Hagen und Volker auf nächtlicher Wacht
Als sich Gunters stattliche Erscheinung als erste am Eingang zum Saal zeigte, erhob sich Etzel von seinem Thron und ging dem Herrscher der Burgunden zwei Schritte entgegen; das bedeutete viel bei dem Völkergebieter, dem der halbe Erdball untertan war! Mit getragener Stimme sprach er die Begrüßung: »Willkommen bei den Hunnen, König Gunter, Gernot und Giselher. Willkommen die anderen Recken alle, vor allem ihr beide, Hagen und Volker, von denen so Rühmliches berichtet wird. Willkommen mir, meiner Frau und dem ganzen Reiche.«
Bald klangen die Becher zusammen. Wein und Met flossen in Strömen. Ein freundliches Gespräch vereinte Etzel und Gunter. In mächtigem Stolz rühmte der Hunne sein schönes Schloß, dessen prunkvollste Teile, vor allem der große Saal, in dem man tafelte, erst vor kurzem vollendet worden waren. Sie hätten nun, fuhr er fort, durch den Besuch der hohen Gäste ihre rechte Weihe erhalten. Nicht minder höflich lobte der Wormser den erlesenen Geschmack seines königlichen Wirtes, und auch an den andern Tischen flogen viel freundliche Worte zwischen Burgunden und Hunnenrittern hin und wider.
Der Tag war zu Ende, die Nacht brach an. Die von der Reise ermüdeten Helden baten um Urlaub bis zum andern Morgen. Alles erhob sich von den Plätzen, und es gab ein solches Gedränge, daß Volker, der sich mit Hagen inmitten eines unheimlichen Gewimmels von Hunnen entdeckte, seinem Freund ins Ohr flüsterte: »Meiner Treu, wenn ich nicht bald Luft bekomme, schlage ich mit meiner Fiedel drein, daß es blutige Köpfe gibt.«
In der geräumigen Gästehalle Inden weiche Ruhebetten zur Rast ein, dennoch aber zögerten die Helden vom Rhein sich zu entkleiden. Kriemhilds feindseliges Verhalten lastete auf allen wie ein Alpdruck, selbst der immer heitere Giselher wollte nicht froh werden. Trüben Sinns berichtete er: »Wir sind überall von Spähern umgehen. Das schleicht und schlurft um uns, daß man sich wirklich vorsehen muß, den Wildkatzen auf die Beine zu treten. Nun habe ich eingesehen, daß der Oheim recht gesprochen hat. Kriemhild haßt uns. Ich glaube beinahe, sie hat den Befehl gegeben, uns in der Nacht heimlich zu überfallen. Besser ist es, wir meiden den Schlaf.«
Alle schwiegen betroffen, noch nie hatten sie von Giselher so ahnungsvolle Worte gehört. Da meldete sich Hagen: »Vielleicht ist es das letztemal, daß euch süßer Schlummer gegönnt ist. Ich will euren Schlaf hüten. Dieser Raum hat nur einen Ausgang und niemand kann herein, ohne daß er an mir vorbei muß.« Der Held nahm nun seine Waffen auf, um sich vor die Tür zu stellen.
»Hagen, werter Freund«, rief der treue Volker, »nicht ohne mich sollt Ihr auf Schildwach stehen.«
»Gut denn«, bekräftigte der Tronjer das Anbot. So zogen sie beide, Hagen und Volker, ehernen Schrittes zur letzten Wacht auf.
Lange standen sie im dem Tor, das sie hinter sich nur angelehnt hatten, starrten angestrengt in die Dunkelheit, und angespannt lauschte ihr Ohr. Doch nichts regte sich mehr im weiten Bezirk der Burg, und das letzte Licht war erloschen. Da nun feierliche Stille herrschte und nichts mehr zu hören war als die tiefen Atemzüge der Helden, nahm Volker von Alzey die Geige zur Hand, und in die Saiten greifend, begleitete er sich zu einem gar traurigen Schlummerlied:
O Freunde. ermüdet in Sätteln und
Bügeln,
schlaft, schlaft! Naht wieder die Nacht,
da lodern die Feuer rings auf den Hügeln —
vielleicht über Gräber … wer hätt es gedacht.
Mitternacht war vorüber. Die Recken zwangen mit eisernem Willen die Müdigkeit in den brennenden Augen nieder. Und wahrhaftig, mit einemmal begann sich’s hinter den Säulen des Eingangs zum großen Saale zu bewegen. Helme blitzten im fehlen Sternenlicht, Gewappnete schlichen hervor und näherten sich auf leisen Sohlen.
»Seht dort«, raunte Volker, »Frau Kriemhild bereitet wieder eine Überraschung für uns vor.«
»Schweig nur still«, mahnte Hagen, »wenn sie ganz heran sind, werden wir uns auf eine Weise decken, daß ihnen die Lust zu solch nächtlichen Späßen für immer vergeht.«
Behutsam wie auf Diebsfüßen kroehen die Hunnen vorwärts. Plötzlich stockten sie und verharrten in ängstlichem Stillstand. Sie hatten die beiden Helden erkannt, die mit gezückten Schwertern den Eintritt in das Schlafgemach sperrten.
Nicht länger konnte der Fiedler an sich halten. »Zeit ist’s«, rief er seinem Gefährten zu, »die feige Brut mit Speer und Schwert zu züchtigen.« Drohend ließ er dabei die Waffen klirren.
Die Hunnen duckten sich, als sie Volkers Stimme hörten, noch scheuer in den Schatten der Burg; dafür trat nun der Tronjer in das volle Mondlicht hinaus und schrie den Schleichern zu: »Herbei nur, ihr Buben, gedungen für elenden Sold, die Gäste eures Königs im Schlaf zu ermorden. Hier stehen Recken vom Rheinland auf Schildwache!«
Die feigen Gesellen nahmen ohne Erwiderung den Schimpf hin und entschwanden so heimlich, wie sie gekommen waren. Hagen aber schien es, als sähe er oben an Kriemhilds Fenster eine Gestalt sich enttäuscht in das Innere des Gemaches zurückziehen.
Die beiden Wächter ließen sich nun auf der Steintreppe nieder, die mit einigen Stufen hinauf zur Tür des Schlafraumes führte. Da saßen sie lange und blickten in den Himmel, sahen langsam die Sterne verbleichen und das erste Rot am Firmament über der weiten Ebene aufglühen. Frisch hauchte sie der Wind des jungen Tages an, und es fröstelte sie in den kühlen Panzerringen.
Da erhob sich der Tronjer und begrüßte den erwachenden Morgen:
»Nun brichst du wieder an, Zeit der Sonnenwende. Auf den Höhen des Odenwaldes werden bald die Feuer lodern, werden über den flammenden Holzstoß Arm in Arm Burschen und Mädchen springen. Werden meine Augen noch einmal die Heimat sehen? Sei’s wie es sei, wir führen scharfe Klingen, und es gibt Dinge, die bezahlen sich nur durch Blut.«
Volker und Hagen nahmen Speer und Schild auf und wandten sich in den Saal, die Schläfer zu wecken.