39
Die Steinmauern der Cave Springs Primitive Baptist Church und der gesprengte Tunnel jagten mir einen Schauder der Erinnerung über den Rücken, und ich erwischte mich dabei, wie ich überlegte, ob es wirklich so klug war, was wir da vorhatten. Ich wollte das gerade sagen, als Art mir auf die Schulter tippte und auf das Haus neben der Kirche zeigte. Auf dem verwitterten abgeflachten Schaukelstuhl saß völlig reglos eine siebzigjährige Ausführung von Tom Kitchings. Das Haar des Mannes war weiß, sein Gesicht zerfurcht und ledrig, doch die Knochenstruktur darunter und der charakteristische Zug um die Augen verrieten uns mit einer Genauigkeit, die der eines DNA-Tests entsprach, dass er der Vater des Sheriffs war.
Ich lenkte den Wagen über den gekiesten Parkplatz, hielt vor dem ausgetretenen Weg zu den Verandastufen und stieg aus. Art folgte mir. Wir blieben am Fuß der Stufen stehen. Die Gewitterfront zog näher, mächtige Eichen warfen ihre Kronen hin und her wie Schösslinge, Laub wirbelte über den Hof.
Ich hob die Stimme, um den Wind zu übertönen. »Reverend Kitchings?« Der Mann sagte weder etwas, noch rührte er sich. »Reverend Kitchings, ich bin Dr. Bill Brockton. Dies ist mein Freund Art Bohanan. Wir sind aus Knoxville. Ihr Sohn Tom hat mich gebeten, ihm bei der Aufklärung eines Falls hier oben zu helfen.«
Er hob die Oberlippe und spuckte einen Klumpen Tabaksaft in den Hof. Der Wind fing ihn auf und zerstob ihn. »Und, haben Sie?«, rief er.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, haben Sie? Haben Sie ihm geholfen?«
»Nun, es ist ein kniffliger Fall, aber ich habe mein Bestes getan.«
Er spuckte wieder, diesmal mit dem Wind in meine Richtung, und ich spürte den feuchten Nebel über mein Gesicht streichen. »Mister, bevor Sie hier geholfen haben, hatte ich noch zwei Jungen. Jetzt habe ich noch einen. Wie wäre es, wenn Sie aufhören zu helfen und von hier verschwinden, bevor meinem anderen Jungen auch noch was passiert.«
Ich warf Art einen Blick zu. Er sah mich an und hob beide Augenbrauen, was im Augenblick wenig hilfreich war. So eine Konfrontation war gar nicht so leicht, wie ich gedacht hatte. »Mr. Kitchings, das mit Orbin tut mir leid, ehrlich. Ich habe meine Frau verloren, also kann ich mir den Schmerz vorstellen, den Sie empfinden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich nichts mit seinem Tod zu tun habe.«
»Den Teufel haben Sie!«, fuhr er auf. »Sie kommen hierher und stecken die Nase in Sachen, die Sie nichts angehen, und fangen an, in Dingen herumzuwühlen, die Sie nichts angehen, und Sie wollen mir was versichern? Verschwinden Sie von meinem Grund und Boden, oder ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihnen Beine mache, Doktor hin oder her.«
Schließlich ergriff Art das Wort. »Reverend? Diese Dinge, in denen der Doktor herumgewühlt hat. Haben Sie Angst, es könnte etwas hochkommen? Vielleicht haben Sie etwas zu verbergen, Reverend? Vielleicht ein schmutziges kleines, dreißig Jahre altes Geheimnis? Vielleicht ein bisschen schmutzige Wäsche, die auch etwas mit Ihrer Nichte zu tun hat?«
Kitchings stand auf. Er streckte einen knochigen Arm aus und zeigte mit einem krummen Finger auf den Horizont in Richtung Knoxville. Die Hand zitterte – vor Wut? Oder nur vor Schwäche?
