9.4. Die chemische Entwicklung des Universums
Die chemische Entwicklung im Universum begann kurz nach dem Urknall und dauert bis heute an. Mit Hilfe von Sternen mit verschiedenen Metallizitäten in der Milchstraße und verschiedener Zwerggalaxien können die unzähligen Vorgänge, die an dieser Entwicklung beteiligt sind, rekonstruiert werden. Die metallärmsten Sterne erzählen über die frühesten und die metallreicheren Sterne über die späteren Entwicklungsphasen. Man kann sich die Metallizität [Fe/H] also als ein Maß für die verstrichene Zeit nach dem Urknall vorstellen. Um die Produktion der Elemente und der beobachteten Häufigkeitstrends zu verstehen, müssen wir die Nukleosyntheseprozesse, die für die Entwicklung der jeweiligen Elemente verantwortlich sind, noch etwas genauer betrachten.
In den folgenden Abbildungen zeigt die horizontale Achse die Sternmetallizität, so dass die Trends der verschiedenen Elemente dann zeitlich verfolgt werden können. Stellare Eisenhäufigkeiten dienen also nicht nur der Beschreibung der gesamten Metallhäufigkeit eines Sterns. Sie sagen auch etwas aus über die Zeitskalen der Anreicherung des Gases, aus dem sich über viele Milliarden Jahre hinweg nach und nach neue Sterne bildeten. Es ist also die Interpretation der Häufigkeitsmuster von metallarmen Sternen im Halo, kombiniert mit denen der Zwerggalaxiensterne, die umfassende Einsichten in die Details dieser komplexen Entwicklung sowohl in den einzelnen Galaxien wie auch im gesamten Universum liefert.
Im Folgenden werden die wichtigsten Elemente und Elementgruppen und deren Entwicklung über die ersten 4–5 Milliarden Jahre im Universum zusammengefasst.
Helium
Helium ist das zweithäufigste Element im Universum, aber kein Metall im astronomischen Sinne. Leider gibt es keine spektroskopischen Messungen von Helium in metallarmen Sternen, die die zeitliche Entwicklung von Helium mitverfolgen könnten. Helium-Absorptionslinien tauchen aus atomphysikalischen Gründen nur in Spektren von Sternen auf, die heißer als ~7000 Grad Kelvin sind. Solche heißen Sterne haben schon unzählige Mischungsprozesse hinter sich, so dass ihre Oberflächenkomposition mehrmals verändert wurde. Dies verhindert eine Heliummessung der Gaswolke, aus der der Stern gebildet wurde. Einzig und allein chromosphärische He-Linien sind auch in kühleren Sternen messbar. Die Bestimmung einer He-Häufigkeit ist aber aus verschiedensten Gründen sehr kompliziert, wenn nicht überhaupt unmöglich.
Dennoch ist die Entwicklung dieses Elements interessant, da Helium ständig in Sternen synthetisiert und durch Planetarische Nebel und Supernovaexplosionen ins All geschleudert wird. Die beste Möglichkeit, die primordiale Heliumhäufigkeit zu messen, basiert auf Spektren von hochrotverschobenen dünnen interstellaren Wolken. Der mögliche Bereich von Heliumhäufigkeiten liegt hier bei 23,2% bis 25,8% mit dem momentan besten Wert von 24,9%.
Lithium
Lithium ist ein wichtiges, aber schwer erfassbares Element. Obwohl es in metallarmen Sternen gemessen werden kann, ist die Entwicklung im frühen Universum unklar und wird kontrovers diskutiert. Da Lithium im Sterninneren durch Protoneneinfang sehr leicht in andere Elemente umgewandelt werden kann, ist die stellare Produktionsrate von Lithium kosmisch gesehen eher mager. Dementsprechend kann man bei Lithium nicht wirklich von einer chemischen Entwicklung sprechen. Man nimmt daher an, dass jegliches Lithium im Universum aus dem Urknall stammt, so auch das terrestrische Lithium. Südamerika besitzt die größten abbaubaren Lithiumvorkommen in Form von Gestein und Tonerden, die Lithium enthalten, aber auch Meerwasser enthält Lithium. Ohne Lithium aus dem Urknall gäbe es wohl keine leichten und trotzdem leistungsstarken Batterien. Auch bei diversen Anwendungen in industriellen Bereichen würde uns Lithium fehlen.
