Gudruns Verlobung
König Hettel kümmerte sich nicht viel um den Groll der abgewiesenen Freier. Stolz war er im Gefühl seiner Macht, und nie wäre ihm in den Sinn gekommen, daß jemand es wagen würde, seine Hand an Matelans Mauern zu legen.
Eines Morgens riß ihn der gellende Ruf des Wächters: »Feinde in Sicht!« aus dem Schlaf. Er sprang ans Fenster und sah ein stattliches Heer heranrücken. Ein himmelhlaues Banner, in das Seerosen gestickt waren, wurde den Kriegern vorangetragen. Lächelnd sagte Hettel zu Hilde: »Sieh da, König Herwig, im Sturm begehrt er seine Braut.« Dann gürtete er in Seelenruhe sein Schwert um, rief ein paar Knechte an seine Seite und stieß das Haupttor der Burg auf, an das die Äxte der Feinde schon bedenklich hämmerten.
Der König der Hegelingen schrie mit weithin schallender Stimme: »Ich fordere euren Herrn zum Zweikampf, Männer! Herwig von Seeland, zeige dich!«
Ohne zu zaudem, trat der junge Held vor. Seine Heerschar zog sich achtungsvoll zurück und bildete einen Kreis auf dem Plane unter den Mauern der Burg. Die Könige begaben sich in den Ring und schritten einander waffenklirrend entgegen. Da sausten von kräftiger Hand geschleudert die Speere, schlugen splitternd auf die hochgezogenen Schilde und wurden von den Kämpfern mit jäher Bewegung in den Sand geschüttelt.
Auf dem Söller des Schlosses waren die beiden Frauen erschienen, Mutter und Tochter. Hildes Herz krampfte sich in Angst um ihren Gatten zusammen, doppeltes Leid aber zerwühlte Gudruns Brust: Sie hangte um den Vater und um den Verlobten.
Die Helden hatten die Klingen gezogen. Heiß und gewaltig war der Kampf, der nun entbrannte. Von Blitzen umzuckt, von Funken umsprüht, standen sie im Ring, und unbarmherzig versuchte jeder des andern Schwäche aufzudecken. Es konnte nicht mehr lange währen, bis einer von beiden todwund auf den Rasen sank.
Gudrun litt nicht mehr länger die Qual dieses Bangens. Sie erhob einen klagenden Wehruf: »Vater, laß ab um meinetwillen!«
»Hört Ihr die Stimme Eures Kindes?« fragte Herwig und ließ seinen Degen sinken. Da hielt auch Hettel ein, und schwer atmend stützte er sich auf den Schild.
Der König von Seeland sprach die Bitte aus: »Erlaubt Ihr, daß ich mit Gudrun spreche. Ihr und Frau Hilde mögt hören, was ich Eure Tochter frage und welche Antwort sie gibt.«
Der Hegelinge nickte, und die beiden Männer stiegen hinauf in den Saal, wo die Frauen sie erwarteten.
Herwig neigte sich vor der Jungfrau und sagte ehrerbietig: »Dein Vater versagt mir deine Hand. Ich glaube, er schätzt mich gering, weil ich nur über ein kleines Reich herrsche. Mißachtest du mich deshalb auch?«
Heftig wehrte die Maid ab: »O Herwig, wie kannst du so etwas denken! Wie könnte ich den mißachten, der für mich Blut und Leben aufs Spiel setzt. Ein königlicher Held bist du, und wäre dein Land nicht größer als die ärmste Provinz meines Vaters. So wie Hettel einst Hilde, so, Herwig, lieb ich dich.«
Sieh hoch aufrichtend, trat jetzt der König vor das Herrscherpaar. »Ihr habt Gudruns Willen vernommen«, trug er stolz seinen Antrag vor, »versagt ihr euch noch meiner Werbung oder gestattet ihr, daß eure Tochter den Thron von Seeland mit mir teilt?«
Hettel entgegnete: »Ich habe die Kraft deines Armes verspürt, Jüngling, und ich glaube, daß meine Tochter an ihm sicher und wohlbehütet wandeln wird.«
Mit niedergeschlagenen Augen, Purpurröte im Antlitz‘ nahm Gudrun Herwigs ausgestreckte Hände in die ihren.