen.
Becks warf einen verletzten Blick in meine Richtung, als sie ihren Armvoll Einkaufstüten auf dem Herd abstellte. Dann floh sie zur Hintertür hinaus und verschwand Richtung Wagen. Ich zuckte zusammen und stand auf. »Äh, he, Becks, warte mal ne Sekunde …«
»Rühr dich nicht vom Fleck«, sagte Maggie liebenswürdig.
Ich erstarrte.
»Kelly, wie wär’s, wenn du Alaric holen gehst. Sag ihm, dass wir Hilfe beim Auspacken brauchen.« Maggies Tonfall blieb freundlich, doch nun hatte er einen schneidenden Unterton, der vermittelte, dass es ganz und gar keine gute Idee wäre zu widersprechen. Kelly nickte und verließ das Zimmer sogar noch schneller als Becks eben. Sie stellte nicht mal ihre letzte Einkaufstüte ab.
Ich blieb an Ort und Stelle und beobachtete Maggie wachsam. Sie setzte ihre Tüte ab und kam zu mir. Einen guten Meter entfernt verharrte sie und betrachtete mein Gesicht. Schließlich schüttelte sie seufzend den Kopf.
»Wie verrückt bist du eigentlich, Shaun?«
Es war wie ein Echo der Frage, die George mir im Sendewagen gestellt hatte, nachdem Kelly die Bombe platzen lassen und uns die Sache mit den Reservoirkrankheiten erzählt hatte. Maggie konnte unmöglich Georgias Anteil an dieser Unterhaltung gehört haben, selbst wenn sie uns belauscht hatte. Ich zuckte trotzdem zusammen und antwortete, ohne nachzudenken: »Verdammt verrückt.« Ich verzog das Gesicht. »In Ordnung, das war vielleicht nicht die bestmögliche Antwort. Kann ich’s noch mal versuchen?«
»Es war eine ehrliche Antwort, und die habe ich gebraucht.« Maggie musterte mich nachdenklich von oben bis unten. »Wusstest du, was du Rebecca antun würdest, als du mit ihr ins Bett gegangen bist?«
»Himmel, nein! Maggie, ich wusste nicht mal, dass sie … du weißt schon, an mir interessiert war. Auf diese Art.«
»Das hatte ich mir schon gedacht.« Maggie seufzte. »Hattest du jemals eine feste Freundin?«
Das war eine weitere Frage, auf die es keine vernünftige Antwort gab. Ich gab mich damit zufrieden, so ehrlich wie möglich zu sein. »Nein, nicht direkt.«
Erneut musterte mich Maggie langsam von oben nach unten und sagte: »Auch das hatte ich mir schon gedacht. Darf ich dir dann einen Rat geben?«
»Jetzt?« Ich stieß ein kurzes, verbittertes Lachen aus. »Ich würde einen Rat von den Bulldoggen annehmen, wenn ich glauben würde, dass das hilft. Ich wollte keine Scheiße bauen mit Becks. Ich meine …« Es war meine Schuld, weil sie zur Verfügung gestanden hatte und willig gewesen war und weil sie mir etwas angeboten hatte, was ich zu wollen geglaubt hatte. Sie hatte mir alles offenbart, was sie mit sich herumschleppte. Ich dagegen versteckte schon so lange, wie weit es mit mir gekommen war, dass ich … das nicht getan hatte. Sie hatte keine Ahnung gehabt, worauf sie sich einließ. Das war mir klar. Und ich hätte es besser wissen müssen.
»Machst du ihr einen Vorwurf daraus?«
»Ich mache mir selbst einen Vorwurf.«
»Gut.« Maggie nickte, anscheinend zufrieden. »Ihr seid beide erwachsene Menschen, und es geht mich nichts an, was ihr miteinander treibt, solange niemand dabei verletzt wird. Becks ist verletzt worden. Vielleicht hätte sie vorsichtiger sein sollen, aber das tut im Moment nichts zur Sache. Du musst dich bei ihr entschuldigen. Du musst das in Ordnung bringen, weil ich nämlich nicht glaube, dass ihr weiter zusammenarbeiten könnt, wenn du einfach wartest, bis sie sich von allein davon erholt.«
»Ja, das kriege ich hin.« Ich würde es sogar ehrlich meinen. Becks verdiente eine sehr viel bessere Behandlung als die, die ich ihr hatte angedeihen lassen, ob ich es nun böse gemeint hatte oder nicht.
