9. Kapitel
Der Kerker, in den man Frethmar und Connor steckte, war schmutzig, muffig und stank nach Ausscheidungen. Auf dem Boden lag feuchtes, moderndes Stroh, sonst gab es keine Schlafgelegenheit. Weit über ihnen gab es ein kleines Fensterloch, durch den sich mattes Licht zwängte. Die Wände waren feucht und schimmelig, unzählige Gefangene hatten ihre Zeit dort eingeritzt oder zotige Sprüche.
»Hätte man mir, als ich dich auf Fuure kennenlernte, gesagt, dass wir eines Tages gemeinsam in einem Kerker schmoren werden, hätte ich gelacht«, sagte Frethmar. »Die Mistkerle haben mir meine Axt abgenommen.«
»Und mir mein Schwert!« Connor blickte zornig.
»In dieser Stadt muss in der letzten Zeit eine Menge schief gelaufen sein. Du hast gehört, was der arme Wirt sagte. Der König ist weg, sein Weib wurde von Dämonen getötet, es gab einen Anschlag auf den König und andere Leute, wie ein General und ein Inquister, was immer das sei, ist wahnsinnig geworden. Kein Wunder, dass sich irgendwelche Leute anmaßen, nun ihre Muskeln spielen zu lassen«, sagte Frethmar. Er hockte auf einer halbwegs trockenen Stelle im Stroh und blickte zu Connor hoch, der erregt wie ein Raubtier hin und her lief. Vier Schritte hin, vier Schritte zurück, kleine Schritte in Ketten.
»Wir müssen hier raus.«
»Das Loch da oben ist zu hoch und zu klein.«
»Dann lassen wir uns etwas einfallen.«
»Bob und Darius werden uns nicht im Stich lassen. Vermutlich ist die kleine Bluma schon dabei, einen genialen Plan für unsere Befreiung auszuhecken.«
Connor blieb vor Frethmar stehen und grinste. »Verdammt, Fret – manchmal könnte ich dich für deine positive große Klappe knutschen!«
»Da seien die Götter vor«, grinste der Zwerg zurück.
»Ich frage mich, warum du aus Trugstedt abgehauen bist. Einen wie dich muss man doch gemocht haben.«
»Hat man nicht.«
»Wieso?«
Frethmar zog die Augenbrauen zusammen und strich sich durch den Bart. »Eben wegen meiner großen Klappe. Ich glaube, man hat viel über mich gelacht – hinter meinem Rücken. Ich war ein Aufschneider und sensibel konnte man mich auch nicht nennen. Und ich habe eine Menge Fehler begangen.«
Connor nickte und setzte sich im Schneidersitz dem Zwerg gegenüber. »Stimmt schon – so lernte ich dich kennen. Ziemlich unverschämt und eigensinnig. Mir kommt es vor, als sei das vor Jahren gewesen.«
»Wir haben viel miteinander erlebt, mein Freund«, sagte Frethmar. »Zu viel für diese kurze Zeit.«
»Du hast mir vorhin ein weiteres Mal das Leben gerettet.«
»Das scheint unser Schicksal zu sein, nicht wahr? Wir retten uns gegenseitig das Leben.«
»Tue das nicht einfach so ab«, sagte Connor streng. »Das bedeutet, dass du nicht nur auf dich achtest, sondern auch auf andere. Das ist etwas sehr Wertvolles und zeigt, dass man dir in deiner Stadt Unrecht tat.«
»Das würde ich nicht sagen. Wir alle haben Schmerzen erlebt, Lebensgefahr und solche Dinge. Das verändert einen. Dadurch wird man demütig. Dankbar. Ich begrüße seitdem jeden neuen Tag mit Freude. Als hätte ich eine schwere Krankheit überstanden. Hurra, ich lebe noch. Wenn ich irgendwann auf meine Insel zurückkehre, werde ich eine Ode auf den Schmerz schreiben und darüber, dass er einen verändert.«
»Eine weise Ansicht, Fret.«
»Obwohl du meine Oden nicht magst.«
Connor lachte. »Ich habe mich an sie gewöhnt. Außerdem wirst du immer besser.«
»Weißt du …« Frethmar beugte sich etwas vor. »Deine Geschichte hat mich tief berührt. Ich habe mir immer einen Vater gewünscht und du hattest einen. Letztendlich war er dein Verderben. Seitdem frage ich mich, ob ich mit einem Vater tatsächlich glücklicher dran gewesen wäre, oder ob das nur sentimentale Wünsche waren.«
»Es ist das, was man nicht hat. Das vermisst man«, gab Connor zurück.
