14

Jede Superkraft ist auf ihre Weise einzigartig.




Sophie hatte gesagt, dass ihre Superkraft eine Nebenwirkung hätte. Offenbar war es das, was sie meinte.

Das Glühen ihrer Haut war hell, fast blendend. Sie anzusehen war wie in eine brennende Glühbirne zu gucken.

Der Raufbold blieb stehen und richtete sein Hinterteil auf Sophie. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich mich in ein geröstetes Marshmallow verwandelt. Aber Sophie duckte sich unter die Flamme und packte das Roboterbein. Der Roboter stieß einen überraschten elektronischen Schrei aus, als Sophie das Bein abriss und wie einen Speer in den Körper des Raufbolds stieß.

Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gesehen hatte. Sophie hatte mir zwar erzählt, dass sie übermenschliche Stärke besaß, aber das hier ging weit über alles hinaus, was ich mir je hätte vorstellen können. Als ich sie einholte, leuchtete sie so hell, dass es mir schon in den Augen wehtat, sie nur anzusehen. Und doch konnte ich nicht wegschauen.

»Ich muss ziemlich komisch aussehen.« Ihre Stimme klang zittrig. »Passiert aber nur, sobald ich meine Superkraft einsetze. Normalerweise … lass ich das nie jemand anderen sehen.«

»Ist schon okay«, sagte ich. »Wirklich. Ich war nur irgendwie –«

»Überrascht zu entdecken, dass deine Projektpartnerin der Unglaubliche Hulk ist?«

»Also, genau genommen ist der Unglaubliche Hulk grün«, stellte ich klar. »Du bist eher das Unglaubliche Glühwürmchen.«

Sophie warf mir gerade einen wütenden Blick zu, als ein Schrei die Luft zerriss.

»Hiiilfeee!«

Milton rannte an einem Telefonmast vorbei, dicht gefolgt von einem Raufbold. Der Roboter schoss eine Feuersalve ab, und der Mast ging in Flammen auf.

Sophie und ich liefen zu Milton. Der Raufbold hatte ihn gegen ein Auto gedrängt. Jetzt riss er sein stählernes Maul auf und biss ein Stück aus Miltons Rucksack. Gerade als er zum zweiten Mal zubeißen wollte, streckte Sophie ihre beiden glühenden Hände aus und riss dem schrecklichen Ding den Kopf ab, als wäre der Raufbold eine zu groß geratene Spielzeugpuppe.

Der kopflose Roboter schwankte einen Moment lang, ließ einen letzten Feuerstoß aus seinem Hintern fahren und brach dann zusammen.

»Bist du okay?«, fragte Sophie Milton.

Er sah uns mit großen Augen an. Eisen- und Betonstücke hingen ihm in den Haaren. Und er sprach mit schwacher, verwirrter Stimme.

»Ich. Wollte. Doch. Nur. Spiralförmige. Fritten.«

Er klang eindeutig ein bisschen durch den Wind, aber ich ging davon aus, dass er sich wieder einkriegen würde.

Milton stieß mich mit dem Ellenbogen an. »Glüht … sie?«

Ich nickte.

»Okay.« Er klang ein wenig erleichtert. »Wenigstens siehst du es auch.«

»Los«, sagte Sophie. »Wir müssen zum Football-Feld.«

»Wieso?«, fragte ich. Der Beton bebte erneut. Weitere Raufbolde kamen überall um uns herum aus dem Boden.

»Da holt uns Stanley ab.«

»Wer ist Stanley?«

»Unsere Mitfahrgelegenheit.«

Wir sprinteten über den Parkplatz und wichen den Raufbolden aus, die aus dem Boden krabbelten.

»Nur so aus Neugier«, sagte Milton schwer atmend vom Laufen. »Was war das vorhin? Sah nämlich so aus, als ob du« – er drehte sich zu mir um – »als ob du aus dem Nichts eine Explosion gezaubert hättest. Und du« – er wandte sich jetzt an Sophie – »hast diesem Killer-Roboter-Insekt einfach den Kopf abgerissen?«

Sophies einzige Reaktion war, dass sie zu einer Stelle vor uns auf dem Parkplatz deutete, wo sich schon wieder ein Raufbold aus dem Boden erhob. Ohne abzubremsen, holte sie mit dem Fuß aus und kickte dem Ding seinen Kopf vom Leib.

»Bin ich hier der Einzige ohne Superkraft?«, fragte Milton.

Wir liefen weiter. Das Football-Feld kam näher. Das Tor war abgeschlossen, aber ich nahm an, dass wir schon eine Lösung finden würden, wenn wir erst dort waren. Die Raufbolde kamen immer näher.

Am Eingangstor zum Football-Feld hing ein Schild, auf dem stand:

ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN

»Ich erledige das«, sagte ich.

Dann packte ich das Schloss, machte die Augen zu und versuchte auch sämtliche Geräusche auszublenden. Meine Konzentration verflog, als plötzlich Sophies Stimme zu mir durchkam.

»Willst du wirklich nicht, dass ich dir helfe?«, fragte sie.

»Gib mir eine Sekunde«, antwortete ich. »Ich schaff das schon.« Ich wollte beweisen, dass ich es schaffte – sowohl ihr als auch mir.