Mit metallarmen Sternen lässt sich untersuchen, wie sich dieses Element im frühen Universum verhielt. Das in den metallarmen Sternen gemessene Lithium muss ja auf die primordiale Lithiumproduktion zurückgehen. So wurde schon in den 1980er Jahren herausgefunden, dass Lithium immer einen bestimmten Wert in metallarmen Sternen hat. Dieser ist allerdings 2,5 Mal geringer als in den Berechnungen zum primordialen Lithium, die mit Hilfe der Daten des WMAP-Satelliten zur Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung in Kombination mit den Vorhersagen zur Elementnukleosynthese während des Urknalls erstellt werden können.
Da der primordiale Lithiumwert sehr genau bestimmt werden konnte, wird heute davon ausgegangen, dass die Lithiummessungen der metallarmen Sterne nicht direkt die primordiale Lithiumhäufigkeit widerspiegeln. Allerdings ist nach wie vor weitgehend unklar, warum die metallarmen Sterne so viel niedrigere Werte haben. Eine Erklärung für diese Diskrepanz kann in Zukunft hoffentlich ein besseres Verständnis dafür liefern, wie die Existenz von Sternen und Galaxien den Lithiumanteil im Universum beeinflusst.
Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff
Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff werden sowohl während der Sternentwicklung als auch in Supernovaexplosionen massereicher Sterne im All verbreitet. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, werden die Kohlenstoffatome zunächst im sogenannten 3α-Prozess in fortgeschrittenen Stadien der Sternentwicklung in Roten Riesen synthetisiert. Sauerstoff wird parallel zu Kohlenstoff im α-Prozess produziert, wobei ein weiteres α-Teilchen in den Kohlenstoffkern eingebaut wird. Sauerstoff kann also als α-Element angesehen werden. Häufigkeitsanalysen von metallarmen Sternen haben ergeben, dass sich Sauerstoff in seiner zeitlichen Entwicklung tatsächlich wie andere α-Elemente verhält. Stickstoff wird hingegen im Kohlenstoff-(Stickstoff-Sauerstoff-)Zyklus erzeugt.
Die Produktion von Kohlenstoff und Stickstoff kann durch schnelle Rotation und der daraus folgenden Durchmischung des Sterns noch erhöht werden. Die Sternmasse spielt zusätzlich eine Rolle. So ist es nicht verwunderlich, dass die massereichen rotierenden Population-III-Sterne schon zu Frühzeiten sehr wahrscheinlich große Mengen an Kohlenstoff erzeugten. Zu späteren Zeiten wurden dann die etwas masseärmeren Sterne mit 3 bis 8 Sonnenmassen zu den Hauptproduzenten. In großer Zahl vorhanden, versorgen diese Sterne heutzutage durch ihre starken Sternwinde während ihrer asymptotischen Riesenastphase das interstellare Medium mit Kohlenstoff und anderen Elementen.
Die Entwicklung von Kohlenstoff kann in Abbildung 9.3 gesehen werden. Die ansteigenden Sternmetallizitäten bilden die horizontale Achse. Auf der vertikalen Achse tragen Astronomen das Verhältnis eines Elements im Vergleich zu Eisen auf, wie z.B. [C/Fe]. Somit kann leicht erkannt werden, ob ein Stern vom halotypischen Elementmuster abweicht. Denn Halosterne haben z.B. ein Kohlenstoff-zu-Eisen-Verhältnis um null herum, also [C/Fe] ~ 0. In der Abbildung werden nur metallarme Sterne mit [Fe/H] < –1,7 gezeigt, und die durchgezogene Linie deutet das solare [C/Fe]-Verhältnis als Referenz an. Die hohen [C/Fe]-Werte der metallärmsten Sterne sind deutlich zu erkennen und auch die relativ große Zahl der Sterne unterhalb von [Fe/H] < –3,0 mit höheren Kohlenstoffhäufigkeiten. Gewöhnliche Halosterne haben [C/Fe]-Werte etwa zwischen –0,6 und +0,6. Die s-Prozess-Sterne sowie Sterne mit s-und r-Prozess-Anreicherungen sind mit unterschiedlichen Symbolen gekennzeichnet. Sie erhielten ihren Kohlenstoff von ihren Begleitern, und man kann sehen, dass diese Sterne sich von den anderen deutlich absetzen. Die r-Prozess-Sterne sind nicht weiter gekennzeichnet, da sie mit einer Ausnahme alle ähnliche Kohlenstoffhäufigkeiten wie normale Halosterne besitzen.