»Wie hieß das Mädchen noch?«, fuhr Art hartnäckig fort. »Gina? Nein, Leena, so hieß sie, nicht wahr? Sie war ein sehr hübsches Mädchen, nicht wahr, Reverend? Groß. Blond. Lebhaftes Ding, sagen die Leute, mit richtig schwungvollen Schritten.« Art machte sich daran, die Stufen hochzusteigen. »Ich habe hier ein Foto von ihr.« Art langte in seine Hemdtasche, holte das Foto heraus und betrachtete es eindringlich. »Ja, Sir, sie war wirklich eine Schönheit. Sie kam sehr nach ihrer Mutter, nicht wahr, Reverend? Sophie? Die Schwester, die Sie eigentlich heiraten wollten.«
Der alte Mann hob auch noch die andere Hand und hielt beide Hände jetzt vor sich ausgestreckt. Doch jetzt zeigte er nicht mehr irgendwohin, jetzt schützte er sich; die Handflächen waren nach außen gerichtet, als wollte er eine drohende Kollision oder einen schrecklichen Geist abwehren. »Kommen Sie nicht näher. Bleiben Sie weg.«
Art nahm eine Stufe nach der anderen, drehte das Foto langsam um und hielt es Kitchings hin. Der alte Mann zuckte zurück wie ein Vampir, dem man ein Kreuz entgegenstreckt. »Muss wirklich schwer für Sie gewesen sein, als das Mädchen zu Ihnen ins Haus kam«, sagte Art. »So jung und so hübsch. So ähnlich der Frau, die Sie immer noch liebten, selbst nachdem Sie ihre hausbackene Schwester geheiratet hatten.« Kitchings schüttelte langsam den Kopf, doch sein Blick war fest auf das Foto gerichtet. »Ich wette, Sie haben nachts von ihr geträumt, nicht wahr, Reverend? Am Tag für sie gebetet und in der Nacht von ihr geträumt.«
Art war fast auf der obersten Stufe angelangt. »Dann hat sie was mit diesem O’Conner-Jungen angefangen. Hat Sie das die Grenze überschreiten lassen, Reverend? Zu wissen, dass Sie sie auch verlieren würden? Zu wissen, dass ein anderer Mann – einer aus der verhassten O’Conner-Familie – dabei war, diese junge Frau zu pflücken, die Sie die ganze Zeit am Stock hatten reifen sehen?«
Art trat auf die Veranda, das Foto auf Armeslänge vor sich schwenkend wie eine Waffe. Ich dachte daran, wie er das Foto im Fingerabdrucklabor im Polizeirevier von Knoxville gehalten hatte, das brennende Foto des Verdächtigen in seinem Entführungsfall, und ich bewunderte, mit welcher Macht er Fotos ausstatten konnte. Vielleicht hatten die Indianer ja recht: Vielleicht fing die Kamera tatsächlich ein Stück der Seele ein.
»Als Ihnen klar wurde, dass sie Jim O’Conner heiraten würde, haben Sie dieses Mädchen gezwungen, nicht wahr, Reverend? Sie war noch Jungfrau, aber das wussten Sie, nicht wahr? Das war Teil der Versuchung, nicht wahr?« Kitchings stand jetzt mit dem Rücken an der Hauswand und warf den Kopf von einer Seite auf die andere, als prasselten die Worte auf sein Gesicht ein wie Schläge. Ich dachte daran, wie Art Jack Nicholson und Faye Dunaway nachgemacht hatte – sie war meine Nichte; sie war meine Geliebte; sie war meine Nichte und meine Geliebte. »Hat sie geweint, Reverend? Hat sie Sie angefleht, es nicht zu tun, oder war sie zu stolz, um zu flehen? Wie haben Sie es gemacht? Haben Sie sie geschlagen? Haben Sie ihr ein Messer an die Kehle und eine Hand auf den Mund gehalten?« Während Art unbarmherzig näher trat, rutschte der alte Mann langsam an der Wand herunter. Die Knie gaben unter ihm nach. »Und als Sie Ihren Samen in sie ergossen hatten, Reverend – in Ihre eigene Nichte, Reverend –, haben Sie sie da gebeten, Ihnen zu verzeihen? Oder haben Sie nur zu Gott gebetet, dass Sie nicht erwischt werden?« Kitchings hockte jetzt zu Arts Füßen, atmete schwer und schluchzte. »Und Monate später, Reverend – als man allmählich sah, dass sie schwanger war –, was hat Gott da gesagt, als Sie die Hände um ihre Kehle gelegt und zugedrückt haben?«
»Nein«, flüsterte er. »Oh, Gott der Herr, nein.«
Ich hielt die Luft an. Die beiden Männer auf der Veranda rührten sich nicht. Selbst der Wind schien die Luft anzuhalten, denn plötzlich senkte sich eine unheimliche, spannungsgeladene Stille über uns, als wartete der ganze Kosmos darauf, was als Nächstes geschah. Und in dieser plötzlichen Stille hörte ich das unverwechselbare Klicken einer Schrotflinte, die aufgeklappt wurde und dann wieder einrastete.
»In Ordnung, Mister, Sie treten jetzt zurück«, sprach eine näselnde weibliche Stimme, die ich von meinem Gespräch mit Mrs. Kitchings kannte. Die Fliegengittertür öffnete sich quietschend gegen ihre rostige Feder und schlug klappernd wieder zu, als Mrs. Kitchings aus dem Haus auf die Veranda trat. »Nehmen Sie die Hände hoch«, sagte sie zu Art, ihre Worte mit der Schrotflinte unterstreichend. »Sie auch«, fügte sie hinzu und richtete die gähnenden Zwillingsläufe auf mich.
