Siegfrieds Heldentaten im Odenwald

Ein Jahr war vergangen, und noch immer hatte sich Kriembild dem Gast nicht gezeigt. Schon erwog er insgeheim den Gedanken, wieder in seine Heimat abzureisen, als ihn ein schwerwiegendes Ereignis in Worms festhielt.

Die Könige der Sachsen und der Dänen, Lüdeger und Lüdegast, hatten sich zu einem Krieg wider Gunter verbündet und befanden sich im Anmarsch gegen das Burgundenland. Bevor sie seine Grenzen am Odenwald erreichten, ließen sie durch Boten in Worms den Fehdebrief bestellen. König Gunter nahm die Kriegserklärung mit äußerster Bestürzung auf. Sie schien ihm nicht Angebot eines ehrenhaften Streits, sondern nackter räuberischer Überfall. Denn in zwölf Tagen wollten die Feinde vor den Toren der Burg stehen, und viel zu kurz war diese Frist, um die im weiten Reich verstreute Macht der Burgunden zu sammeln. Nicht mehr als tausend Krieger standen im Augenblick zur Verfügung. Mit einer so schwachen Heerschar den Kampf gegen zwei Könige aufzunehmen, hieß in das sichere Verderben rennen.

Gunter berief seine Brüder und Recken zum Rat. Selbst Hagen schüttelte bedenklich sein rabenschwarzes Haupt, als er die Größe der drohenden Gefahr erfuhr. Es läge ihm nichts daran, gab er kund, mit seinen Herren in die Hölle dieser Schlacht zu stürzen, die Vernichtung abzuwenden könne er sich jedoch nicht verbürgen. Nichts anderes wüßte er, als Siegfried um Waffenbrüderschaft zu bitten, denn sagenhafte Kräfte seien ihm zugesellt. Daß solcher Hinweis gerade von dem Tronjer komme, wunderte Gernot; aber er freute sich darüber, weil es nun gewiß wäre, daß der alte Hader vergessen sei. Noch andere Möglichkeiten wurden besprochen, und am Ende ging man ohne Beschluß auseinander. Gunter behielt sich vor, Hagens Vorschlag zu erwägen.

Nach der Beratung traf Siegfried den König. Gunters Niedergeschlagenheit fiel ihm auf, und er fragte frei nach der Ursache der Bekümmemis Gernots, Hagens, Ortwins, Dankwarts und Sindolts. Der Fiedler Volker, auf die inständige Bitte Siegfrieds, gab das Geheimnis preis.

»Hei«, jubelte der Drachentöter, als er die Kunde vom Anrücken der Feinde vernommen hatte, »schon lange dürstet mich nach hartem Männerstreit. Laß sie nur kommen, König, und wenn es ihrer dreißigtausend sind, ich vérspreche, sie mit deinen tausend Mannen zu zerschmettern. Ich bitte daher nur um den Beistand deiner tapfersten Recken, deines Bruders Gernot, Hagens, Ortwins, Dankwarts und Sindolts. Der Fiedler Volker, der das Schwert so gut führt wie den Geigenbogen, soll mein Fahnenträger sein. Du selbst aber magst am besten zu Hause bleiben, dem des bangende Reich hat indes eine starke Hand vonnöten.«

Die strahlende Zuversicht des Helden sprang wie ein Funke auf den König über, heller wurde seine Miene, und freudig erregt dankte er: »Du hast mir eine schwere Sorge abgenommen, Siegfried. Ich wüßte keinen, den ich lieber an die Spitze meines Heeres stellte. Zieh denn mit Gott!«

Lüdeger und Lüdegast erbleichten bei der Nachricht, daß der Drachentöter Gast der Burgunden sei und die Führung ihrer Streiter übernommen habe. Doch ein Zurück gab es nun nicht mehr, und sie stießen über die Grenze vor, durchquerten den dunklen Tann des Odenwaldes und schlugen an seinen letzten Ausläufern ein Lager auf.

