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Seit dem Zwischenfall mit
dem Rollstuhl nahm Grace sich viel mehr vor ihrem Patienten in
Acht. Matt Conner hatte ihr Vertrauen ausgenutzt, um sie zu
erschrecken, und damit den Vertrag zwischen Schwester und Patient
eindeutig verletzt. Grace hatte nun ständig das Gefühl, sich hüten
zu müssen. Sie wusste, dass es nichts Ungewöhnliches war, wenn
Patienten Wut auf ihre Pfleger bekamen und sich gegen sie
auflehnten. Aber was ihr an Matts Benehmen am meisten zu schaffen
machte, war seine offensichtliche Gesundheit. Es ging ihm zusehends
besser, so dass er bald aus dem Krankenhaus entlassen würde. Grace
fürchtete sich vor diesem Tag. Seitdem Matt aufgewacht und zu einer
realen Person für sie geworden war, hatte sie ununterbrochen an ihn
gedacht.
Wenn sie das nur mit jemandem bereden könnte!
Joanne und Cherry waren nur selten zu Hause. Was konnte sie ihnen
auch schon sagen? Es war albern, zuzugeben, seltsame, wunderbare
Gefühle für jemanden entwickelt zu haben, der so berühmt war wie
Matt Conner. Aber genau so war es. Zum ersten Mal in ihrem Leben
konnte Grace es kaum abwarten, zur Arbeit zu gehen. Und morgens,
nach ihrer Schicht, konnte sie vor Aufregung kaum schlafen, weil
sie ihn am Abend wiedersehen würde. Sie gab dem fürchterlichen
Drang nach und sah sich im Internet Videos von Matts Auftritten bei
Talkshows an. Stets wirkte er kühl, selbstbewusst und entspannt,
ein normaler, gut gelaunter Mann, der seinem Publikum gefallen
wollte. Aber wenn man ihn genauer betrachtete, erkannte man, dass
sein Herz nicht ununterbrochen bei der Sache war, besonders nicht,
wenn der Interviewer alberne Fragen nach seinem Liebesleben oder
seiner Arbeit stellte. Bei einer Talkshow vor ein paar Jahren mit
einem weiblichen Fernsehstar ging es um einen Actionfilm. Die Frau
war eine attraktive, ziemlich dumme Blondine, die offensichtlich in
Matt verliebt war und über alles kicherte, was er sagte. Matt
versuchte die ganze Zeit, nicht allzu gelangweilt auszusehen. Aber
Grace erkannte, wie er am liebsten die Augen verdreht hätte. Beim
Zusehen bekam sie immer das Gefühl, ihn ganz genau zu kennen.
Das machte ihre Situation noch unerträglicher.
Letzte Nacht hatte er starke Kopfschmerzen bekommen und vor Schmerz
und Frustration laut geschrien. Grace war, ebenso schnell wie
vielleicht zu einem Kind, aus dem Schwesternzimmer zu ihm gerannt
und hatte ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. »Ich habe alles
versaut«, hatte er zu Grace gesagt, als die Wirkung einsetzte,
»aber wenn ich den Rest meines Lebens hierbleiben muss, mit diesem
albernen Nachthemd, wäre das gar nicht so schlecht.« Dann hatte er
nach ihrer Hand gegriffen. Grace hatte sie ihm entzogen und ihm
geraten, auszuruhen.
Heute erreichte sie das Krankenhaus ohne eine
Ahnung, was auf sie zukam. Als sie aus dem Aufzug trat, bemerkte
sie als Erstes, dass es auf dem Gang unheimlich still war. Niemand
bellte ins Telefon, kein Gelächter drang aus den Zimmern, kein
Zeichen von irgendjemandem. Grace ging auf direktem Weg in die
Pavarotti-Suite,
wie immer, weil sie plötzlich beunruhigt dachte, mit Matt wäre
etwas geschehen. Was sonst würde das Schweigen auf den Gängen
erklären?
