Werbel und Schwemmel bringen Etzels Botschaft

»Etzels Spielleute sind in der Stadt«, sagte eines Morgens Hagen zu Gunter, »gewiß steckt da Kriemhild dahinter. Das scheint mir nichts Gutes zu bedeuten.«

»Sie sollen mir willkommen sein«, versetzte der König, sehr zu Hagens Unmut. »Wir wollen sie in Ehren empfangen, wie es den Ahgesandten eines so mächtigen Herrschers zukommt.«

»Dankwart mag ihnen entgegengesandt werden«, brummte mißgelaunt der alte Recke.

Gunter berief Werbel und Schwemmel sogleich zu sich. »Willkommen, Werbel und Schwemmel«, begrüßte er sie aufgeräumt, »sagt an, was euch hieher geführt hat.«

Die beiden berichteten, was der König und die Königin ihnen zu melden aufgegeben hatten. Nur Kriemhilds besonderes Verlangen nach Hagen behielten sie für sich.

Gunter äußerte hohe Genugtuung über die Einladung und vornehmlich darüber, daß seine Schwester unter ihres Gemahls zärtlicher Fürsorge erlittenes Leid vergessen zu haben schien. Er bedeutete den Herolden, daß sie am nächsten Tag Antwort erhalten würden.

Zu einem Rat vereint, berieten die Burgunden Etzels Angebot. In allen Gesichtern glänzte Freude und frohe Erwartung, nur Hagen hörte sich lange die schönen Reden über Etzel und Kriemhild schweigend an. Plötzlich fuhr er auf und stieß grimmig hervor: »Törichte Kinder seid ihr, aber nicht kluge Männer! Leichtgläubig seid ihr, aber nicht vorsichtig Wägende! Ich aber sage euch, daß sich das Sonnwendfeuer in Etzelburg in flammende Scheiterhaufen verwandeln wird, hinter Etzels Einladung lauert Kriemhilds Rachedurst, hinter Werbels und Schwemmels freundlicher Botschaft erhebt die Vernichtung ihr loderndes Haupt! Schickt die Spielleute mit gleisnerischer Höflichkeit weg, jagt sie mit Ruten von dannen, tut wie ihr wollt, nur bleibt am Rhein!«

»Es mag sein, daß Hagen etwas zu fürchten hat«, wandte Gernot erregten Tones ein, »Wir erwarten nur Gutes von unsrer Schwester.«

»Wohl wahr«, pflichtete Jung-Giselher bei, »ich sehne mich nach dem Anblick Kriemhilds, und gewiß kommt ihr alle so heil zurück, wie ihr hingefahren seid.«

Da meldete sich überraschend dem Tronjer ein Helfer. Rumbold der Küchenmeister war’s, der sich nun vernehmen ließ: »Mir sind die schiefäugigen Schlemmer im Hunnenland ein Greuel. Tut euch mit ihnen an Schwalbennestern und qualligen Schneckenbraten gütlich, ich bleib’ bei rheinischem Rebensaft, deutschem Wildbret und burgundischem Lachs!« Fröhliches Gelächter antwortete seiner Rede. Giselher rief: »Mag Hagen mit dem Küchenmeister das Haus hüten, wir übrigen wollen ausprobieren, ob das Liedlein die Wahrheit spricht, wenn es den Donauwein über allem anderen Gewächs preist. Gilt das Wort?«

»Es gilt«, dröhnte es Zustimmung im Kreise.

Hagen sprang auf. Ein Blitzstrahl leuchtete in seinen Augen, als spiegelten sich die Gewitter der Zukunft darin. »Wird also die Fahrt in den Tod beschlossen?« fragte er noch immer mit zuckendem Mund.

Ein allgemeines Schweigen deutete ihm an, daß seine Warnung in die Luft gesprochen war. »Gut denn«, fuhr er fort, »ihr wißt, der Tronjer Schicksal ist an den Stern der Burgunden geheftet. Ich weiche meinem Schicksal nicht aus und werde mit euch gehen. Und wenn ihr zur Hölle hinabsaust, will ich der erste sein, der das Flammentor des Teufels aufbricht.«

»Nichts anderes habe ich von meinem Oheim erwartet«, nickte beifällig Gunter, der in seiner Verblendung die düstere Ahnung des Tronjers nicht ernst nahm.

Nun, da die Reise beschlossen war, wuchs Hagen zu einsamer Größe. Er schloß mit dem Leben ab. Keinem anderen Gefühl mehr als der Treue zu seinem Herrn und Pflichterfüllung bis zum letzten gewährte er Platz in seiner Brust. Jegliche Furcht — und auch sie hatte in diesem starken Herzen schon genistet — fiel von ihm ab. Weitsichtig und klar traf er seine Entscheidungen, denen sich der König willig beugte. Er überwachte die Schärfung der Waffen, prüfte Helme und Schilde, ja sah sogar auf das Zaumzeug der Rosse. Werbel und Schwemmel entließ er erst, sobald seine Vorbereitungen so weit gediehen waren, daß der Vorsprung der Hunnen nicht mehr allzu groß sein konnte. Denn es schien ihm geraten, Kriemhild so lange wie möglich im unklaren zu lassen.

Mit einer Spannung, die sie kaum zu verbergen vermochte, hatte Kriemhild der Rückkehr der Herolde geharrt. Wohl war sie befriedigt über die Kunde, daß ihre Brüder kommen würden, von Hagen hörte sie jedoch vorerst nichts. Sie mußte auf die Gelegenheit warten, die Spielleute allein zu sprechen, und als sie der Zufall mit Schwemmel zusammenführte, galt ihre erste Frage Hagen; wie er die Einladung aufgenommen, was er gesprochen habe, wollte sie genau berichtet wissen.

»Er hat wenig Gutes gesprochen«, erwiderte der Spielmann, »und heimlich hat man uns sogar erzählt, daß er sich im Königsrat der Reise widersetzt haben soll. Wir hielten es für geraten, nicht stürmischer in ihn zu dringen, denn das hätte ihn noch mißtrauischer gemacht. So können wir nicht sagen, wer Eure drei Brüder begleiten wird. Nur daß Volker von Alzey mit im Zug sein wird, haben wir für gewiß in Erfahrung gebracht.«

»An dem Fiedler ist mir wenig gelegen«, murrte die Königin in schlecht verhehltem Ärger, »wenn nur Hagen kommt. Das ist ein guter Degen, und ich freue mich über seinen Besuch!«