3.4. Der Artenreichtum der Sterne
Es gibt jede Menge Sterne in unserer Galaxie, wahrscheinlich zwischen 200 und 400 Milliarden. Das entspricht im Schnitt etwa einer Sterngeburt pro Monat seit dem Urknall. In allen diesen Sternen werden ständig Elemente synthetisiert, so dass die chemische Entwicklung stets vorangetrieben wird. Die gesamte Sternpopulation gleicht einem geschäftigen kosmischen Zoo, in dem es neben den heimischen Tieren vor allem jede Menge exotische Arten gibt: Denn auch wenn es beim Anblick des Himmels oder der Bilder von Sternen nicht immer danach aussieht, gibt es einen enormen Artenreichtum von Sternen in unserer Galaxie. Zu dieser Einsicht muss schon Annie Jump Cannon vor hundert Jahren anhand ihrer Spektralklassifikationen gekommen sein. Denn in der spektralen Signatur jedes Sterns ist seine individuelle »Persönlichkeit« verborgen.
Genau wie in einer Gruppe von Tieren oder Menschen gibt es größere und kleinere Sterne. Zudem können Sterne ihre Größe auch selbst verändern. Denn gegen Ende seines Lebens bläst sich jeder Stern zum sogenannten Roten Riesen auf. So hat z.B. der schwere Riese Beteigeuze einen Radius, der 1200 Mal größer ist als der der Sonne und somit größer als der Radius der Jupiterbahn um die Sonne. Da die leichte Sonne aber noch viele Milliarden Jahre von ihrem eigenen Endstadium entfernt ist, ist sie ein eher kleiner, noch nicht aufgeblähter Stern.
Die Größe eines Sterns sagt aber nicht unbedingt etwas über seine Masse aus. Die Sternmasse ist eine wichtige Größe in der Astronomie, wobei die Sonne mit ihren 2 × 1030 kg (was 333 000 Mal der Masse der Erde entspricht) zur Messeinheit wird: die Sonnenmasse. Der Massenbereich der Sterne ist sehr weit gefächert. Die Mindestmasse für einen Stern liegt bei etwa 0,1 Sonnenmassen, da ansonsten die Kernfusionen im Zentrum nicht zünden kann. Anzahlmäßig gibt es sehr viel mehr massearme als massereiche Sterne. Auf jeden massereichen Stern kommen etwa 1000 mäßig massereiche und 10 000 massearme Sterne. Die meisten Sterne haben dementsprechend Massen von wesentlich weniger als einer Sonnenmasse wie z.B. 0,3 Sonnenmassen oder noch weniger. Im Vergleich dazu gibt es Sterne, die 20 Mal oder noch massereicher als die Sonne sind. Und eine Handvoll Sterne soll sogar noch viel massereicher sein.
Mit der Masse nimmt auch die Rotation der Sterne zu. Im Gegensatz zu massereicheren Sternen mit mehr als fünf Sonnenmassen rotieren die masseärmeren Sterne nur langsam. Mit zunehmendem Alter werden dabei alle Sterne etwas langsamer, was besonders die langlebigen massearmen Sterne betrifft.
Weiterhin haben Sterne aufgrund ihrer verschiedenen Oberflächentemperaturen unterschiedliche Farben. Den Effekt verschiedener Glühfarben bei bestimmten Temperaturen kann man sehr schön bei Holzkohle im Grill beobachten. Normalerweise glühen die Kohlen nur schwach dunkelrot. Bläst man jedoch mit einem Blasebalg frische Luft hinzu, wird die Verbrennung frisch entfacht, die Brenntemperatur steigt, und die Kohlen glühen erst hellrot, dann orange, dann gelblich-weiß.
Je nach der Position der Sterne innerhalb der Milchstraße befinden sich einige in größerer Nähe zur Sonne als andere. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Entfernung zu uns erscheinen Sterne trotz gleicher Leuchtkraft für unser Auge unterschiedlich hell. Weiter entfernte Straßenlaternen erscheinen ja auch schwächer als näher gelegene. Aber ein stärker leuchtender, weiter entfernter Stern kann durchaus heller erscheinen als ein schwächeres, näheres Objekt. Deswegen sagt die scheinbare Helligkeit eines Objekts am Himmel noch nicht viel über seine eigentliche Leuchtkraft aus.
