Erstes Wetterleuchten
Hagens Ruf und die Glocken der Burgkapelle, die Etzel für Frau Kriemhild hatte erbauen lassen, rissen die Nibelungen aus letztem, süßem Schlummer. »Wir wollen zur Kirche gehen«, sagte Gunter und befahl seinen Knechten, die kostbarsten Gewänder aus dem Gepäck herauszuholen.
Der Tronjer schüttelte den Kopf. »Ihr tätet besser, statt Seide euch Stahl um den Leib zu legen«, mahnte er, »und das Schwert, fürcht’ ich, wird euch mehr von Nutzen sein, denn Rosenkranz und Gebetbuch. Gott wird euch verzeihen, denn er nimmt jeden so hin, wie er ist, den Bettler in Lumpen, die Helden jedoch, die zum letzten Kampf rüsten, im Schmuck ihrer Wehr.«
Die Reisigen folgten dem Rat und wappneten sich mit den härtesten Panzern. Etzel hatte seine Gemahlin zur Kirche begleitet, und. als er, der Heide, sich wieder zurückziehen wollte, sah er seine Gäste, schwer gerüstet, vor der heiligen Stätte aufziehen. Verwundert meinte er: »In Helmen zum Kirchgang? Nie habe ich dergleichen gesehen. Hat euch jemand ein Leid getan? Fürchtet ihr irgend etwas? Sagt es frei heraus, und wenn einer am Hofe daran die Schuld trägt, soll er es mir schwer büßen.«
»Uns ist kein Leid geschehen«, erwiderte der Tronjer, »doch die Sitte Burgunds gebietet, daß wir überall, wo wir zu Gast sind, drei Tage in Waffen bleiben.«
Kriemhild maß feindseligen Blickes den Nibelung. Wie schamlos er lügt, dachte sie im stillen, denn solange sie in Worms lebte, hatte sie nie von einem solchen Brauch gehört. Doch es schien ihr klüger, zu schweigen und die Burgunden nicht zur Preisgabe ihrer bisher stolz für sich behaltenen Besorgnisse aufzureizen.
Nach dem Gottesdienst wurden auf dem weiten Platz des inneren Burgbereiches Kampfspiele veranstaltet, die Etzel und seine Gemahlin vom Fenster des Palastes aus verfolgten.
Viele Hundert Hunnenritter, die Krieger des Berners, die Rüdigers, dann Thüringer und Dänen ritten in den Ring, den zuletzt die Burgunden betraten. Volker von Alzey schlug vor, einen Buhurt9 auszutragen, bei dem die Recken Gunters mit allen übrigen Völkern zusammenprallen sollten. Dietrich und Rüdiger gefiel dieses Anbot gar nicht. Sie fürchteten, aus dem Spiel könnte Ernst werden, und sie hätten es vorgezogen, wenn sich Einzelkämpfer in Tjosten zur Schau gestellt hätten. Da sie mit diesem Gegenvorschlag nicht durchdrangen, verboten sie kurzerhand ihren Leuten, an dem Buhurt teilzunehmen. So sprengten denn auf der einen Seite die Burgunden und auf der andern nur die Nordländer und die Hunnen gegeneinander los. Bald krachte Schild gegen Schild, aus Harnisch und Helm sprühten Funken, und Kriemhild oben am Söller wünschte von Herzen, der harte Strauß würde sich vollends zu wirklichem Kampf entwickeln. Beinahe ging das in Erfüllung. Denn mit sechshundert Gesellen griff jetzt Blödel, des Hunnenkönigs Bruder, in das Spiel ein. Immer dichter wurde das Gewühl, und die Nibelungen mußten sich sehr in acht nehmen, daß sie in der Hitze des Gefechts nicht allzu kräftig zustießen. Mit dem Fortschreiten des Spieles wandelte Volker die Lust an, die Hunnen ernsthaft herauszufordern. »Seht ihr die Zierpuppe dort«, rief er Hagen zu und deutete mit dem Speer auf einen bunt herausgeputzten Hunnenritter, »der scheint mir es mehr auf Weiber abgesehen zu haben denn auf einen ehrlichen Männerstreit. Ich will ihm einen Deuter versetzen, der ihn reif macht, der Höllenfürstin seine Aufwartung zu machen.« Gunter hatte diese Worte auch gehört, und mit hartem Befehl versuchte er dem wahnwitzigen Tun Einhalt zu gebieten. Zu spät! Schon war der Fiedler losgesprengt und hatte dem Hunnen eine Lanze mitten durch die Brust gerannt, daß dieser tot in den Sand sank.
