2.5. Den schweren Atomen auf der Spur

Mit der Erkenntnis, dass im Sterninneren große Mengen an Energie durch die Kernfusion des leichtesten Elementes, des Wasserstoffs, freigesetzt werden, war das Verständnis des Kosmos revolutioniert worden.

Aber auch die Natur der schwersten Elemente war seit 1900 Gegenstand der Forschung: Becquerel und das Ehepaar Curie hatten die Radioaktivität entdeckt und weiter erforscht. Auch die Physikerin Lise Meitner und der Chemiker Otto Hahn begannen um 1905 sich für dieses Thema zu interessieren. Zeitgleich mit der Beschreibung der Kernfusion um 1938 und 1939 führten neue Arbeiten zur Radioaktivität zur Spekulation, dass Energie auch von schweren Elementen freigesetzt werden könne. Allerdings durch eine Kernspaltung und nicht durch Fusion.

Ab 1907 hatte Lise Meitner begonnen, mit Hahn am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin zu arbeiten. Es war der Beginn einer dreißigjährigen Zusammenarbeit, bei der Meitner und Hahn ihre eigenen Abteilungen am Institut führten. Als Physikerin-Chemiker-Duo konnten sie ihr komplementäres Wissen gezielt einsetzen, um gemeinsam auf dem Gebiet der Radioaktivität und den Eigenschaften der schwersten Elemente zu forschen.

Hahn war dabei eher der Experimentator, während Meitner sich meistens mit den physikalischen Hintergründen beschäftigte. 1918 entdeckten sie das langlebige radioaktive Element Protaktinium (mit Kernladungszahl Z = 91), welches in der Zerfallsreihe des schweren, radioaktiven Elements Uran-235 noch vor dem Aktinium (Z = 89) steht. Hahn entdeckte 1921 dann das erste bekannte Kernisomer des Urans bei seinen Untersuchungen zur Zerfallsreihe dieses natürlich vorkommenden Elements. Isomere sind Nuklide mit gleicher Anzahl von Protonen und Neutronen, deren Kerne sich aber in verschiedenen langlebigen Zuständen befinden. Außerdem experimentierten Hahn und Meitner mit Neutronenbeschüssen auf Uran und Thorium. So waren sie neuen Elementen auf der Spur, die schwerer als Uran sein sollten. Seit der Entdeckung des Neutrons 1932 wurde angenommen, dass es möglich sei, solche transuranischen Elemente im Labor zu erzeugen. Im Wettstreit um einen möglichen Nobelpreis kam es zu einem Rennen zwischen Hahn und Meitner in Deutschland, Rutherford in England, Irene Joliot-Curie in Frankreich und Enrico Fermi in Italien.

Ab ca. 1930 arbeitete auch der Chemiker Fritz Straßmann mit Hahn und Meitner gemeinsam in Berlin. Er übernahm 1938 Meitners Aufgaben, als sie als Jüdin ihren Universitätsposten verlor und nach Schweden fliehen musste. Hahn and Straßmann führten gemeinsam die Experimente durch, die sie zusammen mit Meitner vor ihrer Flucht begonnen hatten. Hahn schrieb regelmäßig an Meitner, um über die Ergebnisse zu berichten. Es war ihren beiden Kollegen in Berlin gelungen, erste experimentelle Anzeichen einer Kernspaltung zu beobachten. Bei einem Beschuss von Neutronen auf einen Urankern war auf einmal das nur etwa halb so schwere Element Barium (Z = 56) erzeugt worden. Dabei hatten sie sich eigentlich erhofft, durch den Beschuss mit Neutronen schwerere Kerne zu erzeugen und nicht leichtere.

