Lohengrin

»Mein Sohn Lohengrin ist für den Gral bestimmt, ihm muss er zu Diensten sein, wenn Gott ihn in die richtige Bahn lenkt«

Aus dem Ritterroman »Parzival« von Wolfram von Eschenbach

Elsas Not

Der Herzog von Brabant lag im Sterben. Darob herrschte überall große Trauer, denn der Fürst hatte mit weiser und milder Hand das schöne Land am Niederrhein regiert. In den Schmerz des Volkes über den Verlust des Herrschers mischte sich aber auch bange Sorge vor der Zukunft, denn der Herzog hinterließ keinen Sohn.

Als der Kranke sein letztes Stündlein herannahen fühlte, berief er seine Tochter Elsa an sein Lager, um ihr die Geschicke des Landes zu übergeben. Mit brechender Stimme hauchte er: »Elsa, weine nicht um mich, denn was mich trifft, ist Menschenlos. Sei stark, denn es ist mein Wille, daß du nach meinem Tod Herrin von Brabant sein sollst. Oh, mein Kind, ich fühle, daß ich dir damit vielleicht eine allzu große Last aufbürde. Ich habe mich daher entschlossen, dir den Grafen Friedrich von Telramund als Schutzherrn an die Seite zu stellen. So lange soll er seines Amtes walten, als du unvermählt bleibst. Er hat mir Treue gelobt, und obgleich er stolz und nicht frei von Hoffart ist, bin ich gewiß, daß er zu seinem Schwur stehen wird. Wenn aber schwere Stürme wider das Land heranbrausen, die du samt deinem Beschützer nicht mehr zu meistern vermagst, dann wende dich vertrauensvoll an Heinrich, den König der Deutschen. Er ist der Schirmvogt des Rechts in der Welt, er wird auch dir seinen mächtigen Arm leihen, wenn du seiner bedarfst.«

Die Stimme des Sterbenden versagte, sein Blick brach — der Herzog von Brabant war tot.

Nach Ablauf des Trauermonats rief Elsa die Edlen des Landes zusammen und setzte sich im goldschimmernden Thronsaal die Krone von Brabant auf das jugendliche Blondhaupt. Da sanken Herzoge und Grafen demütig in die Knie. Beglückend drangen Zuruf und Huldigung an der Jungfrau Ohr: »Wir wollen dir in Treue dienen, hohe Frau. Heil Elsa, unserer Herzogin!«

Einer aber hatte seine Knie nicht gebeugt. Aufrecht und trotzig stand Graf Telramund im Hintergrund des Saales und starrte der Herzogin stumm ins Antlitz. Es schien Elsa, als verkünde die Stirn des Grafen Unheil; rasch hob sie die Tagung auf und bedeutete Telramund mit einem Wink ihrer Hand zu bleiben.

»Graf«, fragte sie, so fest sie vermochte, »Ihr habt mir das Gelöbnis versagt. Warum wollt Ihr mich nicht als Herrin anerkennen?«

Ungebührlich begehrte Telramund auf: »Weil ich Anspruch auf die Krone erhebe, die Ihr Euch auf den Scheitel gedrückt habt.«

Elsa erbleichte, forschte aber mit Fassung und Würde: »Mit welchem Recht verlangt Ihr nach der Herrschaft?«

Ein höhnisches Lächeln flog über die Züge des Grafen. Dann warf er herausfordemd hin: »Mit dem Recht, das mir Euer Vater verlieh. Nach seinem Wunsch sollt Ihr nämlich meine Gemahlin und ich Herr von Brabant werden.«

»Ihr lügt«, brauste die junge Herrscherin auf. »Geht, Graf, auf der Stelle und wißt: Euer Weib werde ich niemals, denn nicht ein Funken von Liebe brennt für Euch in meiner Brust.«

Telramunds Antlitz verzerrte sich zu wildem Haß: »Edle Dame, Eure Liebe begehr’ ich nicht, doch mein Recht auf, Eure Hand und die Krone kann mir niemand absprechen.«

»Fordert beides getrost, Ihr werdet keinen Menschen finden, der Euch dieses Recht zuerkennt«, beharrte die Jungfrau auf ihrer Abweisung.

