Wildeber und Dietleib

Der Strom der Hecken, die Dietrichs Freundschaft suchten, versiegte nicht.

Fröhlich saß eines Tages Dietrich im Kreis seiner Speergenossen. Man feierte seine Heimkehr in die Runde. Da trat ein Fremdling in die Halle, der von Kopf bis Fuß in ein rauhes Bärenfell gehüllt war. Den Pförtner, der ihm den Zugang verwehrte, hatte er unsanft zur Seite geschoben, und so war es ihm gelungen, unangemeldet vor des Königs Angesicht zu gelangen. Das Auftreten des Vermummten löste große Heiterkeit im ganzen Saale aus. Knappen zausten den seltenen Gast am Zottelfell, die Helden riefen ihm frohgelaunt zu, ob man denn Fastnacht feiere, und schließlich schüttete ein übermütiger Page ihm gar einen Becher Wein in das rußgeschwärzte Gesicht.

Dies Treiben gefiel Wittich nicht, und ärgerlich mahnte er die Gesellschaft: »Jeder Fremde sei euch heilig. Wißt ihr, welches Schicksal sich hinter der Maske verbirgt? Habt Ehrfurcht vor jedem Menschen.«

Das Lachen verstummte‘ und Dietrich bekräftigte nun die Worte seines Schildmannes: »Unser wackerer Wittich hat recht gesprochen. Und damit ich auch beweise, wie heilig mir das Gastrecht ist, selbst einem fahrenden Mann gegenüber, so fordere ich den Vermummten auf, mein Geselle zu werden. Euthüll dich uns, Fremdling, und sag, wer du bist.«

Da ließ der »Zottelbär« seine Verkleidung fallen. In strahlender Rüstung stand er vor den staunenden Helden und jubelte: »Gesegnet sei König Dietrich. Wildeber heiß ich und bin aus edlem Stamm. Bei meiner Geburt wurde mir geweissagt, daß ich eines frühen Todes sterben muß, es sei denn, Dietrich von Bern nimmt mich, ohne zu wissen, wer ich sei, in seine Hunde auf. Darum habe ich mich in diesem Fell versteckt. Nun ist mir Heil widerfahren!«

Der König und seine Recken schüttelten dem neuen Waffenbruder die Hand, er durfte sofort an der Tafel niedersitzen und von seinen Fahrten und Abenteuern in den deutschen Landen erzählen. Später wurde er Wittichs besonderer Freund.

Bald darauf kamen Sendboten Kaiser Ermanarichs, die Dietrich und seine Gesellen zu einem Fest nach Romaburg einluden. Man machte sich sofort auf die Reise. Unterwegs stieß ein junger Ritter zu den Bernern und bat, sich ihnen anschließen zu dürfen. Er erklärte, Dietleib zu heißen und aus dem fernen Nordland zu stammen. In Wahrheit war er der Sohn eines Königs der Westgoten, Biterolf mit Namen, der nach der Vertreibung aus seiner Heimat Spanien im Lehen des Hunnenkönigs Etzel das grüne Land Steiermark regierte. Dietrich, der des Jünglings Wunsch willfahrte, sollte dies alles erst viel später erfahren.

Einige Tage darnach wurde Dietleib auf seltsame Weise Dietrichs Gesell.

In Romaburg empfing man den Berner und die Seinen mit königlichen Ehren. Man wies ihnen die prächtigsten Hallen zum Quartier an, nur die Knechte und Reisigen mußten mit Zelten vorlieb nehmen. Den jungen Ritter aber, der ja nicht eingeladen. war, hieß der König, sich dem Gefolge anzuschließen. Darüber geriet Dietleib in großes Mißvergnügen, und in kindlichem Trotz dachte er sich einen wahrhaft großzügigen Streich aus. Er lud alle Dienstleute Dietrichs zu einem Gastmahl ein, das genau neun Tage lang, nicht eine Stunde kürzer als die Feiern im kaiserlichen Palast, dauern sollte. An Pracht und Glanz stellte es jedoch das Fest, das Emanmich seinen Gästen gab, weit in den Schatten. Die erlesensten Speisen ließ Dietleib den Leuten vorsetzen, traktierte sie mit dem köstlichsten Wein und holte aus der ganzen Stadt die berühmtesten Spielleute. So ging dem leichtsinnigen Jüngling schon in der halben Frist das Geld aus. Um einen Ausweg nicht verlegen, befahl er, erst Heimes Hengst Rispe, dann die Waffen des Helden zu verkaufen, und nachdem die erlösten Silberlinge verpraßt waren, kamen die Rasse und die Ausrüstung der anderen Recken an die Reihe, und zum Schluß wanderte Dietrich Hengst Falke zum Händler.

Erst als der ahnungslose Berner den Auftrag gab, die Rosse zum Heimritt zu satteln, flog der Streich auf. Freimütig trat der Jüngling vor den König, und da ihn dieser mit heftigen Vorwürfen überschüttete, erwiderte er in Seelenruhe: »Wo immer edle Männer mit mir sprachen, boten sie mir erst Speise und Trank«.

Dietrich konnte ein Lächeln über die frische und kecke Art des Jünglings nicht verbergen. Er ließ einen so großen Humpen mit Wein bringen, daß ihn zwei Knechte kaum schleppen konnten. Dietleib setzte ihn gleichmütig an den Mund und leerte ihn auf einen Zug wie ein alter Zecher.

Staunend rief Walter von Wasgenstein, ein Schwestersohn des Kaisers, der zufällig Zeuge der Szene wurde: »Kann dieser Mensch noch etwas anderes als essen, saufen und das Geld vertun?«

»Steinewerfen und Schaftschießen denk ich, versteh ich nicht minder gut«, trumpfte Jung-Dietleib auf, »wollt Ihr’s versuchen. Doch nicht anders messe ich mich mit Euch im Zweikampf, als daß jeder sein Haupt zum Pfand setzt.«

»Allzu keck wird der Bursche«, lachte der Berner.

»Der freche Mut wird ihm bald vergangen sein«, meinte Walter von Wasgenstein.

Doch siehe, der Jüngling erwies sich stark wie ein Bär, flink wie ein Wiesel und wohlgeübt im Wurf mit Fels und Speer. Und am Ende kam es anders, als die Spötter gedacht. Walter ward besiegt, und Dietleib erklärte, ihm das Leben schenken zu wollen, wenn er die Pferde und Waffen zurücklöse. So kamen die Berner wieder zu ihren Zeltern und Schwertern und Dietrich überdies zu einem neuen Gesellen. Denn der Jüngling gefiel ihm so gut, daß er ihn den Treueid schwören ließ, und ein halber Knabe noch, trat er ein in den Kreis der berühmten Schildgenossen.