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Der Kerl im Leihhaus war leicht angesäuert,
weil er das Tablett mit den Ringen wieder herausholen musste,
nachdem er’s gerade erst zurückgestellt hatte. Aber er tat es und
stellte das Tablett an dieselbe Stelle auf dem Ladentisch. Der
West-Point-Ring war wieder zur Seite gerollt. Reacher griff
danach.
Er sagte: »Können Sie sich an die Frau
erinnern, die ihn verpfändet hat?«
»Wie sollte ich?«, entgegnete der Kerl. »Ich
hab hier ’ne Million Artikel.«
»Sie haben Unterlagen.«
»Sind Sie ein Cop?«
»Nein«, sagte Reacher.
»Alles hier drin ist legal.«
»Das kümmert mich nicht. Ich will nur den
Namen der Frau, die Ihnen diesen Ring gebracht hat.«
»Warum?«
»Wir haben dieselbe Schule besucht.«
«Wo ist die? Im Hinterland?«
»Östlich von hier«, sagte Reacher.
»Sie können kein Mitschüler sein. Nicht aus
dem Jahr 2005. Nichts für ungut.«
»Schon okay. Ich gehöre einer früheren
Generation an. Aber dort verändert sich nicht viel. Also weiß ich,
wie schwer sie für diesen Ring gearbeitet hat. Deshalb frage ich
mich, welche unglücklichen Umstände sie gezwungen haben, sich von
ihm zu trennen.«
Der Kerl fragte: »Was für eine Art Schule
war das?«
»Dort erwirbt man praktische
Fertigkeiten.«
»Wie in einer Fachschule?«
»Mehr oder weniger.«
»Vielleicht ist sie bei einem Unfall
umgekommen.«
»Vielleicht«, sagte Reacher. Oder bei keinem Unfall, dachte er. Damals hatte
es im Irak und in Afghanistan Krieg gegeben. 2005 war ein schwieriges Jahr für eine Graduation gewesen. Er
sagte: »Aber ich wüsste’s gern genau.«
»Warum?«, fragte der Kerl noch mal.
»Das kann ich Ihnen nicht erklären.«
»Ist’s eine Ehrensache?«
»Unter Umständen ja.«
»Fachschulen kennen so was auch?«
»Manche schon.«
»Hier war keine Frau. Den Ring hab ich
gekauft. Mit einem Haufen anderem Zeug.«
»Wann?«
»Vor ungefähr vier Wochen.«
»Von wem?«
»Meine Geschäftsgeheimnisse verrate ich
Ihnen nicht. Wozu auch? Hier ist alles legal. Alles völlig legitim.
Das sagt der Staat. Ich habe einen Gewerbeschein und muss alle
möglichen Inspektionen über mich ergehen lassen.«
»Warum wollen Sie dann nicht damit
rausrücken?«
»Das sind private Informationen.«
Reacher sagte: »Und wenn ich den Ring
kaufe?«
»Der kostet fünfzig Bucks.«
»Dreißig.«
»Vierzig.«
»Abgemacht«, sagte Reacher. »Jetzt will ich
Genaueres über die Provenienz hören.«
»Wir sind hier nicht bei Sotheby’s.«
»Trotzdem.«
Der Kerl zögerte kurz.
Dann sagte er: »Ich hab ihn von einem Kerl,
der bei einem Wohltätigkeitsverband aushilft. Leute machen
Sachspenden gegen Spendenquittungen. Meistens alte Autos und Boote.
Aber auch anderes Zeug. Der Kerl stellt ihnen überhöhte Quittungen
fürs Finanzamt aus, verkauft die Sachen, wo er kann, und schickt
dem Verband einen Scheck. Ich kaufe Kleinkram von ihm. Ich nehme,
was ich gut finde und hoffentlich mit Gewinn losschlagen
kann.«
»Sie glauben also, dass jemand diesen Ring
für wohltätige Zwecke gespendet hat, um eine steuerlich absetzbare
Spendenquittung zu bekommen?«
»Klingt vernünftig, wenn die Erstbesitzerin
tot ist. Aus dem Jahr 2005. Teil des Nachlasses.«
»Das glaube ich nicht«, erklärte Reacher.
»Ein Verwandter hätte ihn behalten, denke ich.«
»Kommt darauf an, ob der Verwandte gut
gegessen hat.«
»Hier hat’s schlechte Zeiten gegeben?«
»Mir geht’s gut. Aber ich bin der
Pfandleiher.«
»Trotzdem spenden die Leute noch für
wohltätige Zwecke.«
»Gegen überhöhte Spendenquittungen. Die
Zeche zahlt letztlich der Staat. Sozialhilfe unter anderem
Namen.«
Reacher fragte: »Wer ist dieser Kerl, der
Sachspenden einsammelt?«
»Das verrate ich Ihnen nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil es Sie nichts angeht. Ich meine, wer,
zum Teufel, sind Sie?«
»Nur ein Typ, der schon einen ziemlich
miesen Tag erlebt. Nicht Ihre Schuld, klar, aber wenn mich jemand
fragt, müsste ich sagen, dass es vielleicht eine dumme Idee wäre,
mir den Tag noch mehr zu vermiesen. Sie könnten der Tropfen sein,
der das Fass zum Überlaufen bringt.«
»Drohen Sie mir jetzt?«
»Dies ist mehr eine Art Wetterbericht. Eine
Dienstleistung. Wie eine Tornadowarnung. Halten Sie sich bereit, in
Deckung zu gehen.«
»Verschwinden Sie aus meinem Laden.«
»Zum Glück plagen mich keine Kopfschmerzen
mehr. Ich habe einen Schlag auf den Schädel bekommen, aber jetzt
geht’s mir wieder gut. Das hat der Arzt auch gesagt. Eine Freundin
hat mich zu ihm geschleppt. Zweimal. Sie hat sich Sorgen um mich
gemacht.«
Der Pfandleiher überlegte kurz.
Dann fragte er: »Von welcher Art Schule
stammt der Ring?«
Reacher antwortete: »Von einer
Militärakademie.«
»Die sind was, Entschuldigung, für
Problemkids. Oder für Gestörte. Nichts für ungut.«
»Die Kids können nichts dafür«, meinte
Reacher. »Sehen Sie sich die Familien an. In unserer Schule gab’s
viele Eltern, die Leute umgebracht hatten.«
»Ohne Scheiß?«
»Überdurchschnittlich viele.«
»Daher halten Sie auf ewig
zusammen?«
»Wir lassen keinen zurück.«
»Dieser Kerl redet mit keinem
Fremden.«
»Hat er einen Gewerbeschein, wird er von den
Behörden kontrolliert?«
»Was ich hier mache, ist legal. Das
bestätigt mein Anwalt. Solange ich das ehrlich glaube. Und das tue
ich. Die Ware stammt von einem Wohlfahrtsverband. Ich habe die
Unterlagen gesehen. Alle möglichen Leute kaufen von ihm. Er wirbt
sogar im Fernsehen. Vor allem für Autos, seltener Boote.«
»Aber dieser eine Kerl will nicht mit mir
reden?«
»Das würde mich überraschen.«
»Hat er keine Manieren?«
»Ich würde ihn zu keinem Picknick
einladen.«
»Wie heißt er?«
»Jimmy Rat.«
»Echt jetzt?«
»So kennt ihn jeder.«
»Wo kann ich Mr. Rat finden?«
»Halten Sie Ausschau nach mindestens sechs
Harley-Davidsons. Jimmy ist in der Bar, vor der sie alle
stehen.«