»Mein Vater machte sich nach meiner Geburt aus dem Staub. Meine Mutter starb und ich wuchs bei einer Tante auf. Sie war unkompliziert und ließ mich tun, was ich wollte. Ein Vater hätte mir vorgeschrieben, was ich zu tun hätte. Wäre das besser gewesen? Hätte ich auch irgendwann – auf andere Art wie du, aber dennoch – gegen ihn gekämpft?«
»Kämpfen nicht alle Söhne gegen ihre Väter?«, fragte Connor. »Ich glaube, das ist vollkommen normal.«
»Siehst du, diesen Kampf habe ich mir erspart. Was bleibt, ist die romantische Idee eines Zwergenmannes, der mich erzogen hätte. Ohne Kampf. Ohne Streit.«
»Wir sind unsere Väter«, sagte Connor. »Und in dem Maße, in dem wir uns nicht mögen, verachten wir die Kerle, die uns zeigen wollen, wie es in der Welt läuft. Ich kannte Männer, die beim Tod ihres Vater Rotz und Wasser heulten, weil sie versäumt hatten, sich mit ihm auszusprechen, Dinge zu klären. Sie litten darunter und leiden noch heute. Sei froh, dass dir das erspart blieb.«
»Ich hätte gerne Rotz und Wasser geheult.«
»Nein, hättest du nicht, Fret. Es ist nicht spaßig, wenn dein Erzeuger stirbt und zwischen euch vieles Ungesagtes steht. Es wird dich dein Leben lang verfolgen wie ein Fluch.«
Frethmar zog eine Schnute. »Vielleicht hast du Recht, Barbar. Ich hatte diesen Zwergentraum, und dachte, es wäre schön, einen Vater zu haben. Daran glaube ich auch jetzt noch.«
»Ich habe Väter erlebt, die ihren Sohn, um ihn zu disziplinieren, viele Meilen auf den Knien haben rutschen lassen, bis den Ärmsten das Fleisch von den Knochen fiel. Sie haben den Sohn erniedrigt, nur weil er sich anmaßte, in einer Männergesellschaft vorlaut zu sein. Sie waren der Ansicht, dass ein Mann zu schweigen hat, bis er ein gewisses Alter erreicht hat. Andererseits jedoch schickten sie ihn in den Kampf und sahen begeistert zu, wie er tötete. Schlachten und Wüten durfte er, aber er hatte zu schweigen.«
»Das ist krank«, murmelte Frethmar.
»Nein, das ist Barbarenleben. Wir sind ein hartes Volk, denn wir überleben in der Kälte. Wir schlafen in Zelten und nehmen uns, was wir wollen. Disziplin ist der Grundstock für alles. Anders kann ein Clan nicht funktionieren.«
Sie schwiegen eine kleine Weile.
»Was sollen wir tun? Was hat man mit uns vor?« fragte Frethmar. »Scheiße, ich will hier raus. Die lassen uns über die Klinge springen.«
»He, Fret. Wo ist dein Optimismus?«
»Ich erinnere mich an meine Jugend. Und daran, wie vielen Zwergen ich wehgetan habe. Und wie sehr man mir weh getan hat. Eure Halbwüchsigen kriechen auf den Knien, uns schickt man in die Halle der Ahnen. Fleischwunden verheilen, doch die Konfrontation mit dem Dunklen kann dich dein Leben lang begleiten. Irgendwann sind eure Jungs selbst erwachsen und werden dasselbe mit ihren Söhnen machen. Ich allerdings würde niemals jemanden in die Ahnenhalle schicken.«
»Willst du darüber reden?«
»Na klar, Barbar. Meinst du, sonst hätte ich davon angefangen?«
»Wohl nicht«, gab Connor zurück und reckte sich. »Das wird uns die Zeit vertreiben. Aber bitte nicht in Versform.«
»Ich denke, ich bin besser geworden?«
Connor brummte. »Alles zu seiner Zeit.«
Und Frethmar erzählte.