»Ihr irrt, wenn Ihr solches sagt«, kam es spöttisch zurück, »ich werde König Heinrich in Aachen anrufen, des Weltrechts obersten Richter, er wird mir das Land Brabant übereignen müssen.«

»Heinrich!« stieß Elsa in freudiger Aufwallung hervor, »nichts lieber als das. Der König der Deutschen ist groß und gerecht, an ihn hat mich mein Vater verwiesen.«

Telramund höhnte: »Euer Vater mag klug gewesen sein, an einen Zwiespalt zwischen uns beiden hat er jedoch nicht gedacht. Ihr wißt, daß der König ein Gottesurteil anrufen muß, um einen schwierigen Rechtsstreit zu schlichten. Wer, Frau Elsa, wird es wagen, Euer Anwalt zu sein, wenn Graf Telramund in die Schranken tritt? Wer wird als Euer Ritter im Zweikampf das Schwert gegen den Unbesiegbaren erheben? Besser seid Ihr beraten, wenn Ihr das Hadern aufgebt und noch zur Stunde als meine Verlobte vor das brabantische Volk tretet.«

»Nimmermehr!« stöhnte Elsa und stürzte, Furcht und Verzweiflung im Herzen, aus dem Saal.

Ziellos irrte sie durch die Flucht der Gänge, bis die schwankenden Füße sie endlich in den Garten trugen, wo sie sich erschöpft auf eine Steinbank niederließ.

Ohne sich Rat zu wissen, grübelte sie über das unerhörte Geschehen nach, das ihr Sinn nicht zu fassen vermochte. Doch schien ihr eine gefährliche Wahrheit in den Worten des Grafen zu liegen. Die Herzensnot drohte sie zu überwältigen. Ihre Gedanken malten sich den Gerichtstag aus; sie sah den König auf dem Thron unter der tausendjährigen Linde sitzen, hörte im Geist die Posaunenstöße der Herolde, die den Kläger und die Beklagte vor das Tribunal riefen. Sie vernahm ihres Widersachers Antrag auf ein Gottesgericht und fühlte, wie der Platz an ihrer Seite leer blieb … Kein Anwalt würde sich finden, der ihr Recht gegen den gewaltigen Grafen in einem Kampf auf Leben und Tod verteidigte …

Verloren hob sich Elsas Blick vom Kies des Gartenweges und irrte hinaus in die Ferne, Wo sich am Rande der weiten Landschaft das glitzernde Band des Rheinstroms durch die Landschaft spannte. Da enthüllte sich ihrem staunenden Auge auf den Fluten eine wundersame Erscheinung. Ein Nachen schwamm daher, von einem Schwan gezogen. Darin stand aufrecht ein Ritter. Seine Rüstung von lauterstem Silber glitzerte im hellen Sonnenschein, und ein strahlender, himmlischer Glanz brach aus der Helmzier, einer weißen Taube.

Hatte ihr der Himmel diesen Retter gesandt? Oder narrte sie ein Trugbild, das sich durch den Tränenschleier ihrer Augen stahl? Die Erscheinung verblaßte und entschwand …

Horch! Ein liebliches Schellengeläut klang aus den Lüften, kam näher und näher. Ein Jagdfalke stieß aus der Bläue herab und ließ sich zutraulich auf ihrer Schulter nieder. Elsa nahm ihn auf ihren Schoß und sah, daß ein Silberglöcklein an seinem Halse hing. Woher mochte der Vogel kommen? War er ein Bote dessen, den ihr soeben das Traumhild gezeigt hatte? Wie gern wollte sie das glauben! Zärtlich streichelte die Jungfrau das Gefieder des Falken und flüsterte: »Flieg heimwärts, du kleiner, himmlischer Sendling. Flieg zu deinem Herrn und grüß ihn von Elsa von Brabant. Sag ihm, sie harre sein am Tage des Gerichts.«

Lohengrins Berufung

Seit vielen Jahren herrschte Parzival als Gralskönig auf Montsalvatsch. Aus seinem Söhnchen Lohengrin war ein stolzer Ritter geworden, der sich großen Ruhm im Kampf gegen die Ungläubigen erworben hatte. Es war im Ratschluß des Himmels bestimmt, daß Lohengrin den Thron seines Vaters einnehmen sollte, wenn dieser einst seiner Würde entsagen und sich mit Amfortas und Titurel zur dauernden Verehrung der heiligen Schale vereinen würde.