Aber als sie den Kopf durch die Tür schob, saß
er aufrecht im Bett und verschlang fröhlich ein chinesisches
Fertiggericht. Er streckte es ihr mit erwartungsvoll hochgezogenen
Brauen entgegen. In letzter Zeit hatte er oft versucht, Grace
einzubeziehen, ob es um das Essen ging oder eine Wortsuche in einem
billigen Rätselbuch. Diese Bücher wurden normalerweise nur von
Kindern oder lernbehinderten Erwachsenen benutzt, aber für Matt
gehörte es zur Therapie, und er wurde immer ganz aufgeregt, wenn er
ein langes Wort auf der Diagonale identifizieren konnte. Eines
Nachts nahm Grace seine Einladung an, neben ihm zu sitzen und ein
Tennismatch zwischen zwei Frauen anzusehen. Dabei erfuhr sie, dass
er mit einer der Spielerinnen ausgegangen war, einer niedlichen
Schweizer Brünetten, die das Spiel aber verlor.
»Kommen Sie, nur einen Bissen«, sagte Matt und
hielt ihr eine Gabel voll entgegen.
»Nein, danke«, ewiderte Grace. »Aber es riecht
sehr gut.«
»Jaja«, meinte Matt, »aber wir haben vielleicht
keine weitere Gelegenheit …!« Er verstummte, als würde ihm ein Wort
fehlen.
»Zusammen zu essen?«, half Grace ihm aus.
Matt lächelte, was auf Grace igendwie kindlich
wirkte. »Ja«, sagte er dann. »Ich esse nicht gerne alleine.«
»Das kenne ich«, meinte Grace, obwohl sie sich
nicht einmal daran erinnern konnte, wann sie zum letzten Mal mit
jemandem zusammen gegessen hatte. »Im Moment
habe ich eine Menge zu tun. Ich komme sobald wie möglich wieder.
Okay?«
Beim Umdrehen rief Matt ihren Namen. Grace
wandte sich zu ihm um.
»Ich habe von Ihrer Wohngenossin gehört«, sagte
Matt.
»Meiner Wohngenossin?«
»Ich habe gehört, dass sie einen schweren Fehler
gemacht hat. Einer ihrer Patienten ist gestorben. Daher ist sie
früher nach Hause gegangen.«
Cherry, dachte Grace, da Joanne heute frei
hatte. Cherry! Das erklärte das Schweigen auf den Gängen.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Grace, und ihre
Sorge um Cherry lag im Wettstreit mit ihrer Entrüstung, wer die
Regeln verletzt und Matt informiert hatte. Vermutlich stammte es
von Michael Lavender, der es wiederum von Dawn erfahren haben
musste. Wunderbar!
Matt zuckte die Achseln, als könne er sich nicht
daran erinnern, und das war in seinem Zustand auch durchaus
möglich. Grace entschuldigte sich und ging über den Gang zu Kathys
Büro.
Kathys Tür stand offen. Drinnen saß die Chefin
an ihrem Schreibtisch und tippte etwas auf dem Computer. Ohne
Zweifel war es ein Bericht.
»Kathy?«, fagte Grace leise.
Kathy blickte auf und sah sie mit kühlen,
bürokratischen Augen an. Nie war sie konzentrierter und
autoritärer, als wenn eine der Schwestern einen größeren Fehler
beging.
