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Als Joanne das Motorrad
vor dem Haus parkte, bemerkte sie Licht in der Küche. Sie freute
sich, als sie Cherry in der Küche sah, die einen Teig für einen
Auf-Cherry in der Küche sah, die einen Teig für einen Auf lauf
ausrollte. Nur selten war dieser Tage mehr als nur eine Frau zu
Hause.
»Morgen ist Ricks halber Geburtstag«, erklärte
Cherry. »Ich backe ihm einen Kirschkuchen.«
»Halber Geburtstag?«, fragte Joanne.
»Du weißt schon, sechs Monate vor dem richtigen
Geburtstag. Halber Geburtstag.«
»Was kriegt er zu seinem richtigen Geburtstag?
Vermutlich eine andere Art Kirschkuchen, ja?«
»Oh, davon hatte er schon jede Menge.«
»Heiliger Scheißdreck«, sagte Joanne. »Hast du
schon das Neueste gehört?«
»Was denn?«
»Matt Conner ist aufgewacht.«
»Oh, mein Gott! Ist alles in Ordnung?«
»Scheint so. Kann man erst nach einer Weile
sagen.«
»Hast du mit Grace geredet?«
»Nein, das war nicht möglich. Aber ich habe
herausgefunden, dass Dawn mit Michael Lavender ins Bett geht. Ist
das nicht ekelhaft?«
»Wie lange will Grace denn noch die Nachtschicht
machen?«, fragte Cherry. »Wird man Matt bald entlassen?«
»Kann man noch nicht sagen. He, sollen wir zu
Nighties
gehen und einen trinken? Ist doch ein Grund zum Feiern. Matt
Conner ist wieder unter den Lebenden.«
»Okay«, meinte Cherry. »Den Kuchen kann ich auch
später noch backen.«
Sie fuhren auf dem Motorrad hinüber zu Nightingales, das zu ihrer Überraschung viel voller
war als üblich. Anscheinend hatte sich die halbe Welt zum Feiern
entschlossen.
Die Mädchen schoben sich durch die Menge zur
Theke. Als der Captain sie sah, kam er gleich zu ihnen.
»Captain Hoag«, sagte Joanne. »Wie geht es
dir?«
»Ziemlich gut«, antwortete der Captain mit einem
freundlichen Lächeln. »Und dir?«
»Großartig«, erwiderte Joanne und fuhr sich mit
einer Hand durchs Haar. »Ich bin wieder mit meinem Mann zusammen,
mit Donny. Daher bleibe ich jetzt oft in der Stadt bei ihm.«
»Das erklärt manches! Ich hatte mich schon
gefragt, warum ich dich nicht mehr sehe.« Hoag legte beide Hände
flach auf die Theke. »Was darf es denn heute Abend sein?«
»Oh, ich kann nicht lange bleiben«, deutete
Joanne an. »Vielleicht nur einen Kurzen. Ja, genau. Einen Cuervo
und ein kleines Pils.«
»Und du?«, fragte Hoag Cherry freundlich. Er
schien von Joannes Neuigkeit völlig ungerührt. »Wieder so ein
blaues Wunder?«
»Ach«, meinte Cherry, »ich glaube, ich nehme
lieber ein Glas Rotwein.«
»Wein?«, fragte Joanne. »Das ist aber
neu.«
»Rick meint, der blaue Cocktail sei
billig.«
»So ein Affe!«
»Nein«, erwiderte Cherry. »Er hat Recht. Ich bin
nicht mehr im College. Rick weiß über Wein gut Bescheid. Er hat mir
eine Menge beigebracht.«
»Großartig«, sagte Joanne. »Da kannt du dich ja
mit Grace zusammentun. Sie steht auch auf Wein.« Joanne sah Hoag
zu, der eine Flasche Tequila vom Regal nahm und in ein kleines Glas
abmaß. Dann schenkte er den Wein und das Bier ein und stellte die
Gläser vor die Frauen, zusammen mit einer Limonenspalte und einem
Salzstreuer.
»Danke«, sagten Cherry und Joanne
gleichzeitig.
Hoag nickte und ging dann zum anderen Ende der
Theke, um dort mit den Gästen zu plaudern.
