Der Nibelungen Ende

In Dietrichs weitab gelegene Quartiere stürzte ein Mann. »Edler Gotenkönig«, berichtete er atemlos, »im Hof hat sich so jämmerliches Klagen erhoben, daß ich glaube, man hat den König erschlagen oder Kriemhild.«

Rasch erhob sich Wolfhart, Meister Hildebrands Neffe, und sprach: »Ich will ausforschen, was das Geschrei zu bedeuten hat.«

»Nein, nicht du«, entschied Dietrich. »Die Nibelungen kämpfen um ihr Leben, und ich will ihnen nicht in den Rücken fallen. Dein Ungestüm, Wülfling, verwickelt mich am Ende noch in einen Streit. So will ich lieber Helfrich entsenden.«

Eilends stürmte der Abgesandte aus dem Gemach und kam nach kurzem mit der Schreckenskunde zurück, daß Markgraf Rüdiger von den Burgunden erschlagen werden sei.

»Man hat dich belogen«, brauste der Herrscher auf, »wie wär es denn möglich, daß die Nibelungen ihren besten Freund gemeuchelt hätten?«

»Wenn es wahr ist, was Helfrich berichtet«, meldete sich Wolfhart, »dann gnade Gott den Burgunden. Dann wollen wir den Tod des Edlen rächen.«

»Darüber entscheide ich«, wies der Gotenkönig den Heißsporn streng zurecht. »Erst will ich noch genaueren Bericht«, fuhr er fort, »und drum bitt’ ich Meister Hildebrand, er möge mir verläßliche Kunde bringen.« Unbewehrt wie der Alte dastand, machte er sich auf den Weg. Da setzte ihm sein ungestümer Neffe nach und flüsterte ihm zu: »Nicht ohne Waffen, rat’ ich, zeig’ dich den Nibelungen. In dem Wahnwitz, der sie befallen hat, könnte es sonst leicht geschehen, daß sie sich an dir vergreifen.«

Dem weisen Hecken schienen diese Worte verständigen Sinn zu haben, er schiente sich also vorsorglich in gutes Eisen und schickte sich dann an, seinen Auftrag auszuführen. Da gesellten sich ihm aber noch die andern Recken Dietrichs zu. Wolfhart selbst, dann Helfrich und auch der berühmte Herzog Siegstab. Meister Hildebrand freute sich darüber, doch mahnte er: »Daß ihr mir wohl Frieden haltet!«

Volker sah die Berner langsam gegen die Halle zukommen. Grußlos schritten sie an Kriemhild vorbei. Weithin donnerte die Stimme des Fiedlers durch den Saal: »Auf, auf! Neue Feinde nahn! Die Goten sind es.«

»Der Anfang vom Ende«, murmelte Gunter leichenblaß. Die müden Streiter erhoben sich noch einmal, griffen zu den Waffen, um Hildebrand entgegenzutreten. Doch wie süße Schalmei klang ihnen die Losung ans Ohr, mit der nun der alte Meister von dem Fiedler Durchlaß begehrte: »Laßt uns passieren. Hie gut Freund.«

Die Stufen der Treppen stieg Hildebrand mit den Seinen hinan. Von dem entsetzlichen Anblick gebannt, verharrte er jetzt am Eingang des Saales. Zwischen wirren Trümmern wankten ihm schweißbedeckte Gestalten entgegen, und wenn sich ihm Gunter nicht durch die Nennung seines Namens entdeckt hätte, niemals würde er in dem Recken mit dem zerbeulten und vielfach zerschlissenen Panzer, dem rauchgeschwärzten Gesicht, den versengten Haaren um Haupt und Kinn, den irre flackernden Augen den stolzen König der Burgunden erkannt haben.

»Was bringt ihr uns?« fragte der Wormser.

»Vom König Dietrich soll ich Gruß enthieten«, antwortete Hildebrand, »und Auskunft heischen, ob das Gerücht die Wahrheit spricht, das den Tod Rüdigers verkündet.«

Gunter erwiderte: »Rüdiger ist im Kampf mit uns gefallen.«

Um Hildebrands Mundwinkel zuckte es zornig, doch er beherrschte sich. Herzog Siegstab vermochte jedoch nicht an sich zu halten und klagte: »Weh dem edlen Mann, er hatte keine Feinde, und trotzdem mußte er sterben.«

»Menschenlos«, warf Hagen bitter ein.

