Hochzeit in Worms

Siegfried bewegte den Nachen mit so großen Kräften vorwärts, daß er nicht länger als eine Nacht und einen Tag brauchte, um an jene Stellen zu kommen, wo der Sachsenwald das Ufer des Rheins erreicht. Hier begann Sein Reich, das Land der Nibelungen. Und es gelüstete ihn, ehe er Worms anlief, zu erkunden, ob Alberich mit treuem Sinn seinen Geschäften nachgegangen sei.

Da es schon Abend war, beschlcß der Held vorerst in einer Burg zu nächtigen, die auf einem Fels nicht weit vom Strom lag. Er begehrte Einlaß, und von drinnen fragte eine rauhe Stimme: »Wer seid Ihr?« Sich verstellend antwortete er, daß ein umherziehender Ritter um Quartier bitte.

»Dieses Land ist Siegfrieds Land«, kam es polternd zurück, »wenn du dich nicht gleich von binnen trollst, werde ich dir Beine machen.«

Der Recke freute sich dieser Worte und pochte stürmisch weiter. Da flog das Tor auf, ein gewaltiger Riese trat hervor und versuchte, sich mit wildem Griff des Nibelungenherrschers zu bemächtigen. Sogleich waren beide in einen so heftigen Kampf verwickelt, daß die ganze Burg von den Schlägen widerhallte. Siegfried wollte den Mann nicht töten, der in Ergebenheit zu ihm stand, sich aber auch nicht zu erkennen geben, weil er ja noch den Zwerg zu prüfen gedachte. Mit vieler Mühe gelang es ihm endlich, den ungeschlachten Gesellen zu überwältigen und gefesselt in ein Turmgemach zu bringen. Dann legte er sich auf einer Bank zur Ruhe. In der gleichen Nacht noch brachten Knechte die Nachricht von dem Vorfall in den Drachenberg. Wie ein Blitz fuhr Alberich hoch, riß die goldene Geißel an sich, eine furchtbare Waffe, denn an jeder ihrer sieben Schnüre hing eine schwere Bleikugel.

In blinder Wut kam der Zwerg auf das Schloß gestürmt und hieb ohne Besinnen auf den Schläfer ein. Obwohl er nur ein paar Fuß hoch war, besaß er doch die Kraft von zwölf starken Männern. Der Held sprang auf, und nicht anders konnte er sich erwehren, wenn er den Alten nicht verletzen wollte, als ihn bei seinem eisgrauen Bart zu fassen und so lang bin und wieder zu schütteln, bis er die flehentlichen Worte hörte: »Lasset mich doch heil davonkommen. Wahrlich, wenn ich nicht schon einem tapferen König untertan wäre, so möchte ich Euch dienen.«

Da erkannte Siegfried, daß in seinem Reich alles wohl bestellt war. Seinem kleinen Verweser streckte er die Hand hin und lobte ihn: »Du bist treu wie Gold, Alberich.« Und da entdeckte der Zwerg erst, wen er vor sich hatte und sank freudig seinem Herrn zu Füßen. Der Riese wurde aus seinem Gefängnis befreit, und dann wandte sich der Held wieder zum Gehen.

Beim Abschied verdüsterten sich auf einmal Alberichs Mienen. Flehend fast klangen seine Worte: »Herr Siegfried, furchtbar funkelt der Reif an Eurem Finger. Einen blutroten Schein wirft er über Euch.«

Gelassen blickte der Herrscher der Nibelungen auf den Ring und erwiderte: »Du träumst, Alberich.«

Eindringlicher aber schwoll die Stimme des Horthüters an, und beschwörend drang er auf seinen Herrn ein: »Ich höre Drommeten4 wie von einer Hochzeit, und ich höre Glocken wie von einem Grabgeläut. Kommt zu uns in den Berg zu Euren treuen Zwergen, dort ist Euch Frieden und Glück beschieden.«