Indes war Siegfried allein Tag und Nacht den Main durch Hessen aufwärts geritten. Ihm folgte bald die Hauptmacht, die er Gernot und Hagen zugeteilt hatte, und schließlich kam eine kleine Nachhut, die Dankwart befehligte.

Fern im Osten zeigte sich ein erstes Frührot am Himmel, als Siegfried in einer Hügelslenke den Schein verglünmender Wachtfeuer erblickte. Gedämpfter Waffenlärm schlug an sein Ohr, und er wußte, daß er das feindliche Heer vor sich habe. Gedeckt im Schatten einer mächtigen Buche wartete er das Licht des anbrechenden Tages ab, um die Stärke der gegnerischen Scharen und ihre Aufstellung zu erkunden. Was nun die aufgebende Söhne enthüllte, hätte jedes Recken Brust erheben lassen, nicht über die des Königssohnes von Xanten: Zelt reihte sich an Zelt, wohl an die vierzigtausend Krieger möchten dort rasten. Als Siegfrieds Auge das Gelände äbspähte und sein Geist die Schlachtordnung der Burgunden entwarf, löste sich drüben aus dem Gewimmel ein Mann. Langsam kam er dahergeritten, immer wieder hemmte er den Schritt seines Rosses, um prüfend Umschau zu halten. Ganz dicht war er nun heran, und der Späher hinter dem Baum erkannte an goldenem Zaumzeug, an silberglänzendem Harnisch und Helm, daß er einen der beiden Herrscher vor sich hatte. In der Tat, Lüdegast, der Däne, hatte sich auf Erkundung begeben und sein Unglücksstern führte ihn geradenwegs mit dem Unbesiegbaren zusamman.

Siegfried legte den Speer ein, das leise Klirren der Panzerringe erschreckte den König jählings, seine Hand riß zuckend am Zügel, und er hielt. Der Führer der Burgunden gab dem Gegner die Spanne eines Atemzugs zur Vorbereitung seiner Verteidigung. Dann stachelten sie ihre Pferde an und stürmten mit voller Wucht aufeinander los. Furchtbar war der Zusammenstoß. Lüdegast wurde aus dem Sattel geworfen, sein Hengst machte mit fliegenden Flanken kehrt und raste dem Lager zu. Siegfried sprang nun schnell zur Erde, die Klingen pfiffen, Feuerfunken brachen aus Brünne und Helm, denn der Däne wehrte sich tapfer.

Das reiterlos heimkehrende Roß hatte das ganze Lager in schlimme Ahnung versetzt, und dreißig Recken eilten ihrem Gebieter zu Hilfe. Sie kamen zu spät. Röchelnd lag Lüdegast auf dem Rasen hingestreckt, er hatte ausgekämpft. Mit wildem Ingrimm warfen sich seine Mannen auf den einsamen Helden. Doch dieser nahm den Kampf auf. Der Balmuhg sauste zischend durch die Luft, und jeder Streich bedeutete eine tödliche Wunde. Bald lagen alle Gegner tot am Boden.