Die Zeit kam heran, da die Eltern ihrem Sohn ein Ehegemahl zu geben wünschten. Frau Kondwiramur hielt Umschau unter den edlen Jungfrauen auf Montsalvatsch, doch keine schien ihr würdig genug, an der Seite des Sohnes als Herrscherin des heiligen Grals zu walten. Zuletzt beschied sie sich mit dem Gedanken, der Gral, der das Schicksal seiner Könige lenke, werde auch am Ende Lohengrins Gattin bestimmen.

Nun geschah es, daß zur selben Stunde, da Elsa von Brabant auf der Steinhank im Garten die wundersame Erscheinung hatte, sich die Templeisen, die Ordensritter des Grals, zum Gottesdienst versammelten.

Im gottnahen Dämmer des Kapellenraumes, den bläuliche Weihrauchschwaden durchzogen, begann die güldene Schale plötzlich in purpurnem Licht aufzuglühen. Die Ritter erkannten aus diesem Zeichen, daß der Himmel sich anschicke, eine Botschaft an die Gralshüter zu senden. Die Gebete verstummten, und die Augen des Königs und der Templeisen richteten teten sich in heiligem Schauer auf das in rotem Feuer strahlende Gefäß.

Mit einemmal verglomm das Licht; tiefe Finsternis hüllte die Andächtigen ein. Dann aber lobte, von überirdischer Macht entflammt, rings um die Schale Buchstabe um Buchstabe auf, und diese Worte schrieb die unsichtbare himmlische Hand: »Auf, Ritter Lohengrin, am Rhein harrt die unschuldige Herzogin von Brabant ihres Retters.«

Die Schrift verlosch. Während die Kerzen entzündet wurden, umbran-dete der Jubelschrei der Ritter den Jüngling: »Heil dir, edelster der Templeisen! Gott hat dich zur Rettung einer holden Jungfrau ausersehen.«

Lohengrins Wangen röteten sich vor Freude und Stolz. Sogleich legte er die silberne Rüstung an, Parzival selbst gürtete ihm das Schwert um. Der junge Ritter bestieg das Streitroß und sprengte ins Tal hinab. Unten am See, wo seinem Vater einst der traurige Fischer zum erstenmal erschien, sah er einen Nachen, vor den ein schneeweißer Schwan geschirrt war. »Sei mir gegrüßt, lichter Fährmann des Himmels!« rief der junge Held; »gewiß wurdest du entsandt, um mich an den Rhein zu bringen.« Damit sprang er aus dem Sattel, klatschte seinem Roß auf die Flanken und befahl ihm: »Kehre zurück, wackerer Kampfgefährte, woher du gekommen bist, meiner wartet jetzt ein edleres Tier.«

Ohne zu säumen, stieg Lohengrin in den Kahn und gebot: »An den Rhein, du stolzer Vogel, den Weg wirst du wohl wissen.«

Der Schwan reckte seinen Hals und schwang sich himmelan. Über dem Meere angelangt, senkte er sich auf die Fluten hernieder und zog erst in Wind und Wagen des Ozeans und dann im leichten Spiel der Wellen des Rheinstromes seine von überirdischer Macht behütete Bahn. Der Held aber lag im schwankenden Nschen und blickte glücklich hinauf in die ewige Bläue, zu Sonne und glitzernden Sternen.

Das Gottesgericht

Von Köln kam Heinrich, König der Deutschen, den Rheinstrom heruntergefahren, um unter der tausendjährigen Linde den Gerichtstag für das brabantische Land abzuhalten. Nur eine einzige Klage lag vor, sie zu entscheiden, deuchte den König nicht schwer: Graf Telramund hatte die liebreizende Herzogin Elsa beschuldigt, ihre Herrschaft auf Trug und Verfälschung des väterlichen Willens aufgebaut zu haben. Der König glaubte, daß diese holde Jungfrau wohl schwerlich so nachtdunkler Lüge fähig wäre, deren sie bezichtigt wurde.

Die Standarten Heinrichs waren eingerammt, daneben flatterten — ein unübersehbarer Wald von Fahnen — die Banner der brabantischen und deutschen Helden. Der König schien heiter, innerlich hatte er seinen Spruch schon gefällt, denn die Absicht des Grafen Telramund, ein Gottesurteil zu erzwingen, war ihm nicht bekannt.

