Seltsamer Empfang
Zu dieser Zeit weilte am Hofe des Königs Etzel der große Gotenkönig Dietrich von Bern mit vielen seiner treuesten Recken. Es war! nach der großen Rabenschlacht, und niemand außer ihm wagte es, dem Hunnenkönig die Trauerbotschaft vom Tod seiner zwei Söhne Ort und Scharf, die ihm Frau Helche geboren hatte, zu überbringen. An Rüdiders Seite waren einst die kühnen Jünglinge mit den Hilfstruppen, die Etzel dem Berner gestellt hatte, nach Italien gezogen und unter Wittichs Schwerthieben auf dem Blachfeld geblieben.
Der Berner war von seiner Begegnung mit Frau Kriemhild tief bestürzt gewesen. Was niemandes Auge wahrgenommen, seinem scharfen Blick und durchdringenden Verstand, der sich aus halben Andeutungen sehr wohl ein ganzes Bild zu machen verstand, war es nicht entgangen, daß die Königin düstere Rachegedanken im Busen barg.
Am Hunnenhof verbreitete sich die Nachricht, daß die Burgunden bei Bechlarn die Grenze des Reiches überschritten hätten und sich im scharfen Anritt auf die Etzelburg befänden. Das rüttelte den Berner mächtig auf, er witterte drohendes Unheil. »Auf«, rief er seinem alten Waffengefährten, Meister Hildebrand, zu, »Wir müssen den Wormsern entgegenreiten und sie warnen.«
»Fürwahr, das ist Freundespflicht«, versetzte der Recke, der ein halbes Hundert Schlachten mit seinem Herrn geschlagen und unzählige Abenteuer mit ihm bestanden hatte. Sie schwangen sich sogleich in den Sattel und trafen bald den gewaltigen Heerbann. Mit Freuden begrüßten Gunter und seine Genossen die berühmten Degen.
Dietrich hielt mit seinen Bedenken nicht lange hinter dem Berg. »Ist Euch nicht bekannt«, fragte er, »daß Kriemhild noch immer Siegfrieds Andenken beweint?«
»Laß sie flennen«, versetzte Hagen geringschätzig, »was tot ist, steht nicht wieder auf.«
»Gefährlich in seinen Zorn ist ein Weib«, mahnte der Cote.
Jung-Giselher widersprach: »Ihr redet gering von den Frauen. Ich kenne das Herz meiner Schwester, sie ist wohlgesinnt, nur Liebe erwartet uns.«
Der Berner ließ nicht locker: »Ihr seid jung, Herr Giselher, und allzu vertrauensselig. Ich habe gelernt, hinter der Maske der glatten Höflichkeit die tiefen Leidenschaften zu schauen.«
»Habt auf alle Fälle Dank für Eure Mitteilung«, nahm jetzt Gunter das Gespräch auf, »aber ich weiß nicht, was sie uns nützen könnte.«
»Wendet den Zug!« rief Meister Hildebrand.
»Jetzt, im Anblick der Etzelburg?« lautete Gunters scharfe Antwort. Dietrich entgegnete darauf: »Gewiß, noch immer ist es Zeit.«
»Wir führen scharfe Schwerter«, fiel Volker von Alzey ein, »und unsere Gegner sind kleine, schiefäugige Gesellen.«
Hildebrand gab zu bedenken: »Viele deutsche Recken sind am Hof Etzels dem Hunnengebieter durch Eid verpflichtet.«
»Das ist ein Wort«, triumphierte Hagen in düsterem Trotz, »der Streit mit dem gelben Gewürm wäre mir ohnedies bis in die Seele zuwider. Ehrlich freut mich die Aussicht, einen mannhaften Helden vor den Balmung zu bekommen.«
»So seid ihr also zur Weiterreise noch entschlossen«, stemmte sich Dietrich voll Bewunderung und Traurigkeit zugleich noch einmal gegen den burgundischen Wahnwitz.
Doch die Nibelungen setzten unbekümmert um die Warnung ihren Weg fort. Je näher sie der Etzelburg rückten, desto mehr belebte sich die Landstraße. Viel Volk säumte den Pfad und bestaunte voll Neugier die glitzernden Rüstungen, die prächtig aufgezäumten Rosse, die Hünengestalten der burgundischen Edlen. Die größte Aufmerksamkeit erregte Hagen von Tronje. Was war das auch für ein Mann! Riesengroß, mit so langen Beinen, daß die Steigbügel schier am Boden schleiften, über dem rabenschwarzen Haar den adlergeflügelten Helm, so wirkte er wie ein Riese der Urzeit.
