24. Kapitel

 

Blumas Hände schwebten über dem Artefakt.

Murgon neben ihr atmete schwer.

Katraana hielt sich im Hintergrund und schwieg.

Der Saal war erfüllt von sirrenden Lauten, die von den Felsen echoten, als wehre sich der Holzkasten dagegen, sein Geheimnis preisgeben zu müssen.

»Ich benötige Werkzeug. Einen Hammer, einen Meißel!«

Murgon schluckte, aber er nickte, verschwand und Bluma war alleine mit Katraana. Die Barb sah sich um und tauchte ein in den feurigen Blick der Dunkelelfe. Inzwischen war es Bluma gelungen, ihre Gedanken vollständig zu verschließen, deshalb lächelte sie und sagte: »Dein ... Vater hat ein Leben lang darauf gewartet?«

»So ist es. Wegen dieses Kastens wurde er als junger Elf verstoßen und ging nach Unterwelt. Er tut mir Leid. Du brauchst ihn nicht zu fürchten, kleine Magii. Ich bin an deiner Seite.«

»Wir wissen nicht, was uns erwartet«, sagte Bluma.

Katraana zuckte mit den Achseln und trat einen Schritt näher. Erneut erstaunte Bluma die ungeheure Macht und Aura, die von dieser Elfe ausging.

»Ich mag dich, kleine Barb«, sagte die Elfe. »Du solltest dir überlegen, ob du wirklich ein Dämon werden willst, auch wen du dann eine Weibdämonin bist, also das Gegenstück zum Manndämon. Noch vor wenigen Tagen war mit das Dunkle fremd, nun ist es meine Schwester.«

»Ein typisches Frauengespräch?«, sagte Bluma flapsig.

»Das Dunkle solltest du nur begehren, wenn es dir entspricht.«

»Und dir entspricht es?«

»Ja, denn es ist in meinem Blut!«

»Und in meinem nicht?«

»Was glaubst du?«

»Dann werde ich es akzeptieren.«

»Du wirst nicht mehr dieselbe sein, kleine Barb.«

»Das bin ich sowieso nicht mehr – früher hätte ich nie akzeptiert, dass du mich klein nennst ...«

Murgon eilte herbei, in der Hand einen Hammer und einen Meißel. Er reichte die Werkzeuge an Bluma weiter und wirkte dabei wie ein aufgeregter Junge, der sein erstes großes Geschenk erwartet. Das war der gfürchtete Lord der Unterwelt?

Um Haaresbreite häte Bluma gelacht.

Bluma beugte sich über den Kasten und ordnete die Reliefe und Ausbuchtungen. Es dauerte wie beim ersten mal nicht lange und sie hatte die Lösung gefunden. Sie setzte den Meißel an und löste mit harten Hammerschlägen, welche durch den Saal hallten, die aufgesetzten Verzierungen. Holz brach auseinander. Bluma versuchte, vorsichtig zu sein, um nicht mehr zu beschädigen, als notwendig war.

»Das also ist es ...«, flüsterte Murgon ehrfürchtig. »Die Wächter haben nicht damit gerechnet, dass jemand diese schönen Verzierungen beschädigt.«

»Das ist noch nicht alles«, murmelte Bluma und arbeitete unbeirrt weiter, bis sie alle Holzteile abgeschlagen hatte. Es handelte sich um mehr als zwanzig Einzelteile, die nun in ihrer Handfläche lagen und neben dem Kasten. Splitter, beschädigtes Holz, Trümmer.

Sie legte alle Einzelteile vorsichtig vor den Kasten. Einzelteile, die richtig zusammengesetzt, den Schlüssel bildeten.

»Und jetzt?«, hauchte Murgon.

Nun war es soweit. Noch konnte Bluma einen Rückzieher machen. Noch konnte sie sich mittels der magischen Fäden verabschieden. Vermutlich würde der Dunkelelf auch jetzt nicht auf die Lösung kommen, denn ein erhabenes Teil hatte sie stehen lassen. Jenes, welches das Schlüsselloch verbarg. Dieses würde Murgon niemals ablösen, denn er musste stets befürchten, damit den Zauber zu brechen. Sollte sie ihn damit bestrafen?

