Etzel wirbt um Kriemhild
Und wieder vergingen Jahre. Noch immer war der Mord im Odenwald nicht gesühnt. Kriemhild hatte niemals vergessen, was sie sich zur heiligen Pflicht gemacht hatte. Nach außen trug sie jedoch ein gefaßteres Wesen zur Schau, erschien öfters unter ihren Brüdern, nur mit Hagen sprach sie niemals.
Da kamen eines Tages zweihundert Recken in den Burghof gesprengt. Sie waren seltsam anzuschauen, Roßschweife wehten von den Helmen, an langen silbernen Ketten hingen gekrümmte Säbel, statt Sättel trugen die Pferderücken bunte Teppiche. Scharf lugten die Burgunden in den Fenstern aus, und wie erstaunten sie da! Die Haut der Fremdlinge war gelb getönt, zwischen schief gestellten schmalen Lidspalten funkelten lebhafte, kohlschwarze Augen. Nur ihr Anführer hatte Antlitz und Aussehen wie die Helden am Rhein. Auch seine Rüstung hätte aus einer Waffenkammer in Worms stammen können, und er schien ein deutscher Fürst zu sein.
Hagen, der alle Lande und ihre Männer kannte, rief, nachdem er einen langen Blick auf die Ankömrnlinge geworfen hatte, freudig aus: »Markgraf Rüdiger von Bechlarn6 ist’s mit einer hunnischen Reiterschar.«
»Ein hoher Besuch«, staunte Gunter.
»In der Tat«, pflichtete der Tronjer bei, »viel christliche Helden stehen im Lehensdienst des Hunnenkönigs Etzel, aber Markgraf Rüdiger ist der vornehmste unter ihnen.«
»Was sie wohl von den Donaugefilden herbeigeführt haben mag?« fragte Gernot, »denn seht, hochbeladene Saumrosse folgen dem Zug. Ich denke, wir sollten die Ritter erst einmal herzlich begrüßen.«
So schritten Gunter und Gernot in den Hof hinab, empfingen huldvoll Rüdiger und geleiteten ihn und seine Recken zu einem Willkommtrunk in die Halle. Auf einen Wink des Markgrafen holten Knechte aus dem Gepäck kostbare Gewänder und breiteten sie vor den Burgunden aus. Rüdiger verneigte sich vor dem König und sagte: »Ich bitte Euch, diese bescheidene Gabe als Gastgeschenk entgegenzunehmen. Sie wurde eigens für Euch in Wien angefertigt, und es gibt keine Stadt, wo man sich besser auf schöne Kleider verstünde.«
Freundlich lächelnd dankte Gunter: »Wahrhaft, Ihr habt uns hoch beglückt, Herr Rüdiger. Nichts Köstlicheres habe ich mein Leben lang gesehen. Doch erzählt uns nun gleich, was Euch hierher geführt hat, denn weit ist die Reise von der Donau an den Rhein.«
Im feierlichen Ton antwortete Rüdiger: »Der Hunnenkönig Etzel schickt mich, und hört, welche Botschaft er Euch sendet. Vor nicht langer Zeit ist ihm seine liebe Gemahlin Helche gestorben.«
In den Reihen der Burgunden wurde ein Murmeln des Bedauerns laut, und alle priesen die Fürstin, deren Ruf bis nach Worms gedrungen war.