Sie verdiente zum Teufel noch mal etwas Besseres als mich.
»Ich bin froh.« Maggie trat vor und umarmte mich. Ihr Haar duftete nach Vanille und Erdbeeren. Sie hielt mich gerade so lange umarmt, dass ich begann, mich etwas unbehaglich zu fühlen. Dann ließ sie los und wandte sich ab, um die Einkäufe auszupacken. Dümmlich blinzelnd blieb ich stehen. Als sie meinen Blick bemerkte, hob sie die Brauen und sagt: »Und? Worauf wartest du noch? Geh raus und rede mit ihr! Los!«
Also ging ich raus.
Das Gras war feucht, wahrscheinlich von einem nächtlichen Regenguss, und als ich bei Maggies Transporter eintraf, waren meine Stiefel nass. Der Wagen stand mit offenen Türen und Einkaufstüten auf dem Vordersitz in der Auffahrt. Niemand war da. Ich schaute mich um und war nicht besonders überrascht, Fußabdrücke im nassen Gras zu finden, die zu Maggies Gemüsegarten führten.
Ich folgte der Spur ums Haus und bis ans Ende des sorgfältig gepflegten Fleckchens, auf dem Maggie Gemüse und frische Kräuter zog. Ein paar Parkbänke aus der alten Zeit waren im Garten verteilt und verliehen ihm einen schicken Retro-Touch. Becks saß mit dem Rücken zu mir auf der am weitesten entfernten Bank. Ich näherte mich ihr leise, und sie regte sich nicht. Wahrscheinlich hatte sie mich erwartet.
»He«, sagte ich, als ich nah genug heran war. »Macht es dir was aus, wenn ich mich setze?«
»Ja, es macht mir was aus.« Sie drehte sich zu mir um und schaute mit erhobenem Kinn zu mir auf. Ihre Augen waren nur ein wenig gerötet. Sie hatte eindeutig die hohe Irwin-Kunst gemeistert, zu weinen, ohne dass man hinterher vor der Kamera blöd aussieht. Bei dem Gedanken fühlte ich mich noch elender als ohnehin schon. »Aber ich schätze, wir müssen da durch, also mach schon!« Sie rutschte zur Seite und winkte mich heran.
»Danke!« Ich setzte mich und legte die Hände auf die Knie. Stille senkte sich zwischen uns herab. Sie wartete darauf, dass ich den Anfang machte, und ich hatte keine Ahnung, womit.
Sag, dass es dir leidtut, riet mir George.
Sie hatte mir noch nie einen schlechten Rat gegeben. »Es tut mir leid, Becks. Ich meine, Himmel noch mal, ich kann gar nicht sagen, wie verdammt leid es mir tut. Ich war dumm, und ich war selbstsüchtig, und es tut mir leid.«
Becks holte zitternd Luft. In ihrer Stimme schwang ein belustigter Unterton mit, als käme ihr die ganze Situation extrem unwahrscheinlich vor. »Das ist alles? Es tut dir leid? Ich wusste, dass du deine Probleme hast, Shaun, und ich bin ein großes Mädchen … ich dachte, ich käme damit zurecht. Aber ich habe mich wohl geirrt. Dafür sollte ich dir nicht die Schuld geben.« Aber ich tue es. Die unterschwellige Botschaft war nicht zu überhören, nicht einmal für mich.