Ich stand wie angewurzelt da, zu verblüfft, um mich zu rühren. Sie hob das Gewehr an die Schulter. Ihr Mund verzog sich zu einer dörrpflaumenähnlichen Grimasse. Aus einem der beiden Läufe löste sich ein Schuss, und ich spürte einen sengenden Wind an meinem rechten Ohr vorbeizischen. Hinter mir hörte ich, wie die Windschutz-Scheibe meines Pick-ups barst. »Ich habe gesagt, Sie sollen die Hände hochnehmen. Mit dem nächsten Schuss puste ich Ihnen die Birne weg. Eins. Zwei.« Ich hob die Arme.
»Und jetzt gehen Sie beide da rüber ans Ende der Veranda. Los jetzt.«
Ich tat wie geheißen und stieg die Stufen hinauf wie zu einem Galgen. Art trat neben mich.
Der alte Mann mühte sich auf die Füße und humpelte auf seine Frau zu. Er streckte die Hand nach der Flinte aus und sagte: »Vera …« Der Lauf erwischte ihn genau am rechten Wangenknochen. Das Korn schrammte über die Haut und riss einen tiefen, ausgefransten Schnitt, der sofort anfing zu bluten. Er taumelte rückwärts gegen das Geländer der Veranda, eine Hand an die Wange gedrückt. »Vera …«
»Du hältst das Maul. Da rüber zu den beiden.«
»Vera, hör mir zu.«
»Nein. Nein! Jetzt hörst du mir mal zu, du erbärmliches Stück Scheiße, und bewegst deinen Arsch zu den beiden da rüber.« Kitchings sackte in sich zusammen und kam mit schlurfenden Schritten neben mich. »Dreißig Jahre lang habe ich deinetwegen Gift geschluckt, Thomas Kitchings, und jetzt habe ich genug. Es reicht, es reicht jetzt. Das hat hier und jetzt ein Ende. Ich lasse mir nichts mehr gefallen, und ich werde auch nicht mehr lügen. Dieser Schlamassel zerstört unser Leben. Er hat Orbin umgebracht, und er wird auch Tom noch umbringen, aber das lasse ich nicht zu. Genug ist verdammt noch mal genug.«
Art räusperte sich. »Mrs. Kitchings, wenn Sie bitte die Waffe runternehmen, dann können wir in aller Ruhe darüber reden.«
»Ich will aber nicht in aller Ruhe darüber reden«, sagte sie. »Ich habe viel zu lange geschwiegen. Ich war mein ganzes Leben lang ruhig, und sehen Sie, was aus mir geworden ist.« Sie schaute sich um, als überblickte sie die Trümmer ihres Lebens; dann schüttelte sie mit glühenden Augen den Kopf.
»Mrs. Kitchings, ich weiß, dass das im Augenblick schlimm aussieht, aber es ist nicht hoffnungslos«, drängte Art. »Mit einem guten Anwalt – Dr. Brockton hier kennt ein paar gute Anwälte – kann Ihr Mann durch ein Schuldbekenntnis eine milde Strafe erreichen. Wenn er sich auf Körperverletzung mit Todesfolge beruft, kann er in zwei oder drei Jahren wieder draußen sein.«
Sie starrte Art an, als wäre er völlig durchgeknallt. »Eine milde Strafe erreichen? Körperverletzung? Wovon zum Teufel reden Sie da?«
»Das Mädchen. Ihre Nichte. Sie wurde umgebracht. Erwürgt.«
»Thomas hat das Mädchen nicht erwürgt.«
Endlich fand ich meine Stimme wieder. »Mrs. Kitchings, wir haben sehr viel herausgefunden, als wir ihre Leiche untersucht haben. Wie Ihr Sohn schon sagte, war Ihre Nichte schwanger.«
»Zum Teufel, dass sie schwanger war, wusste ich schon vor dreißig Jahren. Für wie blöd halten Sie mich eigentlich?«
»Nein, Madam, ich halte Sie nicht für dumm«, sagte ich. »Ich wollte nur … Ich bin mir nur nicht sicher, ob Sie alle Fakten kennen. Kurz nachdem man die Schwangerschaft allmählich sah, wurde Ihre Nichte erwürgt.«
»Das weiß ich auch.«
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, Ihr Mann …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe und was ich nicht gesagt habe. Ich habe nicht gesagt, sie wurde nicht erwürgt. Ich habe gesagt, dass er es nicht war.«
Ein zutiefst beunruhigender Gedanke kroch aus meinem Hinterkopf. Ich schob ihn beiseite, doch er war prompt wieder da. »Mrs. Kitchings, wie können Sie sich sicher sein, dass er es nicht war?«
Sie starrte mich wütend an. »Weil ich es war.«
»Nein!«, schrie der alte Mann.
