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Letztlich kannst nur du entscheiden, ob du ein Held, ein Schurke oder irgendetwas dazwischen werden willst.




Wenigstens wussten wir jetzt, was mit dem letzten fehlenden Zombie meiner Eltern passiert war. Er sah aus, als ob er auf Plündertour gewesen sei. Der Zombie hatte ein Hawaii-Hemd mit Blumenmuster und Khakishorts an. Am einen Fuß trug er einen zu großen Schneestiefel, am andern eine Sandale, so als ob er sich nicht entscheiden könne, ob er in den Schnee wollte oder an den Strand. Seine Handgelenke waren dicht an dicht mit Silber- und Goldarmbändern behängt. Und auf dem Kopf trug er einen Cowboyhut und eine Fliegerbrille.

Er war eindeutig der komischste Zombie, den ich je gesehen hatte. Und das will was heißen.

Blitzschnell leerte sich der Schulhof. Die Kinder liefen in alle Richtungen auseinander. Da Joey und Ziegelstein aber mit dem Rücken zum Zombie standen, merkten sie nichts. Außerdem waren sie gewohnt, dass Kinder schreiend wegliefen, wenn sie in der Nähe waren.

Die Stimme des Fünftklässlers kippte, als er über den Schulhof zeigte. »Z-zombie«, sagte er. »Er kommt.«

Ziegelstein stieß einen trockenen Lacher aus. »Ha, ha«, sagte er. »Auf den Trick fallen wir nicht rein.«

»Als Nächstes erzählst du uns, dass ein Elefant durch die Schule stampft, was?«, meinte Joey.

Doch als der Zombie ein tiefes Knurren ausstieß, hörten sie auf zu lachen. Ich hatte ähnliche Geräusche schon oft von unten durch die Dielenbretter gehört. Es war der Laut, mit dem Zombies erklärten: »Ich habe Hunger.«

Joey und Ziegelstein drehten sich in die Richtung des Knurrens um. Als Ziegelstein erkannte, was da hinter ihm war, ließ er den Fünftklässler los. Der Junge rannte davon, doch Joey und Ziegelstein blieben vor Angst wie erstarrt stehen. Der Zombie machte zwei taumelnde Schritte auf sie zu.

»Meinst du, wir sollten was unternehmen?«, fragte Sophie mit gelangweilter Stimme.

»Weiß nicht«, sagte ich. »Ich glaube, es würde mir Spaß machen, zuzugucken, wie der Zombie Joeys Gehirn frisst.«

»Und Ziegelstein hat sowieso kein Gehirn, das sich zu fressen lohnt«, ergänzte Milton.

So wenig mir der Gedanke schmeckte, Joey und Ziegelstein zu helfen, so wusste ich doch, dass man meinen Eltern die Schuld geben würde, wenn etwas passierte.

Ganz in der Nähe lag ein großer Gummiball, den jemand mitten im Spiel fallengelassen hatte. Ich schleuderte ihn über den Schulhof. Der Zombie sah zu, wie er über den Zementboden sprang und schließlich in ein Gebüsch rollte. Nicht dass diese Ablenkung groß war, aber immerhin gab sie Joey und Ziegelstein ausreichend Zeit, sich beim Rennen über den Schulhof einen Vorsprung zu verschaffen.

»Passt auf, dass alle Türen verschlossen sind«, sagte ich, sobald Joey und Ziegelstein in Sicherheit waren. »Ich suche mir irgendwas, womit ich den Zombie beschäftigen kann, bis meine Eltern kommen und ihn abholen.«

»Was denn zum Beispiel?«, wollte Milton wissen.

Ich schaute durch den Glaseingang hinter uns. »Mir fällt da gerade was ein.«

Während Sophie und Milton den Eingang sicherten, sprintete ich durch die Cafeteria. Direktor Sloanes Stimme dröhnte aus den Lautsprechern: »Zeugen haben berichtet, dass möglicherweise ein Zombie gesehen wurde. Alle Schüler und Lehrer werden aufgefordert, sofort die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen.«

Wir hatten in den vergangenen Jahren ab und zu mal eine Zombie-Übung gehabt, aber jetzt war es für die Schule zum ersten Mal Realität. Im Grunde genommen war die Übung nichts anderes als die Tornado-Übung oder die Übung zum Thema »Schreck-Duo hat eine Schlammlawine ausgelöst, die direkt auf uns zukommt«. Alle krochen unter ihre Tische. Und im Fall von Zombies schaute der Lehrer nach, ob die Türen abgeschlossen waren.

Zwischen den Horden aufgescheuchter Schüler schlängelte ich mich im Eiltempo durch die Cafeteria. Die Küchenfrauen kauerten unter den Tischen. Eine schrie und hielt ihren Pfannenwender wie ein Schwert.

»Wenn du Nachschlag willst, musst du später noch mal wiederkommen!«, rief sie.

»Deshalb bin ich nicht hier.« Ich schoss durch die hüfthohe Schwingtür, die in die Küche führte. »Ich brauche – das hier!«

Ein großer Topf mit Überraschungsfleisch stand auf dem Herd. Nachdem ich mir zwei Topflappen geschnappt hatte, die auf dem Boden lagen, hob ich den Bottich an und trug ihn durch die Cafeteria zurück.

