Genau genommen haben George und ich nie gewusst, wann wir geboren wurden. Die Ärzte konnten unser Alter schätzen und über unsere biologischen Eltern spekulieren, aber das spielte eigentlich keine Rolle. Man hatte uns gesagt, dass wir irgendwann im Jahre 2017 geboren worden waren, gegen Ende des Erwachens, als der Großteil von Nordamerika bereits zurückerobert und von Infizierten gesäubert worden war. Wir wussten, dass George etwa sechs Wochen älter war als ich. Auf den Rest kam es nicht an. Wichtig war nur, dass wir einander hatten, denn so konnten wir mit allem fertig werden, was die Welt gegen uns aufzubieten hatte. Manchmal glaubte ich in meiner Arroganz sogar, dass es das Erwachen nur gegeben hatte, damit wir zusammen sein konnten.
Die Erklärung war so gut wie jede andere.
Mit dem heutigen Tage habe ich zum ersten Mal meinen Geburtstag ohne George erlebt, wann auch immer er genau war. Seit genau einem Jahr gehe ich nun zu Bett, um in einer Welt ohne George aufzuwachen, einer Welt, die mir sinnlos vorkommt, weil George ihr nie wieder einen Sinn verleihen wird. Ich hatte immer Angst gehabt, dass sie sich umbringen könnte, falls ich sterben würde. Einmal habe ich sie gefragt, ob sie sich jemals vergleichbare Sorgen um mich machte.
»Du bist sowieso schon selbstmordgefährdet, Arschloch«, antwortete sie lachend. Aber darin hat sie sich geirrt – ich bin viel vorsichtiger geworden, seit ich sie verloren habe. Ich vermisse sie jeden Tag. Ich vermisse sie jede Minute. Aber wenn mir etwas passiert, dann bekommt sie vielleicht nie das Ende, das sie verdient hat, und ich werde nicht so egoistisch sein zu sterben, bevor ich nicht zu Ende geführt habe, was sie begonnen hat.
Alles Gute zum Geburtstag, George! Du hast mich zu einem besseren Menschen gemacht, als ich es ohne dich je hätte sein können, und du hast mich mehr verletzt, als irgendein anderer Mensch mich je hätte verletzen können. Ich liebe dich. Ich vermisse dich. Und langsam habe ich das Gefühl, dass wir uns ziemlich bald wiedersehen werden. Ich denke, die Dinge nähern sich ihrem Ende.
Himmel, du fehlst mir!
Aus Anpassen oder Sterben, dem Blog von Shaun Mason, 20. Juni 2041.
Wer sich mit Shaun anlegt, legt sich auch mit mir an. Und von uns beiden bin ich diejenige, mit der man sich besser nicht anlegen sollte. Er bringt die Leute höchstens um. Aber ich sorge dafür, dass sie bereuen und dass sie bezahlen.
Glaubt mir. Ich bin Journalistin.
Aus Postkarten von der Klagemauer, dem Nachlass von Georgia Mason, erstmals veröffentlicht am 20. Juni 2041.