4.1. Ordnung muss auch bei den Sternen sein!
Genau wie eine Menschenmenge auf den ersten Blick unüberschaubar und unstrukturiert aussieht, kann man mit kleinen Tricks schnell Ordnung in das Durcheinander bringen. Man kann z.B. alle Teilnehmer nach der Farbe ihrer T-Shirts gruppieren. Aber auch nach Körpergröße, Alter oder Geschlecht kann eine Gruppe von Menschen unterteilt werden. Mit diesen Angaben können wichtige und aussagekräftige Schlüsse über die gesamte Gruppe gezogen werden. Bei den Sternen verläuft diese Zuordnung sehr ähnlich, nur dass bei ihnen die Oberflächentemperatur, die Leuchtkraft und ihre chemische Zusammensetzung die charakteristischen Merkmale sind. Wenn diese drei Eigenschaften eines Sterns bekannt sind, kann man ihn grob einordnen und erste Aussagen über seine Natur treffen.
Aber wie können Astronomen Sterne ordnen? Das nach dem dänischen Astronomen Ejnar Hertzsprung und dem Amerikaner Henry Norris Russell benannte »Hertzsprung-Russell-Diagramm« liefert das nötige Hilfsmittel, um Ordnung in die Vielfalt der Sterne zu bringen. Es ist eines der wichtigsten »Arbeitsgeräte« in der Stellaren Astronomie und ist in Abbildung 4.1 dargestellt. Da sich die unterschiedlichen Sterntypen in ihrer Oberflächentemperatur, Leuchtkraft und Zusammensetzung in ganz bestimmter Weise unterscheiden, ordnen sich die Sterne in diesem Diagramm in verschiedenen deutlichen Sequenzen an.
Abb. 4.1 : Das Hertzsprung-Russell-Diagramm für Sterne in der Umgebung der Sonne. Die verschiedenen Äste und Gebiete sind deutlich zu erkennen.
So werden in einem Hertzsprung-Russell-Diagramm die Temperatur der Sterne auf der horizontalen Achse und ihre Leuchtkraft auf der vertikalen Achse aufgetragen. Dabei befinden sich heiße Sterne auf der linken Seite und kühle auf der rechten. Leuchtschwache Sterne sind im unteren Teil anzutreffen, während sich leuchtkräftige im oberen Teil befinden. Temperatur und Leuchtkraft werden entweder theoretisch berechnet oder beruhen auf beobachteten Daten. Es gibt einige äquivalente physikalische Messgrößen, die sowohl die Temperatur als auch die Leuchtkraft beschreiben. Beispiele sind die Farbe oder die Spektralklasse eines Sterns, die seine Temperatur andeuten, und die absolute Helligkeit, die ein Maß für die Leuchtkraft ist. Und auch die Schwerebeschleunigung an der Oberfläche eines Sterns ist ein Maß für seine Leuchtkraft.
Im Hertzsprung-Russell-Diagramm ordnen sich alle Sterne in verschiedenen Reihen und Gebieten an, welchen man der Einfachheit halber verschiedene Namen gegeben hat. Abbildung 4.2 illustriert die verschiedenen Reihen und Äste schematisch. Die sogenannte Hauptreihe ist am einfachsten zu erkennen. Sie verläuft deutlich sichtbar von unten rechts im Diagramm nach oben links. Der Punkt auf der Hauptreihe, an dem die Sterne in Richtung »Riesenast« abbiegen, nennt man Turn-off-Punkt (»Abknickpunkt«). Der Riesenast kann dann deutlich im rechten, kühlen Teil des Hertzsprung-Russell-Diagramms gesehen werden: Er verläuft diagonal nach rechts oben, wie der Ast eines Baumes.
Abb. 4.2 : Die Entwicklungswege in einem schematischen Hertzsprung-Russell-Diagramm, die jeder Stern entsprechend seiner Masse während seines Lebens durchläuft.
Als das Hertzsprung-Russell-Diagramm um 1910 entwickelt wurde, diente es lediglich der Klassifikation der Sterne. Der physikalische Hintergrund war damals noch gänzlich unbekannt, auch wenn die Anordnungen der Sterne zu (erst einmal hauptsächlich falschen) Spekulationen zur zeitlichen Entwicklung von Sternen führten. Erst mit dem Wissen, dass Sterne ihre Energie aus der Kernfusion beziehen und dass diese Vorgänge die Sternentwicklung bestimmen, konnte ein theoretisches Verständnis entwickelt werden, das den Anordnungen der Sterne im Hertzsprung-Russell-Diagramm zugrunde liegt. Was heutzutage über die physikalischen Zustände dieser unterschiedlichen Stadien in einem Sternleben bekannt ist, basiert größtenteils auf sehr aufwendigen Computer-Modellrechnungen zur Sternentwicklung, einem bewährten Teilgebiet der Astrophysik. Die Ergebnisse dieser Rechnungen werden dann mit den beobachteten Eigenschaften der realen Sterne, z.B. deren Position im Diagramm, verglichen und so Stück für Stück verbessert und optimiert.