»Wir hatten einen ereignisreichen Tag«, sagte
sie. »Falls Sie das noch nicht gehört haben.«
»Ich habe es gehört«, antwortete Grace, die
einen anklagenden Ton in Kathys Stimme vernommen hatte, denn Cherry
galt als Grace’ Schützling. »Was genau ist denn passiert?«
Kathy tippte weiter, als könnte sie Grace’
Anblick nicht ertragen. »Was geschehen ist … nun, Schwester
Bordeaux …« Kathy benutzte die altmodische Anrede ohne Ironie. »…
hat Mr. Donahue ein Blutverdünnungsmittel verabreicht, und prompt
ist bei ihm ein Aneurysma geplatzt. Unser erster fataler Fehler in
zwei Jahren.«
»Meinen Sie, dass sie die Patientenkarte falsch
gelesen hat?«
Kathy schüttelte den Kopf - nicht so sehr über
die Frage als über die Ausrede, die sie vorher darüber gehört
hatte. »Wir sind alle müde und überarbeitet«, sagt Kathy. »Ich bin
seit dreißig Jahren müde und überarbeitet. Aber ich prüfe die
Kartei immer doppelt und dreifach, ehe ich auch nur ein Aspirin
verabreiche.«
Grace wusste, dass sie dazu besser schwieg.
Kathy war davon überzeugt, dass die jungen Schwestern lange nicht
so gut ausgebildet und gewissenhaft waren wie die ältere
Generation.
»Jedenfalls«, fuhr Kathy fort, »waren Doktor
Nash und Doktor Hirsch zufrieden, alles unter den Teppich zu
kehren.«
»War es Ricks Patient?«
»Ja«, antwortete Kathy, »was besonders
interessant ist, denn es war Dr. Nash, der gebeten hatte, Cherry
zur Tagesschicht einzuteilen.«
Grace erkannte, das Kathy keine Ahnung hatte,
dass Cherry und Rick eine Beziehung hatten. Sie schien bei
solchen Dingen immer bewusst auf einem Auge blind zu sein.
»Ich habe mit Dr. Hirsch beschlossen, Cherry
drei Monate Probezeit zu geben«, sagte Kathy. »Was unter diesen
Umständen mehr als nur großzügig ist.«
Wenn es nach Kathy gegangen wäre, hätte sie
Cherry auf der Stelle entlassen. Aus irgendeinem Grund hatte sie
für Cherry nie viel übrig gehabt, aber sie hatte es Grace immer
zugute gehalten, dass diese sich einsetzte, aus Cherry eine bessere
Krankenschwester zu machen, als Kathy je erwartet hätte. Jetzt war
dieses Vertrauen zerstört.
Grace entschuldigte sich und ging zur
Schwesternstation, um Cherry anzurufen. Keine Antwort. Vermutlich
war sie bei Rick, dachte Grace. Kein Arzt verliert gerne Patienten,
und Grace konnte nur hoffen, dass Rick die Sache für Cherry nicht
noch schlimmer machte, als sie ohnehin war.
Sie blickte den Gang entlang zur
Pavarotti-Suite. Die Tür stand einen Spalt weit offen, so dass sie
in der Dunkelheit das bunte Farbenspiel des Fernsehers sehen
konnte. Eigentlich wollte sie nichts lieber, als mit Matt zusammen
fernsehen.
Unter dem Vorwand, seinen Puls prüfen zu müssen,
betrat Grace das Zimmer, wo Matt gelangweilt mit der Fernbedienung
spielte.