Abb. 9.3 : Kohlenstoffhäufigkeiten [C/Fe] für Sterne mit verschiedenen [Fe/H]-Metallizitäten (gefüllte Kreise). Offene Kreise bezeichnen die kohlenstoffreichen s-Prozess-Sterne sowie Sterne mit s- und r-Prozess-Anreicherungen. Die r-Prozess-Sterne unterscheiden sich in ihren Kohlenstoffhäufigkeiten nicht von den restlichen Sternen. Sie sind als Vierecke dargestellt. Die durchgezogene Linie gibt das solare [C/Fe]-Verhältnis zum Vergleich an.
Selbst wenn wir nichts über die Nukleosyntheseprozesse wüssten, würde uns der Anblick von Abbildung 9.3 schon eine wichtige Sache verraten: Kohlenstoff wurde auf viele verschiedene Weisen und in mehreren Arten von Sternen im frühen Universum erzeugt. Ansonsten wäre eine solche Vielfalt von [C/Fe] in metallarmen Sternen nicht anzutreffen.
Ein ähnliches Bild beginnt sich für einige der Zwerggalaxien abzuzeichnen. Obwohl bisher nur etwa 10 Sterne mit [Fe/H] < –3,0 in verschiedenen Zwergen beobachtet wurden, ist schon ein extrem kohlenstoffreicher Stern mit [Fe/H] = –3,7 gefunden worden. Extrem metallarme, kohlenstoffreiche Sterne kommen also nicht nur im galaktischen Halo vor. Sie sind deswegen wahrscheinlich ein generelles Anzeichen für die frühen Phasen einer chemischen Entwicklung im Universum.
α-Elemente
Die α-Elemente, also Magnesium, Kalzium, Silizium und Titan, sind aus einem Vielfachen von Heliumkernen zusammengesetzt. Sie werden während verschiedener Brennphasen in massereichen Sternen synthetisiert. Wie Modellrechnungen zur Nukleosynthese bestätigten, werden die α-Elemente und Eisen in einem ganz bestimmten Verhältnis von [α/Fe]~ 0,4 zueinander hergestellt. Kern-Kollaps-Supernovaexplosionen schleudern die Elemente dann ins All. α-Elemente können in hochaufgelösten Spektren in jedem Stern problemlos gemessen werden, da diese Elemente auch in metallarmen Sternen noch relativ starke Linien zeigen.
Häufigkeitsanalysen haben schon vor langer Zeit ergeben, dass die Mehrheit aller metallarmen Sterne mit [Fe/H] < –1,5 höhere α-Elementhäufigkeitsverhältnisse als die Sonne haben. Abbildung 9.4 illustriert dieses Verhalten. Sterne mit [Fe/H] < –1,5 haben die kern-kollaps-typischen [α/Fe]-Werte, die bei etwa ~0,4 liegen. Im Vergleich dazu haben Sterne mit höheren Metallizitäten stückweise niedrigere [α/Fe]-Verhältnisse, während Sterne mit solaren Metallizitäten auch solare α-Elementhäufigkeiten aufzeigen, also [α/Fe]= 0.
Abb. 9.4: Häufigkeitsverhältnisse der α-Elemente [Mg/Fe] (Magnesium), [Ca/Fe] (Kalzium) und [Ti/Fe] (Titan) für Halosterne mit verschiedenen [Fe/H]-Metallizitäten (offene Kreise). Zum Vergleich sind metallreichere Scheibensterne als kleine gefüllte Kreise mit eingezeichnet. Bei etwa [Fe/H]~ –1,0 beginnen alle drei Elementverhältnisse von [α/Fe] ~0,4 abzusinken und auf den solaren Wert hinzulaufen (durchgezogene Linie). Diese Veränderung geht auf den Beginn der Supernovaexplosionen vom Typ Ia zurück, da bei diesen Explosionen vermehrt Eisen und keine α-Elemente produziert werden. Bei [Fe/H] ~ –0,0 ist die chemische Entwicklung dann etwa beim solaren Verhältnis von [α/Fe] angekommen.