Siegfried lachte und sprengte davon. In die Burg zu Worms einreitend, begegnete er erst Gernot und Giselher; die erschraken, als sie ihn allein kommen sahen. Desto größer war die Freude über die Botschaft von dem glückhaften Ausgang der Fahrt. Alsogleich wurde Siegfried zu den beiden königlichen Frauen geführt, und immer und immer wieder ließen sich Ute und Kriemhild den grimmigen Wettkampf im Isenland schildern. Der Erzähler verschwieg aber die Rolle, die er selbst dabei gespielt hatte. Nun wurde zum festlichen Willkomm gerüstet, Rumold der Küchenmeister und Sindbold der Mundschenk trafen große Vorbereitungen für die zu erwartenden Gäste. Am Ufer des Rheins wurden Holzgerüste aufgerichtet, damit auch das Volk den Empfang des stolzen Herrscherpaares verfolgen könne. Teppiche wurden von der Burg bis an das Gestade des Stroms gelegt. Schließlich war es so weit, daß Herolde das Nahen des Schiffes verkündeten. Gernot und Giselher eilten mit allen Rittern zum Anlegeplatz, selbst Frau Ute stieg noch einmal auf ihren Zelter. Ortwin von Metz hielt ihn am Zügel, Kriemhilds Roß führte Siegfried. Freude spiegelte sich im lieblichen Antlitz der Jungfrau und auch heimliches Bangen. Die Frage quälte sie: wie würde sie sich mit der stolzen Brunhild verstehen? Nicht lange brauchten sie am Ufer zu warten, denn bald kam Bewegung in die Menge. In majestätischer Fahrt einherrauschend, tauchte das Schiff hinter einer Stromwindung auf, und man erkannte ganz vorne am Bug die hohe Gestalt Gunters. Und doch wirkte sie klein neben dem herrischen und selbstbewußten Weib, das neben ihm stand. »Seht dort Brunhild«, rannte es im Volk nnd in der Gruppe der Ritter. Sicher betrat sie an ihres Verlobten Hand die schwankende Bohlenbrücke, dankte mit hoheitsvollem Nicken dem Jubel, der ihr entgegenscholl, und tauschte mit Frau Ute und Kriemhild die erste Begrüßung aus. Unter allgemeinem Freudengetöse, dem Heilrufen der Recken, dem Dröhnen der Schilde, auf denen die Knappen die Schwerter spielen ließen wie die Schlegel auf einer Trommel, bewegte sich der glänzende Zug in die Burg. Dort hatten Rumold und Sindbold ein herrliches Fest vorbereitet. Blumengirlanden zogen sich rings um die große Halle, Blumen auch waren auf die mit weißen Linnen bedeckten Tische gestreut und zierten die goldenen Becher und Kannen. Stumm betraten die Gäste den Saal. Noch summte kein Gespräch, fahrende Spielleute und Sänger hielten sich im Hintergrund, feierliche Stille lag über dem gewaltigen Raum. Alles harrte gespannt auf das Zeichen des Königs.

Da zeigten Posaunenstöße die Ankunft eines neuen hohen Gastes an: der Bischof war es, der mit reichem Gefolge und von dem ihm entgegengeeilten Gunter geleitet feierlich in die Halle schritt, um der Hochzeitszeremonie die göttliche Weihe zu geben.

Der Herrscher gebot nun den Edlen, sich zu einem Ring zusammenzuschließen, in dessen Mitte bat er Brunhild zu treten und, sich selbst neben sie stehend, erhob er also gemessen und würdig seine Stimme: »Von weiter Fahrt sind Wir, Gunter, König der Burgunden und des Isenlandes, glücklich heimgekehrt. Mit Uns gekommen ist Unsere hohe Braut Brunhilde. Wie Wir ihr jetzt die Krone aufs Haupt setzen und Unsere Lippen auf ihre Stirn drücken, wie der Priester segnend seine Hände hebt, dürfen Wir sie mit Stolz und in Ehren Unsere liebe Gemahlin nennen. Sie wird an Unsrer Seite sitzen und zwei große Reiche mit Uns regieren.«