»Oh doch«, zischte sie ihm zu. »Ja! Ich habe sie umgebracht.«
»Aber es war ein Fieber«, sagte er. »Ich bin von einem Jagdausflug zurückgekommen, und da war sie tot. Du hast gesagt, mit dem Baby sei etwas nicht in Ordnung gewesen, und sie hätte Fieber bekommen und wäre gestorben.«
»Und du hast behauptet, du hättest das Mädchen nicht angefasst, und ich wusste, dass das eine gottverdammte Lüge war. Also habe ich dich auch angelogen, und seither lügen wir uns was vor, wir beide. Und schau, wohin es uns gebracht hat.«
Art machte einen winzigen Schritt auf sie zu. »Kann ich Sie etwas fragen, Mrs. Kitchings?« Er wartete nicht auf eine Antwort. Sein Tonfall war ein wenig neugierig. »Leena war eine ziemlich große junge Frau. Sie war sicher sehr stark. Wie konnte eine zierliche Frau wie Sie ein strammes Mädchen wie Leena überwältigen?«
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich bin nicht dumm. Sie war krank – sie hatte tatsächlich Fieber –, also habe ich ihr Tee mit Honig und Zitrone gegeben. Ich habe auch ein bisschen Whiskey reingetan. Einen ordentlichen Schuss. Sie bekam einen kleinen Schwips, und da fing sie an zu weinen und hat mir alles erzählt …« Sie schien den Faden zu verlieren oder ihre Entschlossenheit, doch dann schob sie den Unterkiefer vor und riss sich wieder zusammen. »Sie hat mir erzählt, was er ihr angetan hat. Ich wollte es gar nicht wissen – ich hatte etwas in der Art befürchtet, seit sie bei uns eingezogen war. Also hatte ich sie nie nach irgendwas gefragt, aber dann ist sie hingegangen und hat es mir von sich aus erzählt.«
Ihr Blick war weit in die Ferne oder zurück in die Vergangenheit gerichtet. »Ich habe auch ein bisschen Whiskey getrunken, und dann habe ich ihr noch was gegeben und noch was, und während sie weinte und trank, habe ich geweint und nachgedacht. Darüber nachgedacht, dass mein Mann mich eigentlich nie geliebt hat und dass ich zuerst die Tochter meiner Schwester unter mein eigenes Dach holen musste, bevor ich die Wahrheit erkennen konnte. Und ich dachte: ›Zur Hölle mit dir, Thomas Kitchings, und zur Hölle mit dir, du hübsches Mädchen, und auch zur Hölle mit dir, du ungeborener Bankert.‹ Und als sie eindöste, da hab ich’s getan.«
Jetzt war ich völlig verdutzt. »Aber wie haben Sie sie den ganzen Weg in die Höhle geschafft?«
Eine todunglückliche Stimme neben mir sagte: »Das war ich. Gott steh mir bei, aber ich habe sie dort hingebracht.«
Mrs. Kitchings lachte bitter auf. »Ich habe ihm gesagt, er solle sie besser begraben, sonst würde sie sich womöglich noch ein Arzt ansehen, und das würde dann sehr viel Schmach und Schande über uns bringen, und er würde auf jeden Fall seine Gemeinde verlieren. Zum Teufel, ich wusste doch nicht, dass er sie auf einem Altar in so einer unterirdischen Kapelle aufbahren und dann auch noch immer wieder hingehen und sie sich ansehen würde. Thomas, ich wünschte, ich hätte sie nach draußen geschleift, damit die Hunde sich an ihr gütlich tun.« Er riss die Augen weit auf vor Entsetzen. »Du selbstgerechter Scheinheiliger. Jeden Sonntag da oben auf der Kanzel darüber predigen, sich im Blut des Lammes zu waschen und dem Pfad der Tugend zu folgen, und die ganze Zeit liegen deine tote Nichte und dein Bankert von einem Kind keine zweihundert Meter weit weg.«
Sie schüttelte den Kopf und spuckte aus, dann nahm sie einen kurzen Augenblick die Hand vom Abzug und holte eine weitere Schrotpatrone aus einer Schürzentasche, ohne die Augen von uns zu wenden. Sie klappte die Flinte auf, um nachzuladen, was sie auf meine Windschutzscheibe abgefeuert hatte. Ich warf einen Blick zu Art hinüber – das Nachladen schien mir kein gutes Zeichen zu sein – und bemerkte eine leichte Anspannung seiner Muskeln. Sie fummelte an der Patrone herum und schaute auf das Gewehr hinunter, wandte den Blick nur einen Sekundenbruchteil von uns ab, doch das war die Gelegenheit für Art. Er sprang vor, packte das Ende des Laufs und wand ihr die Flinte aus den Händen. Sie stürzte sich auf Art, doch ihr Mann trat zwischen die beiden und umschlang sie mit seinen kräftigen Armen. Sie kämpfte noch einen Augenblick, dann sank sie in seinen Armen zusammen. Ich stand reglos da, die Hände noch hoch in der Luft, zu überwältigt, um sie herunterzunehmen.