Dennoch ist es bemerkenswert, dass wir mit Hilfe des Diagramms in gewisser Weise nachvollziehen können, was in jedem Sternzentrum geschieht und in welcher Entwicklungsphase sich ein Stern befindet. Denn die Position im Hertzsprung-Russell-Diagramm hängt auf ganz bestimmte Art davon ab, welche Elemente im Kern und den darüberliegenden sogenannten Brennschalen fusioniert werden. Der Stern und die Sternoberfläche reagieren dementsprechend, z.B. auf einen Energieverlust im Kern mit einem Aufblähen. Dies ist ein Effekt, dessen Resultat beobachtet wird, denn alle Beobachtungen beziehen sich immer auf den äußeren Teil des Sterns und nie auf sein Inneres.
So können Astronomen heutzutage relativ einfach nachvollziehen, was bestimmte Anordnungen von Sternen im Hertzsprung-Russell-Diagramm zu bedeuten haben. Wie läuft diese Entwicklung nun ab? Die verschiedenen Entwicklungsphasen gehen auf die unterschiedlichen Kernfusionsprozesse im Sternzentrum zurück, die, wenn sie sich ändern, den Stern jedes Mal in eine neue Lebensphase eintreten lassen. Kapitel 4.3 und 4.4 beschreiben die Phasen unter dem Gesichtspunkt der Element-Nukleosynthese und der Position der Sterne im Hertzsprung-Russell-Diagramm für Sterne mit verschiedenen Massen im Detail. Zur Übersicht wird diese Entwicklung hier kurz zusammengefasst.
Nachdem in einem Stern die Kernfusion gezündet hat, nimmt der Stern im Diagramm seinen Platz auf der Hauptreihe ein. Denn erst ab dann besitzt er eine stabile Temperatur und Leuchtkraft. Entsprechend werden die Sterne Hauptreihensterne genannt. Wo genau er aber auf der Hauptreihe steht, richtet sich nach seiner Masse. Es besteht eine enge Beziehung zwischen der Masse und der Leuchtkraft in dieser Lebensphase. Denn rechts unten befinden sich masseärmere Sterne mit niedriger Temperatur und geringer Leuchtkraft. Links oben ist das Gebiet der massereicheren Sterne mit sehr hohen Temperaturen und großen Leuchtkräften. Massereichere Sterne durchlaufen ihre Entwicklung somit weiter oben im Diagramm als masseärmere Sterne. Unsere Sonne ist ein Beispiel für einen massearmen Hauptreihenstern, der etwa ein Drittel vom unteren Ende weg auf der Hauptreihe steht.
Die Zeit auf der Hauptreihe ist die längste Lebensphase für einen Stern. Alle Sterne verbringen dort nämlich 90% ihres Lebens. Tabelle 4.1 listet die Lebenszeit auf der Hauptreihe für Sterne mit verschiedenen Massen auf.
Tabelle 4.1 : Lebenszeit auf der Hauptreihe und Gesamtlebenszeit von Sternen mit verschiedenen Massen.
Anfangsmasse in Sonnenmassen |
Zeit auf der Hauptreihe in Mio Jahren |
Gesamtlebenszeit in Mio. Jahren |
0,8 |
2,0 × 104 |
3,2 × 104 |
1 |
9,2 × 103 |
1,2 × 104 |
2 |
8,7 × 102 |
1,2 × 103 |
5 |
78 |
102 |
15 |
11 |
13 |
25 |
6,7 |
7,5 |
Da die Sterne so lange auf der Hauptreihe verweilen, ist es nicht verwunderlich, dass in einer nicht speziell ausgewählten Stichprobe von Sternen ca. 90% der beobachteten Objekte Hauptreihensterne sind. Während dieser 90% seines Lebens verändert sich der Stern nur wenig, denn er verbrennt währenddessen in seinem Zentrum Wasserstoff zu Helium. Seine Position auf der Hauptreihe verändert sich dementsprechend auch nicht. Mit einer Lebenserwartung von 10 Milliarden Jahren befindet sich die Sonne schon seit 4,5 Milliarden Jahren auf der Hauptreihe. Erst in etwa 4 bis 5 Milliarden Jahren wird sie in ihre nächste Lebensphase eintreten. Sterne mit geringeren Massen als die Sonne verbringen noch wesentlich längere Zeit auf der Hauptreihe, da sie noch viel länger leben. Aufgrund ihrer geringen Leuchtkraft verbrauchen sie ihren Wasserstoff im Zentrum nur sehr langsam. Im Gegensatz dazu verbrennen massereichere, leuchtkräftigere Sterne ihren Wasserstoffvorrat sehr rasch und erreichen ihr Lebensende dementsprechend auch wesentlich schneller. Die unterschiedlichen Zeitskalen der Entwicklung von Sternen mit unterschiedlichen Massen ist in Abbildung 4.3 illustriert.
Abb. 4.3 : Entwicklungszeiten von Sternen verschiedener Masse von der Hauptreihe weg bis kurz vor ihr Lebensende. Massereichere, leuchtkräftigere Sterne liegen weiter oben auf der Hauptreihe, von der aus sie ihre Entwicklung beginnen. Masseärmere, schwächere Sterne wie die Sonne befinden sich weiter unten.