Entsetzen erfaßte die Zuschauer. Die Hunnen schrien nach Rache und trommelten mit ihren Schwertem wild auf die Schilde. Dann brausten sie in geschlossener Phalanx heran, Volker vom Pferd zu stechen. Doch ehe sie ihr Ziel erreichten, gebot Etzel vom Fenster aus mit donnernder Stimme Einhalt: »Zurück! Frieden sei zwischen euch und meinen Freunden. Nicht mit Vorbedacht hat Volker euren Gefährten erstochen. Ich seh es genau.«
So schien der Streit vorerst geschlichtet, das Spiel wurde abgeblasen. Kriemhild war verärgert, daß die Friedfertigkeit ihres Gemahls den Funken, den sie unablässig bemüht war, zum Brand zu entfachen, ausgetreten hatte. Sie sann auf neue Ränke, und während die Herolde schon ihre Einladung zum Festmahl verkündeten, wußte sie sich insgeheim an Dietrich von Bern zu wenden.
»Edler Gotenkönig«, flehte sie, »helft mir, daß ich zu meinem Recht komme. Mein Herr Gemahl hält allzu gute Freundschaft mit seinen Gästen, und es ist doch der unter ihnen, der meinen Siegfried erschlug. Blut aber, so steht geschrieben, soll mit Blut gerächt werden.«
An Stelle seines Herrn gab Hildebrand zur Antwort: »Wer wider die Nibelungen antritt, kann nicht auf unseren Beistand zählen.«
»Ich habe keinen Grund, mit Euren Anverwandten Händel zu suchen«, pflichtete der Berner dem Meister bei, »wenig gefällt es mir, daß Ihr Eurer eigenen Sippe nach dem Leben trachtet. Im Vertrauen auf Euch heiraten sie als Gäste dieses Land; ich reiche nicht meine Hand dazu, daß guter Glaube mit schnödem Verrat belohnt wird.«
So war denn Kriemhilds Versuch, den größten Helden, der nach Siegfrieds Tod auf Erden lebte, für sich zu gewinnen, schmählich mißlungen. Nun verfiel sie auf den Gedanken, Blödel zu dingen, den sie als eitlen, ruhmsüchtigen und selbstgefälligen Mann kannte. Sie hoffte, ihn mit Schmeicheleien und Versprechungen zur Vernichtung der Feinde aufstacheln zu können. In aller Eile bestellte sie ihn in ihr Gemach und verhieß ihm eine reiche Markgrafschaft und die schönste Fürstentochter zur Gemahlin, wenn er sie in dem hinterlistigen Werk unterstütze. Und wirklich, leicht gewann sie damit das Herz des Gecken, und lebhaft entwickelte er seinen Plan: »Für den Reisemarschall Dankwart und seine Mannen ist in der Herberge gegenüber dem Eingang zum großen Saal ein Tisch gedeckt. Ihnen will ich zuerst die Mahlzeit versalzen. Wenn ich sie erschlagen habe, kommen die andern Recken an die Reihe, einer nach dem andern, bis die große Rechnung meiner Herrin beglichen ist.«
»Wohlgesprochen«, rief Kriemhild in düsterer Freude. Ein wildes Feuer flackerte in ihren Augen, denn sie fühlte bis in den Grund ihrer Seele, daß die Stunde nahte, auf die sie in Geduld und nimmer ermüdender Rachgier gewartet hatte.