»Fernsehen macht mich nervös«, sagte er.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Grace. Sie wollte
nicht, dass er den Eindruck bekam, dass sie aus anderen als
beruflichen Gründen hier war. »Kopfschmerzen?«
»Ja, aber seit einer Stunde sind sie
verschwunden.«
Grace lachte. »Damit meinen Sie vermutlich
Michael Lavender?« Darauf brauchte sie keine Antwort. »Manche
Kopfschmerzen«, sagte sie, »wird man leichter wieder los als
andere.«
»He«, meinte Matt da lebhaft. »Sie wissen doch,
dass ich gerade einen Film drehte, als es passierte, ja? Also, wir
waren schon halb damit fertig, aber jetzt wollen sie … wie heißt
das gleich … weitermachen. Sie meinen aber, dass ich dazu noch
nicht imstande bin, daher haben sie … wie heißt das, wenn man mit
etwas aufhört?«
»Abbrechen? Unterbrechen?« »Genau. Sie haben die
Produktion unterbrochen. Und Farren ist völlig wütend auf mich, die
Hauptdarstellerin. Es sollte ihr Durchbruch werden, und jetzt wirft
sie mir vor, ihre Karriere zerstört zu haben.« Matt seufzte
reumütig. »Ich hatte noch nicht daran gedacht, wie das alles andere
Menschen betrifft.«
»Das tut mir leid, Matt.« »Aber die gute
Nachricht ist«, fuhr er aufheiternd fort, »dass ich dadurch frei
geworden bin, diesen anderen Film zu drehen, wo ich das Skript
schon auswendig gelernt habe.«
»Großartig!«, rief Grace, fragte sich aber, wie
er für den einen Film gesund genug sein konnte, nicht aber für den
anderen. Vermutlich hatte Lavender daran gedreht, dass Matt nun ein
lukrativeres Projekt übernehmen konnte. Er hatte seinen Zustand bei
dem einen Produzenten übertrieben, beim anderen untertrieben.
»Sie fangen in drei Wochen mit den Dreharbeiten
an«, sagte Matt. »Werden Sie mich am Drehort besuchen?«
»Klar«, meinte Grace, nahm ihn aber nicht allzu
ernst.
Sie konnte sich gut vorstellen, hinzufahren, dass er sich aber ihr
gegenüber dann völlig anders verhielt: abweisend, wieder in seiner
eigenen Welt statt in ihrer. Jedenfalls fand sie es völlig
unrealistisch, dass Matt in drei Wochen wieder vor einer Kamera
stehen würde. Sie wusste allerdings, dass man beim Filmen keine
großen Dialoge auswendig lernen musste, daher konnte es ihm gerade
eben gelingen.
»Ich meine das ernst«, sagte Matt. »Kommen Sie
rüber. Das Wetter ist dort großartig, und ich kümmere mich um
Sie.«
»Ich könnte Ihnen den Puls fühlen«, sagte Grace
und behandelte damit die ganze Angelegenheit eher wie einen Scherz,
für den sie dieses Angebot auch hielt.
»Es wäre toll, wenn Sie mitkämen«, sagte Matt
und starrte Grace nun offen an. Sie erwiderte den Blick mit einer
Art verträumter Intensität, wie man ihn oft in Kneipen nach zwei,
drei Drinks sieht. In Matts Augen tanzten Lichter. Das hatte Grace
auch in einigen Nahaufnahmen von seinen Filmen gesehen. Er schien
dann tief in ihr Innerstes zu blicken, durch alle Barrieren
hindurch, die sie vielleicht errichtet hatte. In diesem Augenblick
fühlte Grace sich, als hätte er sie für sich auserkoren. Als gäbe
es nur sie beide und nichts anderes mehr.
Dann dachte Grace, wenn jemand nun unvermutet
ins Zimmer trat, könnte er sie für unprofessionell halten (sie
dachte insbesondere an Kathy), und aus diesem Grund richtete sie
sich auf, reckte das Kinn vor und fingerte an dem kalten Stethoskop
um ihren Hals. »Also«, meinte sie dann in dem Versuch, den Tonfall
wieder für die Pavarotti-Suite angemessen zu machen, »ich freue
mich sehr,
von dem Film zu hören. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie
irgendetwas brauchen.« Dann trat sie wieder auf den Flur zurück.
Ihr Herz raste.
Um Kathy aus dem Weg zu gehen, begab sie sich
nach unten in die Cafeteria und holte sich einen Eistee. Den Weg im
Aufzug nach unten fühlte sie sich schwerelos. Dann fiel ihr Cherry
wieder ein. Die Ärmste! Einen Patienten zu verlieren. Wie
schrecklich. Aber dann flogen ihre Gedanken wieder zu Matt
zurück.
