Kapitel 20
Lady Rockley speist außer Haus
Als Victoria von ihrem Besuch des Konsiliums heimkehrte, wartete eine Kutsche vor der Villa.
Es war schon nach der Teestunde, beinahe Zeit zum Abendessen - also reichlich spät für einen unangemeldeten Besucher.
Mit schnellen Schritten eilte sie die Treppe zur Eingangstür hinauf.
»Sie haben Besuch, Signora«, informierte sie der Butler, aber Victoria riss bereits die Tür zum Salon auf.
Sebastian blickte von der Zeitung hoch, die er gerade studierte. »Ich weiß ja nicht, wen du erwartet hattest, meine Liebe, aber du musst gewiss enttäuscht sein. Ein solcher Enthusiasmus kann nicht für mich bestimmt gewesen sein, so sehr ich es auch bedaure.« Er ließ den Blick auf eine Weise über ihren Körper gleiten, die sie an ihre letzte Begegnung in diesem Zimmer erinnerte.
Und an seine Drohung, sich an die Tarruscelli-Zwillinge zu halten, nachdem er plötzlich so unerklärlich zornig auf sie geworden war.
Und an die Vornacht, als er sie mein genannt hatte. Bevor er ganz beiläufig den Namen eines mächtigen Vampirs ins Feld geführt hatte.
»Es ist ein bisschen spät für Tee, Sebastian«, bemerkte sie kühl, wobei sie sich zwingen musste, gleichmäßig zu atmen und das Kribbeln in ihrem Bauch zu unterdrücken. Die Art wie er sie ansah... Sie hatte das Bedürfnis, gleichzeitig ihre Wangen zu bedecken, um das Erröten niederzuzwingen, sein dichtes, goldbraunes Haar zu berühren und aus dem Zimmer zu flüchten, bevor er die Hände auf ihren Körper legen konnte, was er ohne jeden Zweifel beabsichtigte.
Offenbar hatte sich irgendetwas verändert, seit er ihr die Vampire vom Hals gehalten hatte.
»Wir müssen reden«, sagte er, aber in seinen Augen stand eine vollkommen andere Botschaft. Jetzt konnte Victoria sie nicht mehr aufhalten - die unwillkommene Röte, die sich von ihrem Dekolleté über Hals und Wangen ausbreitete. »Würdest du mir erlauben, dich auf eine Spazierfahrt mitzunehmen?«
»Es ist ein wenig unfein, so spät noch einen Ausflug in den Park zu machen«, gab sie zurück.
»Abgesehen von meiner Kleidung genieße ich es, unfein zu sein.Wirst du mitkommen?«
Victoria wusste, dass wenn sie seine Einladung annahm, sie damit gleichzeitig ihr Einverständnis zu allem gab, was sich vielleicht zwischen ihnen entwickeln würde. Höchstwahrscheinlich eine Fortsetzung dessen, was sie in exakt diesem Raum vor wenigen Tagen begonnen hatten, auch wenn es schon seit mehr als einem Jahr zwischen ihnen knisterte.
Und dann hatte er noch ganz nebenbei ein paar Fragen zu beantworten, und sich zusammen mit ihm in einer Kutsche einzuschließen, würde helfen, diese Antworten auch zu bekommen … neben anderen Dingen. Sie sah ihn nachdenklich an, dann erwiderte sie heiter: »Sobald ich mich ein wenig frisch gemacht habe, begleite ich dich gerne.«
»Merci, ma chère
Victoria lief schnell hinauf in ihr Schlafzimmer und rief nach Verbena. Es dauerte nicht lange, ihr Haar in Ordnung zu bringen, in ein schmeichelhafteres, roséfarbenes Kleid zu schlüpfen und eine passende Pelerine überzuziehen, die sie vor der kühlen Herbstluft schützen würde. Ihre langen, vom Ellbogen bis zum Handgelenk zugeknöpften Ärmel würden ihre Arme selbst dann warm halten, falls sie ihre Handschuhe ausziehen sollte.