»Vielleicht solltest du mir nicht die Schuld geben, aber ich hätte trotzdem so schlau sein sollen, dir zu sagen, dass es keine gute Idee für uns beide ist, derart … intim zu werden.«
»Du meinst, wir hätten es nicht wie die Karnickel miteinander treiben sollen?«
Ich hustete, zum Teil vor Überraschung und zum Teil, um Georges Geistergelächter zu übertönen. »Äh, das auch. Ich meine bloß … ich schätze, ich hatte nicht damit gerechnet, und klingt das jetzt unglaublich blöd, oder bilde ich mir das ein?«
Becks runzelte nachdenklich die Stirn. »Das meinst du wirklich ernst, was? Du hattest echt keine Ahnung.«
»Keine Ahnung von was?«
Sie starrte mich einen Moment lang an, bevor ihr die Kinnlade herunterklappte und sie sagte: »Oh mein Gott! Du hattest wirklich keine Ahnung.«
Langsam machte ich mir Sorgen. Es war eine Sache, mich für etwas zu entschuldigen, von dem ich wusste, dass ich es getan hatte – ich habe vielleicht nicht viel Erfahrung mit Frauen, aber ich bin immerhin schlau genug, um zu wissen, dass es niemals gut ist, sie mit dem falschen Namen anzusprechen, insbesondere, wenn die entsprechende Person tot und streng genommen meine Schwester ist. Sich für etwas zu entschuldigen, von dem ich nicht wusste, dass ich es getan hatte, war schon eher ein Problem, und sei es nur, weil ich mir nicht sicher sein konnte, dass ich es richtig anstellte. »Äh, Becks, tut mir leid, aber ich komme nicht mehr mit. Ich entschuldige mich gerne weiter, aber ich muss wissen, wofür.«
Diesmal war ihr Lachen hell und brüchig, wie gesplittertes Glas in der Sonne. »Ich habe mich seit Monaten an dich rangeschmissen, Shaun. Das Flirten, die knappen Oberteile, dass ich dich immer wieder darum gebeten habe, mal Hand bei meinen Meldungen anzulegen … ich meine, was zum Teufel dachtest du denn, was ich da treibe?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich dachte, dass du nur sichergehen wolltest, dass deine Fakten Hand und Fuß haben, bevor du sie veröffentlichst, und all die knappen Klamotten habe ich eben für so eine Frauensache gehalten. So wie deine Frisur.«
»Meine Quoten hängen nicht davon ab, was ich zur Arbeit anziehe«, erwiderte sie.
Ich zuckte mit den Schultern.
Becks seufzte. »Na schön! Das hast du also alles nicht bemerkt. Was ist mit dem Flirten? Hast du das auch als ›Frauensache‹ abgetan?«
Wenn ich schon einmal damit angefangen hatte, konnte ich ihr auch gleich die ganze Wahrheit sagen. Größere Schwierigkeiten konnte ich mir jetzt auch nicht mehr einhandeln. »Bis du aufgetaucht bist und mir das Handtuch weggerissen hast, ist es mir gar nicht aufgefallen.«
»Wenn Dave nicht tot wäre, würde ich ihm jetzt zehn Kröten schulden.« Becks wandte sich ab und blickte in den Wald jenseits des Zauns. Er sah aus wie ungezähmte Natur; Maggies Sicherheitsvorkehrungen waren sorgfältig verborgen. »Er meinte, dass du es nicht mitkriegen würdest. Ich dachte, dass du dich bloß zierst.«
»Das meinte Alaric auch. Es tut mir wirklich leid. Ich habe die ganze Sache mit dem Flirten noch nie ausprobiert.«
»Nein, das hast du wohl nicht, was?« Sie warf mir einen abschätzenden Seitenblick zu. »Das musstest du nicht.«
Ich dachte darüber nach, sie anzulügen. Aber nach allem, was ich ihr schon gesagt hatte, wusste ich nicht, wozu das noch gut sein sollte. »Nein, wohl nicht.«
Sie nickte und verzog dabei auf allzu vertraute Weise den Mund, bevor sie wieder in den Wald hinausschaute. Ich verabscheute diesen Gesichtsausdruck. Ich hasste ihn auf jedem Gesicht, auf dem ich ihn bisher gesehen hatte. Aus ihm sprach ein deutliches »Aber sie ist deine Schwester« und das völlige Verkennen des Umstands, dass sie außerdem der einzige Mensch gewesen war, dem meine Meinung wirklich wichtig gewesen war. Dem alles wichtig gewesen war.
