In Laurins Palast
Sie ritten nicht lang, bis sie, ganz dicht vor den Felsen, auf eine wunderbare Wiese gelangten. Ringsum sproßten herrliche Blumen, und in der Mitte des Angers breitete eine mächtige Linde ihr Geäst aus. Steile Felstürme umrankten den prächtigen Wiesengrund. Darauf hüpften viele bunte Vögel einer Art, wie sie den Bernern unbekannt war, und jubilierten und lockten mit wundersamer Melodei. Der Duft der Blüten und die Stimme der gefiederten Sänger gefielen den Helden so sehr, daß sie beschlossen, abzusitzen und sich der holden Stimmung hinzugeben.
Entzückt rief Dietrich aus: »Mich dünkt, wir sind hier im Paradies.« Stolz verkündete Laurin: »Die Schönheit hier ist noch nichts gegen das, was euch im Berg erwartet. Manchmal führe ich meine Zwerge hier heraus, damit sie frische Luft schöpfen. Da singen wir und tanzen, flechten wohl auch die Blumen zu Kränzen. Bald ergreift uns aber wieder die Sehnsucht nach dem unterirdischen Glanz. Folgt mir jetzt.«
Die Berner pflockten nun ihre Pferde an, nur Laurin führte das seine am Zügel vor das Tor in den hohlen Berg. Daran hing ein goldenes Horn, der Kleine setzte es an den Mund und entlockte ihm einen silberhellen Ton. Sogleich sprang die Pforte auf, viele Männlein eilten herbei und verneigten sich artig vor dem Herrscher und den Fremdlingen. Sie geleiteten die Ankömmlinge erst durch einen langen Gang, der ganz mit Demant ausgeschlagen zu sein schien, denn es funkelte und gleißte und gab so hellen Schein, wie die Sonne nicht an einem Sommertag. Und dann betraten sie die große Halle, in der Laurin seine Gäste zu empfangen pflegte. Das Licht schimmerte gedämpfter, denn in die glitzenden Karfunkel an den Wänden waren rote Rubine eingestreut. Der freundliche Wirt lud die Ritter ein, sich’s auf den Bänken von lauterem Gold bequem zu machen, und bald brachten die Zwerge erlesene Gerichte auf silbernen Platten, und Wein und Met flossen in Strömen. Andere von den kleinen Wichten wieder sorgten für Unterhaltung, sangen lieblich zur Laute oder führten zierliche Tänze auf. Das ging so eine geraume Weile, und die Helden fühlten sich gar wohl bei all dem fröhlichen Treiben. Dann ereignete sich das Wunderbare: Die Türen zu einem Nebengemach sprengen auf, und daraus hervor trat Kühnhilde. Ihr folgte ein großes Geleit von Zwergenjungfrauen. Herrin und Dienerinnen waren in kostbare Seidengewänder gehüllt und übersät mit blitzenden Edelsteinen. Kühnhilde begrüßte in großer Bewegung erst Dietrich von Bern und dann ihren Ruder. Tränen der Rührung flossen ihr über die Wangen, als sie ihren Bruder in den Armen hielt.