Als die Aufzugtüren sich öffneten, sah sie Dawn
und Michael Lavender auf sich zukommen. Sie unterhielten sich
angeregt und leise miteinander. Lavender sah blass und aufgeregt
aus, während Dawn auf ihn einredete. Erst in drei Metern Entfernung
blickte Lavender hoch und sah Grace. Beide blieben unvermittelt
stehen und lächelten sie auf die gleiche gekünstelte Weise
an.
»Wie geht’s bei Pavarotti?«, fragte Dawn mit
hinterhältigem Unterton, als deutete sie einen Flirt zwischen
Patient und Schwester an.
»Oh, du meinst Matt?«, fragte Grace betont
unschuldig. »Alles in Ordnung. Er hat gute Laune.« Dann fuhr sie zu
Lavender gewandt fort: »Er sagte, er würde in drei Wochen mit den
Dreharbeiten zu einem neuen Film anfangen. Das ist ja
fantastisch!«
»Nein«, erwiderte Lavender ernst. »Die Pläne
haben sich geändert.«
»Ach ja?«
»Mit anderen Worten«, unterbrach Dawn wie eine
ungeduldige Mutter, die für ihr stotterndes Kind einspringt: »Es
wäre nicht recht, Matt nur des Geldes wegen dazu zu treiben, ehe er
nicht wieder richtig gesund ist.«
Lavender blickte bei diesen Worten auf seine
Schuhspitzen, und Grace vermutete, dass man ihm gerade seinen Plan
ausgeredet hatte, das fragwürdige Interesse der Öffentlichkeit an
dem Kranken auszunutzen und den hirngeschädigten Schauspieler zu
einem vorzeitigen und katastrophalen Comeback zu überreden. Grace
selbst glaubte nicht, dass Matt gesund genug für die Strapazen
eines teuren Filmes war. Sie begrüßte es, dass Dawn, kaum die beste
Krankenschwester der Welt, auch zu diesem Schluss gelangt war, egal
wie sie Michael Lavender dazu überredet hatte. Lavender nickte
bloß, als Dawn fortfuhr, wie »sie gemeinsam« beschlossen hatten, es
sei das Vernünftigste, Matt aus allem herauszuhalten, bis er sich
wieder richtig erholt hätte.
»Matt wird das nicht gefallen«, sagte Lavender.
»Ich habe seit Jahren daran gearbeitet, ihm eine solche Rolle zu
besorgen. Aber wenn ich ihn zu früh wieder losschicke und er
versagt, dann verdirbt das alles. Daher müssen wir klug sein und
langfristig denken.« Dieser letzte Satz klang verdächtig nach einer
gerade erst entwickelten Idee, und Grace erkannte, dass Lavender
damit noch seine Probleme hatte.
»Das halte ich für sehr vernünftig«, erwiderte
Grace, sosehr ihr auch Matts Einladung gefiel, ihn am Drehort zu
besuchen. »Sicher wird er enttäuscht sein, aber letztendlich auch
dankbar.«
In den zwölf Jahren als Krankenschwester hatte
Grace so etwas noch nie gesehen. Von zehn Uhr an bis weit nach
Mitternacht blieb die Tür zur Pavarotti-Suite geschlossen. Fünf
weitere Personen waren zu dieser vermutlichen
Krisensitzung eingelassen worden. Grace gehörte nicht zu dieser
prestigeträchtigen Gruppe, die aus Lavender, Fred Hirsch, Judy
Putnam, Dr. Daras und Yvette Soffian bestand, der Pressesprecherin
des Manhattan Hospitals. Diese eindrucksvolle Versammlung, die für
einen Unfalltoten angemessener gewesen wäre, fand sich aus keinem
anderen Grund zusammen, als dass ein Prominenter einen Wutanfall
bekommen hatte.