Die Posaunen der Herolde schmetterten und luden die Parteien vor den hohen Richter, der auf dem Thron unter der Linde seinen Sitz eingenommen hatte. Erst trat der Kläger vor. Graf Telramunds Rechte umkrampfte den Schwertknauf, seine finsteren Augen sprühten Unheil.

Ein Raunen der Bewunderung ging durch die Versammlung, als Elsa von Brabant, von ihrem Gefolge umgeben, in den Schranken erschien. Wie sie so dastand in der strahlenden Reinheit ihrer Jugend, das blonde Haar vom blinkenden Sonnengold umsponnen, schien sie jedem Beschauer ein Bild jungfräulicher Tugend.

König Heinrich begrüßte die junge Fürstin mit freundlichen Worten, versicherte sie seiner strengen Gerechtigkeit und forderte den Grafen auf, sein Begehren vorzubringen.

Mit trotzig erhobener Stirn wiederholte Telramund seine verleumderische Beschuldigung. Unwilliges Gemurmel erhob sich ringsum und schwoll allmählich zu zornigem Geschrei an. Der Richter gebot dem Lärmen Einhalt und verlangte Beweise vom Kläger. »Zeigt mir«, gebot er, »das schriftliche Vermächtnis des Herrschers oder nennt mir Zeugen, die den letzten Willen des Sterbenden mit eigenen Ohren gehört haben.«

Telramund trumpfte auf: »Es gibt nur zwei Zeugen, mein König, sie, die Betrügerin, die den Willen des Vaters verfälscht hat, und mich, den Betrogenen; ich habe die Wahrheit gesprochen und setze dafür mein Haupt zum Pfand. Möge ein Gottesurteil entscheiden!«

Entsetzen faßte die horchende Menge. Auch König Heinrich vermochte seine innere Erregung nur mühsam zu verbergen; mit stockender Stimme wandte er sich an die Beklagte: »Elsa von Brabant, nennt mir nun Euren Ritter.«

Die Jungfrau senkte erbleichend die Augen: »Ich kenne ihn nicht.«

Heinrich seufzte: »Schlecht steht es dann um Eure Sache, Elsa von Brabant.« Laut rief er sonach über die Reihen der Ritter hin: »Wer ist es, der für Elsa von Brabant zu streiten wagt?«

In der weiten Runde blieb es totenstill. Keiner meldete sich, um als Elsas Anwalt gegen den als unbesiegbar geltenden Grafen zum Zweikampf anzutreten.

Der König fragte die Verlassene: »Habt Ihr noch Hoffnung auf einen Retter?«

Da hob die Jungfrau ihr Antlitz, und ein verklärendes Leuchten brach aus ihren Augen. Dann flüsterte sie mit gläubiger Inbrunst: »Der Retter wird kommen, strahlend wie ein Engel. Aus der Ferne über das Meer und den Strom wird der Wille des Himmels ihn führen.«

Geflüster und leises Gelächter erhoben sich: »Sie hat den Verstand verloren, so scheint es …«

Des Königs Hand winkte Ruhe: »Da Eure Zuversicht so groß ist, Elsa von Brabant, will ich einen letzten Versuch wagen.« Dann befahl er den Herolden: »Ruft es in alle vier Winde, der Retter möge erscheinen.«

Es geschah nach des Königs Gebot. Zum ersten ertönte ein Trompetenstoß. Aus Süden kam nur Geflüster des Windes. Zum zweiten bliesen die Trabanten ins Horn. Vom Osten her gab Rabengekrächze die Antwort. Zum dritten, gegen West gerichtet, erscholl Posaunenton, und nichts war zu vernehmen, als das Geraune von Kröten und Fröschen im fernen Moor. Nun wandten sich die Bläser dem Norden zu, den letzten Ruf zu erheben, und während die Spannung aufs höchste stieg, erklang es zum viertenmal in die Ferne.

Horch, wie leiser silberner Sphärenklang tönte es in den Lüften. Und sieh, auf dem Strom erschien ein herrliches Bild. Ein Nachen tauchte auf, von einem Schwan gezogen, und ein Ritter stand darin, strahlend in schimmernder Wehr.