Wie kann dieses Verhalten erklärt werden? Die zeitliche Entwicklung des [α/Fe]-Verhältnisses ist eines der besten Beispiele für die chemische Entwicklung und das Zusammenspiel von verschiedenen Nukleosyntheseprozessen und -orten sowie unterschiedlichen Anreicherungszeitskalen.
Die chemische Entwicklung des frühen Universums wurde ausschließlich von kurzlebigen massereichen Sternen und ihren Kern-Kollaps-Supernovaexplosionen vorangetrieben. Die metallarmen Sterne mit ihren [α/Fe] ~ 0,4-Werten reflektieren genau diesen frühen Zeitraum. Sterne mit geringeren Massen waren hingegen aufgrund ihrer längeren Lebenszeiten zu dieser Zeit noch mitten in ihrer Entwicklung. Erst nach etwa einer Milliarde Jahren waren die ersten masseärmeren Sterne zu Weißen Zwergen geworden. Wenn diese Weißen Zwerge einem Doppelsternsystem angehörten und von ihren Begleitern Materie zu ihnen überströmte, explodierten sie schließlich als Typ Ia-Supernova. Da es im Universum seit dieser Zeit viel mehr masseärmere als massereichere Sterne gibt, veränderten die Typ Ia-Explosionen den Verlauf der chemischen Entwicklung. Diese Supernovae erzeugen hauptsächlich Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisengruppenelemente, aber keine α-Elemente. Dies bedeutet, dass mit dem Beginn der Explosionen der Weißen Zwerge die Eisenproduktion deutlich anstieg. Genau diesen Umbruch können wir in den Häufigkeiten der α-zu-Eisen-Verhältnisse in Sternen mit verschiedenen Metallizitäten sehen. Die α-Elemente wurden weiterhin von den massereichen Sternen produziert, Eisen aber wurde ab diesem Zeitpunkt sowohl von den vielen massereichen Supernovaexplosionen wie auch von den massearmen explodierenden Weißen Zwergen erzeugt.
Der Anstieg der Eisenproduktion verringerte somit die Werte von [α/Fe] in den Gaswolken, aus denen weitere Generationen von Sternen geboren wurden. Der daraus resultierende Übergang bei [Fe/H] ~ –1,5 von den »frühen«, hohen [α/Fe]-Werten in den metallarmen Sternen zu niedrigeren Werten in weniger metallarmen Sternen in späteren Zeiten spiegelt diese Entwicklung wider. Jüngere Sterne mit solaren Metallizitäten haben dementsprechend dann endlich den solaren [α/Fe]-Wert erreicht.
Natürlich gibt es auch einige Ausnahmen. Immer wieder tauchen einzelne metallarme Sterne auf, die z.B. extrem hohe Magnesiumhäufigkeiten aufzeigen. Dies geht wahrscheinlich auf ungewöhnliche Arten von Supernovae zurück, die die Gaswolke vor der Geburt des metallarmen Sterns in besonderer Weise anreicherten. Dann wiederum gibt es metallarme Sterne, die geringere α-zu-Eisen-Häufigkeiten als ein typischer Halostern aufweisen. Solche Sterne sind vereinzelt in der Milchstraße anzutreffen, aber die meisten befinden sich in Zwerggalaxien.
