Heute hätte es Shaun fast erwischt.
Er will mir nicht genau sagen, was passiert ist. Ich wüsste nicht einmal, dass etwas passiert ist, wenn man in seinem Videomaterial nicht die Stelle erkennen könnte, an der er ein paar Hundert Sekunden herausgeschnitten hat. Normalerweise laufen die von ihm veröffentlichten Aufnahmen nahtlos durch, glatt und flüssig. Dieses Zeug sieht dagegen amateurhaft aus, und das verrät mir deutlicher als alles andere, dass da draußen etwas Übles passiert ist.
Als er nach Hause kam, stank er nach Desinfektionsmitteln und saurem Angstschweiß, die Sorte, die einem ausbricht, sobald der Adrenalinstrom versiegt ist, und er hat mich fast zehn Minuten lang im Arm gehalten. Als ich spürte, wie seine Schultern bebten, hörte ich auf zu lachen und versuchte, mich loszumachen. Auch meine Schultern begannen zu zittern, als mir klar wurde, was es bedeutete, wenn Shaun solche Ängste ausstand – Shaun, der einen Zombie hinterm Haus einmal als bestes Geschenk bezeichnet hat, das ich ihm je gemacht habe!
Vielleicht war das Leben schon immer etwas Zerbrechliches, das man leicht verliert, und vielleicht reden all die Leute, die einem erzählen, wie schön es vor dem Erwachen war, bloß Müll. Jedenfalls leben wir nicht in ihrer Welt, sondern in dieser. Und in dieser Welt muss man nur einen einzigen Fehler begehen, einmal nicht aufpassen, um alles zu verlieren. Ich weiß nicht, wie nah ich heute dran war, ihn zu verlieren. Er will es mir nicht sagen, und obwohl das vielleicht feige ist, werde ich ihn nicht fragen. Das ist eine Wahrheit, die ich nicht wissen will. Es gibt Wahrheiten, ohne die man besser dran ist.
Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun sollte, wirklich nicht. Ich würde ihm nie sagen, dass er nicht ins Feld gehen soll – ich weiß, wie viel es ihm bedeutet –, aber eines Tages wird es ihn nicht mehr nur fast erwischen, und dann … ich weiß es nicht.
Ich weiß es einfach nicht.
Aus Postkarten von der Klagemauer, dem Nachlass von Georgia Mason, erstmals veröffentlicht am 24. Juni 2041.
Meine Eltern Yu und Jun Kwong sind tot.
Mein Bruder Dorian Kwong ist tot.
Meine Kollegin Dr. Barbara Tinney ist tot.
Die Berichte sind derzeit zwar noch lückenhaft, aber es ist absolut möglich, dass alles in ganz Florida und den umliegenden Gebieten tot ist.
Willkommen beim Ende der Welt!
Aus Auf die Kwong-Tour, dem Blog von Alaric Kwong, 24. Juni 2041.