»Nach dem Hunnenland kam die Kunde«, fuhr der Markgraf fort, »daß auch die edle Frau Kriemhild ihren Mann verloren hat, und da rieten ich und mein Genosse Dietrich von Bern dem Herrscher, der Witwe Siegfrieds Hand und Krone anzubieten. So komm’ ich als Brautwerber Etzels an den Hof zu Worms und bitte Euch, König, um günstigen Bescheid.«
Überrascht verharrten die Helden in längerem Schweigen. Endlich hatte Gunter seinen Entschluß gefaßt und gab ihn also kund: »Der Antrag des mächtigen Königs ehrt uns sehr. Freilich, es bleibt manches zu bedenken. Etzel ist, wie uns berichtet ward, kein Christ, und es fällt uns nicht leicht, Kriemhild einem Heiden zur Gemahlin zu geben. Jedoch bleibt bei uns, Herr Markgraf, laßt es Euch gut geschehen, in drei Tagen sollt Ihr Antwort haben.«
Gunter rief sogleich seine Brüder und die vornehmsten Recken zur Beratung. Viele befürworteten eine Verbindung der Burgunden mit Etzels starkem Haus, nur Hagen widersprach heftig: »Wird Kriemhild die Gemahlin des gewaltigen Herrschers, so bedeutet das Gefahr. Ihr Herz sinnt auf Rache.«
»Du siehst Gespenster«, warf Giselher ein, »kein Schatten steht mehr zwischen den Geschwietern.«
Der Tronjer lachte auf : »Du junger, reiner Tor! Glaube meiner alten Weisheit, daß diese Heirat uns ins Verderben stürzen würde. Wenn es nach mir ginge, ich schickte Rüdiger heim und verschwiege Kriemhild seinem Besuch.«
Solange Hagens Rat zu nachtdunkler Tat geführt hatte, war ihm Gunter gefolgt. Jetzt aber, da er zum Heile ausgeschlagen wäre, ließ der Unstern des Königs ihn zurückweisen. »Was du da vorschlägst, geht nicht an«, erwiderte er heftig. »Kriemhild soll selbst entscheiden.«
Man beauftragte Giselher damit, seine Schwester von der Werbung König Etzels zu verständigen. Kriemhild wies die Zumutung, dem Andenken ihres teuren Toten je untreu werden zu können, weit von sich, willigte aber, um der höfischen Sitte zu genügen, ein, Rüdiger wenigstens zu empfangen.
Sie begrüßte den Markgrafen von Bechlarn huldvoll, bedeutete ihm aber sogleich: »Ich verlor den besten Mann, den die Erde trug. Wer mein Herzeleid kennt, darf mir nimmer raten, noch einmal zu freien.«
Lebhaft drang Rüdiger in Kfiemlfild: »Es gibt im Leide keinen besseren Trost als die Minne.«
Heftig widersprach die edle Fran: »Niemals mehr werde ich einen Mann lieben. Bestellt diese Botschaft Eurem Herrn, und ich bin gewiß, er wird ablassen, mich zu begehren.«
Etzels Werber gab den Kampf so leicht nicht auf, und er lenkte ein: »Nicht Liebe, nur Achtung verlangt mein Gebieter. Und die, glaub’ ich, verdient er wohl. Von der Rhone bis zum Rhein, von der Elbe bis zum Meer gibt es keinen mächtigeren Herrscher. Zwölf Königreiche und dreißig Fürstentümer sind ihm untertan und sie werden es auch Euch sein, wenn Ihr seinem Rufe folgt. Reich ohne Maßen ist Etzel, und heiter rinnen die Tage in seiner Burg dahin, die sich stolz in den Fluten des Donaustromes spiegelt. Seid versichert, so große Macht und so märchenhafter Reichtum verschaffen auch Wonnen, die Tränen trocknen können.«
Diese Worte machten auf Kriemhild großen Eindruck. Sie stützte ihr Haupt mit der Hand und versank in grühelndes Sinnen. Bot sich hier nicht die Gelegenheit, auf die sie wartete? Ließen sich so gewaltige Kräfte nicht ihrem heiligen Rachewerk dienstbar machen? Plötzlich fuhr sie auf und sagte: »Ich fürchte nur, daß ich sehr allein sein werde unter dem fremden Volk.«