Frethmar hatte die Halle der Ahnen überstanden. Ausgehungert vertilgte er drei Spronks und fühlte sich wie ein Held. Ha, er hatte es Ortosch, Chator und Ortax gezeigt. Sie hatten ihn nicht brechen können.
Er kriegte sich nicht ein, wenn er sich an die verdutzten Gesichter der Ältesten erinnerte. Er hatte sie schockiert. Gleichzeit war Frethmar zornig, sehr zornig. Sie hatten versucht, ihn zu missbrauchen. Er hätte sterben können. Ihm war nicht klar, welche Idee dahinter stand. Wollten sie ihn testen? Seine Stärke ermitteln?
Es war ihm egal.
Er hatte überlebt und fühlte sich unendlich stark.
Ab sofort würde man von ihm hören. Er war Frethmar Stonebrock und er war ein tapferer Zwerg. Er würde irgendwann Abenteuer erleben und Oden schreiben. Das war seine Vision. Er hatte eine schwache Vorahnung davon, dass dies irgendwann eintreten würde.
Er hatte seine Kampfkraft bewiesen, hatte sich gegen Geister und Dämonen durchgesetzt. Was, fragte er sich, sollte ihn jetzt noch ängstigen?
Er blinzelte zwei Zwerginnen zu, die mit hüpfenden Brüsten an ihm vorbei gingen. Sah man ihm an, was er durchgestanden hatte? Offensichtlich nicht, denn sie kicherten und nahmen sonst keine Kenntnis von ihm. Am liebsten wäre er ihnen hinterher gelaufen, um von seinen Erlebnissen zu berichten. Dann würden sie ihn wertschätzen.
Nein, sie würden ihn für einen Aufschneider halten!
Andererseits musste sein Abenteuer Thema in Trughstdt gewesen sein. Jeder in der Stadt wusste, dass Frethmar in die Halle der Ahnen gesteckt worden war. Vermutlich waren sogar Wetten abgeschlossen worden.
Schneller als gedacht, erhielt Frethmar eine Antwort.
Einen heftigen Schlag gegen den Hinterkopf.
Er wirbelte herum. Hinter ihm stand Litr, neben ihm sein Kumpel Minnr. Die beiden waren unzertrennlich.
»He Fret«, kicherte Litr, der einen Kopf größer war als Frethmar. »Man hört, du hast die Ahnenhalle gut überstanden?«
In Frethmars Schädel klingelte es noch, doch er beschloss vorerst nicht auf die Provokation einzugehen. »Es war eine geruhsame Woche«, sagte er kühl.
Minnr verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Und was geschah wirklich? Man hört schreckliche Dinge über die Halle. Geschichten von Zwergen, die wahnsinnig geworden sind oder gestorben sind. Es geht die Kunde von Geistern und Dämonen.«
Frethmar zuckte mit den Achseln. »Na und? Ich habe sie besiegt. Was ist schon bedeutend daran?«
»Also ist das alles ein Bluff?«, wollte Litr wissen.
»Na klar! Nichts, was ein Zwerg nicht übersteht«, log Frethmar.
Die Beiden lachten. »Gut, dass das mal einer sagt. Da legen uns die Ältesten ganz schön rein, nicht wahr?«
»Yepp«, sagte Frethmar, der innerlich kochte. Er hatte einen kapitalen Fehler gemacht. Seine große Klappe relativierte seine Heldentat. Niemand würde ihm glauben, erzählte er, was tatsächlich geschehen war. Er hatte soeben dafür gesorgt, dass der Ruhm, den er für sich zu Recht beanspruchen konnte, verpuffte. Er hätte sich in die Arschbacke beißen können, doch nun war es zu spät. Litr und Minnr waren Stammgäste im Goldenen Brocken und Walberan, der Wirt, würde dafür sorgen, dass diese Geschichte die Runde machte.
Ein Bluff!