Schließlich sagte Becks leise sinnierend: »Ich schätze, irgendwie habe ich es tief in mir drin gewusst. Vielleicht war es deshalb so ungefährlich, dir nachzustellen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dich jemals zu kriegen.«
Ich war mir nicht sicher, was ich dazu sagen sollte. Also begnügte ich mich mit der sichersten Antwort von allen.
»Es tut mir leid.«
»Mir auch, Shaun. Glaub mir, mir auch. Ich … ich weiß, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher. Das ist ebenso sehr meine Schuld wie deine, schätze ich. Ich weiß einfach nicht …«
»Wie wir jetzt weitermachen sollen?«, wagte ich zu vermuten. Sie nickte. Ich unterdrückte den Drang zu lachen, vor allem, weil ich mir nicht sicher war, ob ich wieder hätte aufhören können. »Mensch, Becks, ich stelle mir diese Frage so ziemlich jeden Tag seit Georges Tod.«
»Hast du die Antwort schon herausgefunden?«
»Es gibt keine.« Ich ließ mich gegen die Rückenlehne der Bank sacken und legte den Kopf in den Nacken, bis ich nichts als blauen Himmel mehr sah, der sich aus dieser Perspektive bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. »Ich schätze, ich werde einfach so weitermachen wie bisher, bis die Dinge wieder irgendeinen Sinn ergeben.«
»Und was ist, wenn das nie passiert?«
»Ich schätze, dann fange ich an zu hoffen, dass die religiösen Spinner recht haben und dass es dort oben eine höhere Intelligenz gibt, die mit uns wie mit Laborratten umspringt.«
Stoff rieb über Holz, als Becks sich herumdrehte, um mich anzuschauen. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich kannte sie gut genug, um ganz genau zu wissen, was für ein Ausdruck auf ihrem Gesicht lag: Eine Mischung aus Verwirrung und dem unangenehmen Verdacht, dass meine nächsten Worte so daneben sein würden, dass sie sie eigentlich nicht hören wollte. Schließlich sagte sie: »Warum willst du dich auf die Suche nach Gott begeben?«
»Ich sagte nicht, dass ich mich auf die Suche begeben würde. Falls Gott existiert, gibt es genug Menschen, die wissen, wo er ist.« Ich zuckte mit den Schultern und schaute weiter in den Himmel. Das war leichter, als Becks anzusehen. »Ich will bloß wissen, dass er da ist, sodass ich mit dem Wissen sterben kann, dass es jemanden gibt, dem ich auf der anderen Seite eine reinhauen kann.«
Becks lachte. Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab. Ich hatte ihr etwas Schreckliches angetan, aber ich hatte es nicht böse gemeint, und der Tonfall ihres Lachens verriet mir, dass wir vielleicht – trotz allem – wieder Freunde sein konnten. Sie hatte recht. Wir würden nie wieder so miteinander klarkommen wie zuvor. Aber es würde wieder besser werden, und das war immerhin etwas.
Gewalt ist nicht die einzige Lösung, sagte George. Sie klang genauso erleichtert, wie ich mich fühlte.
»Manchmal ist es die spaßigste«, erwiderte ich, ohne darüber nachzudenken. Becks hörte auf zu lachen. Ich schaute sie angespannt an und rechnete damit, dass wir wieder anfangen würden, uns zu streiten.
Stattdessen erwiderte sie meinen Blick bloß. Ihre Augen waren haselnussbraun. Das war mir noch nie aufgefallen – nicht wirklich. Bei dem Gedanken fühlte ich mich noch mieser mit dem, was ich getan hatte. Ich hätte niemals mit ihr schlafen dürfen, wenn ich mir nicht mal ihre Augenfarbe merken konnte. »Du hast ziemliches Glück, weißt du«, sagte sie.