»Wie ist das gekommen?« fragte erregt Siegstab.

»Er fiel für den Eid, den er König Etzel und Frau Kriemhild geschworen hat«, berichtete der Tronjer.

»Er war unser Freund«, ergriff endlich der alte Meister das Wort. »Wir betrauern tief das Los des Helden. Mag Herr Dietrich wägen und richten, ich bitte nur um den Leichnam, damit wir ihn würdig hestatten.«

»Das sei euch gern gewährt«, fiel Gunter ein, »dort auf den Schild haben wir ihn gebettet.« König Gunter befahl einigen Knechten die erzene Bahre mit den sterblichen Resten des großen Mannes den Goten zu übergeben. Die tapferen Reisigen, von den schrecklichen Kämpfen erschöpft, hatten Mühe, die schwere Last vom Boden zu erheben. Ungeduldig ließ Wolfhart seinen Speer aufstampfen und rief: »Wenn ihr die Leiche nicht herausgeben wollt, sagt es lieber gleich, dann werden wir sie uns holen.«

»Was winselt ihr wie Weiber«, fuhr Volker dazwischen, »wenn ihr den Markgrafen rächen wollt, kommt weiter in den Saal. Da, zwischen den Trümmern ist ein herrlicher Turnierplatz.«

»Spielmann«, drohte aufbegehrend Wolfhart. »Wenn du nicht schweigst‘ stimm’ ich dir deine Fiedel tiefer.«

»Nimmst du meiner Geige den Ton«, hohnlachte Volker dawider, »dann putz’ ich dir den Glanz von deinem Helm. Soll es so gelten?«

»Reize mich nicht«, schrie Wolfhart immer mehr in Wut geratend, »leicht könnt’ ich sonst den Befehl meines Herrn brechen und dir über das lose Maul schlagen.«

»Tu es doch!« lachte der Fiedler, »wer alles unterläßt, was ihm verboten ist, der ist kein Held, sondern ein furchtsamer Hase.«

Das war dem Wülfling zu viel. Er achtete des Zurufs seines Meisters nicht und schlug auf Volker los, daß die Funken sprühten. Doch der Fihdler gab geharnischte Antwort, der Streit riß bald alle mit, und wieder erdröhnte die Halle vom Kampfgetöse. Zwischen dem Gewirr verkohlter Balken, verbogener Eisenträger und aufgeschichteter Steinklötze suchten und fanden sich die grimmigen Streiter. Unter des Fiedlers scharfen Streichen fiel erst Herzog Siegstab, doch auch Volkers letztes Stündlein hatte geschlagen. Meister Hildebrand hatte sich selbst den Fiedler auserkoren, und wie ein Gewitter brach er über ihn herein. Zu Boden geschmettert, hauchte der tapferste Spielmann, Burgunds unvergleichlicher Bannerträger, seine Heldenseele aus.

»Weh der Not«, hörte man jetzt zum erstenmal Hagen klagen. »Lebe wohl, du herrlichster aller Helden, du treuester aller Freunde. Wenn wir uns wiedersehen, wird lichter Tag um uns sein.« Scharf spähte dann des Tronjers Auge nach Hildebrand; er versuchte den Alten vor seine Klinge zu bekommen, doch die Goten deckten ihn so tapfer, daß er nicht zu ihm vorzudringen vermochte.

Indes waren in einem anderen Winkel der Halle Giselher und Wolfhart aneinandergeraten. Wie ein Rasender schlug der junge König auf den großen Helden ein. Ein röchelnder Schrei brach aus Wolfharts Brust, seinen nutzlos gewordenen Schild schleuderte er beiseite, faßte mit letzter Kraft beidhändig das Schwert und schlug mit solch zermalmender Wucht auf Giselher, daß beide Streiter niedersanken und Brust an Brust gepreßt ihren letzten Seufzer taten.

Allüherall wohin das Auge blickte, wagte das Getümmel. Niemand gewährte Gnade und erbat sie. Dort schlugen sich Dankwart und Helfrich zu Tode, wie es eben Giselher und Wolfhart getan hatten, da fraß sich Hagens Balmung immer tiefer durch die sich lichtenden Reihen der Goten.