Vom Turm der Etzelburg erscholl das Horn des Wächters, die Tore taten sich auf und hinein sprengte die ritterliche Schar. Krachend schlug die Pforte hinter den Nibelungen ins Schloß. Waren sie nun Gefangene? Aus Hütten und Nebengebäuden des mächtigen Burgbereichs huschten, Schatten gleich, die schmächtigen Umrisse der Hunnenkrieger, auf katzenweichen Sohlen umschlichen die Schlitzäugigen den Troß und verschwanden lautlos wieder aus dem Blickfeld. Unheimlich dünkte den Helden dies alles, sogar die Luft um sie schien schwül und mit Unheil geladen; doch sie hatten ihre Herzen mit kalter Entschlossenheit gewappnet.
Noch Bedenklicheres begab sich jetzt. Kriemhild trat aus der großen Halle, um die Ankömmlinge zu empfangen. Kein Fünkchen Freude stand in ihrem strengen Gesicht, in eisiger Hoheit schritt sie einher, neigte kaum merklich ihr Haupt vor Gunter und Gernot, und nur Giselher umarmte und küßte sie. Bestürzt verfolgten die Helden dieses seltsame Schauspiel, und Hagen murmelte, seinen Helm fester bindend: »Wir können uns auf etwas gefaßt machen!«
Kriemhild durchschaute des Tronjers Argwohn, mit jäher Bewegung wandte sie sich um und rief: »Sieh an, Hagen! Hat man dich etwa auch eingeladen? Und erwartest du gar einen Willkommgruß von mir?«
»Nein, Herzlichkeit hab’ ich mir von Euch nicht versprochen, nur soviel Höflichkeit, wie sie in deutschen Landen Brauch ist.«
Die Königin erwiderte: »Wenn ich mich recht erinnere, gebietet Euch die Sitte, dem Gastgeber ein Geschenk zu reichen. Wenn du schon viel auf die alten Gepflogenheiten gibst, dann darf ich dich wohl fragen, wo deine Gabe ist? Hast du mir vielleicht den Nibelungenschatz mitgebracht, den du mir einst schnöde raubtest? Weis ihn mir vor, und dann sollst auch du freundlich begrüßt sein.«
In gleich höhnischem Ton gab Hagen zurück: »Oh, unser Hort! Macht Euch keine Sorge um ihn, er liegt in einer sicheren Kammer. Flüchtige Wasser sind seine Mauern und lustige Fischlein die Wächter. Ihn mitzubringen ging leider nicht an, wir hatten genug an unseren Waffen zu schleppen.«
»Das war überflüssig«, spottete Kriemhild, »es ziemt sich nicht, gerüstet den großen Saal zu betreten.« Und ernst fuhr sie fort: »Ich bitt’ euch, edle Ritter, legt euren Stahl in der Rüstkammer ab, ehe ihr meinem Gemahl unter die Augen tretet.«
Die List durchschauend, brauste der Tronjer auf : »Ich kümmere mich den Geier darum, was bei den Hunnen schicklich ist oder nicht. Keiner von uns wird seine Waffen abtun. Besteht Ihr weiter darauf, dann wollen wir lieber auf der Straße kehrtmachen.«
Kriemhild sandte einen vernichtenden Blick auf den Todfeind, beherrschte sich aber und sagte kurz: »Es scheint, daß Hagen irgend etwas befürchtet. Vielleicht hat mich jemand verleumdet.«
Da trat Dietrich vor und bekannte: »Niemand hat Euch verleumdet, Königin, wohl aber habe ich die Freunde gewarnt. Geschah es zu Unrecht, dann will ich gern dafür büßen.«
Die Königin schwieg, denn sie fürchtete den Goten. Rasch wandte sie sich ab und schritt, von den Höflingen begleitet, hocherhobenen Hauptes in den Saal zurück.