Als ich das Gefühl spürte, das über mich kam – fremd und vertraut zugleich –, schloss ich erneut die Augen. Ein Kribbeln in den Fingern. Das Pochen meines Herzens. Plötzlich fühlte sich das Schloss in meiner Hand an wie ein Topf kochendes Wasser, doch ich ließ nicht los, bis ich das Geräusch von berstendem Eisen hörte. Das Schloss flog auseinander, und das Tor schwang auf.

Wir drängten uns durch den Eingang und liefen weiter, unter der Tribüne hindurch auf das Football-Feld. Hinter mir hörte ich ein Geräusch, das mir einen Angstschauer über den Rücken jagte. Die Raufbolde waren durch den Zaun geprescht. Sie stürmten hinter uns her den Hang hoch.

»Bist du sicher, dass deine Mitfahrgelegenheit rechtzeitig kommt?«, fragte ich.

»Keine Sorge«, antwortete Sophie. »Stanley wird da sein.«

»Hat er gesagt, wann er vorhat, hier aufzukreuzen?« Milton schaute nervös nach hinten, als die ersten Raufbolde aufs Spielfeld drängten.

»Da ist er!«, rief Sophie und zeigte nach oben.

Über uns senkte sich ein schwarzer, schwebender SUV in Richtung der Spielfeldmitte herab. Als er den Boden berührte, wirbelten an den Seiten des Wagens Grashaufen und Staub auf.

Wir rannten los. Das Geräusch der Raufbolde folgte uns, ihre scharfen Beine und flammenden Hintern verwandelten das Football-Feld in ein Katastrophengebiet.

Die Türen des fliegenden SUV schwangen auf. Milton war als Erster drin. Dann Sophie. Ich sprang hinterher und landete auf den beiden. Die Tür schloss sich. Und im nächsten Moment krachte ein Raufbold von außen gegen das Auto. Es gab einen dumpfen Schlag, doch der SUV hielt stand.

»Keine Angst«, sagte Sophie. »Das ganze Fahrzeug ist titanverstärkt und gepanzert. Da kommt nichts durch.«

Sie hatte recht. Der SUV wackelte zwar ein bisschen, aber mehr konnten die Raufbolde nicht ausrichten. Es war, als würde man durch eine Waschanlage fahren. Nur dass unser Wagen nicht von Lappen und Bürsten, sondern von Flammenstößen und scharfen Stahlbeinen umgeben war.

Etwas bewegte sich auf dem Fahrersitz. Mein Herz sprang mir in die Kehle, als ich sah, dass es einer der Roboter in unser Auto geschafft hatte.

»Guten Tag, Kinder.«

Ich brauchte noch einen Sekundenbruchteil, ehe ich begriff, was los war. Das Ding auf dem Fahrersitz war zwar ein Roboter, aber keiner von denen, die uns angegriffen hatten. Er hatte ein silberfarbenes menschenähnliches Gesicht und perlmuttfarbene Glupschaugen. Außerdem trug er eine Chauffeursmütze und einen schwarzen Anzug.

»Jungs«, sagte Sophie. »Das ist Stanley. Mein Butler, Fahrer und Bodyguard. Alles in einem.«

Es war das erste Mal, dass ich einem robotermäßigen Butler/Fahrer/Bodyguard begegnete, deshalb wusste ich nicht so recht, wie ich mich verhalten sollte.

»Ähm … hi«, sagte ich.

»Yo«, grüßte Milton.

Der SUV schaukelte weiter hin und her von dem Ansturm der Raufbolde draußen.

»Danke, dass du so kurzfristig kommen konntest, Stanley«, sagte Sophie. Ihre Haut verlor jetzt langsam wieder ihr Glühen. »Wir müssen irgendwohin, wo diese Dinger uns nicht mehr angreifen können. Irgendwohin, wo es sicher ist.« Sie zögerte einen Moment, dann meinte sie: »Bring uns zurück nach Hause, Stanley.«

»Sehr gern, Miss Saubermann.«

»Hat er dich gerade … Miss Saubermann genannt?« Milton schaute von Sophie zu Stanley und wieder zurück. Ich konnte sehen, wie sich die Puzzleteile in seinem Kopf zusammenfügten. Die ganzen Gerüchte, die wir von den Cafeteria Girls gehört hatten, die Superkraft, das titanverstärkte Auto. »Heißt das, du bist …?«

Sophie nickte.

»Und dein Dad …«

Sophie nickte erneut.

»Und wir landen gleich …?«

Sophie nickte weiter.

Miltons Augen wurden groß. Die ganzen Captain-Saubermann-Sammelkarten, die er mit sich herumschleppte, seine Captain-Saubermann-Bettwäsche, die Ausgaben der Zeitschrift Superknüller mit Captain Saubermanns Gesicht auf dem Cover. Und jetzt saß Milton auf einmal mit der Tochter des Superhelden zusammen im selben schwebenden SUV.

Es war ein Traum, der Wirklichkeit wurde.

Ich war nicht ganz so begeistert. Während noch immer Flammen gegen die feuerfesten Scheiben schlugen, dachte ich an all die Dinge, die meine Eltern über Captain Saubermann gesagt hatten. Dass er ein ahnungsloser Weltverbesserer war. Einer, der sich an die großen Konzerne verkauft hatte. Ihr Todfeind.

Und jetzt waren wir auf dem Weg zu seinem Haus.

Joshua Schreck: Fischer. Nur für Jungs
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