So sank ein Kämpferpaar nach dem andern dahin, in allen Winkeln und zwischen den Trümmern wälzten sich die Sterbenden in ihren letzten Zügen. Die Nibelungen und die kühnen Goten hatten einander ausgerottet bis auf den letzten Mann. Von den Goten war nur Hildebrand, von den Nibelungen Gunter und Hagen dem Blutbad entronnen. Schmerzzerrissen beugte sich der alte Meister über seinen geliebten Neffen, da raste auch schon Hagen heran.

»Heda Alter«, begrüßte er grimmig den einstigen Genossen, »nun sich dich vor, du entgehst mir nicht mehr.« Blitzschnell folgte der Balmung der drohenden Rede nach. Gerade noch vermochte Hildebrand seinen Schild deckend über das Haupt zu ziehen, da sauste auch schon das Schwert herab, den harten Stahl der Wehr wie dürres Holz zerspaltend. Es durchfurchte noch den Helm bis auf den Scheitel. Und nun geschah etwas Unerhörtes. Aus einer Wunde am Schädel blutend nahm der Held, dessen Rücken noch kein ehrlicher Feind gesehen, schmählich Reißaus. In wilden Sprüngen hetzte er aus dem Saal und die. Treppe hinab. Zi. müde war der Tronjer schon, um ihn noch zu verfolgen. So erreichte der Meister unangefochten Dietrich, um ihm die Kunde von den entsetzlichen Ereignissen zu überbringen.

»Markgraf Rüdiger ist tot«, stieß der Alte atemlos hervor, »und alle, alle bis auf Hagen und Gunter …«

»Gut, Hildebrand«, erwiderte der Herrscher im Glauben, daß nur die Burgunden dahingesunken wären, »dann sage meinen Recken, ich erwarte von ihnen, daß sie auch noch die beiden letzten Nibelungen vom Antlitz der Erde tilgen.«

»Wie?« stammelte der Meister, »ich versteh nicht recht. Deine Helden, sagtest du …«

»Ei, wer denn sonst wäre dieses Vernichtungsamtes würdig?« gab Dietrich kühngemut und noch immer ahnungslos zurück. »Die beiden Burgunden haben sich’s durch ihre Tapferkeit wohl verdient, von christlicher Hand zu sterben.«

»Herr«, klagte jetzt Hildebrand, »außer dir und mir gibt es keine Goten mehr auf der Etzelburg!«

»Du rasest wohl, Alter«, tobte der Herrscher. »Willst du allen Ernstes sagen, daß alle meine Männer gefallen sind?«

»Dort liegen sie in dem Saal des Grauens«, bekräftigte Hildebrand leidvoll die Kunde. »Dein ungestümer Wolfhart, Herzog Siegstab, der Tapfere, und unser kühner Helfrich, und um sie im Tod geschart die unübersehbare Zahl unsrer Ritter.«

Mit Entsetzen starrte Dietrich den Unglücksboten an. Nun erst hatte er die volle ungeheuerliche Wahrheit begriffen. Er erhob sich in grimmiger Entschlossenheit. Seine Mundwinkel zuckten. Und er befahl:

»Gürtet mich in Erz, damit ich dem Wüten des Tronjers ein Ende setze. Sein Maß ist voll!«

Sein Meisterschwert Eckesachs ließ sich der Gotenkönig reichen, und klingenden Schrittes nahte er, von Hildebrandt begleitet, der brandgeschwärzten Halle. Müde lehnten Hagen und Gunter an der Pforte, und als der Tronjer Dietrichs ansichtig wurde, sprach er in traurigen Trotz:

»Binde noch einmal deinen Helm, Gunter, zum letztenmal grüß ich dich, Herr von Burgund und Herrscher der Nibelungen!«

Inzwischen kamen Dietrich und sein Meister heran. Zornbebend stieß der Berner den Schild vor sich hin und herrschte die Nibelungen an: »Ich begehre Sühne für das vergossene Blut.«