Hahn beschrieb diese neue Reaktion für Meitner als ein »Zerplatzen« des Urankerns und bat sie um eine »phantastische Erklärung« der ihm unerklärlichen Vorgänge. Diese neuen experimentellen Ergebnisse wurden im Januar 1939 ohne Meitner publiziert, da sie als Jüdin nicht mehr von Deutschland aus veröffentlichen durfte. Meitners Neffe, der Physiker Otto Frisch, hatte sie Ende 1938 in Schweden besucht. Somit war er dabei gewesen, als Meitner von den Ergebnissen der neuen Hahn’schen Experimente zu Weihnachten erfuhr. Auf einem Spaziergang im Schnee diskutierten Meitner und Frisch, dass der Urankern wie ein sich teilender Wassertropfen in zwei ähnlich große Kerne getrennt worden war. Das gemessene Barium war also einer dieser beiden neuen Kerne gewesen.

Meitner und Frisch berechneten nun, dass der Prozess energetisch möglich war. Der Massendefekt, also die Differenz aus der Gesamtmasse der beiden neuen Kerne zur Masse des ursprünglichen Urankerns, ergab über die Einstein’sche Formel die gleiche Energie wie die aus dem Abstoßen der beiden gleich geladenen Kerne nach der ungewollten Trennung des Urankerns.

Daraus folgte, dass durch Kernspaltung von nur ein paar wenigen Kilogramm Uran dieselbe Explosionskraft wie von vielen tausend Tonnen des chemischen Referenz-Sprengstoffs Trinitrotoluol (TNT) möglich sein sollte. Im Februar 1939 publizierten Meitner und Frisch daraufhin die berühmt gewordene physikalisch-theoretische Erklärung dieser Experimente. Sie nannten den neugefundenen Prozess »Kernspaltung«. Frisch war es in der Zwischenzeit schon gelungen, die Spaltungsprodukte direkt zu isolieren und so die Erklärung auch selbst experimentell zu bestätigen. Sein Ergebnis wurde in der folgenden Woche veröffentlicht. Schon wenig später wurde diese Erkenntnis auch auf der ganzen Welt bestätigt.

Die Wissenschaftler hatten die vermeintliche Kernfusion untersucht und dabei die Kernspaltung entdeckt. Sie wollten neue Elemente entdecken und hatten dabei eine neue Energiequelle gefunden. Sie hatten intensive Grundlagenforschung betrieben und veränderten auf ungeahnte Weise nicht nur das Verständnis des Kosmos, sondern in dramatischer Weise auch das Leben auf der Erde.

1944 bekam Hahn für seine Arbeiten zur Kernspaltung den Nobelpreis für Chemie, zu Unrecht ohne Meitner und Straßmann. Damit war Meitners Erklärung der Kernspaltung nicht gewürdigt worden. Immerhin erhielt sie dafür zusammen mit Hahn und Straßmann 1966 den wichtigen Enrico-Fermi-Preis.

Heutzutage gibt es eine ganze Reihe von Preisen und Vortragsreihen, die nach Lise Meitner benannt sind und an ihre Verdienste erinnern sollen. Auch ich durfte 2010 zwei »Lise Meitner Lectures« unter der Schirmherrschaft der Deutschen und Österreichischen Physikalischen Gesellschaften halten. Ich fühlte mich geehrt, in ihre Fußstapfen treten zu dürfen und über den Ursprung der Elemente sowie das Datieren von alten Sternen über den natürlichen radioaktiven Zerfall des langlebigen Uran-238 Isotops zu berichten. Und da es hier um Fußstapfen geht, ist es eine nette Begebenheit, dass das Ehepaar Hahn in den 1960er Jahren in Göttingen in dem gleichen Viertel lebte, in dem meine Mutter aufwuchs. Sie kann sich noch gut daran erinnern, diesem berühmten Herrn manchmal beim Spazierengehen begegnet zu sein. Auch ich habe als Kind meine Großeltern dort oft besucht, wenn ich auch damals noch nicht ahnte, dass ich einmal etwas über Hahn und seine Entdeckungen schreiben würde.

Auf der Suche nach den ältesten Sternen
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