23
Als Joanne das Motorrad vor dem Haus parkte, bemerkte sie Licht in der Küche. Sie freute sich, als sie Cherry in der Küche sah, die einen Teig für einen Auf-Cherry in der Küche sah, die einen Teig für einen Auf lauf ausrollte. Nur selten war dieser Tage mehr als nur eine Frau zu Hause.
»Morgen ist Ricks halber Geburtstag«, erklärte Cherry. »Ich backe ihm einen Kirschkuchen.«
»Halber Geburtstag?«, fragte Joanne.
»Du weißt schon, sechs Monate vor dem richtigen Geburtstag. Halber Geburtstag.«
»Was kriegt er zu seinem richtigen Geburtstag? Vermutlich eine andere Art Kirschkuchen, ja?«
»Oh, davon hatte er schon jede Menge.«
»Heiliger Scheißdreck«, sagte Joanne. »Hast du schon das Neueste gehört?«
»Was denn?«
»Matt Conner ist aufgewacht.«
»Oh, mein Gott! Ist alles in Ordnung?«
»Scheint so. Kann man erst nach einer Weile sagen.«
»Hast du mit Grace geredet?«
»Nein, das war nicht möglich. Aber ich habe herausgefunden, dass Dawn mit Michael Lavender ins Bett geht. Ist das nicht ekelhaft?«
»Wie lange will Grace denn noch die Nachtschicht machen?«, fragte Cherry. »Wird man Matt bald entlassen?«
»Kann man noch nicht sagen. He, sollen wir zu Nighties gehen und einen trinken? Ist doch ein Grund zum Feiern. Matt Conner ist wieder unter den Lebenden.«
»Okay«, meinte Cherry. »Den Kuchen kann ich auch später noch backen.«
Sie fuhren auf dem Motorrad hinüber zu Nightingales, das zu ihrer Überraschung viel voller war als üblich. Anscheinend hatte sich die halbe Welt zum Feiern entschlossen.
Die Mädchen schoben sich durch die Menge zur Theke. Als der Captain sie sah, kam er gleich zu ihnen.
»Captain Hoag«, sagte Joanne. »Wie geht es dir?«
»Ziemlich gut«, antwortete der Captain mit einem freundlichen Lächeln. »Und dir?«
»Großartig«, erwiderte Joanne und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich bin wieder mit meinem Mann zusammen, mit Donny. Daher bleibe ich jetzt oft in der Stadt bei ihm.«
»Das erklärt manches! Ich hatte mich schon gefragt, warum ich dich nicht mehr sehe.« Hoag legte beide Hände flach auf die Theke. »Was darf es denn heute Abend sein?«
»Oh, ich kann nicht lange bleiben«, deutete Joanne an. »Vielleicht nur einen Kurzen. Ja, genau. Einen Cuervo und ein kleines Pils.«
»Und du?«, fragte Hoag Cherry freundlich. Er schien von Joannes Neuigkeit völlig ungerührt. »Wieder so ein blaues Wunder?«
»Ach«, meinte Cherry, »ich glaube, ich nehme lieber ein Glas Rotwein.«
»Wein?«, fragte Joanne. »Das ist aber neu.«
»Rick meint, der blaue Cocktail sei billig.«
»So ein Affe!«
»Nein«, erwiderte Cherry. »Er hat Recht. Ich bin nicht mehr im College. Rick weiß über Wein gut Bescheid. Er hat mir eine Menge beigebracht.«
»Großartig«, sagte Joanne. »Da kannt du dich ja mit Grace zusammentun. Sie steht auch auf Wein.« Joanne sah Hoag zu, der eine Flasche Tequila vom Regal nahm und in ein kleines Glas abmaß. Dann schenkte er den Wein und das Bier ein und stellte die Gläser vor die Frauen, zusammen mit einer Limonenspalte und einem Salzstreuer.
»Danke«, sagten Cherry und Joanne gleichzeitig.
Hoag nickte und ging dann zum anderen Ende der Theke, um dort mit den Gästen zu plaudern.