Matt Conner hatte nicht gut auf Lavenders
Ankündigung reagiert, der Schauspieler würde ein paar Monate lang
»aus dem Verkehr gezogen«, damit er sich richtig erholen konnte.
Man hatte aus der Pavarotti-Suite gedämpfte Schreie und klirrendes
Glas gehört. Als Grace von der Aufregung hörte, war sie aus dem
Schwesternzimmer den Gang entlanggerannt und hatte Matt gerade noch
gesehen, wie er in seinen Boxershorts vor Michael Lavender stand
und ihn wütend beschimpfte. Lavender saß mit gesenktem Kopf auf der
Bettkante und kniff sich den Nasenrücken.
»Matt!«, hatte Grace gerufen, und Matt hatte sie
angeblickt und war erstarrt, als würde er sie zwar erkennen, aber
nicht richtig.
Dann war Lavender aufgestanden und hatte Grace
hinaus auf den Flur geführt.
»Er muss es einfach loswerden«, sagte Lavender
und wechselte in die Rolle des diplomatischen Rock-Managers. »Er
ist bei der Nachricht einfach ausgerastet. Verständlicherweise.
Bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir kommen natürlich für alles
auf.«
Eine knappe Stunde später wurden aus bisher
unbekannten Gründen alle Schlüsselfiguren benachrichtigt
und in die Pavarotti-Suite beordert. Einer nach dem anderen
erschienen sie. Als Letzter kam Daras um Viertel nach elf in einem
Smoking, denn man hatte ihn von einer Wohltätigkeitsveranstaltung
für den Bürgermeister weggerufen.
Grace versuchte im Schwesternzimmer, Cherry zu
erreichen. Sie hinterließ drei Nachrichten, sie anzurufen, falls
sie mit jemandem reden wollte.
Als die Matt-Conner-Sitzung vorbei war, fing
Grace den Blick von Judy Putnam auf, die gerade mit ihrem
fantastischen Laufsteg-Gang am Schwesternzimmer vorbeirauschte. Sie
bedeutete Grace, ihr zu folgen. Auf dem Weg zum Aufzug berichtete
ihr Judy knapp von dem Geschehen.
»Grundsätzlich hat Dr. Daras zugestimmt, dass
Matt noch ein paar Monate Ruhe und Therapie braucht, und Matt fand
das in Ordnung. Aber auch wenn er diesen Film nicht drehen würde,
würde er verdammt nochmal nicht in diesem fürchterlichen
Krankenhaus bleiben - das waren seine Worte, nicht meine. Er
verlangte, sofort entlassen zu werden. Daras stimmte zu, und Yvette
Soffian entschied, morgen früh eine Pressemitteilung
herauszugeben.«
»Eine Pressemitteilung?«, fragte Grace. »Aber
dann erfahren es sämtliche Medien, und die Reporter schwirren
überall hier herum.«
»Nein«, erwiderte Judy, »entschuldigen Sie, aber
das habe ich nicht genau erklärt. Matt Conner wird in der nächsten
Stunde das Krankenhaus verlassen - mitten in der Nacht. Das ist
alles bereits arrangiert, und zwar mit Zustimmung von Dr.
Daras.«
»Oh.« Grace spürte, wie sich ihr Magen
zusammenkrampfte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. In einer Stunde?
Er sollte doch erst in ein paar Tagen entlassen werden. »Danke,
Judy«, war alles, was sie herausbrachte. Da waren sie beim Lift
angekommen.
»Oh, ja«, fügte Judy noch hinzu, als die Türen
sich öffneten. »Ich brauche eigentlich nicht zu erwähnen, dass der
Vorfall heute mit Mr. Donahue sich nicht wiederholen darf. Das
wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Station und das
Krankenhaus. Also bitte, immer die Patientenkarten sorgfältig
lesen. Okay?« Judy ließ noch einmal ihr gewinnendes professionelles
Lächeln aufblitzen, ehe die Türen des Lifts sich schlossen.