Etwas, dass man Kindern erzählte, um sie zu disziplinieren! Nicht mehr als ein Märchen!
Bei den Göttern! Warum hatte er nicht die Wahrheit erzählt? Wie sehr er gelitten hatte. Wie grausam es gewesen war?
Litr und Minnr sahen ihn an und schüttelten den Kopf. Für einen Moment fühlte Frethmar sich durchschaut, doch dann sagte Litr: »Gorrik wollte es schon immer versuchen. Jetzt wird er keine Angst mehr haben. Wenn wir ihm das erzählen, wird er mit einem Lied auf den Lippen eine Woche Urlaub von der harten Arbeit nehmen.«
Frethmar fuhr auf. »Er sollte es sich überlegen. Gewissermaßen – also – nun, es ist nicht so einfach!«
»Lass die Angeberei«, winkte Litr ab. »Wir kennen dich. Unser Poet macht aus jeder Kleinigkeit eine große Ode. Du hast uns die Wahrheit gesagt, und nun fange nicht an, dir Lügen auszudenken.«
»Es könnte sehr blutig werden«, murmelte Frethmar.
Litr schlug ihm auf die Schulter. »Bist ein Großmaul, mein Lieber. Bleibe doch endlich mal bei der Wahrheit. Du musst deine Erlebnisse jetzt nicht aufbauschen.«
»Will ich auch gar nicht«, krächzte Frethmar, der kaum noch Luft bekam. »Ich meine nur …«
»Ist schon klar«, lachte Litr. »Und danke für die Information. Das rechnen wir dir hoch an. Jeder andere hätte wer weiß was erzählt. He, Fret – so kennen wir dich gar nicht.«
»Das war – das ist – also, ich …« stotterte Frethmar, doch die beiden Unzertrennlichen stapften davon, gestikulierend und amüsiert.
Zwei Wochen später provozierte Gorrik, ein junger Haudegen, mehrere Kneipenschlägereien. Frethmar ahnte, was dahinter steckte. Es handelte sich sozusagen um eine Mutprobe. Was Stonebrock geschafft hatte, würde auch Gorrik, Sohn von Krorr Stahlfaust, Sohn von Grambor Eisenstein schaffen. Es wurden Wetten abgeschlossen und Gorrik nahm hocherhobenen Hauptes die Strafe an.
Er betrat die Hallen der Ahnen mit siegessicherem Grinsen, denn er wusste, dass ihm nichts geschehen konnte. Frethmar stellten sich die Haare auf, doch so sehr er auch intervenierte, niemand hörte auf ihn. Niemand wollte seine Aufschneidereien hören. Schließlich hatte er in einem schwachen, aber wahrhaftigen Moment die Wahrheit gesagt.
Auch Gorrik wollte den Ältesten mit einem Grinsen im Gesicht entgegen treten, sie Lügen strafen. Keiner der jungen Zwerge hatte Lust, sich weiterhin von den Alten beherrschen zu lassen. Sie würden ihren eigenen Weg gehen. Sie waren die Generation der Zukunft und es hieß, den dunklen Drohungen ihrer Eltern oder der Ältesten, die jede kleine Verfehlung rigoros ahndeten und von Disziplin sprachen, Paroli zu bieten, sie unglaubhaft zu machen. Es waren Alte – und sie waren jung! Ihnen gehörte die Welt.
Die nächste Woche war für Frethmar die Hölle.
Er strich um die Felsen, die den Eingang zur Halle markierten und lauschte, als vermute er, etwas zu vernehmen.
Litr, Minnr und viele andere belächelten Frethmar.
»Er will sich wichtig tun«, sagten sie. »So war er schon immer. Er hat nur einen kurzen Namen, das will er ausgleichen. Er hält sich für einen Poeten und genaugenommen ist er ein Spinner. Er sollte, anstatt Kunsthandwerke zu lernen, in den Gruben arbeiten. Sollte Gold und Silber fördern, sollte endlich Dreck schmecken. Das, was er Visionen nennt, sind Ideen, die das Gemeinschaftsgefüge durcheinander bringen.«
Die jungen hübschen Zwerginnen verlachten ihn.