Dietrich und Hagen faßten sich wortlos an den Händen. Lange verweilten sie so. Schier wollte der Tronjer die Rechte des Königs nicht mehr freigeben. Er, der es sonst meisterlich verstand, die weichen Regungen des Herzens zu verbergen, schien sichtlich bewegt. Dietrich glaubte den Grund zu erraten: den Nibelungen schaudert davor, so dachte er, mir morgen vielleicht als Feind zu begegnen. Und er versicherte aufrichtig: »Mich bindet kein Eid an dieses Haus; solange mich niemand herausfordert, will ich mich abseits halten.«
»Dank, Herr Dietrich«, entrang es sich Hagen aus tiefstem Herzensgrund.
Nun ließen die Ankömmlinge die Tiere versorgen und warteten, sich sammelnd‘ auf Etzels Ruf.
Hagen winkte Volker herbei, und sie gingen beide quer über den gewaltigen Hof, um sich auf einer Steinbank niederzulassen, die Kriemhilds Gemächern gerade gegenüberlag. Stumm saßen sie so eine Weile, dam deutete der Tronjer nach den Fenstern hinauf und sagte: »Siehst du dort sich eine Gestalt bewegen und nach uns herumspähen? Ich wette, Kriemhild ist’s.« Damit hakte er den Balmung aus dem Gehänge und legte ihn über die Knie, geradeso, daß das Licht der Sonne sich in dem kostbaren Stein von Jaspis, der den Knauf des Schwertes zierte, weithin funkelnd brechen konnte. Und er fuhr fort: »Die Frau dort oben soll bis in die Haarwurzeln erbleichen, wenn sie Siegfrieds Wehr in den Händen ihres Todfeindes sieht. Ja, diese Waffe ist mein bester Gefährte und wird mir treu sein bis zur letzten Stunde. Nun brauchte ich noch ein Menschenherz, das gleichermaßen zu mir stünde. Hart freilich wie dieser Stahl müßte es sein.«
»Nimm mich zum Freund«, rief der kühne Fiedler, »Verrat ist mir so unbekannt wie die Furcht.«
Ein Strahl der Freude schoß aus des Tronjers finsteren Mienen, und er besiegelte also den Bund: »Gut, dieses Angebot mag gelten. Blutsbrüdern gleich wollen wir zusammenhalten, und nun mag die Teufelin ihre Höllenhunde von der Kette lassen. Ein gutes Schwert und ein lieber Freund, was kann einem Helden besser frommen?«
Hagen hatte richtig vermutet; Kriemhild war an das Fenster geschlichen und beobachtete das Tun der beiden Gesellen drüben auf der Bank. Maßloser Zorn übermannte sie, als sie plötzlich Siegfrieds Waffe aufblitzen sah. Es gab keine Täuschung. An dem kostbaren Edelstein hätte sie unter tausend Schwertem unfehlbar den Balmung wiedererkannt. Zu schamlos dünkte sie diese Herausforderung! Tränen stürzten über ihr Wangen, in wildem Jammer schüttelte sich ihr Leib. Ein Haufe von Hunnenkriegem hörte die Schreie bis in die Vorhalle hinunter. Er nahte sich der Königin, und teilnahmsvoll erkundigte sich sein Anführer nach dem Grund der Trauer. »Wer rächt mich an Hagen, dem ungebührlich frechen Mann?« schluchzte sie, »seht doch nur den grausamen Unhold, er wagt es, mir das Schwert zu zeigen, das er seinem Mordopfer, meinem toten Gatten Siegfried, geraubt hat.«
Die Hunnen boten sich an, für ihre Herrin Leib und Leben zu wagen. Kriemhild überblickte die Rotte und schüttelte enttäuscht ihr Haupt:
»Zu wenig seid ihr.«
»Sechzig gegen zwei«, murmelte demütig der Anführer wieder, »ich denke, das wird reichen.«
»Habt ihr schon deutsche Streiche verkostet?« fuhr Kriemhild auf, »nein, ich sage euch, zu schwach ist eure Schar. Sind nicht noch mehr unter euch, die mir ergeben sind?«
Die Schlitzäugigen huschten von damen und brachten ihrer noch vierhundert. »Gut denn«, zeigte sich Kriemhild befriedigt, »es wird genügen. Folgt mir nun und habet genau acht, was ich Hagen frage und wie er antwortet.« Kriemhild setzte sich ihre Krone auf das Haupt und stieg an der Spitze der Schar auf den weiten Platz hinab.