Zwerggalaxien durchlaufen genau wie die Milchstraße eine chemische Entwicklung. Da die kleinen Zwerggalaxien aber weniger Gas für Sternentstehung zur Verfügung haben, läuft ihre gesamte Entwicklung langsamer ab. Dennoch fangen auch in einer solchen Galaxie die Weißen Zwerge, die sich in Doppelsternsystemen befinden, nach etwa einer Milliarde Jahren an zu explodieren. Denn die Sternentwicklung verläuft unabhängig von der Entwicklung der Galaxie, in der sich ein Stern befindet. Zu diesem Zeitpunkt, also nach einer Milliarde Jahren, hatten die Zwerggalaxien noch eine geringere »Gesamtmetallizität« als die Milchstraße, da die chemische Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten war. Die länger dauernde Anreicherungszeit in den Zwerggalaxien hat zur Folge, dass der Übergang von den erhöhten α-zu-Eisen-Werten zu niedrigeren Verhältnissen bei geringeren Werten als dem Wert der Milchstraße von [Fe/H] = –1,5 stattfindet.
Der genaue Übergangswert hängt von der Galaxie ab und ist oft nur schwer oder gar nicht bestimmbar. Sterne mit Werten zwischen [Fe/H] = –2,0 und [Fe/H] = –2,5 sind gute Kandidaten für solche Messungen. Neuere Studien haben inzwischen gezeigt, dass Zwerggalaxiensterne mit [Fe/H] ~ –3,0 und niedrigeren Metallizitäten auch die halotypischen, erhöhten [α/Fe]-Verhältnisse aufweisen. Die chemische Entwicklung läuft also besonders in der Frühzeit einer Galaxie mit Hilfe der Kern-Kollaps-Supernovae überall ähnlich ab, schreitet aber dann aber mit unterschiedlichem Tempo voran. Die kleinen Galaxien brauchen für die großangelegte Elementproduktion länger als die großen.
Eisengruppenelemente
Die Elemente der Eisengruppe, nämlich Scansium, Vanadium, Chrom, Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel, Kupfer und Zink mit Ordnungszahlen von 23 bis 30, werden in massereichen Sternen synthetisiert. Dies geschieht in den letzten Brennphasen der Sternentwicklung wie z.B. dem Siliziumbrennen und zusätzlich während der Supernovaexplosionen in vielen verschiedenartigen Nukleosyntheseprozessen, die in der Region um die Schockwelle stattfinden.
In Abbildung 9.5 werden die Häufigkeiten von Scandium, Chrom und Kobalt gezeigt. Die durchgezogene Linie deutet das solare Elementverhältnis als Referenz an. Die Kobalt-zu-Eisen-Häufigkeiten sind in den metallärmeren Sternen mit [Fe/H] ~ –3,5 im Mittel erhöht ([Co/Fe] ~ +0,5). Mit zunehmender Metallizität verringert sich [Co/Fe] langsam und erreicht den solaren Wert bei etwa [Fe/H] ~ –2,0. Zink zeigt das gleiche Verhalten. Die Elemente wurden also im Vergleich zu Eisen und zur heutigen Zeit im frühen Universum häufiger synthetisiert. Chrom und Mangan hingegen zeigen ein umgekehrtes Verhalten. Die metallärmsten Sterne haben die niedrigsten [Cr/Fe]- und [Mn/Fe]-Häufigkeiten. Der solare Wert wird erst bei [Fe/H] ~ –1,0 erreicht. Dies bedeutet, dass im Vergleich zu Eisen und zu heute weniger Chrom und Mangan im frühen Universum erzeugt wurden. Scandium und auch Nickel zeigen wiederum ein anderes Verhalten. Bei allen Metallizitäten bleibt das [Sc/Fe]- und das [Ni/Fe]-Verhältnis gleich und ungefähr auf dem solaren Wert. Die metallarmen Sterne der Zwerggalaxien zeigen das gleiche Verhalten und unterscheiden sich in keiner Weise von den Halosternen der Milchstraße.
Abb. 9.5 : Häufigkeitsverhältnisse der Eisengruppen-Elemente [Sc/Fe] (Scandium), [Cr/Fe] (Chrom) und [Co/Fe] (Kobalt) für Halosterne mit verschiedenen [Fe/H]-Metallizitäten (offene Kreise). Die Pfeile deuten obere Grenzen für die beobachteten Elementhäufigkeiten an. Die Entwicklungen der Eisengruppen-Elemente verlaufen sehr unterschiedlich zueinander und z.B. auch im Vergleich zu den α-Elementen. Die durchgezogene Linie gibt die solaren Häufigkeitsverhältnisse zum Vergleich an.
