8.6. Der liebe Computer …
Das Wetter ist nicht das Einzige, wovon erfolgreiche Beobachtungen abhängen. Eines Nachts, als mich mein Kollege mal wieder am 2,3 m-Teleskop besuchte und ich dabei war, einen Stern nach dem anderen von meiner Koordinatenliste abzuarbeiten, drückte er aus Versehen irgendeinen Knopf an der Teleskopkonsole. Wir konnten nie genau herausfinden, welcher Knopf der falsche gewesen und was genau passiert war, aber eines stand sofort fest: Der Teleskopcomputer, der alles steuerte, war mindestens zutiefst beleidigt und hatte beschlossen, erst einmal seinen Geist aufzugeben. Nichts, aber auch gar nichts funktionierte mehr! Und das bei klarem Wetter zu Beginn der Nacht.
Wie mir später erzählt wurde, soll ich in diesen ersten Momenten recht blass-grün geworden sein. Mir war sofort klar, dass eine solche Panne auf jeden Fall bedeuten würde, dass ich eine ganze Nacht wegen technischer Probleme verlieren würde. Das wäre aber noch mein kleinstes Problem gegenüber dem, dass ich nun vielleicht als diejenige in die Bücher eingehen würde, die das Teleskop komplett verschrottet hätte! Das war ein schrecklicher Gedanke.
Trotz all dieser Gedanken muss man sich aber in einer solchen Situation schnellstmöglich zu helfen wissen, auch wenn man nächtelang allein im Teleskop sitzt und besonders, wenn man weiter beobachten will. Neben den wissenschaftlichen und technischen Details, die man für das Beobachten natürlich beherrschen sollte, lernt man in solchen Momenten zwangsläufig auch noch viel mehr über das Teleskop. Zum Beispiel, was man macht, wenn mal wieder irgendein Gerät Probleme bereitet oder sogar ausfällt. Dies ist besonders spaßig, wenn man keinen blassen Schimmer davon hat, was schon wieder kaputt sein oder worin eine Lösung bestehen könnte. Da muss man dann auch mal kreativ werden. In den meisten Fällen hat mir der Drang, weiter beobachten zu wollen, dann auch die nötige Kreativität beschert. Es geht ja nicht anders, und ich konnte immer, wenn auch manchmal nach längerem Suchen und Probieren, die Probleme ausreichend beheben.
So wurde einmal das Teleskop vom Blitz getroffen. Nach einem riesigen Rums machte es »Bssssssst«, und alles wurde schlagartig dunkel and ganz still. Das war unheimlich. Zum Glück erinnerte ich mich daran, dass irgendjemand beim Abendessen in der Beobachter-Lodge irgendwann einmal so ganz nebenbei erwähnt hatte, dass jedes Teleskop mit einem zusätzlichen Stromgenerator ausgestattet sei. Endlich mit Taschenlampe ausgestattet, suchte ich nach einigen Minuten im Dunkeln nach besagter kleiner Abstellkammer, die sich am hinteren Ende des Kontrollraums befinden sollte. Ich fand tatsächlich etwas, das wie ein Generator aussah. Nicht, dass ich vorher schon jemals einen Generator bedient hätte. Aber Knöpfe sind zum Drücken da, und in der Tat machte es bald wieder »Bssssst«, und alles fuhr wieder hoch. Zumindest die Stromzufuhr. Einige Computer und Software-Programme im Kontrollraum und eine bestimmte Kamera unten im Teleskopraum mussten dann noch wieder neu gestartet werden. Diese Prozedur kannte ich aber schon von anderen Problembehebungsmaßnahmen. So klappte bald wieder alles wunderbar.
Zurück zum totalen Teleskopabsturz. Es passierte gegen 21.30 Uhr, und technische Hilfe für Notfälle konnte man nur bis 22 Uhr per Telefon einholen. Allerdings sollte man diese arme Person nur nach Feierabend anrufen, wenn man ein wirklich wichtiges Problem hatte. Eile war also angesagt. Ich musste möglichst schnell herausfinden, ob ich den alten VAX-Computer aus den 1960er Jahren irgendwie dazu überreden konnte, wieder seinen Betrieb aufzunehmen. Mein Kollege fing an, hektisch sämtliche Betriebsanleitungen und Instruktionen aus irgendwelchen mir bis dahin unbekannten Schubladen und Ordnern auszugraben, um mir zu helfen. Währenddessen versuchte ich den direkten Weg über die Tastatur. Aber alles blieb ohne Erfolg, und um kurz vor 22 Uhr griff ich zaghaft zum Telefonhörer.
Als »offizieller« Beobachter des 2,3 m-Teleskops sah ich es als meine Aufgabe an, das Problem zu melden und nach einer schnellstmöglichen Lösung zu suchen. Nach längeren Anweisungen durch den müden Spezialisten gelang es uns tatsächlich, den Computer wieder neu und ordentlich zu starten. Nach der Eingabe sämtlicher Passwörter und spezieller VAX-Kommandos, von denen ich noch nie vorher etwas gehört hatte, schnurrte und surrte der brave Teleskopcomputer bald wieder, als ob nie etwas passiert wäre. Die Ferndiagnose hatte also geklappt, und wir konnten danach ohne Probleme weiter beobachten. Allerdings hat es die ganze Nacht lang gedauert, bis wir uns von diesem ordentlichen Schrecken wieder erholten, und wir hofften, dass so etwas nie wieder passieren würde. In der Tat, ich habe auch später nie etwas darüber gehört, dass der Teleskopcomputer jemals von einem Beobachter komplett neu gestartet worden ist.