»Das ist ja rührend«, kam eine Stimme aus der entfernten Ecke der Veranda. »Werdet ihr euch jetzt alle küssen und wieder vertragen?« Leon Williams trat in Sicht, einen Unterhebelrepetierer in der rechten Armbeuge, den Lauf schräg über die Brust. »Wie geht’s, Doc? Art.«
Ich ließ meine schmerzenden Arme sinken. »Wir hätten Sie fünf Minuten früher hier brauchen können«, sagte ich und trat auf ihn zu. Art legte mir die Hand auf den Arm. Williams hob das Gewehr und spannte den Hahn. »Nehmen Sie die mal schön wieder hoch, Doc. Art, Sie legen die Schrotflinte da ganz vorsichtig zu Boden und schieben sie mit dem Fuß in meine Richtung, ja?«
Art schüttelte angewidert den Kopf, die Schrotflinte hing offen und nutzlos in seiner linken Hand. Er bückte sich und legte sie auf die Dielen, dann schubste er sie zu Williams hinüber. Der trat mit einem Fuß auf den Schaft. Arts Stimme überraschte mich mit ihrer Festigkeit. »Das wächst lawinenartig an, was, Deputy? Wie viele Leute wollen Sie noch umbringen?« Ich starrte Art an, der wiederum auf Williams’ Gewehr starrte. »Nicht besonders klug, dasselbe Gewehr mitzubringen, mit dem Sie auch Orbin erschossen haben, Leon. Das ist ein Marlin 336, nicht wahr? Schießt Winchester-Munition Kaliber .30-30, wenn ich mich nicht irre. Wird den Ballistikern nicht schwerfallen, es mit der Kugel abzugleichen, die Bill letzte Nacht aus Orbins Hirn gepult hat.« Es war keine Kugel in Orbins Hirn gewesen, nur ein geschmolzener Bleiklumpen auf dem Boden des Hubschraubers – Art improvisierte mal wieder –, doch Williams wurde plötzlich nervös.
»Übrigens«, sagte Art, »mit was für einer Patrone haben Sie denn den früheren Sheriff erschossen? Den Kerl, der vor ein paar Jahren bei einer Schießerei ums Leben kam, als ein Drogenring aufflog? War das auch Kaliber .30-30, Leon? Sie ballern schon eine Weile in der Gegend herum für den Job des Sheriffs, was?« Die Kiefermuskulatur des Deputys arbeitete angestrengt. »Sie sollten die Sache nicht noch schlimmer machen, als sie schon ist, und einen Handel abschließen, solange Sie noch können.«
Williams schüttelte den Kopf. »Ich hatte nie ’ne Chance«, sagte er. »Keine richtige. Nicht in diesem Land; nicht wo Leute wie die da alles in der Hand haben.« Er zeigte mit dem Gewehrlauf auf Mr. und Mrs. Kitchings. »Der Vater von dem Mann da hat meinen Opa unter falschen Anschuldigungen ins Gefängnis gesteckt und ihn dann bei dem Brand darin sterben lassen.« Er machte einen Schritt auf das alte Paar zu. »Wer hat euch zu den Herren von Cooke County gemacht? Na, sagt schon, wer? Eure Familie behandelt meine Familie wie Dreck, solange wir uns erinnern können. Und unsere Erinnerung reicht verdammt weit zurück.«
Der alte Mann hatte gebeugt und gebrochen gewirkt, seit Art ihm so zugesetzt hatte. Jetzt richtete er sich auf, und in seinen Augen blitzte ein Feuer auf. »Dann erinnert ihr euch aber nicht so weit zurück, wie ihr solltet. Ihr seid doch schon stolz, wenn ihr euch an den Bürgerkrieg und die verdammte Bürgerwehr erinnern könnt. Deine Leute sind herumgaloppiert, haben die Rebellen-Flagge geschwenkt, Essen gestohlen, Scheunen niedergebrannt und Leute umgebracht, die nichts wollten, als am Leben zu bleiben. Ihr seid herumstolziert, als würdet ihr eure patriotische Pflicht tun. Ach, Scheiß drauf. Wenn man euch behandelt hat wie Menschen zweiter Klasse, dann war das genau das, was ihr verdient hattet. Ihr wart damals schon gewöhnlich, und das seid ihr heute noch. Einfach … gewöhnlich.« Er spuckte das Wort mit so viel Verachtung und Geringschätzung aus, dass es irgendwie zur scheußlichsten Verunglimpfung wurde, die mir je zu Ohren gekommen war.
Auch in Williams’ Ohren hatte es wohl sehr unschön geklungen, denn ich sah, dass er die Zähne zusammenbiss und dass seine Nasenflügel bebten. Der Lauf des Jagdgewehrs ruckte in Richtung des Priesters. Ich machte den Mund auf, um etwas zu rufen – eine Warnung, einen Einspruch, einen formlosen Schrei, ich weiß nicht, was –, doch bevor ich etwas herausbrachte, krümmte der Deputy den Finger, und das Gewehr krachte los. Reverend Kitchings keuchte auf und stürzte zu Boden, seine Frau konnte ihn nicht halten. Alle waren einen Augenblick wie erstarrt, und dann durchdrang das hohe, markerschütternde Jammern von Mrs. Kitchings die Luft.