Dietleib nahm seine Schwester beiseite und fragte leise: »Bist du gern hier im Berg? Wenn es dir gefällt und wenn du Laurin liebst, will ich dir die Erlaubnis nicht versagen, daß du den reichen König heiratest. Gewiß hat auch unser Vater Biterolf nichts dagegen.«
Traurig erwiderte Kühnhilde: »Viellieber Bruder, ich darf gewiß über Laurin nicht klagen. Er überhäuft mich mit Geschenken, und ich vermisse nichts. Dennoch werde ich von Tag zu Tag schwermütiger. Das Zwergenvolk ist so anders als wir Menschen, ich sehne mich nach Licht und nach einem Umgang mit Wesen, die meinesgleichen sind.«
»Schwester«, versicherte Dietleib mit entschlossenem Klang in der Stimme, »ich verspreche dir, daß ich dich heil wieder aus diesen Klüften herausführe. Habe nur Geduld, die Erlösung ist nahe.«
Laurin hatte die Geschwister scharf beobachtet. Obgleich er von dem, was sie sprachen, nichts verstehen konnte, erfaßten ihn Mißtrauen und Eifersucht. Er schlich in ihre Nähe, doch die beiden hatten sich gesagt, was zu sagen war, und begeben sich ruhig und heiter wieder an die Tafel. Laurin argwöhnte, daß trotz seines raschen Dazwischentretens schon ein Fluchtplan geschmiedet sein könnte, und da er auch noch immer Groll über seine Niederlage empfand, beschloß er, die Helden mit List zu überwältigen, damit er für immer im Besitz der geliebten Frau bleibe. Er wartete ab, bis der Wein die Sinne seiner Gäste geschwächt hatte, und dann wandte er sich leise und unauffällig zu Kühnhilde. »Herrin«, meinte er scheinheilig, »ratet mir, was ich tun soll. Die Fremdlinge haben mir großes Leid zugefügt. Sie haben meinen Rosengarten vernichtet, und Dietrich hat mich gar am Leben bedroht. Wenn mich Euer Bruder nicht aus der Not befreit hätte, stünde ich wohl nicht mehr in diesem Saal.«
Wohl oder übel mußte die Jungfrau dem Alben zugeben, daß seine Ehre bitter gekränkt worden sei und daß er ein Recht auf Genugtuung habe. Nur das Versprechen nahm sie ihm ab, daß er das Leben Dietrichs und seiner Gesellen schonen werde. Nun steckte sich der Zwerg ein Ringlein an den Finger, das die gleiche Kraft wie der verlorene Gürtel besaß, ihm nämlich die Stärke von zwölf Männern zu verleihen. Dann bat er Dietleib in ein Nebengelaß. Keiner der Helden ahnte, daß sich schweres Unheil über ihren Häuptern zusammenzog. Ihr Gemüt, berauscht von Rebensaft und Musik, gab sich herrlichen und unbefangenen Freuden hin.
Laurin eröffnete Dietleib seinen verräterischen Plan: »Lieber Schwager, du sollst wissen, daß ich entschlossen bin, meine Ehre an deinen Genossen zu rächen. Wenn du mir versprichst, Ihnen nicht zu helfen, will ich meinen Reichtum und meine Macht mit dir teilen.«
In zorniger Entrüstung herrschte Dietleib den heimtückischen Alben an: »Was Ihr meinen Gefährten tut, das tut Ihr auch mir. Niemals werde ich sie verraten, und ich bitte Euch, mich nicht zu schonen. Ich würde mich schämen für jede Gnade aus Eurer Hand.«
Wortlos machte der Zwerg kehrt und verschloß die Kammer hinter sich. Dietleib war gefangen.
Laurin schritt in den Saal zurück und befahl seinen Knechten, den Gästen einen Schlaftrunk in den Wein zu schütten. Von quälendem Schlummer überwältigt, nickten sie auf den Plätzen ein, auf denen sie saßen. Daraufhin fesselte sie Laurin eigenhändig an Armen und Beinen und ließ die Berner in einen Kerker tief im Inneren des Berges werfen. Dorthin schickte er einen Zauberer, der die Augen der Helden mit Blindheit schlug.
Am andern Morgen gerieten Dietrich und seine Gesellen, als sie inne wurden, welch heimtückischem Anschlag sie erlegen waren, in maßlose Wut. Noch wußten sie dabei nicht einmal, daß ihnen das Augenlicht genommen worden war. Denn sie dachten, das Verließ, in das man sie geworfen habe, sei ganz finster. Dietrichs Zorn wuchs und wuchs. Er zerrte an seinen Banden, versuchte sie, gegen die Mauern pressend, durchzuscheuem, schrie und tobte und geriet schließlich in solche Erregung, daß wieder der heiße Feueratem aus seinem Mund zu lohen begann. Und siehe, die Ketten schmolzen im Gluthauch, der von des Königs Lippen wehte, Dietrich war frei! Sogleich kroch er zu seinen Gesellen, um ihnen zu helfen, die Fesseln abzustreifen. Dann tappten sie sich bis zur Türe und machten sich daran, diese aufzubrechen. Obgleich sie vereint über ungeheuerliche Kräfte verfügten, war das doch eine mühselige Arbeit.