Joanne stürzte den Schnaps hinunter und trank darauf einen langen Zug Bier. Sie war nicht in bester Stimmung. Die Neuigkeit über Matt Conner hätte sie eigentlich aufmuntern sollen, aber sie musste zugeben, dass Donny ihr das mit seinem Egoismus restlos verdorben hatte. Er dachte an nichts anderes als seinen Arm. Immerhin hatte er sie diesmal nicht um das Morphium angebettelt.Vielleicht war das ein Fortschritt.
Sie blickte an der Theke entlang zu Hoag, der fröhlicher und lockerer wirkte, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Sie fragte sich, ob es vielleicht ein wenig gekünstelt war, als wollte er Joanne und sich selbst beweisen, dass ihr Spaziergang im Regen keinerlei Bedeutung gehabt hatte und er von der Nachricht ihrer Versöhnung mit Donny völlig unbetroffen war. Joanne war aber froh, dass sie es ihm hatte sagen können. Das bestätigte ihre Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Donny war ihr Mann. Sie hatte vor Jesus einen Eid geschworen, zu ihm zu stehen, in guten wie in schlechten Zeiten, und manchmal hatte sie Zweifel, ob es recht gewesen war, Donny zu verlassen. Liebe bekam man nicht alle Tage.
Aber es störte sie doch, dass Hoag sie ignorierte oder zumindest den Anschein erweckte. Sie unterhielt sich gerne mit ihm und fühlte sich in seiner Gegenwart wohl. Hoffentlich hatte sie jetzt nicht alles verdorben.
»Ach, übrigens«, begann Cherry betont lässig. »Kann ich dir noch etwas erzählen?«
»Du kannst mir alles erzählen.«
»Okay, aber es bleibt unter uns.«
»Klar«, sagte Joanne gerührt, dass Cherry sich ihr nun anvertraute. Es war das erste Mal.
»Also«, meinte Cherry leicht schuldbewusst, »ich ziehe vielleicht mit Rick zusammen.«
Joanne sah sie an. »Machst du Witze?«
Cherrys Wangen röteten sich. »Es ist noch nicht abgemacht, daher bitte kein Wort zu Grace. Aber es macht Sinn, denn seine Wohnung liegt dicht beim Krankenhaus, und ich bin sowieso die meiste Zeit dort.«
»Habt ihr es schon beredet?«
»Wer - Rick und ich?«
»Nein, du und der Nikolaus.«
»Es war seine Idee«, verteidigte sich Cherry.
»Wirklich?«
»Ist das so unwahrscheinlich?«
»Er hat dich gefragt, ob du zu ihm ziehst? So schnell?«
»Nicht nur das, er hat sogar vorgeschlagen, dass ich keine Miete zahle«, sagte Cherry. »Er sagte, er macht sich Sorgen, dass ich den ganzen Weg nach Turtle Island immer allein mit der U-Bahn fahre.«
»Wow! Was für ein süßer Typ dieser Doktor Nash doch ist! Wer hätte das gedacht?«
»Er ist ein richtiges Plüschtier«, erwiderte Cherry. »Ich habe neulich abends mit ihm ›Frühstück bei Tiffany’s‹ geguckt, und am Ende hat er tatsächlich geschluchzt.«
»Erstaunlich!«, meinte Joanne, die Entsprechendes von Donny nicht gerade behaupten konnte. Zum ersten Mal hatte Joanne das Gefühl, in Konkurrenz mit Cherry zu treten, aber auf deren eigene, unschuldige Weise. Cherry forderte sie heraus, allerdings nicht gerade unschuldig. Sie probierte die neue Macht aus, die sie mit dem Freund errungen hatte.
»Ich hatte gedacht«, meinte Cherry nun, »wenn ich zu Rick ziehe und du wieder mit Donny zusammenziehst, dass Grace dann ganz alleine ist.«
»Meine Situation mit Donny ist noch nicht endgültig«, antwortete Joanne.
»Nein? Ich dachte, ihr wäret wieder zusammen?«
»Sind wir auch«, gab Joanne zurück. »Wir sind zusammen.« Dann fuhr ihr Blick die Theke entlang zu Hoag, der ihren Blick diesmal erwiderte. Joanne wandte sich rasch ab und sprach in lockerem Unterhaltungston zu Cherry weiter. »Manchmal sind zwei Leute einfach füreinander bestimmt. Sie verbinden sich auf ein ganzes Leben, wie Enten. Donny und ich sind Enten.«
»Würdest du dich jemals scheiden lassen?«, fragte Cherry.