»Er hätte ein Held sein können, stattdessen hat er uns die Wahrheit gesagt. Die Ahnenhalle ist ein Witz. Nun ja, man muss ihm seine Ehrlichkeit hoch anrechnen.«
Frethmar fragte sich, ob nicht jeder lieber belogen wurde? Wollte jedermann nur hören, was er hören wollte? Ja, so war es!
Es wäre ein leichtes gewesen, die Wahrheit zu erzählen. Man hätte ihm hofiert, ihn gefeiert – doch das hatte er versäumt. Nun war es zu spät!
Frethmar lernte, dass Fragen die Mutter der Lügen sein konnten und dass eine Lüge eine neue nach sich zog. Er dachte an das rote Buch, welche plötzlich verschunden war und an das, was er erlebt hatte. Musste das auch Gorrik geschehen? Oder schauten sich die Geister ihre Probanten genau an und entschieden dann, was sie taten?
Nach vier Tagen hatte er sich soweit beruhigt, dass er im Goldenen Brocken einige Humpen stemmen konnte. Er war betrunken und berichtete einem aufmerksamen Publikum die Wahrheit. Sprach über die Geister und die Dämonen, denen er sich gestellt hatte und über das rote Buch. Walderan legte ihm seine Pranke auf die Schulter und sagte: »Geh nach Hause, Kleiner. Mach dich nicht lächerlich.«
Frethmars wenige Sätze hatten sich verselbstständigt.
Er konnte tun, was er wollte – niemand glaubte ihm.
Als die Woche vorüber war, fand man Gorrik in der Ahnenhalle.
Er sabberte und weinte.
Er hatte den Verstand verloren.
»Warum hast du uns nicht die Wahrheit gesagt?«, brüllten Noribur und Kili. Auch andere waren dabei.
»Ich habe es euch zu erklären versucht!«, wehrte sich Frethmar.
»Nein, das hast du nicht!«, tobte Litr, der ausnahmsweise alleine war. »Du hast uns was vorgemacht. Wegen dir ist Gorriks Geist verwirrt. Du wusstest, was dort geschehen würde und hast es zugelassen.«
»Aber ich habe versucht ...«, stotterte Frethmar.
»Nichts hast du versucht!«, wetterte Litr, spuckte aus und drehte sich weg. Alle drehten sich weg und Frethmar kam sich unverstanden und einsam vor. Er schmetterte den halb geleerten Humpen auf den Tresen und stapfte hinaus. Er strich durch die Stadt, doch durch seine Tränen konnte er kaum etwas erkennen. Er zog Rotze hoch und wischte sich unauffällig über die Augen.
Erneut hatte er einen Fehler begangen. Erneut hatte er sich ins Abseits katapultiert.
Es dauerte viele Wochen, bis sich die Stimmung gegen ihn beruhigte.
Ortax und Chator suchten ihn auf.
Frethmar schluckte den Rest seiner Mahlzeit hinunter und musterte die Zwerge, die in das Haus seiner Tante gekommen waren. Wut stieg in ihm auf. Denen hatte das ganze Unglück zu verdanken. Sie hatten ihn missbraucht. Was, wenn auch er den Verstand verloren hätte?
»Wir müssen dich sprechen, Frethmar«, sagte Ortax.
»Dachte ich mir«, grummelte Frethmar missmutig.
Chator setzte sich unaufgefordert auf einen Schemel und streckte die Beine aus. »Du bist ein mutiger Zwerg, Frethmar Stonebrock. Das wissen wir nun.«
»Da seid ihr die Einzigen ... Ansonsten hält mich jeder in der Stadt für einen Lügner.«
Chator grinste breit. »Das hast du dir selbst zuzuschreiben, junger Frethmar. Wir haben lange überlegt, ob wir dich rehabilitieren sollen, doch wir glauben, dass dies ein Fehler gewesen wäre.«
»Warum?« Frethmars Kopf schnellte hoch.
»Wie willst du lernen ohne Lehre?«, sagte Ortax und zog sich auch einen Schemel heran.