Indes hatte sich Kühnhilde Schlüssel zu dem Gemach verschafft, in dem ihr Bruder gefangengehalten wurde. Sie berichtete ihm von dem Schicksal seiner Gefährten und führte ihn zur Waffenkammer, wo er zu seiner Freude nicht nur seine eigene, sondern auch die Wehr der anderen Helden vorfand. Er helud sich mit der zentnerschweren Last und schleppte sie hinab in die tiefen Kerkerhöhlen. Seine Schwester, die sich in dem unterirdischen Palast schon gut zurechtfand, führte ihn durch das Gewirr der Gänge und Kamine. Indes hatten die Männer im Verlies die Türe bereits aufgesplittert. Ratlos standen sie, mit leeren Augen ins Schwarze starrend und wußten nicht aus noch ein.
Schon aber hatte Laurin Nachricht von Dietleibs Flucht erhalten. An der Spitze einer Heerschar von Zwergen kam er angestürmt und befahl ihnen, Kühnhildens Bruder unverzüglich anzugreifen. Doch da gerieten die kleinen Wichte an den Rechten! Dietleib führte eine starke Klinge, und er fand unter den Zwergen Viele Opfer. Laurin griff nun selbst in den Kampf ein. Ein gewaltiges Streiten hub an, und der Herrscher der Alben zeigte wiederum, welch übernatürliche Kräfte in ihm steckten. Dietleib geriet in schwere Bedrängnis, er blutete aus tiefen Wunden, indes dem Alben kaum der Panzer geritzt war.
Wohl hatten sich Dietrich und die Seinen mit dem Erz geschient, das ihnen der Gefährte gebracht hatte, aber völlig hilflos torkelten sie im Dunkeln umher. »Hilf Himmel«, schrie der Berner, als das Getöse immer mehr anschwoll, »ich kann nichts sehen und möchte doch so gern dem Geschmeiß den Eckesachs um die Ohren schmettern.«
Und da kam endlich Hildebrand die Erleuchtung, daß sie ein böser Zauber verhext hatte und sie deshalb nichts sehen konnten. Und er flüsterte seinem Herrn zu. »Ihr tragt doch noch die Stücke des Zaubergürtels bei Euch. Führt sie Euch an die Augen, und ich glaube, die Nacht wird dann von ihnen weichen.«
Eilig folgte der Berner dem Rat des weisen Mannes. Und siehe, die Dunkelheit wich erst einem leisen Dämmer, aus dem heller und immer heller die strahlenden Edelsteine an den Wänden und der Decke des Gewölbes stechen. Im rechten Augenblick vermochte der König einzugreifen. Dietleib wehrte sich mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte. Dietrich bahnte sich durch das Gewimmel zu seinen Füßen eine Gasse und stand im nächsten Augenblick Laurin selbst gegenüber. Wie blitzten die Degen jetzt im Lichte der Karfunkel, Feuer stob aus Helm und Brünne.
Nun litt es auch Hildebrand nicht länger in seiner unfreiwilligen Muße. »Herr«, schrie er, »reicht mir den Zaubergürtel, damit ich den Zwergen aufspielen kann.« Obwohl er kämpfte, warf der Berner ihm die Seidenfetzen zu, und so gewannen nacheinander der Meister, Wolfhart und Wittich das Augenlicht wieder.