»Wo denkt Ihr hin, hohe Herrin«, versuchte Rüdiger eindringlich die Bedenken zu zerstreuen. »Ihr werdet in Etzelsburg neben den Heiden auch sehr viele unseres Glaubens finden, große Recken der Christenheit. Und vermöchtet Ihr bei den Hunnen wirklich keinen anderen Freund zu gewinnen wie mich, ich will für Euch einstehen mit Leib und mit Seele.«
Diese Antw‘;rt gefiel Kriemhild sehr, doch sie wollte den schweren Entschluß nach einmal überdenken. Und so hat sie den Markgrafen, ihr bis morgen Frist zu gebem
Schlaflos Verging die lange Nacht. Als der Morgen graute, wußte sie eendlich, was zu geschehen hatte, und sie sank in kurzen und erquickenden Schlumnwr. Erwacht, kleidete sie sich schnell an und rief ohne Verzug nach dem Abgesandten des Freiers. »Herrin!« rief der Markgraf schon beim Eintreten fröhlich aus, »ich seh’s an Euren Mienen, daß Ihr der Werbung des Königs günstig gesinnt seid.«
Kriemhild versetzte stolz: »Ja, ich denke, daß er meiner würdig ist, auch wenn er einem anderen Glauben anhängt. Vielleicht wird er sich mir zuliebe einst doch taufen lassen. Und so will ich denn Euch an die Donau und nach Etzelburg folgen. Nur eine kleine Bedingung bitt’ ich Euch vorerst zu erfüllen.«
»Gern, edle Frau«, versicherte dienstwillig Rüdiger.
»Ihr müßt verstehen«, fuhr Kriemhild, den Doppelsinn ihrer Forderung verschleiernd, fort, »daß alle Eure trostreichen Worte von gestern für die Bangigkeit vor der Reise in so fernes Land nicht zu verscheuchen vermögen. Meine Seele würde ruhiger sein, könnt’ ich von Euch einen Eid empfangen. Schwört mir, edler Markgraf, daß Ihr jederzeit bereit seid, mir angetanes Leid aufs bitterste zu rächen.«
Nicht ahnend, was Kriemhild bei diesen Worten dachte, bekräftigte Rüdiger mit einem Handschlag das Gelöbnis.
Nun galt es, die Braut würdig auszustatten, und gern hätte diese jetzt aus der Fülle des Nibelungenschatzä geschöpft. Aber der sich jetzt Nibelung nannte, Hagen von Tronje, weigerte sich zu verraten, wo er den Hort versenkt hatte. Bittere Klage erhob Siegfrieds Erbin wider den argen Mann, die Könige bedrohten ihn hart, dach in grimmigem Trotz bot er die Stirn und sprach: »Mit dem Geld will sie sich im Hunnenland Fremde kaufen, die sie uns dann auf den Hals schicken wird. Zum Schaden gereicht das Gold ihr und uns allen.«
So drohte neuer Streit im Burgundenhame zu entbrennen, doch schließlich beruhigte Rüdiger die Braut seines Herrn, indem er meinte: »Klagt nicht um das Gold, hohe Frau. Ihr werdet ja des reichsten Königs Gemahlin. So viel wird er Euch schenken, daß Ihr ein Leben lang den Reichtum nicht verschwenden könnt.«
Dennoch sorgten Gunter und seine Brüder dafür, daß Kriemhild mit einem Brautgut, das des Burgundenhofes würdig war, die Reise antrat. Hundert edle Jungfrauen erwählte Kriemhild zu ihrem Gefolge, an die Spitze einer glänzenden Reiterschar berief sie wie schon einst einmal Markgraf Eckewart. Dann nahm sie Abschied von ihrer Mutter Ute, die aus dem Kloster herbeigeeilt war, und hat sie innigst, für Siegfrieds Grab zu sorgen. Gunter gab seiner Schwester nur bis an die Tore von Worms das Geleite, doch Gernot und Giselher litten mit ihr, bis zwischen den Hügeln das blaue Wasser der Donau auftauchte. Dann kehrten sie um. Zum zweitenmal hatte Kriemhild das Band zwischen sich und der Heimat zerschnitten.