Trotz dieser unterschiedlichen Entwicklungen zeigt sich, dass die Häufigkeitstrends der Eisengruppenelemente wohldefiniert sind und es kaum Ausnahmen gibt. Weiterhin kann man ablesen, dass die Elemente, die das gleiche Verhalten aufweisen, wahrscheinlich im gleichen Nukleosyntheseprozess erzeugt wurden. Für die Elemente wie Scandium und Nickel kann weiterhin gesagt werden, dass sie womöglich schon im frühen Universum durch genau die gleichen Prozesse wie heute synthetisiert wurden. Dennoch sind diese unterschiedlichen Verhaltensweisen unerwartet und nicht genau verstanden. Mit verschiedenen Modellen zu unterschiedlichen Supernovaeigenschaften wie z.B. der Explosionsenergie wurde schon versucht, diese Unterschiede zu erklären – bislang allerdings ohne großen Erfolg.
Neutroneneinfangelemente
Elemente, die schwerer als Zink sind, kommen im Universum im Vergleich zu den leichteren Elementen nur als Spuren vor: Sie sind ca. eine Million Mal seltener als z.B. Eisen. Wie in Kapitel 5 ausführlich beschrieben wird, werden kleine Mengen dieser schweren Elemente in verschiedenen Prozessen durch den Einfang von Neutronen Stück für Stück aufgebaut. Der r-Prozess läuft dabei sehr wahrscheinlich in Kern-Kollaps-Supernovaexplosionen ab, während der s-Prozess in weitentwickelten Riesensternen mit ~3 bis 8 Sonnenmassen vor sich geht.
Unabhängig von ihren Mengen spielen aber alle Elemente ihre Rolle in der chemischen Entwicklung einer Galaxie. Jedes Element spiegelt in einzigartiger Weise das feine Zusammenspiel aller astrophysikalischen Prozesse und Nukleosyntheseorte wider, die zur Bildung der Elemente beigetragen haben. Das Bild der Entwicklung der Neutroneneinfangelemente, welches uns durch die metallarmen Sterne vermittelt wird, ist dementsprechend komplex. Eine einfache Interpretation ist hier nicht möglich.
Abbildung 9.6 zeigt die Entwicklung von Barium. Die s-Prozess-Sterne sowie Sterne mit s- und r-Prozess-Anreicherungen sind mit unterschiedlichen Symbolen gekennzeichnet. Barium ist ein Haupt-s-Prozess-Element – dementsprechend haben diese Sterne riesige Bariumüberhäufigkeiten von bis zu 1000 Mal mehr als Eisen. Da der nukleosynthetische Ursprung der Neutroneneinfangelemente bei diesen Sternen eindeutig bekannt ist, ist es nicht verwunderlich, dass sich diese Sterne von allen anderen in Abbildung 9.6 absetzen. Das Gleiche gilt für die r-Prozess-Sterne, die durch Vierecke markiert sind. Denn Barium wird ebenfalls im r-Prozess erzeugt, wenn auch in geringeren Mengen.
Abb. 9.6 : Häufigkeitsverhältnisse des Neutroneneinfangelements Barium ([Ba/Fe]) für Halosterne mit verschiedenen [Fe/H]-Metallizitäten (gefüllte Kreise). Die Pfeile deuten obere Grenzen für die beobachteten Elementhäufigkeiten an. Offene Kreise bezeichnen die s-Prozess-Sterne sowie Sterne mit s- und r-Prozess-Anreicherungen. Die r-Prozess-Sterne sind mit Vierecken gekennzeichnet. Beide Gruppen haben aufgrund ihrer Klassifizierung als Sterne mit großen Mengen an Neutroneneinfangelementen sehr große Bariumhäufigkeiten. Die Entwicklung der Neutroneneinfangelemente ist wieder völlig anders als die der leichteren Elemente: Es existiert eine riesige Streuung von mehr als dem hunderttausendfachen Häufigkeitsunterschied zwischen den Sternen mit den niedrigsten und denen mit den höchsten [Ba/Fe]-Werten. Die durchgezogene Linie gibt die solaren Häufigkeitsverhältnisse zum Vergleich an.