Mit morbider Faszination stellte sie sich den Lord von Unterwelt vor, wie er tagelang dieses eine erhabene Holzstück betrachtete und nicht wusste, ob es da sein oder fehlen musste.

Sie legte das Werkzeug vor den Steinsockel und musterte Murgon. In diesem Moment wusste sie, wer von ihnen die größte Macht besaß. Es war stets derjenige, der ein Geheimnis lösen konnte. Das Nichtwissen machte alle anderen zu neugierigen Kindern.

Ihre Gedanken ratterten. Was sollte sie sich wünschen? Was würde man ihr noch alles gewähren? Noch nie hatte Macht einen solchen Reiz auf sie ausgeübt wie in diesem Moment. Sie erinnerte sich an ihr Zähnefletschen und wiederholte es und sie wiederholte den Satz, denn es bereitete ihr Vergnügen. »Wenn du mich reinlegst, töte ich dich!«

Ihre Worte hallten wider.

Ein gutes, ein starkes Geräusch.

»Man kann sich daran berauschen«, stellte Murgon fest und Bluma wusste sofort, was der Dunkelelf meinte.

»Wer benötigt grelles Licht, wenn er auch angenehme Dämmerung haben kann, die nicht in den Augen schmerzt? Wir sind diejenigen, die zu Göttern aufsteigen, denn wir Schaffen. Gegen uns ist alles andere nur Gewürm. Spürst du es, Magii? Spürst du den Sog, der dich auf die richtige Seite holen will? Bei den Göttern, du kannst von Hell zu Dunkel wandeln und besitzt so viel Geist, dass du ein Rätsel zu lösen vermagst, das als unlösbar galt. Nie wieder wirst du auf einer kleinen Insel leben und aufs Meer schauen. Es würde dich in den Wahnsinn treiben.«

Mit bitterer Klarheit erkannte Bluma die Wahrheit hinter diesen Worten. Bisher hatte Murgon recht gehabt. Er hatte ihr versprochen, durch Schmerz geläutert zu werden und das war eingetreten. Und erneut versprach er ihr etwas, dass logisch klang. Am liebsten hätte Bluma das Gespräch zu ihm und Katraana gesucht. Diese Dunkelelfen waren intelligent und kamen aus einer Kultur, die anderen um Tagesreisen voraus war.

Sie waren Denker, Philosophen und Schöngeister.

So, wie Bluma gerne gewesen wäre.

Hatte Murgon recht, wenn er sagte, ihr Platz sei hier – in Unterwelt? Ahnte sie es selbst und hatte deshalb den Wunsch geäußert, ein Dämon zu werden? Hatte sie bei ihrer Flucht einen Teil in Unterwelt zurück gelassen?

Sie würde den Kasten öffnen.

Für einen Rückzieher war es zu spät!

»Das ist der Schlüssel«, sagte sie und wies auf die Holzsplitter. Man muss sie richtig zusammenfügen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, doch ich habe den fertigen Schlüssel schon gesehen, als die Teile noch auf dem Deckel waren. Erinnerst du dich an die Vision?«

»Also hatte ich recht, du warst bei mir ...«

Bluma nickte. »Ja, ich sah das Artefakt und benötigte nur wenige Atemzüge, um das Rätsel zu lösen. Und nun – nun bin ich hier bei dir und zeige es dir freiwillig. Wer hätte das damals gedacht?!«

Murgon lächelte und sein Gesicht wirkte tatsächlich verjüngt und freundlich. So oder ähnlich musste er als junger Feiniel ausgesehen haben.

»Wie lange werde ich benötigen, den Schlüssel zusammen zu bauen?«, fragte Murgon.

»Es wird dir nie gelingen«, sagte Bluma.

Katraana gab ihre Distanz auf und kam zu Bluma. »Warum wird es ihm nie gelingen?«

Bluma nahm Hammer und Meißel auf, beugte sich vor und löste das winzige Holzteil, welches das Schlüsselloch verdeckte. Sie hielt Murgon das Holzstück unter die Nase. »Deshalb!«

 

 

»Lysa!«, schrie Connor und sprang zu ihr hin. Er versuchte, sie aufzufangen, aber sie entglitt im und stürzte auf den einfachen Holzboden. Er beugte sich über sie. »Lysa, meine Lysa – was ist mit dir?« Er starrte zu seinen Freunden hoch und sein Gesicht spiegelte pure Angst.

