Wiedersehen mit Herwig und Ortwin

Ihre Arme zu einem Kreuz ausbreitend, war Gudrun zu Boden gesunken, und so fand sie Hildburg, die, durch das lange Ausbleiben der Herrin geängstigt, ihr nachgeschlichen war. Nun erfuhr auch die staunende Magd von dem Wunder. Das Waschen ging ihnen nicht mehr von der Hand, wird am Abend schalt sie Frau Gerlind wegen der nachlässigen Arbeit. »Schläge setzt es«, rief die Alte, »wenn mir das noch einmal vorkommt.«

»Habt Nachsicht mit uns armen Mädchen«, seufzte Gudrun, »es friert uns so erbärmlich, und unsre Finger sind steif vor Kälte. Wenn erst wieder warmes Wetter ist, waschen wir dann schon fleißig.«

Der höhnische Klang in der Stimme der Hegelingentochter war der Königin entgangen, und sie dachte vielmehr, sie wäre nun bald am Ziel ihrer Wünsche. Vielleicht genügte eine letzte Demütigung Gudruns, und die Stolze bräche zusammen. Solches bei sich erwägend, sagte sie: »Ich wünsehe, daß ihr bei jedem Wetter fleißig seid. Überhaupt morgen werdet ihr die doppelte Menge Wäsche zugeteilt bekommen. Ein Fest steht uns bevor, da muß alles sauber sein, und wehe, wenn mir nur ein Lehen schmutzig zurückbleibt.«

»Wir wollen alles tun, was Ihr befehlt«, duckte sich Gudrun im unterwürfigsten Ton, »es ist mein größtes Glück, wenn Frau Gerlind mit mir zufrieden ist.«

»Was das Mädchen nur hat«, ging es der Alten durch den Sinn, aber sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber und entließ ungnädig die Gefangenen.

So ungeduldig war Gudrun, daß sie das harte Brot, das man ihr als Speise reichte, nicht hinunterzuwürgen vermochte. Vorzeitig warf sie sich unter den Drohreden ihrer Beaufsichtiger auf die Schlafbank, aber ihre Augen fanden keinen Schlummer. Hin und her wälzte sie sich auf dem Lager, und sie konnte kaum erwarten, bis der Ruf des Wächters sie an den Strand hinunterrief. Es war noch lange vor Morgengrauen. Kaum merkte sie, daß über Nacht Schnee gefallen war, Müdigkeit und Kälte schienen aus ihrem Körper gewichen, siedend trieb ihr die Erwartung das Blut durch die Adern. Unablässig starrten ihre Augen auf das Meer und versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen. Nach kurzer Dämmerung kam der Morgen. Da, genau an der Stelle, wo sie gestern zum erstenmal des Schwanes ansichtig geworden war, tauchte ein Boot auf. Auch Hildburg hatte es entdeckt, und ein Jubelschrei entrang sich ihrem Mund: »Herrin, sie kommen!«

Jetzt, da das größte Glück an sie heranzutreten schien, erfaßte Gudrun ein Schaudern. »Weh mir«, rief sie, »auch die höchste Freude wird mir zum Jammer. Ich ertrage die Schande nicht, daß die Boten meiner Mutter mich hier als gemeine Magd erblicken müssen.« Schon wollte sie fliehen, als zwei Männer aus dem Nachen sprengen und der eine von ihnen rief: »Holla, ihr schönen Wäscherinnen, lauft nicht so hurtig davon, ihr verliert sonst eure Kleider.«

Gudrun horchte auf. Das war wohl im Hohn gesprochen. Ihr Blick glitt ihren Leib hinab. Sie und Hildburg hatten nichts anderes an als dünne Hemden, die der Sprühregen des Meeres durchnäßt hatte. Sie begann zu zittern und blieb wider ihren Willen stehen.

Der Mann fuhr fort: »Wir wünschen guten Morgen und bitten um eine Auskunft.«

Gudrun fühlte ihr Herz bis zum Halse schlagen. Sie hatte Herwigs Stimme erkannt. Nein, sie wollte sich nicht zu erkennen geben. Nagende Zweifel meldeten sich. Ob er ihr auch treu geblieben war? Vielleicht hatte er sich ein Weib genommen? Zwölf Jahre sind eine lange Zeit! Erst wollte sie ihn prüfen. Und sie antwortete: »Was ist Euer Begehr?«

»Laßt uns Wissen«, so begann nun der zweite Mann zu sprechen, »wem diese reichen Gewänder gehören, und für wen ihr sie waschen müßt, seltsam dünkt es uns, daß man so schönen Mädchen so grobe Arbeit gibt.«.