Hagen antwortete bitter: »Nur unser Leben können wir Euch bieten. Holt es Euch!«

Dietrich meinte: »Ungleich wäre dieser Kampf. Eure Augen brennen von durchwachten Nächten, verdorrt sind eure Gaumen, das Mark eurer Knochen ist in rasendem Streit verschwendet, ich würde mich schämen, das Schwert wider euch zu erheben. Drum fordere ich: ergeht euch!«

»Ich verstehe nicht recht«, trotzte Hagen, sich stolz aufreckend, »glaubt Ihr denn wirklich, daß wir uns Euch unbesiegt überliefern. Unser Leben haben wir geboten, unsere Ehre nicht!«

»Höret meine Bedingungen«, fuhr Dietrich unerschütterlich fort, »ihr sollt euch als Geisel in meine Hände geben. Ich verbürge mich mit meinem Namen dafür, daß ihr sicher nach dem Burgundenland gebracht werdet.«

»Und auch dafür«, fragte der Tronjer höhnisch, »daß man uns dort nicht anspeit, mit Fingern auf uns zeigt und uns feige Buben spottet?«

»Wir wollen sorgen, daß ihr mit aller Auszeichnung, die euch zukommt, geleitet werdet«, drang jetzt Hildebrand in die Recken.

»Der Mann, der vor mir floh, behalte seinen Rat für sich«, gab Hagen zurück.

»Und ich kenn einen«, erboste sich Hildebrand, »der einst von einem Stein in Seelenruhe zusah, wie Walter von Aquitanien ihm seine Freunde erschlug. Und er hieß Hagen.«

»Begleicht eure Rechnung nicht mit dem Mund, sondern mit der Waffe«, herrschte Dietrich die Hadernden an.

»Ich danke für die Zurechtweisung«, spottete Hagen grimmig, »doch man plaudert gern eines, wenn man zwei Tage und zwei Nächte nichts wie Recken geköpft hat. Wenn’s euch beliebt, kommt nun näher. Balmung ist gierig nach Gotenblut.« Hagen riß nun das Schwert hoch und pflanzte sich so drohend vor den Berner auf, daß diese einen Ausruf der Bewunderung über die Heldengröße dieses herrlichen Mannes nicht unterdrücken konnten. Dann aber klirrten Eckesachs und Balmung funkensprühend aufeinander, und schrecklich ohnegleichen bäumte sich zum letztenmal der Kampfeswille des Tronjers auf. Dietrich war auf der Hut. Er wußte wohl, daß Hagen eine schnelle Entscheidung suchen mußte, eine lange Dauer des Fechtens würden die übermüdeten Kräfte des Nibelungen vorzeitig zerbrechen und ihm, dem Goten, alle Vorteile geben. Erst als er spürte, daß er langsam über den sturmmüden Mann die Oberhand gewann, ließ Dietrich den Eckesachs aufspielen, wie der Tronjer in seinem Leben noch keine Streiehe verkostet hatte. Sein Schild sank zerhauen zur Erde, aufklaffte das Panzerhemd, eine Wunde zeigte sich unter dem geborstenen Helm, geschwächt wich er mit wankenden Knien zurück, und das war der Augenblick, auf den der Gote gewartet hatte. Seine Waffe schleuderte er zur Seite, umfaßte mit bloßen Händen sein kraftloses Opfer, drückte es zu Boden, und fesselte ihm nach langen Mühen die Hände mit schweren Ketten. Den Wehrlosen übergab er dann den Recken Etzels, die ihn vor den König brachten.

Als sie den so tief Gehaßten in Banden vor sich sah, jubelte Kriemhild in unheilverkündender Freude auf: »Nun endlich ist die Stunde der Rache gekommen!« Dann trug sie den Schergen gleich auf: »Werft ihn in das tiefste Burgverlies, in das noch nie ein Sonnenstrahl gedrungen ist. Morgen will ich Gericht über ihn halten.« Auf ihr Geheiß schleppten kleine, schlitzäugige Hunnen den auch noch in der Not riesengroß aufregenden Mann mit sich fort.