Hörner gellten vom Forst her. Hagen meldete seinen Anmarsch! Er kam zur rechten Zeit, denn nun strömten unübersehbar die Krieger über das Blachfeld heran. Siegfried geduldete sich nicht so lange, bis das Fähnlein zu ihm aufrückte, sondern brauste allein auf die feindlichen Reiter zu, hieb wie eine Windsbraut einherfegend die Vordersten vom Pferd. Der Zug der Sachsen stockte — sie hatten nach Lüdegasts Tod die Vorhut eingenommen —, die weiter rückwärts gestaifelten Reihen der Dänen gerieten durch das plötzliche Hemmnis in Verwirrung, und gerade in diesem Augenblick fielen Hagen und die Seinen mit Donnergebrüll sie von vorn und den Flanken an. Der Sonne Ball verschwand hinter den Wolken Staubes, den die Hufe aufwirbelten; der spiegelnde Glanz der Schilde wurde stumpf vom darüber spritzenden Blut, erbarmungslos wüteten Hagen, Gernot und Ortwin, aber auch Dänen und Sachsen waren keine Schwächlinge und taten ihren Gegnern genug Schaden. Allen voran, immer einsam im dichtesten Gewühl, stritt Siegfried. Um ihn sanken die Recken zu Hauf wie das reife Korn vor dem Schnitter. Weithin leuchtete sein blondes Haar, denn Bräune und Helm waren ihm entglitten. Aber er bedurfte des eisernen Schutzes nicht; keines Speeres gewaltiger Stoß, keines Schwertes schneidender Hieb ritzten auch nur seine Haut. Solches Unfaßbare erschreckte alle gar sehr, die statt leichter Beute bittre Not errangen.

Unterdessen geriet Volker mit seinem Panier in harte Bedrängnis. Abgesprengt von den Seinen, sah er sich inmitten eines Rudels von Sachsen, die gierig nach dem Feldzeichen griffen. Das sah König Gernot und aufmunternd rief er ihm zu: »Geig ihnen nur richtig auf, wackerer Fiedler, ich will den Baß dazu spielen.« Dann schaffte er mit tüchtigen Streichen Luft um den tapferen Fahnenträger.

Lange wütete die Schlacht hin und her. Dreimal stieß Siegfried durch die Reihen der Feinde. Der eine brachte Tausende in Verwirrung, und so konnte das Wunder dieses Sieges heranreifen. Endlich fanden sich auch Siegfried und König Lüdeger. Des Sachsen Mut schien schon gebrochen, als er den Speer einlegte, die Aussichtslosigkeit des Kampfes drückte seine Seele nieder. Der erste Schlag bereits riß Lüdeger vom Roß. Er sank in die Knie, hob sein Visier und flehte um Gnade. Der Drachenbezwinger machte ihn mit den Worten: »Dein Schicksal wirst du erfahren« zum Gefangenen und übergab ihn zwei Knechten zur Bewachung. Dann stürzte er von neuem auf die matter und matter kämpfenden Feinde los. Schließlich wandten sich diese zur Flucht, mit gellendem Jubelschrei setzten ihnen die Burgunden nach, bis Hagens Hifthorn der Jagd ein Ende machte.

Ohne weitere Rast wurde die Heimkehr angetreten. Ein Vortrupp flog ein Dutzend Speerlängen der Hauptmacht voraus, und Worms erhielt durch ihn die erlösende Gewißheit von der Rettung aus der Gefahr. Freudengeschrei brandete auf und pflanzte sich verstärkend fort bis zum Schloß. In der Burg angekommen, erstatteten die Boten König Gunter Bericht. Kriemhild, die das Jauchzen der Menge bis in ihre Kemenate gehört hatte, eilte zu Gunter und fiel ihm um den Hals: »Heil dir, Bruder«, rief sie, »daß du dir solche Helden erzogen hast.«

Doch der Herrscher wehrte ihrem Überschwang: »Schwester, du weißt noch nicht, was sich wirklich im Odenwald begeben hat. Wenn du es vernimmst, wirst du erkennen, daß nur einem der Ruhm dieses Sieges gebührt, dem Gebieter über Reich und Hort der Nibelungen.«

»Siegfried?« flüsterte Kriemhild, ihre Arme vom Nacken des Bruders lösend.

»Ja, ihm!« betonte Gunter noch einmal mit starker Stimme, ehe er sich zum Gehen wandte; denn Hörner und Posaunen kündeten das Nahen der Helden selbst, und er gedachte, sie am Haupttor zu begrüßen.

Kriemhild war allein in der großen Halle zurückgeblieben. Eine heiße Röte schoß ihr in das Antlitz, sie bedeckte ihre Augen mit den Händen.