»Was wollt ihr von mir?« Frethmar war sich im Klaren darüber, dass er es am nötigen Respekt vermissen ließ. Es war ihm egal und die Ältesten schienen es nicht zu fordern.
»Ich will es kurz machen«, setzte Ortax an. »Es gibt Gerüchte, in der Mitte des Berges befinde sich Gold, sehr viel Gold. Ein unermesslicher Schatz.«
Frethmar spuckte ein Knöchelchen aus. »Solche Gerüchte gibt es immer wieder.«
»Diesmal scheint etwas daran zu sein«, fügte Ortax hinzu. »Unser Seher ist davon überzeugt. Außerdem kamen Arbeitsmannschaften zurück, die von einer zitternden Schwingung berichteten, die sie vernommen hatten.«
Die zitternde Schwingung bedeutete, dass der feine Zwergeninstinkt anschlug, wenn Gold in der Nähe war, entweder ein Schatz oder eine Ader. Die Grubenzwerge leisteten durch ihre Fähigkeit wichtige Arbeit für die Insel. Sie wurden sehr gut bezahlt und erhielten einen Anteil am Gewinn. Sie wurden von klein auf beobachtet und ihren Fähigkeiten gemäß eingesetzt.
»Dann sollen die Fachleute den Schatz suchen«, sagte Frethmar und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Was habe ich damit zu tun?«
»Zwei der Grubenmannschaft sind ins Schüttelfieber gefallen. Sie nahmen mehr auf als die zitternde Schwingung. Sie wurden von einem Gefühl überfallen, mit dem sie nicht umgehen konnten. Beide berichten von einer schwarzen Schwingung, etwas, das den Schatz überdeckt, vermutlich beschützt.«
Frethmar konzentrierte sich. Er verschränkte die Arme vor seinem Bart und wartete. Irgendwie ahnte er, was auf ihn zu kam.
»Wir wollen«, sagte Ortax, »dass du den Schatz suchst. Du bist erfahren im Kampf gegen Dämonen. Wir wissen, was du in der Höhle der Ahnen durchgemacht haben musst, auch wenn du uns weismachen willst, es wäre nichts geschehen. Du bist gesund aus der Höhle zurück gekehrt, und – um ehrlich zu sein – wir haben auch nichts anderes von dir erwartet. Deine Kampfeskünste sind uns schon seit geraumer Zeit aufgefallen und deine zwar sprunghafte und jugendliche, dennoch überragende Intelligenz kommt dazu.«
Frethmar schüttelte langsam den Kopf. »Also ... also war das eigentlich nur ein ... ein Test? Ihr wolltet wissen, was ich vermag, um mich ... um mich ...« Ihm fehlten die Worte. Bei den Göttern, er war nicht mehr als ein Werkzeug, er wurde manipuliert. »Es hätte, verdammt noch mal, auch schief gehen können. So wie bei Gorrik!«
Chator winkte ab. »In ein paar Tagen hat er sich erholt und kann auf eine große Erfahrung zurückblicken, die ihn reifer und besser macht.«
»Oder ihm für den Rest seines Lebens Alpträume bringt«, zischte Frethmar. Er hatte das Gefühl, seine Barthaare sträubten sich.
»Deine Sorge um Gorrik ist unbegründet«, erklärte Chator.
Frethmar starrte die beiden Zwerge an. In seinem Hirn arbeitete es. »Was habe ich davon?«, schnellte die Frage heraus.
Chator und Ortax blickten sich kurz an. Chator antwortete: »Du wirst der Held sein, der du gerne sein möchtest und finanziell bis an das Ende deiner Tage ausgesorgt haben. Zwerginnen werden sich um dich reißen, du wirst leben können wir ein kleiner König und deine Söhne werden deine Oden singen.«
Frethmar kniff die Augen zusammen. Sie sprachen fast wörtlich das aus, was er sich wünschte.
»Oder schätzen wir dich falsch ein?«, säuselte Chator und lächelte milde.
Frethmar versuchte, Ruhe zu bewahren. »Also begebe ich mich in Lebensgefahr, um der Stadt einen Schatz zu schenken und mir das ewige Glück?«
Die Ältesten schwiegen.