Was sich in Sebastians Gesellschaft durchaus als nützlich erweisen konnte, denn er schien eine Vorliebe dafür zu haben, sie ihrer Handschuhe zu berauben.
»Du siehst wirklich erfrischt aus«, bemerkte er im Foyer, als sie wieder die Treppe herunterkam. »Ich habe mir die Freiheit genommen, darum zu bitten, dass man uns einen Picknickkorb herrichtet; es wird einige Zeit dauern, bis wir unser Ziel erreichen, und ich möchte nicht, dass du auf dem Weg dorthin verhungerst.«
»Mir war nicht klar, dass wir so lange fortbleiben würden.«
Sebastian, der gerade seinen hohen, breitkrempigen Hut aufsetzen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Hast du heute Nachmittag noch etwas anderes vor? Oder heute Abend? Das wusste ich nicht.«
»Nein.« Victoria schaute ihn misstrauisch an.
»Sie hatten heute noch weitere Besucher, Mylady«, wurden sie von Verbena unterbrochen, die zusammen mit Oliver gerade einen großen Korb hereintrug. »Ihre Karten liegen auf dem Tisch.«
Verärgert darüber, dass sie sich durch Sebastians Gegenwart von der simplen Handlung, dort nachzusehen, hatte ablenken lassen, drehte Victoria sich um und überprüfte den kleinen Kartenstapel. Die Tarruscellis und Sara Regalado, Silvio Galliani. Offenbar hatten sie es alle unbeschadet aus der Oper nach Hause geschafft. Sie war dankbar, nicht daheim gewesen zu sein, als sie sie besuchten. Wie um alles in der Welt sollte sie sich zwanglos mit ihnen unterhalten, nachdem sie mit angesehen hatte, wie Sara sich voller Lüsternheit von einem Vampir hatte beißen lassen? Selbst ihre Mutter hätte ein solches Kunststück nur mit Mühe zuwege gebracht.
Sonst war niemand gekommen.
Victoria würde noch nicht einmal sich selbst eingestehen, dass sie noch auf jemand anders gehofft hatte; Max hatte ihr alles gesagt, was er ihr zu sagen hatte.
Das bestätigte nur, was ihr heute im Konsilium klar geworden war. Sie war auf sich allein gestellt.
»Sollen wir?« Sebastian streifte seine Handschuhe über und reichte ihr den Arm.
In seiner Ellbogenbeuge war viel mehr Platz für ihre Finger als in Zaviers. Außerdem war er größer. Und hübscher.
Und weniger vertrauenswürdig.
Trotzdem vertraute sie ihm auf gewisse Weise. Immerhin hatte er sie am Vorabend davor bewahrt, von einem Vampir zerfleischt zu werden. Das musste doch etwas bedeuten.
Sie hatten gerade einander gegenüber in der Kutsche Platz genommen, als diese mit einem Ruck anfuhr, was Victoria an Barths unstete Fahrweise in London erinnerte. Sie lächelte, und Sebastian bemerkte es.
»Süße Erinnerungen, meine Liebe? Oder denkst du bloß darüber nach, wie bravourös es mir gelungen ist, uns beide wieder einmal allein in eine Kutsche zu bringen?«
»Deine Methode war bravourös durchsichtig.« Victoria beobachtete ihn argwöhnisch.
Es entging ihm nicht, und er lachte. »Hast du Angst, dass ich mich auf dich stürzen und dir die Kleider vom Leib reißen könnte? Nicht, dass es mir nicht in den Sinn gekommen wäre, aber ich hoffe doch, dass du mir etwas mehr Finesse zutraust.«
»Ich weiß nie so genau, was du als Nächstes tun wirst, Sebastian. Tatsächlich hat mich dein Handeln letzte Nacht mehr als überrascht.«
Er zog die Brauen hoch, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er den Unschuldigen mimte. »Sprichst du von meinen ausgedehnten Bemühungen um Portiera? Ich hoffe, ich habe damit nicht deinen Stolz verletzt, ma chère Victoire. Denn du musst wissen, dass du diejenige bist, die mich wahrhaft verzaubert.« Sein Tonfall war leicht und entspannt, so als wollte er den Worten die Bedeutung nehmen, aber trotzdem verspürte Victoria ein plötzliches, heftiges Kribbeln im Bauch.
