13. Kapitel

 

Balger traute seinen Augen nicht. Er gab einen Befehl und die Gardisten verhielten. Das Pferd unter Balger dampfte. Der Inquister richtete sich hoch auf und versuchte zu begreifen, was dort, auf der Ebene vor sich ging.

Es war Zufall gewesen.

Sie hatten den östlichen Burgweg genommen, um nicht sofort erblickt zu werden, wenn sie den offenen Burgweg hinunter in die Stadt nahmen. Deshalb mussten sie über einen und noch einen Hügel, von dem aus man einen guten Blick auf die Stadt hatte, ohne selbst sofort gesehen zu werden.

Balger war über seine Strategie begeistert gewesen, denn einer der Dämonen hielt sich in der Ebene auf. Dort konnte man ihn einkreisen und töten. Was dann geschah, würde Balger in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Der Dämon veränderte sich, wurde kleiner, veränderte seine Farbe und stieß Hautfetzen ab, die sich sofort auflösten wie Tautropfen in der Sonne.

Was übrig blieb, war ein Mann.

Ein ganz normaler Mann. Das der Mann nackt war, störte Balger nicht, denn ihn faszinierte etwas ganz anderes. Trotz der Entfernung konnte er gut erkennen, um wen es sich handelte.

Darius Darken!

Oh ja, er kannte diesen Mann nur zu gut. Schließlich hatte Balger mehr als einmal gegen den Anwalt gekämpft und leider sehr oft verloren. Eines Tages hatte Darken seine eigene Tochter getötet. Er gestand es und Balger konnte sich seine penible Befragung sparen. Folter war nicht notwendig, denn ein geständiger Täter konnte sofort verurteilt werden. Man verurteilte Darken zum Tode durch den Strang.

Balger klinkte sich aus diesem Fall aus und bearbeitete weitere Angeklagte. Er hatte, nachdem er sich an seinen Jugendfreunden gerächt hatte, nie wieder Vergnügen dabei empfunden, bei Exekutionen anwesend zu sein. Ihn stieß die Jammerei der Delinquenten, deren Furcht und Hilflosigkeit ab. Viele verloren ihre Würde und wurden zu einem zuckenden Bündel Fleisch. Nein, daran hatte er keine Freude.

Also ging er davon aus, dass Darken gehängt worden war.

Und nun spazierte dieser Mann, als sei nichts gewesen, in die Richtung des Hauses, dass er früher bewohnt hatte.

Als sei nichts gewesen!

Bei den Göttern, er war ein schwarzer Koloss gewesen und hatte sich in einen Menschen verwandelt. Man hatte das Knacken der Knochen bis hier oben hin gehört. Die Gardisten starrten Balger an, als könne er ihnen diese wundersame Verwandlung erklären. Es handelte sich um zwei Dutzend Männer, die alles tun würden, um ihrem zukünftigen König zu gefallen. Doch dieser Dämon war kein Dämon mehr, sondern ein unbekleideter Mann, den man unmöglich einfach so töten konnte, oder?

Balger erkannte die Hilflosigkeit seiner Männer.

Und er sah, dass sich die Tür des Hauses öffnete und eine blonde Frau nach draußen trat.

»Na, das wird ja ein schönes Wiedersehen werden ...«, murmelte der Inquister vor sich hin und grinste. Er hatte einen Plan.

Zweifellos war dies nicht das erstemal, dass Darken sich in einen Giganten der Düsternis verwandelte, denn der Mann wirkte seltsam ruhig, als habe er das schon einige Male erlebt. Dies bedeutete: Er würde sich erneut verwandeln, vermutlich dann, wenn er es wollte.

»Du wirst an meiner Seite sein, Darken«, murmelte Balger. Darken würde Balger jene Sicherheit geben, die Magus Claudel geplant hatte, bevor er starb. Mit einem Dämon an seiner Seite würde Balger als König unbesiegbar sein. Im Gegenteil, er würde sich sehr genau überlegen, ob es mit Hilfe des Dämons nicht sinnvoll war, Inseln wie Fuure oder die Nordlande zu annektieren.