Als Williams repetierte, um eine weitere Patrone aus dem Magazin des Gewehrs nachzuladen, stürzte Art sich auf ihn. Williams schwenkte das Gewehr, und der Schaft traf Art am Wangenknochen. Er taumelte und stürzte auf Hände und Knie.
Ich wandte ebenso entsetzt wie angewidert den Blick ab. Und da sah ich am südlichen Horizont einen kleinen schwarzen Punkt. Der Wind brauste wieder von Norden und übertönte das Geräusch, doch ich hatte in den letzten Tagen genügend Hubschrauber gesehen, um zu wissen, was dieser kleine schwarze Punkt war. Wer da herangeflogen kam und aus welchem Grund, war mir ein Rätsel. Aber ich betete, dass der Wind sein Näherkommen übertönte, bis jemand aus dem Hubschrauber einen Schuss auf Williams abfeuern konnte. Aber würden sie das machen, selbst wenn sie die Gelegenheit bekamen? Der Mut verließ mich, als mir klar wurde, dass der Deputy – die einzige Person in der Uniform eines Beamten der Strafvollstreckungsbehörde – wahrscheinlich der Letzte war, auf den ein anderer Beamter schießen würde. Ich schaute zur Veranda hinüber zu Art – immer noch auf Knien – und bemerkte, dass sein Blick kurz zum Horizont huschte und ein Zeichen von Hoffnung verriet. Auch er hatte den Hubschrauber gesehen.
Jetzt konnte es nur noch darum gehen, Zeit zu schinden und Williams für wenige entscheidende Augenblicke abzulenken. Vielleicht konnten wir, wenn der Hubschrauber erst gelandet war, um Hilfe oder wenigstens irgendeine Erklärung rufen. Wenn wir niedergeschossen wurden, konnte vielleicht einer von uns noch hervorbringen, dass Williams Orbin und den Reverend erschossen hatte. »Ich begreife nicht, wie Sie erwarten können, damit durchzukommen«, sagte ich laut. »Sie müssen uns alle erschießen, und das wird der Kriminalpolizei mächtig verdächtig vorkommen.«
Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Nee, die finden das höchstens tragisch«, sagte er. »Ich habe Sie gewarnt, sich von Mr. und Mrs. Kitchings hier fernzuhalten. Außer sich vor Trauer, hat Reverend Kitchings Sie für den Tod von Orbin verantwortlich gemacht und Sie erschossen. Wenn ich doch nur dreißig Sekunden eher gekommen wäre.« Während er das sagte, bückte er sich, griff mit der linken Hand nach der Schrotflinte, die rechte Hand blieb dabei am Abzug des Gewehrs, das er in der Armbeuge hielt. »Als der Reverend nachlud und auf mich zielte, hatte ich keine andere Wahl, als ihn zu erschießen.« Er unterbrach sich, um zu überlegen, wie seine Geschichte weitergehen würde. »Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als er stürzte und seine Frau nach der Schrotflinte griff und sie auf mich richtete. Es hat mir das Herz gebrochen, eine alte Frau erschießen zu müssen, aber was sollte ich tun?« Er schaute von dem Gewehr auf die Schrotflinte und wieder zurück, als überlegte er, welche Mordwaffe er zuerst einsetzen sollte. Schließlich schien er zu einer Entscheidung zu kommen, denn er legte die Schrotflinte wieder ab, hob das Jagdgewehr an die Schulter und zielte auf Mrs. Kitchings.
Der Hubschrauber war jetzt verlockend nah – kaum mehr als hundert Meter –, und er würde ihn jede Sekunde hören. Sein Finger schloss sich um den Abzug. »Nein!«, schrie ich verzweifelt. »Ich will nicht sterben! Töten Sie uns nicht! Bitte, töten Sie uns nicht. Tun Sie’s nicht! Bitte nicht! Nein!« Er zögerte, starrte mich, aus dem Konzept gebracht, verärgert an, dann verlagerte er das Gewicht und richtete den Lauf auf mich. Doch es war die falsche Waffe – Art und mich wollte er ja mit der Schrotflinte erschießen –, und er zögerte.