Nach dem Hauptreihenstadium beginnt der Stern die sogenannte Riesenastphase zu durchlaufen. Dafür muss der Stern zunächst am Turn-off-Punkt von der Hauptreihe abbiegen. Auf dem Roten Riesenast verbringt er dann den größten Teil seiner verbleibenden Lebenszeit. So wird ein Stern mit einer Sonnenmasse für ca. 1 Milliarde Jahre zum Roten Riesen. Im Fall eines Sterns mit 10 Sonnenmassen dauert diese Phase aber nur etwa 1 Million Jahre. Strenggenommen haben Rote Riesen allerdings keine rote Farbe, sondern sind eher orangefarben. Prominente Beispiele, die man mit bloßem Auge am Himmel sehen kann, sind Aldebaran, das »rote« Auge im Sternbild des Stiers, und Beteigeuze, der linke Schulterstern des Orion, der in Abbildung 3.A im Farbbildteil gesehen werden kann. Auch die Sonne wird sich in geraumer Zeit von ihrer Stelle auf der Hauptreihe zum Riesenast begeben und dann zum Roten Riesen werden.
Abb. 3.A
Die weitere Entwicklung eines Sterns sowie sein Endstadium hängen ganz von seiner Masse ab. Ein Stern wird als massearm bezeichnet, wenn er weniger als ca. 2 bis 3 Sonnenmassen besitzt. Sterne mit Massen zwischen 2–3 und 8 Sonnenmassen sind strenggenommen nicht mehr massearm, aber auch noch nicht wirklich massereich. Wir werden sie als mäßig massereich bezeichnen. Als massereich gilt ein Stern dann, wenn er nach seiner Entstehung mindestens 8 Mal schwerer als die Sonne ist. Einige sind sogar sehr viel wuchtiger und besitzen bis zu 100 Sonnenmassen.
Nach der Riesenastphase gibt es dann noch zwei weitere Äste, den horizontalen Riesenast, kurz auch Horizontalast genannt, und den asymptotischen Riesenast. Nach Beendigung der Riesenastphase springt der Stern vom Riesenast auf dem Horizontalast. Wie der Name besagt ist der Horizontalast eine Phase, in der sich die Leuchtkraft des Sterns nur wenig ändert. Er befindet sich etwa in der Mitte des Hertzsprung-Russell-Diagramms. Von dort aus wandert der Stern dann auf den asymptotischen Riesenast, der ihn zum rechten oberen Ende des Diagramms führt. In diesem Gebiet erwartet den Stern als kernfusionierendes Objekt dann sein Lebensende. Die Überreste massearmer Sterne, sogenannte Weiße Zwerge, wandern dann von dort durch ihr langsames Abkühlen in den linken unteren Teil des Diagramms.
Ein interessantes Beispiel für ein Hertzsprung-Russell-Diagramm ist das eines Sternhaufens, da man die Verteilung der verschiedenen Sterne dann besonders gut beobachten kann. Da die vielen Mitglieder eines Sternhaufens alle gleich alt sind und die gleiche Zusammensetzung haben, sind es die Massen der einzelnen Sterne und damit ihre Leuchtkräfte, die sie unterscheiden. Die verschiedenen Massen führen zu unterschiedlichen Zeitskalen, mit denen sich die jeweiligen Sterne entwickeln. Die massereichsten Sterne haben die kürzeren Lebensdauern und sitzen weit oben auf der Hauptreihe. Sie verlassen diese aufgrund ihrer großen Masse auch zuerst, um zu Roten Riesen zu werden. Nach und nach folgen immer masseärmere Sterne mit längeren Lebensdauern. Sie befinden sich weiter und weiter unten auf der Hauptreihe.
Wenn man einen Sternhaufen beobachtet und dann ein Hertzsprung-Russell-Diagramm aller Mitgliedersterne anfertigt, wird man, je nach Alter des Haufens, nur noch die masseärmeren Sterne auf der Hauptreihe sehen. Von einer bestimmten Masse an sind also schon alle Sterne zu Roten Riesen geworden oder haben sogar schon ihr Lebensende erreicht. Kapitel 6 beschreibt die Sternhaufen und ihre Hertzsprung-Russell-Diagramme noch weiter.
Abschließend sei gesagt, dass man sich bei der Arbeit mit metallarmen Sternen oft zunutze machen kann, dass man sowohl die Temperatur als auch die Schwerebeschleunigung an der Sternoberfläche mit Hilfe der beobachteten Daten, den Sternspektren, bestimmen kann. Dieses Vorgehen ist in Kapitel 7 weiter ausgeführt. Aber auch andere Methoden führen zum Ziel, welche bei den verschiedenen Arten von Sternen angewendet werden. So erhält man die beiden physikalischen Messgrößen, die für den Eintrag eines Sterns in das Hertzsprung-Russell-Diagramm benötigt werden. Dadurch kann das Entwicklungsstadium des Sterns bestimmt werden, welches u.a. für die Interpretation der chemischen Zusammensetzung von großer Bedeutung ist.