Indessen war Dietrich zum ZWeikampf mit Gunter angetreten. Auch den König der Burgunden überwältigte der Berner schnell, band ihn genauso wie vordem seinen gewaltigen Ritter und ließ ihn vor Etzel bringen. Überschwenglich dankte die Königin Dietrich: »Sei gesegnet, großer Gote.« Hart wie gegen Hagen verfuhr sie dann auch mit ihrem Bruder. »Sage mir nicht«, überfiel sie ihn mit beißender Schärfe, »daß uns eine Mutter geboren hat. Sage mir nicht, daß wir unter einem Dach gewohnt und unter dem gleichen Himmel groß geworden sind. Dies alles ist ausgelöscht aus meinem Gedächtnis. Nichts andres haftet darin als Siegfrieds bleiches Antlitz.« Und abermals wies sie die Schergen an: »In den Kerker mit dem König der Burgunden!«

Dietrich empfahl die Gefangenen der Gnade des Herrschers. Etzel versprach, sie am Leben zu lassen, und auch Kriemhild murmelte einige kaum verständliche Worte des Einverständnisses.

Am nächsten Tag saßen Etzel und Dietrich im großen Saal zur Mahlzeit. Hunderte flinker Dienerhände hatten über Nacht die Trümmer weggeschafft und mit Schilf notdürftig die Mauern eingedeckt. Traurig dachten die Könige der Schrecken, die in dieser Halle gewütet hatten, und ihr Herz war hang und schwer. Unter einem Vorwand erhob sich Kriemhild plötzlich von der Tafel und befahl zwei Häschern, sie sollten Hagen vor ihr Angesicht führen. An der Pforte des Saales erwartete sie rachedurstig den Tronjer. Da ging er einher noch immer wuchtigen Schrittes, ungetrübt schien der Glanz seines Auges, wahrhaft ein Held, wie ihn nicht oft die Erde trägt. Der Balmung hing ihm vom Gehenk, freilich unerreichhar seinen gebundenen Händen.

Mit dem Schrei »Mörder und Räuber« entlud sich das Riesenmaß von Kriemhilds Zorn. Mit keiner Wimper zuckte der Tronjer unter der Anklage.

Scheinbar ruhiger werdend fuhr die Königin fort: »Trotz aller Schandtaten, die dein frevelhaftes Leben tausendmal verwirkt hätten, winkt dir noch eine Möglichkeit der Rettung. Sag mir, wo du deinen Raub, den Schatz der Nibelungen, versteckt hast, und ich will Gnade walten lassen, wie ich’s Dietrich versprach.«

Grimmige Schadenfreude huschte da über Hagens Gesicht, und er entgegnete: »Den Ort kann ich nicht verraten, solange noch ein Burgunde lebt.«

Kücmhild befahl den Henkem, Gunter das Haupt abzuschlagen und es ihr zu bringen. Das Grausige geschah. Dann forderte sie ihren Todfeind noch einmal auf, ihr das Geheimnis des Hortes preiszugeben.

Hagen aber lachte… lachte, daß laut die Mauern widerdröhnten, und sein Mund sprach die letzten Worte: »Nun wissen den Ort nur mehr Gott und ich allein und keiner von uns beiden sagt es dir!«

Kriemhild hakte den Balmung aus dem Gurt, und, jeden Augenblick dieser grausamen Handlung auskostend bis auf den Grund ihrer aufgewühlten Seele, hob sie ihn langsam empor. Funkelnd reckte sie das Schwert ihres Geliebten wie ein heiliges Unterpfand endlich gewonnener Rache in das Licht der Sonne. Keiner gab mehr einen Laut von sich, nicht die Richterin und nicht das Opfer. Dann sauste der Stahl mit unheimlicher Wucht herab, und Hagens Haupt flog in den Sand.

Das Schreien an der Pforte hatte die Tafelrunde aufgescheucht. Die Männer stürzten herbei. Meister Hildebrand wetterte: »Seht an, Hagen von Tronje, der gewaltige Mann, erschlagen von Weibeshand! Dies Verbrechen darf nicht ungesühnt bleiben. Stirb, Kriemhild.«

Und mit der Schärfe des Schwertes richtete Hildebrand die Königin.

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Das Lied von Heldentum und Untergang des gewaltigen Geschlechts vom Rhein schließt mit den Worten:

Ich kann euch nicht berichten, was weiter dann geschah,
nur daß man immer weinen Christen und Heiden sah,
die Ritter und die Frauen um ihrer Freunde Tod.
Hier hat die Mär ein Ende. Das ist der Nibelungen Not.