6.5. Namensgebung von Sternen
Ich werde oft gefragt, ob die Sterne, die meine Kollegen und ich finden, eigentlich schon Namen haben oder ob wir sie selbst benennen können. Die kurze Antwort ist, dass alle Objekte eigentlich schon Namen haben, nämlich ihre Koordinaten oder irgendeine andere Zahlenkombination. Diese Aussage führt bei den Fragenden meist zu sichtlicher Enttäuschung. Denn es hätte ja schon etwas für sich, Sternen schöne Namen zu geben anstatt sie mit trockenen Nummerierungen zu kennzeichnen. Dennoch ist die Namensgebung von Himmelsobjekten nicht ganz so nüchtern.
Viele hellere Objekte, die man mit dem bloßen Auge am Himmel sehen kann, haben im allgemeinen Sprachgebrauch griechische, lateinische oder arabische Eigennamen. Denn schon die alten Römer und Griechen kannten und benannten viele Sterne. So hatte z.B. Ptolemäus im 2. Jahrhundert n.Chr. schon 1022 Sterne mit Namen in seinem Katalog. Sie bedienten sich dabei gern bildhafter und anschaulicher Vergleiche z.B. für die Sternbilder oder stellten eine Verbindung zu ihrer Mythologie durch Götternamen her. Auch heute werden viele dieser Namen (auch von Wissenschaftlern) noch benutzt. Beispiele sind die Hauptsterne in den Sternbildern, wie z.B. Aldebaran, der Rote Riesenstern, der das Auge des Stiers in den Mythen repräsentieren soll. Polaris, der Nordstern, der uns den Weg nach Norden weist, ist ein anderes Beispiel. Andere hellere Sterne, Galaxien und Nebel haben ebenfalls Namen, denn sie sind schon seit langer Zeit bekannt und beliebt.
Der französische Astronom Charles Messier erstellte um 1770 eine erste größere Liste von hellen, im Fernrohr als Nebelflecken erscheinenden Himmelsobjekten. Er katalogisierte rund 100 Sternhaufen, Nebel und Galaxien. Sie wurden in der Reihenfolge der Entdeckung einfach durchnummeriert, beginnend mit dem Krabbennebel M1 und so weiter. Das M steht dabei für den Messier-Katalog. Besonders bekannte Einträge sind z.B. die Andromeda-Galaxie M31, der Orionnebel M42, die Plejaden M45 und die Whirlpool-Galaxie M51. Diese M-Namen werden bis heute von Astronomen verwendet und gehen direkt auf Messier zurück. 1888 veröffentlichte der irische Astronom John Louis Emil Dreyer einen wesentlich umfassenderen Katalog, den New General Catalogue (NGC), der knapp 8000 Einträge enthält und noch heute der Standard-Katalog für nicht-stellare Objekte ist. Die Durchnummerierung dieser Objekte beginnt somit mit NGC 0001.
Alle nachfolgenden Beobachtungskampagnen entwickelten eigene Namensschemata, um ihre Objekte zu kennzeichnen. Und natürlich gibt es auch jede Menge weiterer Kataloge, in denen Sterne verzeichnet sind. Meine metallarmen Hamburg/ESO-Sterne beginnen entsprechend alle mit der Abkürzung HE, gefolgt von einer abgekürzten Schreibweise für deren Koordinaten. Andere Durchmusterungen benannten alle Sterne nach der fotografischen Platte in Kombination mit einer Laufnummer. Offensichtlich gibt es unzählige Möglichkeiten, Sterne mit Namen zu versehen.
Die Internationale Astronomische Union kümmert sich um die Vergabe von Namen an kosmische Objekte und stellt Empfehlungen zur Namensgebung bereit. So wurde schon vor einigen Jahren vorgeschlagen, alle Objekte mit ihren komplett ausgeschriebenen Koordinaten zu bezeichnen. Viele der riesigen photometrischen Durchmusterungen sind dieser Vorgabe auch gefolgt, da es sich oft um Millionen von Objekten handelt, die alle eindeutig gekennzeichnet werden müssen. Der Nachteil ist, dass diese Koordinatennamen zu extrem langen und hässlichen Zahlenkombinationen führen. Besonders wenn man mit Einzelsternen arbeitet, wird das schnell unpraktisch.