Zimbeln und Harfen, und darüber schwebend eine süße Melodie von Volkers Geige, schickten ein überirdisch schönes Danklied gen Himmel. Doch ein plötzlicher Wink Gunters unterbrach jäh die seraphischen Klänge. Zur allgemeinen Überraschung entbot er Siegfried und Kriemhild in den Kreis und fuhr fort: »Schon lange sind sich der ruhmreiche Held aus Niederland und Herrscher der Nibelungen und Unsre hochgeborene Schwester in holder Liebe zugetan. Hat es auch Kriemhild schamhaft verschwiegen, so haben Wir doch Siegfrieds Bitte willfahrt, ihm nach unserer Heimkehr die einzige Tochter der Burgunden zum Weib zu geben. So fordern Wir den Bräutigam auf, Unsrer Schwester den Vermählungskuß zu geben, und fleben dabei um den Segen des Herrgotts.«

Mit niedergeschlagenen Augen, das Antlitz vor Purpurröte übergossen, trat Kriemhild auf den Recken zu. Ein Schauer des Glücks ließ sie holdselig erheben, als sie den warmen Atem des über alles geliebten Mannes auf Mund und Stirne spürte. Schöner hat Volker von Alzey nie gespielt als jetzt, da er Töne wie Engelstimmen den Saiten entlockte, während der Bischof mit dem Zeichen des Kreuzes den Bund besiegelte.

Auf Gunters Zeichen löste sich der Ring, die Gäste strömten an die Tafel; auf dem Hochsitz nahm das Herrscherpaar Platz, ihm gegenüber Siegfried und Kriemhild, dann Frau Ute, Gernot und Giselher, und an sie reihten sich die vielen andren Gäste. Die Türen sprangen auf, Speisenträger und Mundschenke traten ein. und der Wein floß in Strömen.

Auf allen Gesichtern glänzte bald Festesfreude; da erzählte ein Recke rühmend seine Taten, dort sang ein Spielmann einen Preisgesang auf die zweifache Hochzeit am Hof zu Worms, und schließlich wagten sich die Musikanten auch an gar manches heitere Stücklein.

Nur Brunhild blickte finster drein, saß starr und stumm, als ob sie das alles nichts anginge, bis endlich Gunter sich ihr in freundlicher Sorge zuwandte und fragte, was sie bedrücke.

Die Königin fuhr aus ihrem Brüten auf. »Wenn du es wissen willst«, antwortete sie, den Ursprung ihres Grolls, den Haß gegen Siegfried vorsichtig verkleidend, »dann höre: Das Schicksal deiner Schwester macht mir Kummer. Darf es sein, daß sie, die Tochter eines stolzen Königs, einem unfreien Mann zu eigen sein muß?«

Gunter erschrak über diese Worte. Wehe, wenn Brunhild im Sinne hätte, dem furchtbaren Geheimnis zwischen ihm und dem Nibelungen nachzuspüren? Es schien ihm das beste, solange es anging, leichthin darüber hinwegzugleiten. »Mein Gemahl«, erwiderte er wie von ungefähr, »ist dir nicht bekannt, daß Siegfried einmal nach seinem Vater Siegmund den Thron am Niederrhein besteigen wird und daß ihm das Land der Nibelungen jetzt schon untertan ist?«

»Seltsam«, bohrte Brunth unerbittlich weiter, »im Isenland gabst du ihn für deinen Lehensmann aus. Nur eines von beiden kann wahr sein.«

Gunter griff zu einer Ausflucht: »Siegfried war mein Bundesgenosse schon im Sachsenkrieg.«

Höhnisch lachte das Weib auf: »Sollte mein kluger Gemahl nicht wissen, daß man sich Könige nur durch einen freien Vertrag verpflichten kann, Knechte einem aber durch ein unkündbares Gesetz untertan sind? Was ist er also, Speergenosse oder Diener? Wann hast du gelegen, damals oder jetzt?« Des Königs Miene verdüsterte sich, und ernst wies er seine Gattin zurecht: »Sorge dich nicht um die Ehre meines Hauses, stolze Brunhild. Es ist damit genug, wenn ich dir sage, daß Siegfried wert ist, mein Anverwandter zu sein.«