Scheiden? In Joannes Kindheit war »Scheidung« eines der düstersten Wörter, die nur im Extremfall benutzt wurden. Geschiedene Frauen wurden bemitleidet wie Aussätzige und möglichst gemieden. Eine Scheidung hatte den Ruch von moralischem Versagen, dessen Opfer man meiden musste.
Joanne erwiderte: »Warum sollten Donny und ich uns scheiden lassen? Er hat Fehler. Aber was ist schon Liebe ohne Vergebung? Er hat wirklich ein Herz aus Gold. Weißt du, wie er mir den Heiratsantrag gemacht hat?«
»Nein«, sagte Cherry, die sich in der letzten Zeit sehr für solche Dinge interessierte. »Wie denn?«
»Er hat mich nach Rom eingeladen und ein Streichquartett bestellt, das mir am Tisch auf der Piazza Deloni eine Serenade spielte. Wir haben Muscheln bestellt - klar, mein Lieblingsessen -, und er hat mir eine Muschel gegeben. Als ich sie öffnete, lag dieser fantastische Ring darin. Er hatte tatsächlich eine Muschelschale säubern und mit Samt auslegen lassen. Das war das Süßeste, was ich jemals erlebt habe.« Joanne wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, wie so oft, wenn sie sich an diesen Augenblick erinnerte, vermutlich der glücklichste ihres Lebens.
»Möchten die Damen noch etwas?«, fragte Hoag, der plötzlich vor ihnen stand.
Joanne zuckte zusammen. »Alles in Ordnung.« Dann griff sie in die Tasche und holte ihre Börse heraus. »Ich glaube, ich hatte genug. War ein langer Tag.« Sie wandte sich zu Cherry, spürte aber Hoags Blick. »Bleibst du noch hier, Scarlett?«
»Oh«, meinte Cherry überrascht. Sie versuchte rasch zu erfassen, was Joanne von ihr erwartete. »Ich komme mit«, sagte sie, obwohl sie ihren Wein kaum angerührt hatte.
Joanne war nicht sicher, warum sie es plötzlich so eilig hatte. Sie wusste nur, dass es spät war, dass sie müde war und dass sie sich für Donny entschieden hatte. Und da sie Hogan Vandervoort all dies mitgeteilt hatte, musste sie gehen.
»Ehe ihr geht«, begann Hoag. »… falls du nächsten Samstag nichts vorhast, ich fahre mit dem Boot hinaus. Du kannst gerne mitkommen. Du auch«, sage er zu Cherry gewandt, aber Joanne war völlig klar, dass dies nur aus Höflichkeit geschah.
Joanne war sprachlos über diese Einladung und wie direkt sie ausgesprochen wurde. Hatte er sie nicht verstanden, als sie sagte, sie sei wieder mit Donny zusammen? Oder war es eine rein freundschaftliche Einladung?
»Danke, gerne«, sagte Cherry, »aber ich habe an dem Wochenende schon etwas vor.« Dann sagte sie zu Joanne: »Rick hat mich nach Hamptons eingeladen.«
»Ich glaube, ich habe auch schon etwas vor«, sagte Joanne zu Hoag. »Aber vielen Dank.«
»Na, falls sich was ändert, wisst ihr ja, wie ihr mich finden könnt.« Hoag schenkte Joanne ein herzliches Lächeln, das sie nicht deuten konnte - irgendwie weder väterlich noch liebevoll. Dann wandte er sich wieder den anderen Gästen zu.
Draußen sagte Cherry zu Joanne: »Ich glaube, er mag dich.«
»Wie?«, fragte Joanne, die sich gerade auf das Motorrad schwang. »Nein. Er weiß, dass ich verheiratet bin. Ich habe ihm gesagt, dass ich wieder mit Donny zusammen bin. Du hast es selbst gehört.«
»Weiß ich«, erwiderte Cherry und stieg auf den Rücksitz. »Aber vielleicht hat er dir das nicht abgenommen.«
»Warum sollte er es mir nicht glauben?« »Weil Frauen eigentlich ständig lügen«, erwiderte Cherry.
Schicksalspfad Roman
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