Staunend erstarrte die versammelte Menge. »Ein Wunder ist geschehen!« raunte es da und dort.

Der Held sprang aus dem Kahn, wandte sich zu dem Vogel zurück und sprach: »Kehre nun heim, lieber Schwan, in die himmlischen Gefilde! Kommst du wieder, sei es nur zu unserem Glück.« Gehorsam lenkte das Tier das Schifflein herum und schwamm mit ruhig-erhabenem Ruderschlag den Strom hinab dem Meere zu.

Festen Schrittes ging der Ritter auf die versammelten Edlen zu, neigte sich ehrfurchtsvoll vor dem König und trat dann zu Elsa bin, deren Blick voll Dankbarkeit und Bewunderung auf dem Manne lag, den ihr der Himmel als Anwalt gesandt hatte.

Hingerissen von der Schönheit und lieblichen Anmut der Jungfrau, heugte Lohengrin sein Knie und bot ihr seinen Willkomm: »Ich grüße Euch, Elsa von Brahant, und bitte um die Gunst, als Euer Ritter wider den Grafen Telramund streiten zu dürfen.«

»Haht Dank für Euer Kommen!« stammelte errötend die Jungfrau; »Ihr sollt mein Ritter sein.«

Lohengrin erhob sich und trat in die Schranken. Zum König gewandt, sprach er: »Elsa von Brabant hat mich zu ihrem Streiter erkoren. Nun möge mir der hohe Richter erlauben, wider den Kläger mein Schwert zu erheben.«

Heinrich erwiderte: »Es sei Euch erlaubt, wenn Ihr uns kündet, wer Ihr seid und woher Ihr kommt.«

»Ich heiße Lohengrin; doch mehr zu verraten, verbietet mir die strenge Regel jenes Ordens, dem ich angehöre.«

Der König erhob sich: »Es mag uns genügen. Ich zweifle nicht an Eurem Rittertum. Auf, ihr Herren! Messet die Schranken; der Kampf kann beginnen!«

Die Herolde steckten den Abstand aus, und kaum waren sie zurückgetreten, schritten erzklirrend mit gezogenen Klingen die beiden Ritter aufeinander zu. Blitzend kreuzte sich der Stahl in der Luft, Hieb und Abwehr folgten einander in rasender Schnelle, und lange schien es, als ob beide Kämpfer an Kühnheit und Schwertkunst ebenbürtig wären. Dennoch hatte Graf Telramund‘ seinen Meister gefunden. Lohengrins Schläge durchbrachen zuletzt die Abwehr seines Gegners, und bald trieb der Schwanenritter den Grafen im Kreise herum.

Die Versammlung geriet in höchste Erregung. Der Ausgang des Kampfes schien nicht mehr zweifelhaft. Wirklich, das Ende nahte. Ein Hieb des geheimnisvollen Fremden, mit aller Kraft aus der Höhe geführt, streckte den brabantischen Grafen in den Sand. Rasch wollte er wieder aufspringen, aber Lohengrin entriß ihm das Schwert, setzte sein Knie auf die Brust des Wehrlosen und herrschte ihn mit gebieterischer Stimme an: »Nun künde die Wahrheit, oder du bist des Todes!«

»Gott hat gerichtet«, knirschte der Graf, »ich leugne nicht mehr. Elsa steht im Recht, hinfällig sind meine Ansprüche — weh mir Ehrlosem!«

Da wandte sich der Schwanenritter an den königlichen Richter: »Straft den Frevler, wie Ihr es für gut findet.«

Der König sprach die große Reichsacht über den Grafen aus. Auf seinen Wink zerbrachen die Knappen Schwert, Wappenschild und Banner Telramunds und jagten ihn aus dem Kreis der Edlen. Friedlos und namenlos sollte er hinfort durch die Lande irren und nirgends zwischen den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches eine Heimatstatt haben.

Elsa und Lohengrin aber standen einander gegenüber. Glückstrahlend schaute die junge Herzogin zu ihrem Retter auf, dessen Blick tief in das Auge der Jungfrau tauchte. Sie vergaßen die Welt rings um sich.

»Ich liebe dich, Elsa«, flüsterte der Schwanenritter und nahm die bebende Jungfrau in seine Arme.