In diesem Augenblick senkte sich eine Bell LongRanger mit dem FBI-Emblem auf den Parkplatz. Noch bevor sie landete, flog eine Tür auf, eine Gestalt sprang heraus und kam schreiend auf das Haus zugerannt. Williams wirbelte erstaunt herum. »Waffe!«, schrie Art. »Auf der Veranda! Er hat ein Gewehr!«
Trotz zwanzig Dienstjahren, zwanzig Kilo Übergewicht, einer Knieverletzung und eines leichten Herzinfarkts rannte Tom Kitchings immer noch mit einer Kraft und Entschlossenheit, die eines Halfbacks würdig war. Williams begann zu schießen. Der Sheriff wich aus, als wollte er zur Torlinie im Neyland Stadion rennen, und ich sah etwas von der Geschwindigkeit und Behändigkeit, die einst Tausende von Fans begeistert hatte. Williams schoss zweimal, doch Kitchings kam immer noch im Zickzack auf uns zu und verringerte die Entfernung mit jedem Schritt. Art stürzte sich auf den Deputy und warf ihn zu Boden. Williams wehrte sich, doch Art rammte ihm ein Knie in den Solarplexus, dass ihm die Luft wegblieb, dann riss er ihm mit einem Ruck, der ihm womöglich ein paar Finger brach, das Gewehr aus der Hand. Er hievte sich auf die Füße und drückte Williams den Lauf an die Schläfe. »Geben Sie mir einen Grund«, sagte Art. »Geben Sie mir einen einzigen kleinen Grund, Sie zu erschießen. Na los!« Williams gab sich geschlagen.
Halb sprang und halb fiel Tom Kitchings die Stufen zur Veranda herauf. »Hey, Sheriff, das war mal’n Lauf«, sagte ich. »Sieht aus, als hätten Sie Ihre Form kein bisschen eingebüßt.« Er achtete gar nicht auf mich, sondern sank neben seiner benommenen Mutter und seinem toten Vater zu Boden.
»Oh, Mama«, weinte er. »Oh, Mama, was ist mit uns passiert? Was ist aus dieser Familie geworden, Mama?«, keuchte er schluchzend.
Sie schlang die Arme um ihn. »Schreckliches«, sagte sie. »Ein Gottesurteil. Wir haben es selbst auf uns herabbeschworen. O ja. Wir alle, nur du nicht.«
Er erstickte fast an den Worten. »Oh, Mama, ich habe es versucht. Ich habe so sehr versucht, es gutzumachen.«
»Das hast du. Du hast es wirklich gutgemacht. Du hast mich immer stolz gemacht. Mach nur weiter so, egal was geschieht.«
»Es ist zu spät, Mama. Zu spät.«
»Nein. Du hast ein gutes Herz, Tommy, und bist alles, was ich noch habe auf der Welt. Du musst mich auch weiterhin stolz machen.«
»Ich kann nicht, Mama. Ich bin angeschossen worden. Ich bin angeschossen worden, und es sieht schlimm aus.« Erst als er das sagte, fiel mir der karmesinrote Fleck auf, der sich auf dem Rücken seines Khakihemds ausbreitete. Er sank in ihre Arme, dann rutschte er zu Boden und war, einfach so, tot.
Zwei weitere Männer polterten mit gezogenen Waffen die Stufen zur Veranda herauf: Steve Morgan und »Rooster« Rankin. »Kriminalpolizei«, rief Morgan, »nicht bewegen!« Doch er und Rankin waren die, die wie zu Eis erstarrten, als sie das Gemetzel zu ihren Füßen überblickten: zwei Männer tot, ein dritter bäuchlings auf dem Boden liegend, ein Gewehr auf seinen Kopf gerichtet, und eine alte, gebrochene Frau, die neben den blutigen Leichen von Mann und Sohn weinte.
Art wandte keinen Augenblick den Blick von Williams ab. »Ich bin Polizist«, rief er. »Art Bohanan, Polizei Knoxville. Dies ist Dr. Bill Brockton, amtlicher forensischer Anthropologe. Dieser Deputy hier hat mindestens drei Morde zugegeben.«
»Es ist okay, Art«, sagte Rankin. »Wir sind Agent Rankin und Agent Morgan. Wir wissen inzwischen alles über die Machenschaften dieses Arschlochs hier. Lassen Sie mich ihm nur rasch Handschellen anlegen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Rankin kniete sich hin, riss Williams die Hände auf den Rücken, zog ihn auf die Füße, schubste ihn die Stufen hinunter und schob ihn dann zum Hubschrauber.
