In Gerlindes Hand

Kaum war Hartmut zum Tor hinaus, ließ die Königin Gudrun rufen. »Ich habe mit dir ein ernstes Wort zu reden«, begann sie in hartem Ton. »Höre, mein Sohn hat dich mir anvertraut. Nun hast du mir zu gehorchen. Doch du brauchst dich nicht fürchten, du kannst es gut haben, wenn du deinen Trotz aufgibst und mir versprichst, Hartmut bei seiner Rückkehr als Bräutigam zu begrüßen.«

»Meine Wahl ist getroffen«, erwiderte die Maid.

»Wie soll ich das verstehen?« fragte Gerlind.

»Allzeit und bis ans Ende bleibe ich Herwig treu!« stieß Gudrun unbeugsam hervor.

Unheil verkündete das Blitzen in den Augen der Alten. Doch sparte sie noch das volle Ausmaß ihres Zornes für härtere Strafe. Heute sollte nur der Anfang gemacht sein. »Du wirst einsehen«, leitete sie die Prüfungen ein, »daß dir keine Mägde mehr zustehen, wenn du nicht die Braut meines Sohnes bist. Sie sollen sich also ihr Brot selbst in der Gesindestube verdienen. Hier in deinen schönen Gemächern haben sie nichts mehr zu suchen.« Damit rauschte die Königin von dannen. Der Ring der Einsamkeit hatte sich völlig um Gudrun geschlossen.

Bald schickte sich die Peinigerin an, noch grausamere Erniedrigungen zu ersinnen. Grohe Gewänder sandte sie dem Opfer ihres Hasses und ließ dazu bestellen, daß Gudrun sich morgen früh zu niederem Dienst beim Haushofmeister melden solle. Den Staub zu fegen, die Öfen zu schüren, das werde fortan ihre Pflicht sein, denn das Faulenzen in prunkvollen Zimmern habe jetzt ein Ende. Die Edle klagte nicht, sondern tat stumm, wie ihr geheißen wurde. Von nun an ging sie als Magd in Kassiane umher, schlief in einem Verschlag in der Nähe des Stalles, und die Scheltreden böser Antreiber waren die einzigen menschlichen Laute, die an ihr Ohr drangen. Niemals hörte jemand sie klagen oder sah sie weinen, nur manchmal des Nachts tränkte sie die Kissen ihres dürftigen Lagers mit heißen Tränen. Einmal, als sie schon zu Bett lag, klopfte ein schüchterner Finger an die Tür, und Ortrun schlüpfte heimlich herein. Gudrun möge ihre Halsstarrigkeit abtun, bettelte sie, denn Schlimmeres stehe ihr sonst noch bevor. Vergebens. »Ach, käme doch Hartmut zurück«, seufzte das mitleidige Kind und entschwand leise, wie es gekommen war.

Nach langer Fahrt über die Meere ritt Hartmut endlich in Kassiane ein. Als er die Geliebte im grauen Kittel durch die Räume huschen sah, erschrak er und rief sie an: »In Samt und Seide würde ich dich kleiden und mit kostbarsten Geschmeiden überschütten, dir keinen Wunsch versagen, wenn du nur den einen Herzenswunsch gewährtest und mir das Jawort gäbest.«

»Ich kann nicht«, kam es aus Gudruns gequältem Herzen.

Der junge Held wandte sich ab, und nun wußte sie, daß sie den stärksten Freund verloren hatte.

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Zu seiner Mutter sagte Hartmut nichts, doch des Sohnes Schweigen und seine abermalige Abreise kurz darauf deutete sie als Einverständnis mit ihrem teuflischen Tun. Sie befahl nun ihren Leuten, Gudrun immer härter anzufassen, ihr immer schwerere Arbeit anzuweisen und sie knapp zu halten in Speise und Trank. Eines Tages stach ihr das goldblonde Haar der Jungfrau in die Augen. Einer Hexe gleich geiferte sie: »Ich wünsche, daß du meine Putzlappen mehr schaust. Du trägst ja den pfichtigsten Staubwedel selbst auf dem Kopf. Nimm von nun ab deine Zöpfe und mach mir damit meine Geräte blank.«

Unerträglich langsam nun der unglücklichen Gefangenen die Zeit dahin. Gleichmäßig hart blieb ihr Los, nichts linderte ihr bitteres Leid, als ab und zu ein schüchternes Trostwort Ortruns. Mit dem ersten Hahnenschrei mußte sie vom Lager auf und erst wenn der letzte Laut in der Burg verstummt war, durfte auch sie sich zu kurzer Ruhe begeben. Die Alte sah es gern, wenn rohe Knechte öfters einen Rutenstreich über den Rücken des stolzen Königskindes zogen.