Hätten wir ihn besiegt?, fragte sich Balger. Vermutlich nicht. Einen solchen Giganten hatte er nicht erwartet und war im Nachhinein froh, dass es keine Auseinandersetzung gegeben hatte. Die Gardisten schienen dies ähnlich zu sehen, denn ihre Gesichter zeichnete Erleichterung.

»Männer, wir sollten uns um den anderen Dämon kümmern. Vor dem dort haben wir derzeit nichts zu befürchten!«

Einer der Gardisten, ein hagerer Mann mit kantigem Gesicht, fragte: »Wäre dies nicht die ideale Gelegenheit, um den Dämon zu fangen? In Menschengestalt wird er uns nichts entgegen zu setzen haben.«

»Das werden wir – später! Und nun befolgt meine Befehle!«

Balger dachte nicht daran, Darken mit den Gardisten festzusetzen. Nein, da gab es andere Möglichkeiten. Nichts würde die Dandorier mehr überraschen als ein urplötzliches Auftauchen der Kreatur. Schwarz und dampfend an der Seite von König Loouis Balger.

 

 

Dogdan flüchtete. Das war für ein völlig neues Gefühl. Aber er wusste, dass er den Gegnern unterlegen war. Sie verfügten über gute Waffen und sie hatten einen Begleiter, mit dem Dogdan schon einmal gekämpft hatte. Der Schwarze!

Es rumorte in ihm, als er sich daran erinnerte, wie der Schwarze ihn an den Armen genommen hatte, diese verknotete und Dogdan über den Kopf schleuderte, weit hinaus ins Meer. Mit dem Schwarzen war nicht zu spaßen. Dogdan war von sich überzeugt, doch er wusste, wann es besser war, einem Kampf aus dem Wege zu gehen.

Er staunte, dass es in der Stadt so ruhig war. Er schwang sich von einem Dachfirst und unter seinen Füßen brach Kopfstein aus der Gasse. Wie sollte er lernen, wenn es keine Lehrer gab? Warum fürchteten sich alle vor ihm? Warum fragte ihn niemand nach seinen Plänen?

Kaum war er an Land gegangen, hatte man mit Waffen auf ihn eingeschlagen und geschossen. Er hatte nicht vor, jemandem ein Leid zu tun. Nicht mehr.

Andererseits hatte sich in ihm dunkler Zorn geregt, als er die Beute erkannte. Nun hatte er die Möglichkeit, seinen Auftrag zu erfüllen, dennoch fragte er sich, wie er die Beiden zurück nach Unterwelt bringen sollte, um seinen Vater zufrieden zu stellen?

Von welcher Seite er es betrachtete – sein Auftrag war sinnlos geworden und konnte dazu führen, dass ihm, dem Unseligen, etwas zustieß. Doch wie sollte er dann lernen?

Er wusste, dass ihm entweder diese Stadt blieb – wobei er nicht wusste, was eine Stadt war – oder etwas anderes, das er noch nicht erkundet hatte. Es wurde Zeit, dies zu tun.

Das erstemal in seinem noch nicht lange währenden Leben verspürte der Golem etwas, dass sich mit Heiterkeit übersetzen ließ. Heiterkeit und Hoffnung. Er wollte leben! Er wollte noch lange leben und Worte lernen, damit er sich verständigen konnte. Es musste doch möglich sein, dass man ihn begriff, oder? Worte waren dafür da, sich auszutauschen und er fragte sich, warum sein Vater ihm nicht mehr davon beigebracht hatte? Hatte Murgon nicht gewollt, dass sein Sohn sich mit anderen Wesen verständigte? War er nur zu einem einzigen Zweck geschaffen worden – um zu töten?

Worin unterschied er sich von den anderen Zweibeinern, die hier lebten?