Brunhild bemerkte, daß der leise geführte Wortwechsel den Tafelgenossen auffiel. Sie wollte für heute nichts auf die Spitze treiben, der Tag würde kommen, wo sie sich ohne Erharmen Aufklärung zu verschaffen gedachte. Ein wenig freundlicher lenkte sie ein: »Nun, dann wird es wohl so sein.«

Nach Mitternacht hob Gunter die Tafel auf. Nach der Verabschiedung begab sich das Herrscherpaar allein zu seinem Gemach. Das war die Stunde, die Brunhild sich schon lange zur Rache für ihre Niederlage im Wettkampf auserkoren hatte. Im Augenblick, als sie die Schwelle überschritten hatten und sich die Tür hinter ihnen schloß, umfaßte die Hünin ihren Gemahl mit übermenschlicher Kraft. Er war wie ein Spielzeug in ihren Armen; sie riß sich den Gürtel vom Gewand, band ihm damit Hände und Füße und hängte ihn an einen Nagel an der Wand. Dann legte sie sich schlafen und kümmerte sich nicht weiter um ihn. Am Morgen weckte sie dann leises Stöhnen. Ihr Blick fiel auf das aschfahle Antlitz Gunters, und sie erlöste ihn von der Qual. Doch drohte sie, das Spiel in der kommenden Nacht zu wiederholen.

In seiner Seelenpein wußte der König sich keinen anderen Rat, als noch einmal Siegfried um Hilfe zu bitten. Für den Tag nach der Hochzeit war ein großes Turnier angesetzt. Siegfried war der Held der Spiele und in vielen Tjosten5 glänzte seine unüberwindliche Kraft und Kühnheit. Der König wußte es so einzurichten, daß er mit dem Ende der Kämpfe, abseits von Rittern, Frauen und Volk, dem Drachentöter begegnete und ihm sein Leid klagen konnte. »Das tut mir von Herzen weh«, antwortete der Held, den Brunhilds Gewalttätigkeit sehr erzürnt hatte, »und ich will dir zu Hilfe kommen. Geh nur abends getrost mit ihr in dein Gemach, und im Augenblick, in dem du die Türe schließt, lasse gleichsam aus Ungeschicklichkeit die Kerzen fallen und verlöschen. Ich werde zu gleicher Zeit unsichtbar unter derTarnkappe ins Zimmer schlüpfen.«

Wie es besprochen werden war, wurde es ausgeführt, und in der Dunkelheit der Kammer entspann sich ein wilder Kampf zwischen Siegfried und Brunhild. Die Königin hatte wieder ihren Gürtel bereit, um ihren Gemahl damit zu binden, doch diesmal stieß sie auf eine heftigere Gegenwehr. Trotzdem, ihre Kräfte waren so gewaltig, daß ihnen sogar der Drachentöter anfangs zu erliegen drohte. Er sank zu Boden, und so wuchtig preßte ihm das Weib die Hände zusammen, daß das Blut unter den Nägeln hervorquoll. Doch Siegfried richtete sich langsam wieder auf, so heiß Brunhild auch rang, ihn auf dem Boden zu halten und zu fesseln. Allmählich gewann er die Oberhand, und König Gunter, der sich abseits im tiefen Schatten hielt, vernahm mit Bangen das stürmische Keuchen der Ringenden. Da endlich hatte der Recke die Hünin umschlungen und warf sie nieder, daß sie laut aufschrie und um ihr Leben flehte.

Hieß Siegfried eine übermütige Laune, nach einer Trophäe von diesem seltsamen Zweikampf zu begehren? Oder hatte sich der Ring von Brunhilds Finger im Kampfe abgestreift und war samt dem Gürtel, den er ihr entwunden hatte, durch Zufall in seiner Hand geblieben? Als er wieder aus der Kammer schlüpfte, behielt er diese Siegeszeichen bei sich. Er übergab sie später seiner geliebten Frau Kriemhild, der er alles anvertraute. Diese Tat sollte der Held später mit dem Tode büßen, sie sollte das unheilvolle Schicksal auslösen, das Gunter und sein Haus vernichtete bis auf den letzten Mann …;