Woher kommt jetzt aber das Barium in den normalen Halosternen, die als kleine offene Kreise in der Abbildung gezeigt sind? Aus dem s-Prozess oder aus dem r-Prozess? Die Antwort auf diese Frage ist sehr komplex. Fest steht aber eines: Die Bandbreite an Bariumhäufigkeiten spiegelt eine ungeheuere Vielfalt an möglichen Prozessen wie dem s- und dem r-Prozess und deren Produktionsraten wider. Dementsprechend kann angenommen werden, dass alle diese Prozesse mit der Zeit zur generellen Anreicherung des interstellaren Mediums beigetragen haben. Die regulären Halosterne bildeten sich also aus Gas, welches durch viele verschiedene Prozesse angereichert wurde. Somit spiegeln sie die durchschnittliche chemische Entwicklung der Neutroneneinfangelemente im Universum wider und nicht einzelne, bestimmte Nukleosyntheseereignisse.
Wie Abbildung 9.6 zeigt, haben Sterne mit [Fe/H] ~ –3,0 nur sehr niedrige Bariumhäufigkeiten im Vergleich zu Eisen und der Sonne. Mit ansteigender Metallizität steigt auch die Bariumhäufigkeit an. Dennoch ist dieser Trend im Vergleich zu denen der α-Elemente und Eisengruppenelemente (siehe Abbildungen 9.4 und 9.5) nicht besonders deutlich ausgeprägt: Bei jeder Metallizität gibt es Sterne mit sehr unterschiedlichen Bariumhäufigkeiten. Das Auseinanderpuzzlen der diversen Nukleosyntheseprozesse, die diese Beobachtungen zufriedenstellend erklären könnten, wird deswegen wohl noch Jahre dauern.
Leben basiert auf: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Phosphor, Schwefel und Stickstoff
Fast alle Elemente des Periodensystems, mit den Ausnahmen von Wasserstoff und Lithium, werden in Sternen erzeugt und in die kosmischen Objekte der nächsten Generation integriert und somit »recycelt«. Dies beschreibt die umfangreiche chemische Entwicklung im Universum. Wie aus der Arbeit mit metallarmen Sternen ersichtlich wird, reichte der Elementbestand des frühen Universums noch bei weitem nicht aus, um einen Planeten wie die Erde, auf dem Leben entstehen konnte, zu bilden. Die Erde mit ihrer Zusammensetzung aus Eisen, Sauerstoff, Silizium, Magnesium und weiteren Elementen konnte erst gebildet werden, als es im Universum ausreichende Mengen dieser Elemente gab. Diese Menge muss irgendwann in den ersten ~ 9 Milliarden Jahren nach dem Urknall erreicht worden sein. Sonst hätte die Sonne mit dem Sonnensystem aus dem präsolaren Nebel vor 4,6 Milliarden Jahren nicht auf diese Weise entstehen können.
Da die chemische Entwicklung einer der komplexesten Vorgänge im Universum ist und selbst die besten Modelle und Simulationen heutzutage nur grob beschreiben können, wie genau dieser Prozess im Detail vor sich ging, ist noch unklar, zu welchem Zeitpunkt das Universum, chemisch gesehen, »reif« für Planeten war. Hinzu kommt, dass die Planetenbildung selbst ein sehr komplizierter Vorgang ist und dass alle Planeten des Sonnensystems unterschiedliche chemische Zusammensetzungen besitzen. Es gibt also kein einfaches »Rezept« für die Entstehung von Planeten.
Bei der inzwischen von der Öffentlichkeit mit Spannung verfolgten großangelegten Suche nach Planeten müssen sonnenähnliche Sterne über lange Zeit hinweg beobachtet werden. Bei der Auswahl dieser Sterne wird meist nach extrem metallreichen Sternen gefahndet, deren Metallizitäten höher als die der Sonne sind. So steigert man die Chance, einen Stern zu finden, der von einem oder sogar mehreren Planeten umkreist wird, von denen einer als Lebensträger in Frage kommen könnte. Das Kepler-Weltraumteleskop hat in den letzten Jahren auf diese Weise schon Hunderte von Planeten entdeckt, wenn auch noch kein wirklich erdähnlicher dabei ist. Dies scheint aber nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Auch für die Suche nach einem erdähnlichen Planeten spielt also die Analyse der chemischen Zusammensetzung der Sterne eine wichtige Rolle.