»Wir haben schon mehr Gold als wir benötigen. Die Schatzkammer ist prall gefüllt. Das weiß hier jedes Kind. Warum noch mehr Gold anhäufen?«, sagte Frethmar seelenruhig.
»Weil Zwerge so sind«, gab Chator knapp zurück.
Dem gab es nichts entgegen zu setzen, erkannte Frethmar. Wo es Gold gab, wurde es gefördert. So war es und so würde es immer sein. Für Frethmar bot sich hier die Möglichkeit, zu zeigen, was in ihm steckte. Ein Auftrag, den er – und das erkannte er mit bitterer Eitelkeit – nicht ablehnen würde, nicht konnte.
Connor grinste. »Und dann ist unser Held losgezogen und hat der Stadt gezeigt, was eine Harke ist?«
Im selben Moment wurde die Kerkertür aufgerissen und drei stämmige Männer bauten sich auf. »Störmer will euch sehen!« grollte einer von ihnen.
»Dann soll er zu uns kommen«, schnappte Connor, der aufgesprungen war und sich in Position stellte.
Frethmar stellte sich neben ihn.
Die Männer traten zur Seite und der Halbling trat ins Dämmerlicht. »Bin schon da,« sagte er. Sein helles glattes Gesicht zeigte Belustigung. »Ich dachte mir, dass ihr so reagiert und wollte vorerst eine Schlägerei mit meinen Männern vermeiden.«
Connor schnaufte.
Der Halbling trat ein, hielt aber geflissentlich Abstand zu den Gefangenen. »Warum seid ihr in der Stadt?«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht!«, sagte Connor.
»Oh doch, blonder Mann. Das geht uns etwas an. Wir achten darauf, dass Dandoria eine friedvolle Stadt bleibt. Davon kann man jedoch nicht reden, wenn ihr in der erstbesten Schenke einem Gardisten das Bein abschlagt und euch mit Pfeilen wehrt. Nun ... wir haben die Anderen laufen lassen. Ich denke, Solidarität sollte nicht bestraft werden. Ihr hingegen habt euch offen gegen uns aufgelehnt ...«
»Ihr habt Groppel getötet!«, grollte Frethmar. »Er wollte nichts anderes, als seine Gäste zufrieden stellen. Sein armes Weib hat keiner Seele etwas getan, aber deine Leute haben sie provoziert.«
Der Halbling lachte. »Groppel war ein Narr!« Dieser Satz klang hart wie Stahl und schien die Temperatur sinken zu lassen. »Also, und diese Frage stelle ich kein drittes Mal. Antwortet, oder meine Männer werden euch zeigen, was Schmerz ist. Warum seid ihr in Dandoria?«
Weder Connor noch Frethmar hatten Lust, die Wahrheit zu sagen. Es wäre einem Frevel gleichgekommen, diese hageren zahnlückigen Halbling in ihre Pläne einzuweihen.
»Wir suchen einen Schneider, jemanden, der Leder verarbeiten kann«, sagte Connor. Das es sich um Drachenleder handelte, verschwieg er.
»So ist es«, fügte Frethmar hinzu. »Einen Schneider.«
Störmer legte den hässlichen Schädel schief und blinzelte. »Das wollt ihr mir weis machen? Eine Gruppe, wie sie unterschiedlicher nicht sein kann, kommt nach Dandoria, um einen ... einen Schneider zu finden?«
Frethmar grinste. »Du hast einen taktischen Fehler begangen. Du hättest unsere Freunde ebenfalls festnehmen sollen. Vielleicht hätten sie dir erzählt, was du hören willst.«
»Ich könnte euch Probleme bereiten«, antwortete Störmer. »Ihr seid angekettet und habt wenig Möglichkeiten, euch zu wehren. Die Beinketten reichen bestenfalls für drei Schritte. Eure Armfesseln sind nicht länger als eine Elle. Meine Männer warten nur auf meinen Befehl. Sie würden sich gerne für die Verletzung, die ihr Kamerad davon getragen hat, revanchieren.«
Connor und Frethmar schwiegen.
»Also, was wollt ihr in der Stadt?«, fragte Störmer.