Die Leuchtkraft der meisten Sterne verändert sich nur extrem langsam und dann auch nur in den letzten Phasen der Sternentwicklung. Deshalb können solche Veränderung nicht direkt beobachtet werden. Dennoch gibt es viele pulsationsveränderliche Sterne, deren Helligkeit aufgrund von Pulsationen in der Sternhülle in recht kurzen Perioden von Minuten bis hin zu mehreren hundert Tagen variiert. Solche Veränderung können beobachtet werden. Erwähnenswert ist hier die Klasse der sogenannten Delta-Cephei-Sterne. Sie sind sehr helle Riesensterne, deren Helligkeit deutlich messbar in Perioden von einigen Tagen hin und her schwankt. Sie fungieren somit als »Leuchttürme« einer Galaxie. Denn aufgrund ihrer enormen Leuchtkraft können sie sogar in weit entfernten Galaxien beobachtet werden – dies hatte schon Edwin Hubble um 1920 entdeckt.
Unser nächster Stern-Nachbar ist der kleine, sehr kühle Zwergstern Proxima Centauri im Sternbild Zentaur. Er ist »nur« 4,2 Lichtjahre von der Sonne entfernt. Und nebenan befindet sich das Alpha- Centauri-System. Bei diesem System handelt es sich um ein Doppelsternsystem, das aus zwei sonnenähnlichen Sternen besteht. Sie befinden sich ca. 4,3 Lichtjahre weit von uns entfernt. 60% aller Sterne werden in Doppelsternsystemen geboren – Systeme wie das Alpha-Centauri-System sind also keine Seltenheit.
Doppel- oder Mehrfachsysteme bestehen aus zwei oder mehr Sternen oder einem Stern und einem kompakten Objekt, wie einem Neutronenstern oder einem schwarzen Loch. Weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher sind so etwas wie exotischere Varianten von »Sternen«. Kapitel 4 befasst sich weiter mit diesen Objekten, denn strenggenommen sind sie keine Sterne, da sie lediglich die kompakten Überreste von Sternen mit unterschiedlichen Massen sind und selbst keine Kernfusion betreiben.
Aufgrund ihrer Anziehungskraft sind diese Doppelsternsysteme aneinander gebunden und kreisen umeinander. Wenn die Sterne dabei weit voneinander entfernt sind, kreisen sie mitunter für Milliarden Jahre auf ihren Bahnen friedlich vor sich hin. Kreisen sie jedoch relativ nah auf einer engeren Bahn um ihren gemeinsamen Massenschwerpunkt, kann es zu gravitationsbedingten Interaktionen kommen. Bei solchen Sternpaaren kommt es oft zu Massenaustausch, bei dem der jeweils massereichere Primärstern Teile seiner äußeren Hülle an den masseärmeren Partner abgibt. Diesen Austausch von Materie zwischen zwei Sternen könnte man als kosmische »Love Story« betrachten, Details dieser Vorgänge sind in Kapitel 5 ausgeführt. Befindet sich der Primärstern in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, besitzt er eine leicht veränderte chemische Oberflächenzusammensetzung im Vergleich zum Sekundärstern. Durch den Massentransfer verändert sich somit auch die Oberflächenzusammensetzung des Sekundärsterns.
Die schon von Angelo Secci vor 1900 gefundene Spektralklasse der Kohlenstoffsterne kann auf eine solche Übertragung von Sternmaterie auf einen masseärmeren Begleitstern in einem Doppelsternsystem zurückgeführt werden. In der Hülle des weit entwickelten Primärsterns kann es alle 10 000 Jahre in einem sogenannten »Helium-Shell-Flash« zu explosivem Heliumbrennen kommen. Durch Konvektion wird der dabei entstandene Kohlenstoff (zusammen mit anderen Elementen) an die Sternoberfläche transportiert. Der Primärstern erscheint danach als »klassischer« Kohlenstoffstern. Wird dieser Riesenstern aber von einem masseärmeren Begleiter eng umkreist, kann es vorkommen, dass der Riesenstern durch seine Ausdehnung nach dem Flash seine Hülle mitsamt dem Kohlenstoff an seinen Begleiter abgibt, der hierdurch dann zum »nicht-klassischen« Kohlenstoffstern wird.