Indes hatten die Ritter einen Kreis um das edle Paar gebildet, und jubelnde Rufe huldigten dem Sieger und seiner edlen Braut.

Lohengrin neigte sich nieder. »Elsa«, sprach er mit ruhigem Ernst, »ehe du mein Weib wirst, mußt du mir feierlich geloben, niemals nach meiner Herkunft zu fragen, nie nach meinem Stamm, nach meinen Eltern zu forschen. Denn so will es das Gesetz der Bruderschaft, der ich für ewig verbunden hin. In der gleichen Stunde, da du die verbotene Frage tust, müßte ich dich verlassen, um niemals wiederzukehren.«

»Ich glaube an dich«, erwiderte Elsa vertrauend, »ein Traum hat dich mir angekündigt, und der Himmel hat dich hergesandt. Dein Geheimnis ist mir heilig, und ich bin stark genug, dir ohne das Wissen um deine Welt anzugehören.«

»Habe Dank!« flüsterte Lohengrin innig und küßte zärtlich seine Braut.

Der König gab ihre Hände zusammen und besiegelte so den Bund. Bald darauf wurde in der Stadt Antwerpen Hochzeit gehalten.

Die unheilvolle Frage — Lohengrins Abschied

Viele Jahre lebte Lohengrin mit seinem Weib zufrieden im schönen Land Brabant. Zwei liebliche Kinder entsprossen dem Bund, und kein Schatten trübte das Glück des königlichen Paares. Manchen Heerzug machte Lohengrin in den Reihen des Königs mit. Sooft er in den Kampf zog, erschien der geheimnisvolle Schwan und flog den Streitern des Kaisers voraus. So wurde Lohengrin Name bald in allen deutschen Landen berühmt, denn wo der Ritter mit dem himmlischen Vogel die kämpfenden Scharen anführte, verwandelte sich der Ansturm des Feindes in schmähliche Niederlage.

Einst hatte König Heinrich zum Kreuzzug wider die Sarazenen aufgerufen. Der Schwanenritter vollbrachte herrliche Waffentaten, und mit bekränzten Bannern hielt das christliche Heer schließlich Einzug in die Stadt Köln am Rhein, wo die Siegesfeier stattfinden sollte.

Dorthin kam auch Frau Elsa, um ihren geliebten Gemahl nach langer Trennung zu begrüßen. Voll inniger Teilnahme betrachtete die Menge das Bild der wiedervereinigteu Gatten und ihrer lieblichen Kinder.

Vor den Toren der Stadt wurde in Anwesenheit des Königs ein prächtiges Turnier abgehalten. Unter die frohbewegten Scharen der Zuschauer hatte sich auch eine Sendbotin des Grafen Telramund gemischt, ein finsteres, tückisches Weib namens Ortrud. Der Geächtete lebte nämlich unter falschem Namen im fernen Lande Dänemark und hatte, als er von den Siegesfeierlichkeiten in Köln hörte, die Gelegenheit ergriffen, seine langgehegten Rachepläne in die Tat umzusetzen.

In den Kampfspielen regte der Schwanenritter vor allen anderen hervor. Mit bewunderndem Stolz folgten Elsas Augen den Waffentaten ihres Gatten, dessen Schwert und Speer keiner auf dem Feld gewachsen war. Da drängte sich, einer Schlange gleich, die züngelnd an ihr Opfer herankriecht, Ortrud durch die Menge der Gaffer an Elsa heran und zischte ihr ins Ohr: »Kein Wunder, daß Lohengrin jeden anderen Ritter in den Sand streckt, steht er doch mit der Hölle im Bund!«

Wie angewurzelt blieb die Herrin von Brabant auf ihrem Platz stehen und lauschte stockenden Herzens, als die Stimme fortfuhr: »Gewiß ist Satans Reich die Heimat des Schwanenritters! Warum würde er sonst seine Herkunft verheimlichen? Mich dauern nur seine Kinder, die armen Würmer. Wie werden sie sich einst krümmen und winden, wenn man sie nach ihrer Abstammung fragt. Entweder müssen sie heschämt schweigen oder aber bekennen, daß sie die Kinder eines schlimmen Zauberers sind.«

Wenn alle Geschosse des rachedürstenden Feindes wirkungslos abgeprallt wären — dieser letzte Stich hatte Elsa tief verwundet. Voll Besorgnis drückte sie die Kleinen an ihre Brust, Tränen schimmerten in ihren Augen.