Ich blinzelte. »Wie?«
»Bei den meisten Menschen, die ihre Lieben verlieren, sind sie einfach weg. Wir können sie nicht behalten. Aber du …« Sie hob die Hand und strich mir mit den Fingerspitzen über die Stirn. Ihre Haut war kühl. »Sie wird immer für dich da sein, nicht wahr? Solange du lebst.«
»Ich weiß nicht, wie ich in einer Welt ohne sie leben soll«, antwortete ich. Meine Stimme klang rau von einer Sehnsucht, die mich selbst überraschte. Ich habe nie erwartet, dass ich über sie hinwegkommen würde. Aber manchmal erschreckt es mich festzustellen, wie verdammt heftig ich sie vermisse.
»Dann hoffe ich, dass du das niemals musst.« Becks stand auf. »Es ist alles in Ordnung zwischen uns, Shaun. Zumindest für mich, und es würde mich freuen, wenn du genauso empfindest.«
Ich nickte. »Mich würde es auch freuen.«
»Gut. Ich gehe Maggie sagen, dass wir die Sache besprochen haben.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Behalt das Gästezimmer! Ich schlafe heute Nacht auf dem Sofa.« Sie steckte die Hände in die Taschen und ging, ehe ich noch etwas sagen konnte. Ihre Schritte klangen schwer auf der feuchten Gartenerde. Ich sah ihr nach und ließ mich dann zurücksinken und schloss die Augen.
»Wann wird endlich alles wieder einfach, George?«, flüsterte ich. »Überhaupt jemals?«
Nichts war jemals einfach, antwortete sie.
Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Ich saß im sonnenbeschienenen Garten, atmete den Duft regennassen Grases und wartete darauf, dass die Welt sich langsamer drehte. Nur ein kleines bisschen. Gerade langsam genug, damit wir uns ausruhen konnten, bevor das nächste Gewitter kam. War das wirklich so viel verlangt? Ich wollte mich bloß ausruhen.
Nur ein kleines Weilchen.
Worüber redet man anständigerweise besser nicht beim Essen? Über Politik, Religion und die wandelnden Toten.
Und worüber reden wir hier beim Essen, jeden Abend? Über Politik, Religion und die wandelnden Toten. Sowie über die Vorzüge von kleinkalibrigen oder großkalibrigen Waffen beim Feldeinsatz, über Schutzausrüstung, Maggies Garten, unsere Quoten und die Wartung der Fahrzeuge. Das ist hier alles ziemlich intensiv, man sollte besser nicht an Klaustrophobie leiden, so dicht wie wir aufeinanderhocken Es gibt keine richtige Privatsphäre, und das Haus ist so vollgestopft mit Sicherheitsvorkehrungen, dass der Zirkus, den man veranstalten muss, um rauszukommen, fast ebenso groß ist wie der, um reinzukommen. Es ist wie eine total verkorkste Mischung aus Gefängnis und Ferienlager.
Ist es nicht irgendwie komisch, dass ich mir das Nachrichtengeschäft immer so erträumt hatte? Himmel noch mal, vielleicht habe ich einen totalen Schaden, aber so viel Spaß hatte ich noch nie in meinem Leben! Ich möchte, dass jemand mich an diese Worte erinnert, wenn die ganze Sache schiefgeht und uns in den Arsch beißt.
Aus Charmante Lügen, dem Blog von Rebecca Atherton, 9. Mai 2041, unveröffentlicht.
Jetzt seht euch das an, Leute! In meinen Lebenslauf kann ich ab heute schreiben: »Eine unplanmäßige Zombiebegegnung überlebt, als ich in der Seuchenschutzbehörde war, um über den Ausbruch in Oakland zu reden.« Ich will ja nicht angeben, aber wie wär’s, wenn ihr einfach alle meinen Bericht runterladet und anschließend eure Goldener-Stevie-Nominierungsbögen für dieses Jahr ausfüllt? Ich wäre euch sehr verbunden …
Aus Charmante Lügen, dem Blog von Rebecca Atherton, 9. Mai 2041.