Wie entwickelten sich nun die Elemente, die an der Entstehung von Leben, wie wir es kennen, maßgeblich beteiligt waren? Die wichtigsten Elemente in diesem Zusammenhang sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Phosphor, Schwefel und Stickstoff. Der menschliche Körper besteht hauptsächlich aus diesen Elementen. Durch den großen Wasseranteil im Körper macht Sauerstoff mit 61% den Hauptanteil der Körpermasse aus. Kohlenstoff steht an zweiter Stelle mit 23%, dann kommt Wasserstoff mit 10% und schließlich noch 3% Stickstoff. Die restlichen 3% bestehen aus vielen verschiedenen Spurenelementen. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften kann sich Kohlenstoff leicht mit anderen Elementen zu Molekülen verbinden, besonders mit Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Nur so können die in allen Organismen benötigten Moleküle wie Proteine, Nukleinsäuren, Kohlenhydrate und Fette gebildet werden. Diese drei Elemente sind also äußerst wichtig für uns, zumal wir zum Leben auch noch den Sauerstoff der Luft atmen müssen.
Doch auch Phosphor und Schwefel spielen eine wichtige Rolle im menschlichen Körper. Beide Elemente erfüllen fundamentale Aufgaben in jeder Zelle, indem sie die Bildung von wichtigen Molekülen ermöglichen. Ohne Phosphor gäbe es keine DNA- und RNA-Moleküle. Auch der Energiestoffwechsel der Zelle funktioniert ohne Phosphor nicht. Was ist über die Entwicklung dieser beiden Elemente im Kosmos aus der Arbeit mit metallarmen Sternen bekannt? Zuerst einmal sind Phosphor und Schwefel nur schwierig in metallarmen Sternen zu messen. Ihre Absorptionslinien liegen im Nahinfrarotbereich zwischen vielen Linien von H2O (also Wasser) und anderen Molekülen versteckt, welche allerdings in der Erdatmosphäre und nicht in dem Stern erzeugt werden. Diese Tatsache verkompliziert eine genaue Linienvermessung im Spektrum. Phosphor kann aus Siliziumatomen durch Neutroneneinfang erzeugt werden. Dies geschieht hauptsächlich in späteren Brennphasen während der Entwicklung von massereichen Sternen. Der neu synthetisierte Phosphor wird in der darauf folgenden Supernovaexplosion ins All geschleudert. Für Schwefel wird angenommen, dass es ein α-Element ist und genau wie Magnesium oder Titan durch den Einfang von Heliumkernen aufgebaut wird. Dementsprechend wird Schwefel ebenfalls in Kern-Kollaps-Supernovaexplosionen erzeugt und im Universum verteilt. Sowohl Phosphor als auch Schwefel sind also schon seit den frühesten Zeiten im Universum synthetisiert worden. Da sie nicht in Sternen mit geringeren Massen oder anderen Brenn- oder Entwicklungsphasen gebildet werden können, hat sich ihre Produktionsrate seitdem nur wenig, wenn überhaupt, verändert.
Schließlich ist hier noch ein kleiner Spaß angebracht. Bei der Arbeit mit metallarmen Sternen ist es immer die Hauptaufgabe, die Metallizität der Objekte zu bestimmen. Können wir dies auch für den menschlichen Körper tun? Ein Kollege hatte sich diese Frage auch gestellt und die Zuhörer in seinem Vortrag mit Handzeichen schätzen lassen, ob wir Menschen metallarm oder metallreich seien. Beide Antworten erhielten ca. 50% der Stimmen. Die Metallizität des Körpers richtet sich ja nach der Eisenmenge im Vergleich zur Wasserstoffmenge. Unser Eisen befindet sich im Blut und der Wasserstoff im Wasser. Es ergibt sich somit, dass wir, im Vergleich zur Sonne, metallarm sind – wir haben [Fe/H] = –0,5 und damit dreimal weniger Eisen als Wasserstoff im Vergleich zur Sonne. Mit den metallärmsten Sternen können wir aber nicht mithalten.