Wie Volker der Königin von weitem ansichtig wurde, sagte er: »Seht, dort naht die Königin. Sollten wir uns nicht erheben, wie es sich edlen Frauen gegenüber ziemt?«
Wuchtig drückte Hagen den Freund auf die Steinplatte nieder und erwiderte schroff: »Sie sinnt auf mein Verderben und ich sollte noch zu ihr freundlich sein? Und dazu glauben die Kerle vielleicht noch, ich würde feige Reißaus nehmen, wenn ich mich erhebe.« Und so blieben sie trotzig sitzen.
»Hei, die tückischen Gesellen«, rief Volker jetzt, »unter seidenem Umhang seh’ ich Stahl und Eisen blinken!«
»Nun, hast du geglaubt«, höhnte der Tronjer, »sie kämen, um einen Reigentanz aufzuführen?«
Indes war Kriemhild nahe herangetreten. Sie fauchte Hagen an: »Ich habe eine Frage an dich, du grober Klotz. Wer hat dich eingeladen, daß du es gewagt hast, dieses Land zu betreten?«
Der Tronjer erwiderte: »Nach mir hat niemand gefragt. Man hat drei Könige eingeladen, die meine Herren sind.«
Kriemhilds ganzer durch Jahre aufgesammelter Zorn entlud sich jetzt in der Frage: »Sag mir, schwarzer Wüterich, warum hast du meinen Gatten erschlagen?«
Dieser Schrei riß Hagen hoch. Der Beschuldigung schleuderte er also seine Klage dawider: »Der durfte nicht leben bleiben, der die Ehre meiner Königin Brunhilde in den Staub getreten. Ja, ich war’s, der Siegfried erschlug, den Eidbrecher und listigen Betrüger. Ja, ich habe ihm den Mordspieß zwischen die Schultern genannt. Die Drachenhaut, in die er sich heimtückisch gehüllt hat, ließ mir keine andere Wahl. Ja, ich habe den Hort gerauht, denn ich betrachte ihn als rechtmäßige Beute. Schreit Euer ›Schuldig‹, ich donnere meines in die Welt. Schuld gegen Schuld, wo ist einer, der, vermessen genug, da wägen und richten wollte!«
»Ihr habt’s gehört«, schnitt Kriemhild dem Tronjer das Wort ab, »nun, ihr tapferen Hunnenkrieger, tut, wie ihr es mir versprochen habt.« Damit wandte sie sich in den Palast zurück, um sich vom Söller aus an der Niedermetzelung der beiden Burgunden rachetrunken zu weiden.
Doch es sollte anders kommen. Hagen hatte noch nicht geendet. »Seht den Balmung«, rief er den Hunnen zu, »er war einst Siegfrieds unwiderstehliche Waffe. Wollt ihr verspüren, ob sich dieser Raub gelohnt hat?« Damit führte er in sausendem Schwung die Klinge durch die Luft, daß die Mannen Etzels scheu zurückwichen.
Flüsternd hielten die gelben Krieger Rat. »Ich habe keine Lust, mich wie eine Fliege totschlagen zu lassen«, raunte der eine — »der Fiedelspieler versteht sich auf Stahl so gut wie auf das Holz seiner Geige«, der andere. — Ein Alter murmelte: »Zweiundzwanzig Schlachten hat Hagen geschlagen, ich weiß es genau und kenne ihn noch von der Zeit, wo er an Etzels Hof weilte.« — Ein vierter darauf: »Der Balmung zerschneidet jeden Panzer. Hütet euch.«
Sich so beredend, war ihre Kampfeslust bald gestillt. Immer weiter drückten sie sich gegen den Hintergrund und entschwanden in aller Stille. »Feige Memmen«, zischte Kriemhild, und mit einem Blick unsäglicher Verachtung zog sie sich in ihre Gemächer zurück.
Hagen und Volker stießen nun wieder zu den Ihren. Ein Herold erschien und brachte, sich verneigend, Botschaft seines Herrn: »König Etzel bittet euch in den großen Saal.«
In voller Rüstung, gemessen und feierlichen Schritts betraten die Nibelungen die herrlich geschmückte Halle.
Es war am Vorabend des Sonnwendtages …