»Ich meinte nicht dein ekelhaftes Getändel mit den Tarruscelli-Zwillingen«, wiegelte sie ab. »Und du weißt es. Ich hatte deinen Besuch erwartet, da ich mir sicher war, dass du irgendeine Anerkennung von mir erwarten würdest - keine Belohnung, Sebastian; schließlich hast du ein solches Motiv in jüngster Zeit weit von dir gewiesen -, aber irgendeine Anerkennung dafür, dass du mich letzte Nacht vor einer äußerst unangenehmen Erfahrung bewahrt hast. Ich war und bin dir sehr dankbar.«
»Nun komm schon, du bist doch ein Venator«, erinnerte er sie im selben aufgeräumten Tonfall. »Du hast meine Hilfe nicht wirklich gebraucht. Ich habe nur eingegriffen, weil ich den Gedanken nicht ertrug, dass dieser hübsche Hals ein weiteres Mal beschädigt werden sollte.« Seine Stimme sank zu einem leisen Tenor herab, und aus seiner Miene verschwand jeglicher Anflug von Humor. »Du stirbst vor Neugierde, zu erfahren, wer Beauregard ist und woher ich ihn kenne.«
»Selbstverständlich tue ich das. Aber ich weiß, dass du es mir erst dann sagen wirst, wenn du es wünschst, deshalb hat es keinen Sinn, dich danach zu fragen. Ich habe keine Lust, dieses Katz-und-Maus-Spiel mit dir zu treiben, Sebastian.« Ihre Stimme war ruhig, ganz im Gegensatz zu ihren Fingern, die, wären sie nicht in ihrem duftigen Seidenrock vergraben gewesen, gezittert hätten.
»Dann spielen wir eben nicht.« Im Nu saß er neben ihr auf der Bank. Er zog sich den Hut vom Kopf und warf ihn achtlos quer durch die Kutsche, ohne sich darum zu kümmern, dass er neben der Tür auf dem Boden landete. »Wirst du mich dieses Mal küssen,Victoria, oder lässt du mich wieder die Schmutzarbeit machen?«
»Ich habe dich am Kai in London geküsst.«
»Ja, das hast du, aber nur weil es sicher war. Du warst im Begriff, an Bord eines Schiffes zu gehen, das dich nach Italien bringen würde. Aber jetzt...« Er schlüpfte aus seiner Jacke, lehnte sich wieder in die Ecke und musterte sie mit vor dem Bauch verschränkten Armen. Sein Bein drängte in der Mitte der Sitzbank gegen ihres, seine Brust hob und senkte sich, seine Schultern ruckelten außer Takt mit den Bewegungen der Kutsche. »Bist du mutig genug, mein liebreizender Venator?«
Victoria beugte sich nach vorn, und er kam aus seiner entspannten Sitzhaltung hoch, um ihr auf halber Strecke zu begegnen. Ihre Münder trafen sich in einem Durcheinander aus Lippen, Zungen und Victorias tiefen Wonneseufzern.
Ehe sie es sich versah, fiel ihr Haar nach unten, die Nadeln regneten aus Sebastians Fingern auf ihre Schultern, weiter auf die gepolsterte Bank und dann zu Boden. Er vergrub die Hände in den Locken und Flechten, die Verbena arrangiert hatte, und kämmte sie von ihrem Hals entlang ihrer Arme, dann machte er sich daran, die Pelerine zu öffnen, die ihren Busen straff umhüllte.