Frethmar lachte auf. »Doch ein drittes Mal gefragt.«
Connor blitzte ihn kurz an und der Zwerg verzog das Gesicht.
Störmer trat zur Seite und gab seinen Männern ein Zeichen. Es handelte sich um Kerle, die sogar Connor überragten und nur aus Muskeln zu bestehen schienen. Sie stanken nach ranzigem Fett. Ihre Hände waren mit Metall gespickt. Handelte es sich um Ringe oder um eine Ringkonstruktion, die man in der Faust führte?
Der erste Schlag kam unerwartet.
Connor versuchte, sich wegzuducken, aber der Muskelberg war schnell wie ein Schatten. Connor erhielt einen schrecklichen Schlag in den Magen und sackte keuchend in die Knie. Frethmar versuchte, die Arme hochzureißen, doch die Kette, welche seine Handgelenke fesselte, wurde von einer Strebkette, die an der Beinfessel befestigt war, gestoppt. Der nächste Schlag traf ihn.
Frethmar taumelte und machte zwei Schritte zurück. Der Kampfhüne setzte nach und eine fürchterliche Ohrfeige warf den Zwerg um.
Connor rappelte sich auf. Der zweite Kampfhüne betrat den Kerker. Er riss Connor an den Haaren hoch und versetzte ihm einen Hieb gegen den Hals. Connor spuckte aus. Er wirbelte um die eigene Achse, die Arme so hoch erhoben, wie es ging und tatsächlich versetzte er seinem Angreifer einen Schlag. Der Kampfhüne machte große Augen. Ein Gefangener, der sich wehrt? schien sein Blick auszusagen.
Störmer war mit den Schatten verschmolzen und beobachtete, was geschah.
Der dritte Kampfhüne betrat den Kerker. Er gesellte sich zu seinen Kameraden und ließ die Fäuste sprechen. Schläge prasselten auf Connor und Frethmar ein. Frethmar schmeckte Blut. Verdammt, es gab keine Möglichkeit, die Arme über den Kopf zu heben, um sich zu schützen. Die Handringe der Kampfhünen trafen brutal und erbarmungslos. Connor wurde gleich von zwei Männern in die Mangel genommen. Er riss an seinen Ketten, doch sie waren stabil.
Niemand sprach. Der Kerker war erfüllt von Keuchen und Ächzen.
Als es vorbei war, lagen Connor und Frethmar im stinkenden Stroh und regten sich nicht mehr. Die Kampfhünen befolgten Störmers Befehl und ließen ab. Der Halbling trat aus dem Schatten.
»SEHT MICH AN!« donnerte er. »Meine Männer wissen genau, was ihr aushalten könnt.«
Connor stemmte sich auf und versuchte, zu stehen. Es gelang ihm. Von seinem Körper tropfte Blut, seine rechte Wange glühte vor Schmerz. Frethmar tat es seinem Freund gleich, obwohl seine Beine zitterten und er meinte, jeden Moment umzufallen.
»Sehr schön«, sagte Störmer. »Das war erst der Anfang. Ich gebe euch zwei Stunden. Überlegt, ob ihr mir die Wahrheit sagen wollt.«
Connor spuckte Blut und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Warum sind wir so interessant für euch? Jeden Tag kommen Besucher nach Dandoria.«
»Das werdet ihr früh genug erfahren. Und dir danke ich für deinen Ratschlag. Es war in der Tat närrisch, eure Kameraden laufen zu lassen. Ich werde meine Männer gleich auf sie ansetzen.«
»Warum?«, stieß Connor hervor. Er wischte sich Blut von den Lippen. Seine langen Haare hingen ihm schweißnass ins Gesicht. »Wir sind eine harmlose Gruppe Reisender.«
»Auf welchem Schiff seid ihr hergekommen?«
Gut so – erkannte Frethmar und diesmal biss er sich auf die schmerzenden Lippen, um nichts auszuposaunen. Sie wussten nichts von der Wing.
»Jedes Schiff ist gleich«, sagte Connor.
»Wir werden es herausfinden«, sagte der Halbling. »Also – zwei Stunden, oder wir schneiden euch in Streifen!«
Er wirbelte herum und die Tür wurde zugeschlagen.