Morgan hatte wohl bemerkt, dass ich Mühe hatte zu begreifen, warum er in der Begleitung von Tom Kitchings hier aufgetaucht war, dem Mann, den ich beschuldigt hatte, die Justiz zu behindern. »Sheriff Kitchings hat gestern Abend aus dem Krankenhaus die Kriminalpolizei angerufen, also ist Rankin zu ihm gefahren, um mit ihm zu reden, nachdem er sich von Williams lange genug an der Nase hatte herumführen lassen.«
»Der Sheriff hat Sie angerufen?«
Morgan nickte. »Es hat ihn misstrauisch gemacht, dass Williams so schnell am Absturzort des Hubschraubers war, und er wusste, dass Williams ein Gewehr Kaliber .30-30 besaß, auf das er mächtig stolz war. Also hat er uns die Messinghülsen von den Patronen gegeben, die Orbin getötet haben. Auf dem Heimweg von Knoxville bin ich gestern beim Polizei-Schießstand vorbeigefahren, um dort einige gebrauchte Patronen des Deputys aufzusammeln. Die Ballistiker haben die ganze Nacht daran gearbeitet, die Auswerfspuren an den Hülsen zu vergleichen. Perfekter Treffer. Sobald wir das sahen, war uns klar, dass wir uns wohl schleunigst auf den Weg hier rauf machen sollten, bevor noch jemand erschossen wird.«
»Aber wieso ist der Sheriff mit Ihnen im Hubschrauber gekommen?«
»Er hat sich bei uns gemeldet, als er das Krankenhaus verließ, also sind wir am LifeStar-Stützpunkt kurz runter und haben ihn mitgenommen. Ein Glück für Sie. Er dachte sich, dass Sie schon wieder hier herumstöbern. Er dachte sich auch, dass Sie zuerst zu seinem Vater gehen würden und dass Williams versuchen würde, Sie aus dem Weg zu räumen.«
»Er hat richtig gedacht«, sagte ich. »Sieht ganz danach aus, als müsste ich Sheriff Kitchings sehr viel höher schätzen als bisher, sowohl für sein helles Köpfchen als auch für Rechtschaffenheit.«
»Es war nicht leicht für ihn. Er dachte auch, dass sein Vater die schwangere junge Frau umgebracht hatte.«
»Da hat er daneben gelegen, aber nur knapp. Hat er gesagt, wie er die Leiche überhaupt gefunden hat?«
»Anonymer Brief«, sagte Steve. »Wahrscheinlich von Williams. Ich schätze mal, der Deputy hat mitbekommen, dass der Alte immer in die Höhle ging, ist ihm eines Tages gefolgt und war dann wohl der Meinung, mit Leenas Hilfe könnte er den Sheriff und seine Familie fertig machen.«
Ich schüttelte den Kopf, atmete tief ein und mit Druck wieder aus. »Es hat gut funktioniert«, sagte ich. »Schrecklich gut.«
Ich schaute auf Tom Kitchings hinunter, der in seiner Sheriff-Uniform, alle viere von sich gestreckt, in seinem geronnenen Blut auf der Veranda lag. Er hatte einst so viel Potenzial gehabt; er war auf dem Weg zu etwas Bedeutsamem gewesen, oder wenigstens zu etwas Glanzvollem, bis sein Schicksal eine Wendung nahm und ihn zurück in die Berge von Cooke County führte. Der Ort, wo er gelandet war, war nicht glanzvoll, aber vielleicht war er auf tragische, Southern-Gothic-Manier doch wichtig. Am Ende hatte er schließlich doch sein Potenzial erfüllt – und dabei das Leben gelassen. Sein Tod war eine Vergeudung und eine Schande, doch gleichzeitig lag darin auch etwas Edles und Erlösendes. Mir wurde klar, dass er sein Leben für Leena und ihr Baby gegeben hatte und auch für mich. Die Steinkirche fiel mir ins Auge. »Niemand hat größere Liebe denn die …«, sagte ich.
»… dass er sein Leben lässt für seine Freunde«, beendete Art den Satz. »Und er war nicht mal davon überzeugt, dass wir seine Freunde waren.« Er drehte sich zu dem Beamten der Kriminalpolizei herum. »Könnten wir unsere Aussagen später machen?« Morgan nickte. »Können Sie stattdessen Mrs. Kitchings’ Aussage aufnehmen? Ich glaube, sie hat sich einiges von der Seele zu reden.« Morgan nickte noch einmal. »Bill, was hältst du davon, wenn wir nach Hause fahren?«
Mit meiner zerschossenen Windschutzscheibe fuhren wir den Berg hinunter zur Straße am Fluss und folgten extrem langsam den Kurven zur I-40. Sogar über die Interstate krochen wir nur, mit eingeschalteter Warnblinkanlage. Angesichts der blutigen Ereignisse, deren Zeugen wir gerade geworden waren, fanden wir die Beerdigungszuggeschwindigkeit gerade angemessen.
Mit tränenden Augen rief Art: »Warum strecken Hunde bloß so gern den Kopf raus in den Wind?« Ich zuckte die Schultern und blinzelte gegen den Wind. Selbst bei fünfundsechzig Stundenkilometern zerrte der Fahrtwind an Haaren und Haut. Doch die Aussicht aus dieser Öffnung ohne Windschutzscheibe – auf das flammende Karmesinrot und Gold der Berge um uns herum – war die beste, die ich je genossen hatte.
Zum ersten Mal seit langer Zeit – seit zwei Jahren, wie mir plötzlich klar wurde – konnte ich Farben, Licht und Schönheit deutlich bis zum Horizont sehen, ohne dass etwas mir den Blick versperrte.