Ein Beispiel ist CD –38° 245, unser allererster Vertreter der metallärmsten Sterne, der schon 1984 als solcher identifiziert wurde. Seine Entdeckung wird in Kapitel 10.1 weiter ausgeführt. In der Koordinatenschreibweise würde er J00463619–3739335 heißen – nicht gerade sehr griffig. Zum Glück ist es aber möglich, althergebrachte Namen, wie in diesem Fall CD –38° 245, beizubehalten und weiterhin zu verwenden. J00463619–3739335 ist aber nicht der einzige andere Name für CD –38° 245: Da dieser Stern relativ hell ist, wurde er über die Jahre hinweg von vielen Himmelsdurchmusterungen immer wieder hauptsächlich photometrisch beobachtet und katalogisiert. 11 weitere Bezeichnungen können zur Zeit gefunden werden, wenn sie sich teilweise auch kaum unterscheiden:
CD –38° 245 (Cordoba-Durchmusterung 1892)
SB 319 (Slettebak & Brundage-Durchmusterung 1971)
CS 22188–0048 (HK-Durchmusterung für metallarme Sterne, 1985)
GSC 07532–00548 (Guide Star-Katalog für helle Sterne 1990)
HE 0044–3755 (Hamburg/ESO-Durchmusterung 1991)
HIP 3635 (Hipparcos Satellite-Katalog 1997)
DENIS-P J004636.1–373933 (Deep Near-Infrared Survey, Provisionary designation, 1997)
uvby98–003800245 (Photelektrischer Photometrie-Katalog, 1998)
2MASS J00463619–3739335 (Two Micron All-Sky Survey Nahinfrarotdurchmusterung, 2003)
USNO-B1.00523–00009596 (US Naval Observatory-Durchmusterung 2003)
RAVE J004636.2–373933 (Radial Velocity Experiment-Durchmusterung 2008).
Wie aus der Liste hervorgeht, hat CD –38° 245 seinen gebräuchlichsten Namen also schon 1892 erworben. Denn in vielen Fällen wird die Bezeichnung des ersten Katalogs weitergeführt. Je heller ein Stern ist, desto höher ist die Chance, dass der Stern tatsächlich mehrmals beobachtet wurde.
Viele Durchmusterungen liefern immer wieder verschiedene neue Zusatzinformationen für einen Stern. So stellt die 2MASS-Durchmusterung z.B. Photometrie im nahen Infrarotbereich zur Verfügung. Die USNO-Durchmusterung bestimmte wiederum die Eigenbewegung vieler Sterne, die z.B. für deren Entfernungsbestimmungen wichtig sind. Ein weiteres Beispiel ist HE 1327–2327, der eisenärmste Stern mit 1/250 000stel der solaren Eisenhäufigkeit, der in Kapitel 9 und 10 ausführlich beschrieben wird. Er ist um einiges schwächer als CD –38° 245 und hat dementsprechend nur zwei weitere Bezeichnungen. HE 0107–5240, der erste Stern mit weniger als 1/100 000stel der solaren Eisenhäufigkeit, ist noch mal wesentlich lichtschwächer und somit nur in einem weiteren Katalog enthalten.
Eine zentrale astronomische Datenbank[3] sammelt alle diese Informationen. Mit der Angabe von Koordinaten oder einem Objektnamen kann schnell herausgefunden werden, was schon zu einem Objekt von den großen Durchmusterungen bekannt ist und welche wissenschaftlichen Artikel sich mit dem Objekt befassen. Daher ist diese Datenbank ungemein hilfreich, um herauszufinden, ob ein Objekt z.B. schon spektroskopisch beobachtet wurde oder ob es in einem größeren Katalog verzeichnet ist.
Trotz allem kommt es immer wieder unbeabsichtigt zu Wiederentdeckungen schon bekannter Objekte. Das ist nicht nur frustrierend, sondern kann im Zweifelsfall auch viel Teleskopzeit kosten. CD –38° 245 und einige andere sehr metallarme Sterne wurden auch in der Stichprobe während meiner Doktorarbeit gefunden. Tatsächlich freute ich mich zu früh, einen interessanten Stern gefunden zu haben – die Ernüchterung kam aber schnell, als ich kurz darauf feststellte, dass ich »nur« einen schon bekannten Stern wiederentdeckt hatte. In einigen Fällen kann dies allerdings auch etwas Gutes bewirken. Denn bei der Benutzung einer neuen Suchmethode kann man so zeigen, dass metallarme Sterne gezielt gefunden werden können und wie erfolgreich die neue Prozedur ist. Somit war die Wiederentdeckung von CD –38° 245 in meiner Stichprobe dann doch sehr zufriedenstellend. Denn er ist ja einer der metallärmsten Sterne und somit ein sehr geeignetes Beispiel für die Sterne, die ich eigentlich finden wollte.
Je komplizierter der Sternname ist, desto mehr wird er, zumindest im Sprachgebrauch, z.B. in Unterhaltungen oder in Konferenzvorträgen, abgekürzt oder vereinfacht. Das gilt für die »Koordinaten«-Namen wie auch für alle anderen. Denn vor allem wenn es um Sterne in Stichproben geht, können meine Kollegen und ich uns nicht immer alle diese »Telefonnummer«-Bezeichnungen merken. Der Einfachheit halber beziehen wir uns deshalb oft auf den Erstautor der Veröffentlichung und nennen dann den Stern nach dem Autor. So ist HE 1327–2326 von meinen Kollegen meist einfach kurz als HE 1327 oder ab und zu auch als »Frebel-Stern« bezeichnet worden.