Joanne stürzte den Schnaps hinunter und trank
darauf einen langen Zug Bier. Sie war nicht in bester Stimmung. Die
Neuigkeit über Matt Conner hätte sie eigentlich aufmuntern sollen,
aber sie musste zugeben, dass Donny ihr das mit seinem Egoismus
restlos verdorben hatte. Er dachte an nichts anderes als seinen
Arm. Immerhin hatte er sie diesmal nicht um das Morphium
angebettelt.Vielleicht war das ein Fortschritt.
Sie blickte an der Theke entlang zu Hoag, der
fröhlicher und lockerer wirkte, als sie ihn je zuvor gesehen hatte.
Sie fragte sich, ob es vielleicht ein wenig gekünstelt war, als
wollte er Joanne und sich selbst beweisen, dass ihr Spaziergang im
Regen keinerlei Bedeutung gehabt hatte und er von der Nachricht
ihrer Versöhnung mit Donny völlig unbetroffen war. Joanne war aber
froh, dass sie es ihm hatte sagen können. Das bestätigte ihre
Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Donny war
ihr Mann. Sie hatte vor Jesus einen Eid geschworen, zu ihm zu
stehen, in guten wie in schlechten Zeiten, und manchmal hatte sie
Zweifel, ob es recht gewesen war, Donny zu verlassen. Liebe bekam
man nicht alle Tage.
Aber es störte sie doch, dass Hoag sie
ignorierte oder zumindest den Anschein erweckte. Sie unterhielt
sich gerne mit ihm und fühlte sich in seiner Gegenwart wohl.
Hoffentlich hatte sie jetzt nicht alles verdorben.
»Ach, übrigens«, begann Cherry betont lässig.
»Kann ich dir noch etwas erzählen?«
»Du kannst mir alles erzählen.«
»Okay, aber es bleibt unter uns.«
»Klar«, sagte Joanne gerührt, dass Cherry sich
ihr nun anvertraute. Es war das erste Mal.
»Also«, meinte Cherry leicht schuldbewusst, »ich
ziehe vielleicht mit Rick zusammen.«
Joanne sah sie an. »Machst du Witze?«
Cherrys Wangen röteten sich. »Es ist noch nicht
abgemacht, daher bitte kein Wort zu Grace. Aber es macht Sinn, denn
seine Wohnung liegt dicht beim Krankenhaus, und ich bin sowieso die
meiste Zeit dort.«
»Habt ihr es schon beredet?«
»Wer - Rick und ich?«
»Nein, du und der Nikolaus.«
»Es war seine Idee«, verteidigte sich
Cherry.
»Wirklich?«
»Ist das so unwahrscheinlich?«
»Er hat dich gefragt, ob du zu ihm ziehst? So
schnell?«
»Nicht nur das, er hat sogar vorgeschlagen, dass
ich
keine Miete zahle«, sagte Cherry. »Er sagte, er macht sich Sorgen,
dass ich den ganzen Weg nach Turtle Island immer allein mit der
U-Bahn fahre.«
»Wow! Was für ein süßer Typ dieser Doktor Nash
doch ist! Wer hätte das gedacht?«
»Er ist ein richtiges Plüschtier«, erwiderte
Cherry. »Ich habe neulich abends mit ihm ›Frühstück bei Tiffany’s‹
geguckt, und am Ende hat er tatsächlich geschluchzt.«
»Erstaunlich!«, meinte Joanne, die
Entsprechendes von Donny nicht gerade behaupten konnte. Zum ersten
Mal hatte Joanne das Gefühl, in Konkurrenz mit Cherry zu treten,
aber auf deren eigene, unschuldige Weise. Cherry forderte sie
heraus, allerdings nicht gerade unschuldig. Sie probierte die neue
Macht aus, die sie mit dem Freund errungen hatte.
»Ich hatte gedacht«, meinte Cherry nun, »wenn
ich zu Rick ziehe und du wieder mit Donny zusammenziehst, dass
Grace dann ganz alleine ist.«
»Meine Situation mit Donny ist noch nicht
endgültig«, antwortete Joanne.
»Nein? Ich dachte, ihr wäret wieder
zusammen?«
»Sind wir auch«, gab Joanne zurück. »Wir sind
zusammen.« Dann fuhr ihr Blick die Theke entlang zu Hoag, der ihren
Blick diesmal erwiderte. Joanne wandte sich rasch ab und sprach in
lockerem Unterhaltungston zu Cherry weiter. »Manchmal sind zwei
Leute einfach füreinander bestimmt. Sie verbinden sich auf ein
ganzes Leben, wie Enten. Donny und ich sind Enten.«
»Würdest du dich jemals scheiden lassen?«,
fragte Cherry.