Im siebenten Jahr von Gudruns grausamer Prüfung brach der Normannenherrscher zu einem Kriegszug von Kassiane auf und vereinigte seinen Heerhaufen mit dem seines Sohnes, der seither in einer Burg fern an der Grenze des Reiches gelebt hatte. Frau Gerlind fühlte sich nun der letzten Fessel ledig. Zu Gudrun trat sie heran, die eben gebückt aus dem Kamin die Asche forträumte, riß sie an den Haaren hoch und keifte sie in abgrundloser Bosheit an: »Höre, du bist stark und hochgewachsen, und die Arbeit, die man dir aufgetragen hat, scheint allzuleicht für dich. So eine kräftige Magd wie du fehlt mir gerade zum Waschen der Wäsche. Von morgen ab wirst du zum Strand hinuntergehen, tagein tagaus barfuß im Seesand stehen und mir die Lirnen und Laken sauber machen.«

Wortlos nickte Gudrun, aber dem scharfen Blick der Herrin war nicht entgangen, daß ein Schauer über den schlanken Mädchenleib lief. Wie die Peinigerin, so fühlte auch die Gequälte, daß es das Äußerste war, was man ihr an Kräften abverlangen konnte. Noch war es Sommer, doch es würde der Winter kommen, sie würde ihre nackten Füße und die frostzerrissenen Hände in das eiskalte Meerwasser tauchen müssen, der unbarmherzige Nord, der von der See hereinstürmt, würde durch ihre armseligen Kleider fegen. Dennoch, sie nahm es hin, wortlos, um Herwigs willen.

Der Winter kam und wieder ein Frühjahr, und Jahre reihten sich zu Jahren. Eine einzige Erleichterung wurde ihr zuteil, und diese half ihr, die letzten Stationen ihres Opferganges zu überwinden. Hildburg, ihre Magd und Gespielin der Jugend, die jetzt in die Gesindestube verbannt war, trat eines Tages vor Gerlind hin und flehte: »Blässer und blässer wird Gudruns Gesicht, sie trägt die Last nicht mehr lange. Erlaubt, daß ich ihr beistehe.«

Kopfschüttelnd mahnte die Alte: »Du weißt wohl nicht, daß es die schwerste Arbeit ist, die ich zu vergeben habe.«

»Mir wird sie leicht sein, wenn ich sie mit Gudrun teilen kann«, blieb die Getreue bei ihrem Entschluß.

Die Hexe war schon lange darauf aus, die Marter des stolzen Königskindes zu verschärfen, aber es war ihr keine geeignete Strafe in den Sinn gekommen. Jetzt brachte sie Hildburgs Vorschlag auf einen Einfall. Sie überlegte, daß Gudrun es hart treffen würde, wenn sie ihr nach einer gewissen Frist die Vergünstigung wieder entzöge. So erhielt die Bittstellerin zu ihrer Überraschung sehr schnell die Einwilligung.

Im tiefsten Schmerz läßt der kleinste Lichtblick alle Quellen der Hoffnung springen. So erging es Gudrun. Der Mann, dem ein Königreich über Nacht in den Schoß fällt, konnte nicht glücklicher sein als sie. Nun würde sie nicht mehr staunen, wenn endlich ein Segel über der Wasserwüste auftauchte, wenn Gepanzerte von den Schiffen sprängen, Herwig an ihrer Spitze, und sie heimholte in das Land ihrer Liebe. Den Blick, den sie schon gar nicht mehr meerwärts streifen zu lassen gewagt hatte, richtete sie wieder hinaus in die Ferne. Er wird kommen, er muß ja kommen — Herwig!