Da wußte Gudrun, wer vor ihr stand: ihr Bruder Ortwin. Ein halber Knabe noch war er, als sie ihn zum letztenmal gesehen hatte, ein junger Held stand nun vor ihr!

»Fragt uns nicht länger aus«, antwortete Gudrun, noch immer ihr Geheimnis wahrend, »wenn uns unsere Herrin mit euch plaudern sieht, geht es uns schlecht.«

»Wer ist denn diese grausame Weibsperson, die euch in so dürftigen Kitteln zu solcher Jahreszeit fronen läßt?« meldete sich Herwig wieder.

»Königin Gerlind ist es«, mischte sich Hildburg in das Gespräch. »Die Burg dort ist Kassiane, sie gehört König Ludwig von der Normandie.«

»Dann sind wir auf dem rechten Weg«, ließ sich Ortwin wieder vernehmen. »Doch sagt, sind Ludwig und sein Sohn Hartmut in der Nähe?«

»Das wissen wir nicht«, gab Gudrun zurück. »Wir haben sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Aber sie sollen nach einem erfolgreichen Kriegszug jetzt auf Schlössern leben, nicht weit von hier, und ständig ein großes Heer unter Waffen halten.«

»Das böse Gewissen«, platzte Herwig übermütig heraus. Er wollte weiterreden und stockte plötzlich. Irgendwie kam ihm das Mädchen bekannt vor. Doch noch zögerte er, es auszusprechen. Und er fuhr fort: »Wißt ihr, ob fremde Frauen auf Kassiane gefangengehalten werden? Eine von den Unglückseligen heißt Gudrun.«

»Davon haben wir gehört«, erwiderte das Hegelingenkind. »Es ist lange her, seit man sie über das Meer gebracht hat. Große Mühsal haben sie erduldet, ehe sie starben.«

»Gudrun tot!« schrien Herwig und Ortwin entsetzt aus einem Munde auf. »Himmel«, schluchzte Herwig weiter, »über diese Unglücksbotschaft gehe ich zugrunde.«

Nun erkannte Gudrun, daß sie noch geliebt wurde. Mit einem Griff löste sie den Knoten in ihrem Haar, so daß die goldenen Wellen ihren ganzen Leib umfluteten. Herrlich geschmückt mit der Pracht ihres schönsten Geschmeides, das ihr Gott gegeben hatte, stand sie vor den Helden.

»Gudrun«, jauchzte Herwig in seligem Erkennen und schlang die Arme um seine Braut und herzte und küßte sie in namenloser Freude.

Herwig wollte die Geliebte in das Boot tragen, doch sie wehrte ab: »Ich fliehe nicht feige. Kommt morgen vor die Burg und fordert mich von der Elenden, die mich gedemütigt hat. Nun soll sie alle Schmach und alle Ängste verkosten.«

»Fürwahr, der alte stolze Hegelingensinn spricht aus dir«, mit diesen Worten trat Ortwin auf seine Schwester zu und zog sie in stürmischer Umarmung an seine Brust. Dann fuhr er fort: »Morgen sind wir vor Kassiane. Siebzigtausend Helden werden strenges Gericht halten.«

Viel hatten sich die Fürstenkinder zu erzählen, aber der Bruder drängte bald zum Aufbruch. Der König von Seeland zögerte, seine Braut zu verlassen, und, sie liebkosend, sagte er: »Immer muß ich daran denken, daß du heute abend noch leiden mußt.«

Die Treue beruhigte ihn: »Glaub mir, Geliebter, ich werde es mir auf dem Schloß gut geschehen lassen. Wie ich das anstelle, ist mein Geheimnis.«

Nun erst vermochte sich Herwig loszureißen, und beide Männer bestiegen das Boot. Mit kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich schnell.

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»Wir dürfen die Wäsche nicht vergessen«, mahnte Hildburg. »Sollen wir am Vortag unsrer Befreiung noch geschlagen werden?«

Hochgemut schüttelte Gudrun die goldenen Locken: »Sei ruhig, Mädchen, du stehst unter meinem Schutz. Zwei Könige haben mich geküßt, und ich soll das schmutzige Zeug noch anrühren? Sieh einmal, es weht ein frischer Frühlingswind, wie wär’s, wenn wir Linnen und Laken in den Lüften tanzen ließen?« Gudrun griff in den Korb und riß ein Stück nach dem andem heraus und schleuderte es hoch empor, daß der Sturm es packte und weit forttrage über das Meer. Dem letzten Hemd warf sie den Behälter nach und lachte: »Mein Spiel scheint dir verwegen, arme Hildburg. Laß nur, du sollst heute noch manches erleben. Doch jetzt wollen wir heimwärts schreiten. Ja, die Burg oben ahnt noch nicht, daß morgen auf ihren Trümmern die Fahne Dänemarks wehen wird!«

Mit leeren Händen kamen sie dann auf dem Schlosse an. Gerlind hatte schon auf sie gewartet. »Wo sind die Kleider?« fragte sie voll Zorn.