Scheiden? In Joannes
Kindheit war »Scheidung« eines
der düstersten Wörter, die nur im Extremfall benutzt wurden.
Geschiedene Frauen wurden bemitleidet wie Aussätzige und möglichst
gemieden. Eine Scheidung hatte den Ruch von moralischem Versagen,
dessen Opfer man meiden musste.
Joanne erwiderte: »Warum sollten Donny und ich
uns scheiden lassen? Er hat Fehler. Aber was ist schon Liebe ohne
Vergebung? Er hat wirklich ein Herz aus Gold. Weißt du, wie er mir
den Heiratsantrag gemacht hat?«
»Nein«, sagte Cherry, die sich in der letzten
Zeit sehr für solche Dinge interessierte. »Wie denn?«
»Er hat mich nach Rom eingeladen und ein
Streichquartett bestellt, das mir am Tisch auf der Piazza Deloni
eine Serenade spielte. Wir haben Muscheln bestellt - klar, mein
Lieblingsessen -, und er hat mir eine Muschel gegeben. Als ich sie
öffnete, lag dieser fantastische Ring darin. Er hatte tatsächlich
eine Muschelschale säubern und mit Samt auslegen lassen. Das war
das Süßeste, was ich jemals erlebt habe.« Joanne wischte sich eine
Träne aus dem Augenwinkel, wie so oft, wenn sie sich an diesen
Augenblick erinnerte, vermutlich der glücklichste ihres
Lebens.
»Möchten die Damen noch etwas?«, fragte Hoag,
der plötzlich vor ihnen stand.
Joanne zuckte zusammen. »Alles in Ordnung.« Dann
griff sie in die Tasche und holte ihre Börse heraus. »Ich glaube,
ich hatte genug. War ein langer Tag.« Sie wandte sich zu Cherry,
spürte aber Hoags Blick. »Bleibst du noch hier, Scarlett?«
»Oh«, meinte Cherry überrascht. Sie versuchte
rasch
zu erfassen, was Joanne von ihr erwartete. »Ich komme mit«, sagte
sie, obwohl sie ihren Wein kaum angerührt hatte.
Joanne war nicht sicher, warum sie es plötzlich
so eilig hatte. Sie wusste nur, dass es spät war, dass sie müde war
und dass sie sich für Donny entschieden hatte. Und da sie Hogan
Vandervoort all dies mitgeteilt hatte, musste sie gehen.
»Ehe ihr geht«, begann Hoag. »… falls du
nächsten Samstag nichts vorhast, ich fahre mit dem Boot hinaus. Du
kannst gerne mitkommen. Du auch«, sage er zu Cherry gewandt, aber
Joanne war völlig klar, dass dies nur aus Höflichkeit
geschah.
Joanne war sprachlos über diese Einladung und
wie direkt sie ausgesprochen wurde. Hatte er sie nicht verstanden,
als sie sagte, sie sei wieder mit Donny zusammen? Oder war es eine
rein freundschaftliche Einladung?
»Danke, gerne«, sagte Cherry, »aber ich habe an
dem Wochenende schon etwas vor.« Dann sagte sie zu Joanne: »Rick
hat mich nach Hamptons eingeladen.«
»Ich glaube, ich habe auch schon etwas vor«,
sagte Joanne zu Hoag. »Aber vielen Dank.«
»Na, falls sich was ändert, wisst ihr ja, wie
ihr mich finden könnt.« Hoag schenkte Joanne ein herzliches
Lächeln, das sie nicht deuten konnte - irgendwie weder väterlich
noch liebevoll. Dann wandte er sich wieder den anderen Gästen
zu.
Draußen sagte Cherry zu Joanne: »Ich glaube, er
mag dich.«
»Wie?«, fragte Joanne, die sich gerade auf das
Motorrad schwang. »Nein. Er weiß, dass ich verheiratet bin. Ich
habe ihm gesagt, dass ich wieder mit Donny zusammen bin. Du hast
es selbst gehört.«
»Weiß ich«, erwiderte Cherry und stieg auf den
Rücksitz. »Aber vielleicht hat er dir das nicht abgenommen.«
»Warum sollte er es mir nicht glauben?« »Weil
Frauen eigentlich ständig lügen«, erwiderte Cherry.