Nachdem er ihr das enge Jäckchen von den Schultern gestreift und die Arme hinuntergezogen hatte, fuhr er fort, ihren Mund zu küssen, ihr Kinn, ihren Hals, bis sie unter ihm zu strampeln begann. »Die Ärmel... müssen aufgeknöpft werden«, keuchte sie, wobei sie versuchte, sich aus dem Kleidungsstück zu befreien.
»Ich weiß«, raunte er ihr ins Ohr, dann zog er die Ärmel weiter nach unten, bis sie über ihre Hände rutschten, sodass ihre Handgelenke gefangen waren und sich die Pelerine eng hinter ihren Hüften spannte.
»Sebastian.« In Victorias Stimme schwang neben einem warnenden Unterton ein Anflug von Panik mit. »Ich mag das nicht.«
»Schsch«, murmelte er an ihrem Hals, und seine Wimpern flatterten über ihre Wange. »Entspann dich einfach. Genieße es.« Sein warmer, schlüpfriger Mund saugte an ihrem Ohrläppchen.
Victoria atmete tief und erschaudernd ein, dann merkte sie, wie die leise Panik abflaute - hauptsächlich wegen dem, was seine Finger und Lippen taten, um sie abzulenken -, als er die Hände über ihre Schultern breitete, ihr Mieder nach unten schob und sie dann nach hinten gleiten ließ, um die Knöpfe zu öffnen und ihr Korsett aufzuschnüren.
Er war schnell und geschickt, sodass ihre Brüste wenige Augenblicke später befreit und nackt von der dunkler werdenden Kutsche durchgerüttelt wurden. Er umfasste sie und spielte mit ihnen, erst sanft, dann mit festeren Berührungen.Victoria schloss die Augen und stöhnte, als er die Lippen um eine ihrer Brustwarzen schloss, sie gierig in seinen heißen Mund saugte und die Zungenspitze über sie zucken ließ. Die pulsierende Empfindung entsprach dem Pochen zwischen ihren Beinen, und sie hob ihm die Hüften entgegen.
Sebastians Lippen zogen ein letztes Mal an, dann lachte er leise gegen ihre Brust. »Hab Geduld, mein Engel.« Doch er ließ von ihr ab und machte sich an seinen Hosen zu schaffen.Victoria sah sie fallen und muskulöse Oberschenkel zum Vorschein kommen, dann folgten die Unterhosen; anschließend beugte er sich nach vorn und schob die Hände unter ihre Röcke, ließ sie an ihren Schenkeln nach oben gleiten, bis ihre Beine entblößt waren und sich ihr Kleid in einer Masse von Spitze und Seide auf ihrem Schoß türmte.
Seine Finger rieben und spielten, dort wo sie pochte und brannte, bis sie sich stöhnend unter ihm wand, begierig, ihn ganz zu bekommen. Sie fühlte sein Haar an ihrer Wange, als er keuchend ihren Hals küsste.
Victoria wollte nach ihm greifen, aber ihre Arme waren noch immer hinter ihr gefangen. »Sebastian...«, setzte sie an, aber die Worte wurden erstickt, als er den Mund auf ihren presste, sodass alles ausgeblendet wurde außer ihrem leisen Stöhnen. Dann bewegte er die Hände nach oben unter ihr Kleid, um ihre vis bulla zu berühren; sie spürte sie über das kleine Silberkreuz streicheln und sanft daran ziehen.Anschließend schlüpften seine Finger unter ihr Mieder und ihr Korsett, und er hob ihre Hüften an, sodass ihre nach oben geschobenen Röcke sich noch höher auftürmten.
Sebastian gab ihren Mund mit einem leisen, köstlichen Schmatzen frei, das ihr verriet, dass er sie am liebsten die ganze Nacht geküsst hätte. Er sah sie noch einmal an, so als wolle er sich ihrer Bereitschaft für das Kommende versichern, dann drang er mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung in sie ein.
Oh. Mit wild klopfendem Herzen schloss Victoria die Augen, als das wundervolle Gefühl, mit einem Mann vereint zu sein, sie durchströmte. Eine Träne der Wonne rann ihr über die Schläfe, Victoria holte tief Luft und fühlte einfach nur.