Die Sterne, die wir am Himmel sehen, sind meist Einzelsterne oder Sterne, die sich in einem Doppelstern- oder Mehrfachsystem befinden. Im Unterschied dazu gibt es aber auch viele Sterne, die in Sternhaufen auftreten. So sind z.B. die bekannten »Plejaden« ein offener Sternhaufen, der aus ca. 500 Sternen besteht. Die fünf bis zehn hellsten Sterne sind mit bloßem Auge im Sternbild Stier zu erkennen und machen das berühmte »Siebengestirn« aus. Neben diesen jüngeren offenen Haufen gibt es noch die sogenannten Kugelsternhaufen, die aus ca. einer Million Sterne bestehen. Diese riesigen Gebilde sind generell sehr alt, ca. 10–12 Milliarden Jahre, und befinden sich in äußeren Teilen der Milchstraße. Obwohl die meisten der Einzelsterne selbst nicht besonders leuchtkräftig sind, erscheinen die Kugelsternhaufen aufgrund ihrer vielen Mitglieder dann doch relativ hell am Himmel. Mit kleinen Amateurteleskopen können viele als leicht unscharfe Kugeln beobachtet werden.
Natürlich gibt es im Universum eine riesige Bandbreite von jungen und alten Sternen. Laufende Sternentstehungen in dichten Gasnebeln führen ständig zu neuen Sterngeburten. So gesehen ist die Sonne mit ihren 4,6 Milliarden Jahren noch relativ jung. Die ältesten Sterne sind dagegen ca. 13 Milliarden Jahre alt und somit fast so alt wie das Universum selbst.
Der Vollständigkeit halber sollte hier noch einmal erwähnt werden, dass letztlich natürlich die chemische Zusammensetzung von Sternen ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist. Die große Mehrheit aller Sterne hat eine ähnliche Zusammensetzung wie die metallreiche Sonne. Im Gegensatz dazu gibt es nur wenige Sterne mit niedriger Metallizität – je niedriger die Metallhäufigkeit, desto seltener sind sie. Denn sie stammen aus der Frühzeit des Universums vor vielen Milliarden von Jahren.
Die unterschiedlichen Metallizitäten haben ihrerseits einen Einfluss auf die Farbe der Sterne. So erscheinen metallarme Sterne blauer als metallreiche Sterne. Denn viele Metalle, wie z.B. Eisen, absorbieren besondern kurzwelliges, blaues Licht. Im Vergleich zu metallreicheren Sternen ist diese Art von Lichtabsorption in einem metallarmen Stern schwächer ausgeprägt. Somit sendet der Stern verhältnismäßig mehr blaues Licht als rotes aus. Ferner verdanken wir der geringeren Konzentration von Metallen und der damit verringerten Lichtstreuung in der Atmosphäre, dass in tiefere Schichten des Sterns »hinein« geschaut werden kann. Dadurch erscheint der Stern heißer und leuchtkräftiger als ein metallreicher Stern und leuchtet wiederum etwas blauer.
Schließlich sind noch ein paar Dutzend Sterne bekannt, die in allen Charakteristika der Sonne extrem ähnlich sind. Sie werden solare Zwillinge genannt. Die Sonne ist der Heimatstern für das gesamte Sonnensystem mit verschiedenen Arten von Planeten. Inzwischen sind zwar auch andere Sterne mit Planeten gefunden worden, aber keiner dieser Planeten gleicht bisher der Erde. Auf diesem Gebiet werden momentan viele Fortschritte erzielt, so dass es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis erdähnliche Planeten entdeckt werden. Allerdings lösen solche Entdeckungen nicht gleich die Frage nach Leben im All. Denn unser Wissen über die Details der eigentlichen Planetenbildung und die Rolle des Zentralsterns ist noch zu unspezifisch.
Hinter den kleinen funkelnden Lichtern am Himmel verbirgt sich also ein ungeheurer Artenreichtum an Sternen. Diese Vielfalt bietet Astronomen verschiedenartige Ansatzpunkte für unzählige Möglichkeiten, um den Kosmos zu verstehen und zu erforschen.