Als ich den Ausgang zum Schulhof erreichte, blieb ich für eine Sekunde stehen. Durch die Glasscheibe sah ich den Zombie, der wie ein hawaiianischer Cowboy mit Sinn für teuren Schmuck aussah. Er trug eine Holzbank auf den Schultern und torkelte auf eine Fensterreihe zu. Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, was wohl passieren würde, wenn er durchs Fenster in einen der Klassenräume eindrang.

Milton öffnete die Tür, und ich trat mit dem Überraschungsfleisch nach draußen.

»Hey du!«, rief ich.

Der Zombie wandte sein Gesicht in meine Richtung, und ich spürte, wie mir ein Schauer den Nacken hinablief. Egal wie oft ich schon Zombies begegnet war, jeder Blickkontakt mit ihnen machte mir Angst.

Ich schluckte die Angst hinunter und trat einen Schritt nach vorn.

»Ich hab dir was mitgebracht!«, sagte ich und hielt den Topf Überraschungsfleisch hoch.

Der Zombie ließ die Bank fallen. Dann leckte er sich die Lippen, kam auf mich zu und wurde mit jedem Schritt immer schneller. Ich stellte den Topf auf den Boden, drehte mich um und rannte weg, ehe er eine Chance hatte, mich zu seinem Nachtisch zu machen.

Zum Glück hatte Sophie für den Notfall immer ihr Handy dabei. Und das hier war wirklich ein Notfall. Ich lieh es mir aus, um meine Eltern anzurufen, die sagten, sie würden so schnell wie möglich zur Schule kommen. Doch als ich wieder hinter der Tür war und den Zombie beobachtete, zweifelte ich, ob das schnell genug sein würde.

Der Zombie fasste in den Topf und zog eine Handvoll braune Pampe heraus. Nachdem er einmal daran geschnuppert hatte, machte er ein angewidertes Gesicht. Offensichtlich war auch er kein Fan von Überraschungsfleisch.

Nach wenigen Minuten war ihm sichtlich jedes Interesse an dem Zeug vergangen, das ich ihm hingestellt hatte. Er marschierte über den Schulhof zurück und schnappte sich wieder die Bank. Wenn meine Eltern nicht bald kamen, würde ihr Zombie ziemlichen Schaden anrichten.

Ich hatte eigentlich keine Lust, in meiner Mittagspause gegen einen Zombie zu kämpfen, doch inzwischen war er dicht vor dem Fenster, und ich sah keine andere Möglichkeit mehr, ihn aufzuhalten. Also öffnete ich die Tür erneut und trat auf den Schulhof. Doch weiter kam ich nicht.

Gerade als der Zombie die Bank hochstemmte, um sie ins Fenster zu schleudern, hallte ein Geräusch über den Hof, und ein kleiner Pfeil ragte aus dem Hals des Zombies. Der Zombie fasste mit einer seiner grauen Hände nach dem Pfeil, taumelte noch ein paar Sekunden umher, ehe er die Bank fallen ließ und zusammenbrach.

Ein paar Sekunden später senkten sich zwei Flugroller zwischen den Dächern herab und landeten auf dem Schulhof. Mom und Dad hatten ihre Uniform an, auch wenn ich sehen konnte, dass sie sich in großer Eile umgezogen hatten, denn Dad trug sogar noch seine Hausschuhe.

Mom schob ihr Betäubungsgewehr zurück in den Schaft und stieg dann von ihrem Roller. Mit einem kurzen Blick aus dem Augenwinkel erkannte sie mich auf der anderen Seite des Schulhofs. Dann machten sich Dad und sie an die Arbeit.

Der Zombie lag mit dem Gesicht nach unten im Gras und schnarchte laut. Sein Cowboyhut und die Brille lagen ein paar Schritte weiter. Während Mom die Beine anhob, zog Dad ein Netz darunter hindurch und wickelte es um den Zombie. Dann befestigte er das Netz an den Schutzblechen ihrer Roller.

Wie immer nach dem Umgang mit Zombies, zog Mom nach getaner Arbeit eine Flasche Desinfektionsmittel aus ihrem Mehrzweckgürtel und säuberte ihre Hände, ehe sie die Flasche an Dad weiterreichte. Danach stiegen sie wieder auf ihre Flugroller. Sie zählten bis drei, zogen gleichzeitig an den Lenkern ihrer Roller und stiegen nach oben.

Mit dem Zombie, der in seinem Netz zwischen ihnen hing, schwebten sie höher und höher, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

Es war nicht üblich für meine Eltern, eine Schule voller Kinder davor zu bewahren, von einem Zombie verschlungen zu werden. Und ich muss zugeben, dass ich stolz auf sie war. Ausnahmsweise waren meine Mom und mein Dad nicht die, die Chaos und Verwüstung anrichteten, sondern die, die die Welt ein bisschen sicherer machten.

Natürlich wäre der Zombie nie in die Schule eingedrungen, wenn er nicht vorher meinen Eltern entlaufen wäre.

Aber na ja – nobody is perfect.

Joshua Schreck: Fischer. Nur für Jungs
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