Sie merkte, dass er sich nicht bewegte; sie waren hier, in der holpernden Kutsche miteinander verschmolzen, seine Hände an ihren Schultern, eines seiner Knie neben ihrem Oberschenkel auf die Bank gestützt. Als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass er lächelnd auf sie hinabschaute.
»Ich wusste immer, dass unser erstes Mal in einer Kutsche sein würde.« Er atmete keuchend ein. Dann wieder aus. Schloss die Augen.
Und rührte sich noch immer nicht.
Sie drängte sich ihm entgegen, die Hände noch immer gefangen. »Sebastian.«
»Warum die Eile, ma chère?« Er beugte sich zu ihr, um sie wieder zu küssen, sie mit den Lippen zu liebkosen, während ihre Körper sich im Rhythmus der Kutsche sanft ineinander wiegten.
Dieses unaufhörliche Rucken war Bewegung genug, dass Victorias ganzer Fokus sich auf die Stellen richtete, wo er in sie geglitten war und wo ihre Brustwarzen gegen sein Hemd rieben, das auszuziehen er sich nicht die Mühe gemacht hatte. Ihr Kleid bauschte sich zwischen ihnen und ergoss sich über die Bank, und seine Beine lagen warm an ihren.
Er schob sich ein Stück nach vorne, und sie schmeckte die leicht salzige Haut seines Halses, spürte das harte Hämmern des Pulses an seiner Kehle. Die Stelle, wo sie verschmolzen waren, pochte und brannte, und sie fühlte, wie er fast unmerklich ein klein wenig weiter in sie hineinglitt, fühlte, wie sich die längst verloren geglaubte und dennoch so vertraute Spirale des Verzückens tief in ihr zu drehen begann. Übermächtiges Verlangen raubte ihr die Sinne, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte, als dass er in ihr war und noch immer reglos verharrte.
Sebastian legte die Wange an ihre Stirn, und dann endlich begann er, sich zu bewegen. Langsam und jeden einzelnen Stoß auskostend, glitt er hinein und nach oben, seine Hände bewegten sich auf dem Polster neben ihrer Schulter, wühlten sich in ihr Haar, krallten sich in ihre Haut. Ihre Atmung glich sich an, wurde schneller und dringlicher, durchbrochen von Seufzern und leisem Stöhnen.
Victoria bewegte sich mit ihm, sie spürte, wie die Anspannung, die sich in ihr aufgebaut hatte, der Erlösung zustrebte, und es dauerte nicht lange, bis sie unter ihm erschauderte, einen Moment bevor sie spürte, wie er sich ein letztes Mal aufbäumte und dann verharrte, als er in ihr kam.
»Ach,Victoria«, murmelte er so leise, dass er durch das Poltern der Kutsche kaum zu verstehen war. »Ich bin so froh, dass du deine Meinung geändert hast.«
»Worüber?« Sie schaffte es nur mit Mühe, die Worte zu formulieren.
»Darüber, wie lange du mich noch auf das hier warten lassen solltest.«
»Du hast mir kaum eine Wahl gelassen.« Ihre Lippen strichen über die frisch sprießenden Bartstoppeln an seinem Kinn. »Aber du warst ziemlich überzeugend. Und Sebastian... meine Handgelenke tun weh.«
»Natürlich.« Er zog sich aus ihr zurück und schlüpfte wieder in seine Hose, ohne ihr das Vergnügen zu gönnen, seine Brust oder einen anderen Teil seines Körpers in Augenschein zu nehmen. Dann half er ihr, sich aus der Pelerine zu befreien und ihren Busen wieder in ihrem Kleid zu verstauen.
»Hast du Hunger?« Er lehnte sich in seinem Sitz zurück.