Er war größer und lauter. Er mochte etwas anders aussehen, aber in seinem Schädel waren dieselben Dinge wie in den Schädeln der Zweibeiner. Hunger, Trauer, Müdigkeit und andere Dinge, die er noch nicht erkannt hatte.

Er schnaufte und blickte an sich herab.

Er hatte gegen den Kämpfer einen Arm eingebüßt, doch die Wunde hatte sich schnell geschlossen. Man hatte ihn mit Feuer traktiert, doch auch diese Wunden verheilten schneller als die Verbrennungen, die ihm die Drachen zugefügt hatten. Der kleinere der Kämpfer hatte Dogdan eine Axt in den Rücken geschmettert und für einen Augenblick hatte der Unselige gedacht, er reiße in der Mitte auseinander, doch Murgon hatte ihn gut gemacht, stark und wiederstandsfähig.

Dogdan erkannte, dass zwei Seelen in seiner Brust schlugen. Er wollte nicht mehr kämpfen und er wollte es doch. Der Wiederstreit zerrte an ihm. Einerseits die Lust, auf der Stelle umzudrehen und sich den Feinden zu stellen, andererseits die Hoffnung, etwas von dem zu lernen, was diese Zweibeiner hier leben ließ.

Erneut griff er diesen Gedanken. Er wollte leben!

Er war bereit, dafür Opfer zu bringen. Falls er tatsächlich nur geschaffen worden war, um zu jagen und zu töten, würde er das ändern. In seinem noch unfertigen Verstand bildete sich die Möglichkeit der Auswahl. Das gefiel ihm. Wenn es eine Seite gab, existierte auch noch eine andere Seite. Er erkannte, dass er die Wahl hatte, jede Seite zu nehmen, die er wählen wollte.

Das war herrlich!

Das ermunterte ihn.

Machte ihn – fröhlich!

»Grooaar! Fein! Gut!«, sagte er und das erstemal in seinem Leben lachte er. Ein tiefes Grummeln, welches sich aus seinem Körper quälte, als würde er etwas völlig Neues gebären. »Grooaaar!«

Er fühlte sich beschwingt und leicht. Ein so gutes Gefühl, dass es sogar über den Verlust des Armes hinweg tröstete. Er hatte noch andere Arme, genauso wie er viele Augen und Ohren hatte. Gute Ohren, mit denen er hörte, was andere nicht hörten. Er blickte auf und sah ein hohes vierbeiniges Tier am Ende der Straße. Auf diesem Tier saß ein Mann. Vor ihm standen viele andere Männer, die bewaffnet waren.

Krieger!

Kämpfer!

Also begriffen sie nicht, dass er, Dogdan, niemandem etwas Böses wollte? Oder empfingen sie ihn? Wollten sie, dass er bei ihnen lernte?

Hinter ihm schepperte Metall. Er drehte sich um. Auch dort standen Männer in glänzender Kleidung. Sie waren ebenfalls bewaffnet. Und Dogdan begriff, dass sie ihn nicht freundlich empfingen, sondern im Leid antun wollten. Sie ließen ihm nicht genug Zeit, um zu lernen.

»Guuuut!«, röhrte er und merkte, dass dieses eine Wort nicht ausreichte, um die Zweibeiner zufrieden zu stellen. Er grübelte nach neuen Worten. Er hatte viele aufgeschnappt, wenn sein Vater gesprochen hatte. Er wusste, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gab, etwas zu artikulieren. Und ihm fiel ein neues Wort ein.

»Dogdan!«, brüllte er. »Dogdan guuuuut!«

Er sah, dass die Zweibeiner stutzten und der auf dem Vierbeiner anfing zu lachen. Da Dogdan nun wusste, was Lachen war, stimmte er ein. Sein grausiges Maul öffnete sich und ein kreischender Laut hallte durch die Stadt. Der Vierbeiner tanzte auf der Stelle und die Kämpfer hoben ihre Waffen.

 

 

Im Schatten der Drachen
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