»Lasst mich durch!«, bahnte sich Agaldir seinen Weg. Er ging in die Hocke und seine Handflächen fuhren über Lysa.

Connor fuhr herum. »Was ist, sag es, alter Mann. Was ist mit ihr?« Seine Augen glühten.

Frethmar war bei ihm und tätschelte ihm beruhigend die Schulter, währenddessen Bama Mari anwies, kaltes Wasser und einen Lappen zu holen.

Mari spurtete los.

»Zu viel Hitze, zu viel Sorge«, sagte der Blinde Magister, der Connors unfreundliche Ansprache ignorierte.

»Seht doch«, rief Connor und sein Gesicht wirkte wie das eines waidwunden Tieres. »Schaut hin! Sie hat die Augen geöffnet, aber sie bewegt sich nicht mehr.«

Mari kam herbei mit kaltem Wasser und einem Lappen.

Bama war da und drückte es Lysa auf die Stirn.

Die Gestürzte atmete regelmäßig und lächelte.

Connor lachte. »Sie ist wach, sie ist wieder wach!« Er hob ihren Oberkörper auf und drückte ihn an sich. »Was ist geschehen, Liebste? Was hat dir so zugesetzt? War ich es? Weil ich dich enttäuscht habe? Es tut mir so Leid. Wie du sagtest – Kerle sind dumm und einfältig. Aber ich will lernen, ich werde lernen. Das verspreche ich dir.« Er schaukelte sie hin und her und er hörte ihre leise Stimme.

»Alles ist gut, mein Lieber ... mach dir keine Sorgen ... alles ist gut ..., aber ich kann mich nicht bewegen. Meine Beine sind ganz taub. Nur reden kann ich noch ...«

»AGALDIR!«, rief Connor. «So tue doch etwas!”

Der Blinde Magister senkte den Kopf. »Ich kann nichts mehr tun, meine Macht ist begrenzt.«

»Was ist mit ihr?«, keuchte Connor.

Bama war den Tränen nahe, so sehr rührte sie Connors Sorge. Der große Mann war über Lysa gebeugt und wiegte sie, streichelte ihre Haare und sein Gesicht zuckte, während sich seine Augen mit Tränen füllten.

»Es ist wie es ist ...«, sagte Agaldir und drehte sich weg.

»WAS BEDEUTET DAS?«, rief Connor.

»Lass es, Liebster«, flüsterte Lysa. »Sei ihm nicht böse. Alles an mir ist taub und ich bin so müde. Es war eine so lange Reise ...«

»Die wir gemeinsam beenden werden. Du und ich«, schluchzte Connor.

»Ja, irgendwann, mein guter Connor von Nordbarken, mein kleiner dummer Junge.«

Und Connor spürte, dass sie ihm über die Haare streicheln wollte, aber ihre Glieder ihr nicht gehorchten.

»Nein!«, stieß er hervor und starrte alle an, einen nach dem anderen. »Nein! Nein! So darf es nicht enden! Nicht so!«

Bama drehte sich weg, sie konnte Connors Leid nicht mehr ertragen, Bob brummte und Frethmar kaute auf seinem Bart.

»Nicht so ...«, heulte Connor. Die Schultern des Hünen zuckten, als er sich vornüber warf, Lysa an sich drückte, ihre Wange, ihre Haare streichelte, sie küsste, als könne er sie damit erwecken und dabei entging ihm, wie sehr sie lächelte und mit schwerer Stimme sagte: »Ich habe dich immer geliebt, du guter Mann.«

Er hörte es nicht, denn er selbst schluchzte denselben Satz.

»Ich liebe dich, liebe dich so sehr – bitte bleibe bei mir. BITTE!«

Und sie lächelte und ihr Lächeln gefror. Jeder wusste, dass sie alles hörte, alles empfand, alles sah und jeder versuchte, unter Tränen ihr ein Lächeln zu schenken.

Connor jaulte wie ein junger Hund, starrte um sich, schaukelte und drückte Lysa und endlich, als er merkte, dass sie nicht mehr reagierte und nicht mehr atmete, ließ er sie sinken, fiel zur Seite, zog die Knie an die Brust, verschränkte die Arme über die Augen und weinte wie ein Kind.

 

 

 

 

 

Im Schatten der Drachen
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