»Wie lange dauert es noch, bis wir ankommen, wo auch immer wir hinfahren? Oder war es wirklich nur ein Trick, um mich in diese Kutsche zu locken?«
Er lächelte unbekümmert. »Es war in der Tat ein Trick. Ich wollte dich nämlich unbedingt in diese Kutsche locken. Aber wir könnten doch trotzdem essen, oder nicht?«
Der Korb war unter einem der Sitzplätze verstaut, und als Victoria sich nun nach unten beugte, um ihm dabei zu helfen, ihn hervorzuziehen, fiel ihr langes Haar nach unten und nahm ihr die Sicht.
»Was für ein herrlicher Anblick dein offenes Haar doch ist«, bemerkte er, während sie den Korb neben ihn auf die Bank hievten. »Schon seit der Nacht, in der wir uns im Silberkelch zum ersten Mal begegneten, habe ich mir gewünscht, es einmal so zu sehen.«
»Es stört mich oft«, erwiderte Victoria. »Ich habe schon daran gedacht, es abzuschneiden, bringe es aber nicht über mich.«
»Dem Himmel sei Dank für die Eitelkeit!« Er entkorkte eine Flasche Wein. »Würdest du mal nachsehen, ob sie uns ein bisschen Käse eingepackt haben?«
Während sie den Korb durchsuchte, schenkte er ihr ein Glas ein; er reichte es ihr, sie ihm im Gegenzug Brot und Käse, dann lehnten sie sich zurück, um zu essen.
Ihr Körper kribbelte noch immer, und es gab noch immer jede Menge Fragen zu stellen und Geheimnisse zu lüften. Zum Beispiel das, wie er wohl unter all seiner Kleidung aussah.
Und wer Beauregard war.
Als sie an ihrem Wein nippte und an einem Stück Brot knabberte, fühlte Victoria sich matt, schläfrig und zufrieden. Erst als ihr Glas schon halb leer war, begriff sie, dass es ein unnatürliches Gefühl von Mattheit, Schläfrigkeit und Zufriedenheit war.
Mit einem Ruck setzte sie sich kerzengrade auf, und die Kutsche schlingerte. Sie musste sich an der Kutschenwand abstützen.
»Soll ich das nehmen, ma chère, bevor du ihn noch verschüttest?« Flink nahm Sebastian ihr das Weinglas ab.
»Salvi«, sagte sie anklagend. Ihre Zunge war taub, trotzdem zwang sie sich, es zu wiederholen. »Du hast salvi... hineingetan. Du... Lügner...« Es war mühsam, die Worte herauszubekommen; ihre Lider waren schwer.
»Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass es ein Trick war, um dich in diese Kutsche zu locken. Es tut mir leid, dass es auf diese Weise geschehen musste... Aber anders wärst du nicht mitgekommen. Schließlich bist du ein Venator und deshalb daran gewöhnt, die Dinge auf deine Art zu tun.« Sie glaubte leisen Spott in seiner Stimme zu hören. »Sebastian...« Sie ließ ihre Stimme so vorwurfsvoll klingen, wie sie konnte.
»Du wirst es bequemer haben, wenn du hier herüberkommst.« Er half ihr, sich neben ihn zu setzen, den Kopf in die Ecke gelehnt und die Knie auf der Bank angezogen, sodass ihre Füße gegen sein Bein drückten.
»Warum?«
»Unglücklicherweise wurdest du für die Tutela zum Problem, und so bat man mich, dich zu entführen.«
»Du... Lügner.... du... Bastard.«
»Was für Ausdrücke! Aber keine Sorge, meine Liebe, es ist nur vorübergehend. Ich verspreche, dass dir nichts geschehen wird. Du bist sicherer außerhalb Roms, bis der zweite November verstrichen ist.«
»Wer ist Beau... re... gard?« Ihre Augen waren geschlossen. Der Schlaf drohte, sie zu übermannen.
Er sagte etwas; vielleicht beantwortete er ihre Frage. Sie dachte, eine Antwort gehört zu haben, doch dann wusste sie nichts mehr.