Dietrichs Heimkehr
Als sich die Sonne über die blutgedüngte Walstatt senkte, erfaßte tiefe Trauer Dietrichs Herz. Fürchterlich waren die Verluste gewesen, zusammengescbmolzen die Schar seiner Gesellen auf ein kleines Häuflein. Wahrhaft, alle waren sie dahingegangen, der starke Wittich, von dem Berner selbst in den Tod getrieben, der brave Wildeber, der junge Nudung, der jugendfrische Dietleib aus dem Steierland. Von Heime ging zwar die Kunde, daß er sich im Land umhertreibe, aber niemand konnte bestimmte Auskunft geben. Und zu alldem lagen noch drei Knaben hingestreckt auf der Bahre. Wer sollte Etzel die furchtbare Botschaft bringen? Der alte Hildebrand riet: »Niemand andrer als Ihr, Herr, vermöget mit solcher Nachricht vor den Hunnenkönig zu treten. Ihr habt Euch für das Leben seiner Kinder verbürgt, Ihr müßt es selbst sein, der bekennt, daß Ihr Euer Versprechen nicht eingehalten habt.«
Tief senkte Dietrich sein Haupt. Dann erwiderte er dumpf: »Nun, denn, Hildebrand, so wollen wir zum drittenmal ins Hunnenland aufbrechen. Wir wollen darauf verzichten, Raben zu berennen und unseren Feinden den Fangstoß zu geben. Weh, drei tote Kinder klagen mich an!«
Am nächsten Morgen brach Dietrich, begleitet von Hildebrand und den jungen Rittern Wolfhart und Helfrich, nach der Etzelburg auf.
Vor dem Palast des großen Herrschers angekommen, kündete erst Rüdiger dem Königspaar von dem Entsetzlichen, was geschehen war, Dietrich harrte indes noch eine kurze Weile abwartend an der Pforte. Als er aber dann meinte, daß Etzel und Frau Helche alles erfahren hätten, trat auch er in die große Halle, neigte sein Haupt vor dem König und sagte: »Räche dein Leid an mir.«
Aber so namenlos der Schmerz war, der die unglückseligen Eltern durchschüttelte, so groß auch schien ihre Selbstbeherrschung und ihre Verehrung für den Gotenhelden zu sein. Kein Wort der Anklage kam von Etzels und Frau Helches Lippen, und alle verharrten stumm in langem Schweigen. Dann flüsterte die Königin: »Sagt, daß Ort und Scharf wie Helden gestorben sind.«
»Sie sind es«, bestätigte mit leuchtenden Augen der Berner.
Da umschlang erst Frau Helche den Goten und küßte ihn, und darnach tat König Etzel ebenso. Und Dietrich nahm neben dem Hunnenherrscher auf dem Hochsitz Platz, und Freundschaft herrschte zwischen den beiden wie vordem. Freilich, Frau Helche überwand den Tod ihrer Söhne nicht mehr. Ein schweres Siechtum überfiel sie schließlich, von dem sie sich nicht mehr erholte. Wenige Monate nach Dietrichs Rückker trug man sie hinaus auf den Gottesacker.
Inständig liebte Etzel seinen Freund an, ihn nicht der Einsamkeit zu überantworten. Und so blieb denn Dietrich zuerst wider seinen Willen auf der Etzelburg; bald aber erwuchsen ihm an der Seite des großen Völkergebieters so viele Aufgaben, daß er die geplante Heimkehr ins Lampartenland immer wieder aufschob.
Und es geschah, daß Etzel ein zweitesmal freite. Frau Kriemhild, die Gattin des toten Siegfried, holte er sich aus Worms, und in der Stadt Wien ward prächtige Hochzeit gehalten.
Nachdem Kriemhild sieben Jahre mit ihrem Gemahl in Frieden gelebt hatte, ging sie daran, das Werk auszuführen, um dessentwillen sie des Hunnenkönigs Weib geworden war: den Tod Siegfrieds an ihrer Sippe zu rächen. Sie bewog König Etzel arglistig, die Nibelungen an seinen Hof zu rufen, und dort vollendete sich das schwere Geschick der Wormser, von denen uns der Sänger berichtet.
Als Frau Kriemhild mit dem sausenden Hieb des Balmung Hagen erschlagen hatte, als sich über die Toten die dunkelrote Sonne senkte, sagte Dietrich zum alten Meister: »Tot liegen alle unsere Freunde, dahin ist unser Gefolge. Was sollen wir nun noch länger im Hunnenland? Lieber will ich im Kampf für mein Reich fallen als hier vor Alter sterben. Wir wollen heimfahren.«
»Wir wollen heimfahren, Herr«, erwiderte Hildebrand. Dann fragte Dietrich seine Gemahlin Herrat, ob sie ihm folgen wolle ins Lampartenland, das sie noch nie geschaut.
»Wohin du dich wendest, mein herzlieber Gatte«, gab das treue Weib zurück, »ich will bei dir sein. Ich werde alle Mühsal und allen Kummer mit dir teilen.«
So brachen sie denn auf, nachdem sie dem einsamen und leidgebeugten Hunnenherrscher Lebewohl gesagt hatten. Ihrer drei zogen sie die staubige Heerstraße an der Donau entlang und weiter bis an den Rhein.
Dort erfuhren sie von dem Grafen Else, daß Kaiser Ermanarich in schweres Siechtum verfallen sei.
Da beschlossen denn Dietrich und Hildebrand sich südwärts zu wenden und über das Gebirge nach Italien zu ziehen.
Beschwerlich war der Weg über die hohen Pässe, und nicht mehr so leicht wie in ihren Jugendtagen, zu den Zeiten, wo Dietrich zu Zwergkönig Laurin und zum Jäger Fasold zog, fiel ihnen die Reise. Gar sehr erstaunte Frau Herrat, die ihr bisheriges Leben in den weiten Ebenen zugebracht hatte, über den gewaltigen Anblick der eisbedeckten, in die Wolken ragenden Gipfel. Glücklich überwanden sie alle Gefahren und kamen schließlich am jenseitigen Gebirgshang in einen tiefen Wald, den die rauschende Etsch durchflutete. Dort machten sie Rast und trafen Konrad, Herzog Ludwigs Sohn. Von ihm erhielten sie die Gewißheit, daß sie sich bereits auf lampartischem Boden befänden. Auch hörten sie die verbürgte Nachricht, daß Kaiser Ermanarich vor kurzem verstorben sei. Da König Dietrich sich aber weigerte, auf das nahe Schloß zu kommen, benachrichtigte der Jüngling seinen Vater, der allsogleich einen Wagen mit den erlesensten Speisen, mit köstlichem Wein, aber auch mit Zelten und Kissen beladen, in den Forst schickte. So hauste Dietrich mit seinem letzten Gesellen und seinem treuen Weib viele Tage im Tann. Man beratschlagte, was zu tun sei, um das Reich der Goten zurückzugewinnen. Als Herzog Ludwig die Helden wieder einmal im Waldquartier besuchte, erzählte er beiläufig auch von einem seltsamen Mönch, der nicht weit von hier in einem Kloster hause. Er sei so stark wie zehn Ritter und habe wahre Wunder an Heldentaten vollbracht Da schoß es Dietrich durch den Kopf, daß dieser Kuttenmann niemand andrer sein könne als sein Geselle Heime. Und er machte sich alsogleich auf, ihn zu besuchen.