Indes war aber eine neue Gefahr für die Berner heraufgezogen. Gleich nach Beginn des Kampfes hatte nämlich ein Zwerg auf Laurins Geheiß fünf Riesen, die in der Nähe des Palastes in einem tiefen Wald wohnten und dem Herrscher der Alben durch einen Treueschwur verbunden waren, zu Hilfe gerufen. Mit Stahlstangen bewaffnet, erschienen sie auf dem Schauplatz des Kampfes just in dem Augenblick, als die Berner wieder vollzählig waren. Mit wilden Schlägen drangen die ungeschlachten Burschen auf die Helden ein. Rasselnd fuhren die gewaltigen Spieße auf die Panzer nieder, und wüstes Getöse erfüllte die Höhlen und Gewölbe. Nun gab Dietrich den Befehl, erst das Zwergengewimmel zu beseitigen; sei dies geschehen, solle sich jeder der fünf Recken einen Riesen aufs Korn nehmen. Hui, pfiffen die Klingen auf das kleine Gelichter! Die Alben stoben mit furchtbarem Wehgeschrei von dannen, verkrochen sich in Winkel, schlüpften in Kamine, und bald stand ihr König allein im Ansturm der Berner. Diese wandten sich aber jetzt den Riesen zu, die vergeblich versucht hatten, ihre kleinen Verbündeten zu schützen. Auch sie fielen den berühmten Schwertern zum Opfer.
Laurin bereute es tief, durch seine Untreue den eigenen Untergang beschworen zu haben. Es blieb ihm keine andre Wahl mehr, als sich aufs Bitten zu verlegen. Er sank Dietrich zu Füßen und jammerte kläglich: »Edler König, ich ergebe mich dir auf Gnade und Ungnade. Ich vertraue auf deine Tugenden, die man in allen Ländern preist. Ich bitte um Schonung für mich und die Reste meines zierlichen Volkes.«
Scharf fiel ihm der Berner ins Wort: »Auf Untreue steht der Tod, das weißt du wohl, kleiner Wicht. Also müßt ihr alle euer Leben lassen.«
Kühnhilde dauerte Laurin, denn wenn er sie auch gegen ihren Willen hieher in das unterirdische Schloß geführt hatte, so hatte er sich doch gut und großmütig gegen sie benommen. Sie versuchte also, den Gotenkönig zur Änderung seines Sinnes zu bewegen. Da kam sie zuerst schön an! Der Berner bebte noch immer vor Grimm und wollte von Milde nichts wissen. Erst als die Jungfrau auch noch die Unterstützung Hildebrands erhielt, ließ er sich erweichen. Freilich, Laurin traute er nun nicht mehr. Er übergab die Herrschaft über das Reich des Albenkönigs dem Zwerg Sintram, dem hinfort auch Laurin untertan sein sollte. Sintram mußte dem Berner den Treueid schwören. Dann beluden sich die Helden mit Gold und Silber, soviel sie tragen konnten, und schickten sich an, die Stätte zu verlassen, die sie mit so froher Erwartung betreten hatten.
Die edle Kühnhilde verabschiedete sich herzlich von dem besiegten und entthronten König. Und Laurin klagte: »Alles kann ich verschmerzen, Macht, Krone und Reichtum, nur Euren Verlust nicht, holdes Mädchen. Ich habe Euch von Herzen geliebt.« Tränen liefen ihm bei diesen Worten über die Wangen.
Die Berner brachen nun mit Kühnhilde auf. Lange noch hörten sie auf ihrer Wanderung durch die unterirdischen Gänge Lamins herzzerreißendes Jammern, das in den Felsen der gigantischen Bergwelt südlich der eisack widerhallte.
Wie lebten die Helden auf, als sie draußen auf dem Anger wieder die balsamische Luft atmen konnten. Sie banden die Pferde los und ritten den Weg zurück, den sie gekommen waren, hinab in das Tal der Etsch, das sie bei der schönen Stadt Bozen erreichten, und dann weiter hinaus in die Ebenen Italiens.
Später vermählte sich Kühnhilde, die nach kurzem Aufenthalt in Bern wieder nach Steier zurückgeleitet wurde, mit einem edlen Ritter. Und lange lebte das stolze Paar in Glück und in Frieden.