Das ausgestreute Gift fraß sich unbarmherzig in die Seele der einst so glücklichen Frau, immer schrecklicher bedrängte sie der böse Verdacht.

Das Turnier war beendet, glückstrahlend nahte sich Lohengrin seiner Gemahlin. Es war ihm ein ungewohnter Anblick, Tränen in den Augen seines Weibes zu sehen.

»Elsa, was ist dir?« forschte er bekümmert.

»Nichts … nichts«, stammelte sie ausweichend und schmiegte ihr Antlitz an die Brust des Geliebten.

Lohengrin ließ sich nicht beruhigen. »Doch, dich quält etwas. Sag es mir, denn Vertrauen ist die höchste Pflicht der Liebe.«

Elsa blickte auf: »Ich vertraue dir grenzenlos, aber tust du das gleiche?«

Lohengrin fühlte das Verhängnis sich vorbereiten. Warnend hob er die Stimme: »Rühre nicht an unser Glück!«

Doch die von Ortrud Aufgehetzte fuhr fort: »Trübt es nicht unser Beisammensein, wenn unsere Kinder ihre Herkunft nicht kennen?«

»Nicht … Weib … halt ein!« schrie Lohengrin auf.

»Ach«, stammelte Elsa, »ich kann unsere Schmach nicht mehr länger ertragen. Alle flüstern um mich … mir ist, als zeige man hinterrücks mit dem Finger auf uns.«

»Halt ein … halt ein!«

»Liebst du mich, Lohengrin?«

»Über alles!«

»Dann wirst du mir nicht böse sein, wenn ich dich frage, woher du kommst?«

Lohengrin erbleichte. Das Furchtbare war geschehen. »Elsa!« stöhnte er auf.

»Und welcher Art du bist?«

»Zertrümmert ist unser Glück, die Scheidestunde naht!« antwortete dumpf der Held, »Sieh dorthin!«

»Der Schwan, der Schwan!« ertönten Rufe aus der Menge.

Elsa sank dem geliebten Mann zu Füßen. Der wahnwitzige Rausch verflog, namenloser Jammer schüttelte sie.

Stromauf kam der Schwan gezogen, doch war er noch fern. Lohengrin hob sein Weib empor. Indes hatten viele Ritter bemerkt, daß etwas zwischen dem Herzogpaar vorgefallen war, und drängten sich um die beiden. Auch der König kam hinzu und fragte: »Was ist geschehen, mein kühner Lohengrin?«

Voll tiefer Traurigkeit erwiderte der Held: »Elsa, mein armes Weib, hat das Gelübde gebrochen, das sie mir vor unserer Verbindung gab. Nun muß ich von binnen ziehen. Zurückkehren muß ich an den Ort, von dem ich kam; denn über mir und meiner Liebe steht ein heiliges Gesetz. Meine Heimat aber ist ein lichtes Reich, und ich hätte, wenn meine Zeit erfüllt gewesen wäre, Elsa und meine Kinder dahin mitgenommen. Hört: Montsalvatsch ist die Burg meiner Väter, dort werde ich einst König sein, wenn mein Vater Parzival seiner Krone entsagt.«

»Parzivals Sohn, der höchste der Gralsritter!« erscholl es ehrfürchtig uud bewundernd von allen Seiten.

»Ja, dem Dienst des Grals und den Gesetzen seiner Brüderschaft hin ich verschworen, und also diene ich dem Himmel. Ich zürne Elsa nicht und befehle sie und meine Kinder in die Obhut des Königs.«

»Ich gelobe, sie zu hüten und zu schirmen«, unterbrach der König feierlich des Helden Rede.

»Lebt wohl … lebt wohl!« rief Lohengrin, denn der vom Schwan gezogene Nacken näherte sich dem Ufer. Dann küßte er sein Weib und legte segnend seine Hand auf die Häupter der Kleinen, denen er sein Horn und sein Schwert zurückließ, bestieg den Kahn, winkte letzten Gruß und fuhr von dannen. Niemals kehrte er wieder.