»Im Meer«, erscholl es trocken zurück.

Diese Antwort erboste die Teufelin über die Maßen. »Das will ich euch heimzahlen«, tobte sie. Zweige vom Dombusch ließ sie brechen und zu Ruten flechten. Dann befahl sie ihren Knechten, die frechen Mägde an die Holzpfeiler der Halle zu binden, ihnen die Gewänder herabzureißen und sie auszupeitschen. Rolle Fäuste wollten die Jungfrauen ergreifen. »Zurück«, donnerte Gudrun, »wehe dem, der mich anrührt. Bin ich erst Herrscherin der Normandie, werde ich jeden Frevel, der an mir verübt wurde, rächen!«

Die Alte stutzte. Hatte sie recht gehört? Sollte der Trotz des Weibes endlich gebrochen sein? Sie näherte sich der Verhaßten mit gleisnerischer Freundlichkeit. »Wie, bist du vernünftig geworden, mein Täubchen?« erkundigte sie sich. »Darf ich meinen Sohn verständigen, daß er seine zukünftige Gemahlin begrüße?«

Die also honigsüß Angesprochene nickte mit dem Kopf. Reiter stoben aus der Burg, und bald darauf trat Hartmut, der sich ganz in der Nähe aufhielt, vor die Erkorene seines Herzens. Mit zuckenden Lippen fragte er: »Ist es denn wirklich wahr, du willst meine Gattin werden?« Ihr Schweigen für Zustimmung nehmend, wollte er sie in die Arme schließen, sie aber stieß ihn von sich. »Nicht jetzt«, wies sie ihn zurecht, »denn es ziemt einem Fürsten schlecht, eine Magd in grobem Kittel zu umarmen. Morgen, wenn ich in allem Glanz erhöht bin, magst du mich küssen.«

Brennende Scham flammte in des Mannes Antlitz auf, und bewegt rief er aus: »Kannst du mir verzeihen, kannst du das Bittere vergessen, das du leiden mußtest?«

»Vielleicht«, wich die Jungfrau aus, »gib mir Zeit.«

»Was du wünschest, soll erfüllt werden«, fuhr Hartmut in freudigem Eifer fort, »meine Mutter und ich und all unser Gesinde stehen dir zu Diensten.«

»So erbitte ich zum ersten«, erwiderte Gudrun, »daß mir mein Gefolge zurückgegeben werde. Dann will ich, daß man mir ein Bad bereite und schöne Gewandung bringe.«

Gerlind eilte, die Befehle auszuführen. Die Mädchen erschienen, armselig anzuschauen in ihren grauen Leinwandsäcken, in denen zahlreiche Flicken die Risse der Peitschen anzeigten. Sie wußten nicht, wie ihnen geschah, als man sie in die Badekammern geleitete, wo die Öfen schon entzündet waren und warmes Wasser in die Becken rieselte. Dann wurden sie prächtig eingekleidet und durften an einem erlesenen Abendessen teilnehmen, das Gerlind selbst bereiten mußte. Rücksichtsvoll zog sich Hartmut nach gemessener Frist zurück, zum erstenmal nach langer Zeit waren die Hegelingentöchter unter sich. Bis auf Gudrun und Hildburg schienent sie nicht glücklich. »Was habt ihr bloß«, forschte die königliche Jungfrau, »ihr scheint ja dem Weinen näher als dem Lachen?« und sie erfuhr, daß sich die Mädchen des vermeintlichen Kniefalles ihrer Herrin schämten. Lieber hätten sie weiter gelitten, denn solche Schande erlebt. Und Gudrun lachte aus so tiefster Seele Grund, daß die Ahnung, sich zu irren, die Gesichter in der Runde verklärte.

In dieser Nacht schlief Gudrun auf seidenem Lager. In einem großen Saal standen köstliche Betten für sie und ihre Gefährtinnen, und Edelknaben leuchteten ihnen zur Ruhe. Wie herrlich ist es, sich schon beim Einschlafen auf das Erwachen zu freuen. Nur Glückliche tun das, und Gudrun war heute eine Glückliche!